10. Februar 2003

"Es hat in mir gebrüllt und geschrien ..."

Interview geführt von

Lacrimosas neues Album "Echos" steht seit zwei Wochen in den Regalen. Laut unterhielt sich mit Sänger, Texter und Komponist Thilo Wolff über die aktuelle Scheibe, die Band und den Star-Kult, der am Kühlregal lauert.

Ist die Single durch "Nacht und Flut" nicht eine Irreführung der Fans? Der Song ist viel straighter als der Rest der Platte.

Ich finde es gut, die Leute immer wieder zu überraschen. Außerdem schlägt der Song auch eine Brücke zwischen diesem und dem letzten Album. Es gäbe aber sicherlich Songs, die das Album eher vertreten würden.

Manche werfen dir Kommerzialität vor, weil der Song zu poppig sei.

Es gibt nichts Unkommerzielleres, als so einen Song zu machen. Das ist für den Mainstream zu sperrig und für die Szene zu poppig.

Bist du eigentlich so depressiv wie deine Musik?

Ich bin auf jeden Fall kein pessimistischer Mensch. Ich bringe mit Lacrimosa einen Teil meiner Persönlichkeit zum Ausdruck, von dem ich vielleicht sonst gar nichts wüsste. Lacrimosa ist nicht hundert Prozent Thilo Wolff. Ich wäre ja auch sehr einseitig, wenn ich nur diese Seite hätte.

Bist du mit "Echos" inzwischen 'angekommen'?

Ich glaube, wenn man angekommen ist, hat man sein letztes Album gemacht. Je länger man Musik macht, desto eher wächst man rein. So lange ich das Gefühl habe, ich muss Musik machen, mache ich auch weiter. Man versucht ständig, Lacrimosa festzulegen: "Begründer des Gothic Metal", "Begründer des Orchestra-Metal". Wir haben unserem bisherigen Stil immer wieder den Rücken gekehrt.

Wo wäre die musikalische Grenze für Thilo Wolff?

Ich mag kein Hip-Hop, ich mag kein Reggae, alles andere werde ich machen, wenn ich Lust dazu habe.

Deine Texte sind sehr persönlich. Nervt es dich manchmal, dass die Leute deshalb glauben, dich zu kennen?

Das passiert mir schon. Man will vielleicht nur 'ne Fertig-Pizza kaufen, steht am Kühlregal und wird angesprochen. Ist man dann patzig, weil man gerade keinen guten Tag hat, dann heißt es gleich: "Das passt jetzt aber gar nicht zu deinen Texten". Das ist auch mit ein Grund, warum ich in der Schweiz wohne, da werde ich nicht so oft erkannt.

Hast du nie Angst, in deinen Texten platt zu wirken?

Das ist ein Gratwanderung. Manche behaupten, ich sei schon immer platt gewesen. Andere finde, dass ich das gute hinbekomme.

Es gibt um dich ja einen richtigen Star-Kult ...

Es stimmt einen sehr demütig, dieses Geschenk, geliebt zu werden. Allerdings möchte ich zu niemanden heraufschauen, und auch nicht herabschauen.

Was hältst du davon, dass sich in den Internet-Foren die Leute über deine Frisur unterhalten?

Du bist natürlich nicht davor gefeit, dass auch über solche Dinge diskutiert wird. Gerade über mein Haare wurde sich sehr viel ausgelassen. Solche Betrachtungsweisen haben aber weder mit der Musik von Lacrimosa noch mit meiner Person zu tun. Dass man solchen Dingen in der Öffentlichkeit ausgesetzt ist, damit muss man umgehen.

Hättest du gedacht, dass es gerade in der Gothic-Szene solche Leute nicht gibt?

Ich denke, es gibt in jeder Bewegung auch Mitläufer. Die Szene - das sind keine besseren Menschen. Aber darunter sind sicher einige, die sich mehr mit sich und der Welt auseinander setzten.

War es ein Muss, dass deine Musik gerade im Gothic heimisch geworden ist?

Ich war ja schon lange in der Szene, bevor ich Musik gemacht habe. Ich denke, dass sich die Szene meiner Musik angenommen hat, weil meine Einstellung der der Szene entsprach. Es wundert mich heutzutage, dass Menschen zu mir kommen und sagen: Du machst ja voll die Gothic-Musik, du benutzt so viele orchestrale Elemente - das ist verkehrte Welt. Als wir damit angefangen haben, war das im Gothic verpönt.

Liest du dir eigentlich die Gästebücher deiner Fan-Seiten im Internet durch?

Ich lese mir die Gästebücher schon durch, allerdings muss ich dafür in der entsprechenden Stimmung sein. Die Einträge dürfen mich nicht beeinflussen. Ich muss in einer Stimmung sein, in der Lob oder Kritik keine Spuren hinterlassen. Die Musik muss aus mir kommen, sie darf nicht aus fremdbestimmten Einflüssen resultieren. Dann wäre es nicht mehr ehrlich.

Welche konkreten Ziele hast du für die Zukunft?

Ziele zu stecken ist immer gefährlich. Wenn man sich konkrete Ziele steckt, führt das zu Enttäuschungen, wenn man sie nicht erreicht. Ich denke, dass ist ein Reifeprozess, sich keine so konkreten Ziele mehr zu stecken. Es ist besser, wenn man versucht, eine gewisse Grundeinstellung zu haben. Ich kann natürlich nicht sagen: "Ich gehe ins Studio, mache aber keine Platte." Sich auf etwas ganz Bestimmtes festzulegen, kann aber gefährlich sein. Wir kennen uns oft selbst nicht so gut, wie wir meinen.

Wie glaubst du, kommt das aktuelle Album bei den Fans an?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es oft ganz anders aufgenommen wird, als ich dachte. Ich hoffe, dass die Menschen sich damit auseinander setzten. Es ist sicherlich kein Album, das zu erwarten war. Aber wenn es nur einem durch Mark und Bein geht, nur einen inspiriert, dann hat es sein Ziel erreicht.

Hättest du ein Problem damit, wenn deine Musik abgelehnt würde?

Ich glaube, es gibt kein größeres Gefühl der Einsamkeit, als die Ablehnung deines musikalischen Outputs.

Gibt es wieder eine Tour?

Nein, ich brauche erst mal eine kurze Auszeit. Eigentlich wollte ich die nach der letzten Tour schon einschieben, aber es hat so laut in mir gebrüllt und geschrieen, da habe ich mir alles von der Seele geschrieben. Und habe gemerkt, dass es zueinander passt.

Glaubst du, du müsstest zum Psychologen, wenn du keine Musik machen würdest?

Wenn man mir verbieten würde, Musik zu machen, dann müsste ich vielleicht zum Psychologen, weil die Musik ein so großer Verlust wäre (lacht). Ich glaube aber eher nicht, dass ich sonst in Behandlung müsste. Ich mache die Dinge eigentlich ganz gerne mit mir selbst aus.

Ihr achtet sehr darauf, vor dem Release-Datum keine Originale in den Umlauf zu bringen.

Lacrimosa basiert auf drei Säulen, Text, Musik, Layout. Ich finde es nicht gut, wenn jemand die Musik nur in beschissener Qualität hört. Das ist, als wenn man einen Tonfilm nur als Stummfilm hören würde. Es gibt diese wunderschönen Abende, an denen das Album heraus kommt: wenn man zu Hause sitzt und weiß, alle anderen hören diese Platte jetzt auch, man kann sich verbinden. Und ich weiß, dass es vielen Fans auch so geht. Kursieren die Stücke schon vorher im Netz, ist die Magie dahin.

Das Interview führte Andrea Vetter

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