laut.de-Kritik

Vorsicht! Gehe behutsam durch dieses Album.

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Ein französischer Automobilhersteller wirbt derzeit mit einem TV-Clip, in dem sich eine Glühbirne per 30-sekündigem Morphingprozess in einen fahrbereiten Siebensitzer verwandelt. Versucht man diese etwas abstruse Werbebotschaft zu entschlüsseln, könnte man auf die Erklärung kommen, dass Energie, Kraft und Leistung in gebündelter Form mit Kreativität auch dazu fähig ist, sieben Menschen gleichzeitig auf engstem Raum bewegen zu können.

Auf dem Cover des neuen Albums der US-Rockband Kings Of Leon ist auch eine Glühbirne zu sehen und obwohl der Glühdraht noch flackert, birst das Glas in alle Richtungen. Abgesehen vom künstlerischen Anspruch, den beide Darstellungsformen von sich behaupten, lässt die Interpretation hier wenig Spielraum: Vorsicht! Gehe behutsam durch dieses Album, denn jeden Moment kann etwas passieren. Die Energie des Quartetts, die früher gerne als Spielfreude tituliert wurde, hat sich in eine an Besessenheit grenzende Akribie verwandelt, und brachte nach einem kreativen Urknall 13 Songs auf den Weg, die ohne Zweifel einen Höhepunkt in der Geschichte der Band bedeuten.

Zwei ganze Minuten benötigt der brüchige, anfangs nur auf simpler Bassdrum und rollenden Basslinien pulsierende Opener "Knocked Up", bevor die ganze Mannschaft einsteigt. Doch schon nach ein paar Takten nimmt sich jeder wieder zurück, um erneut dem Minimalismus Platz zu machen, bis sich Matthew Followill nach dem zweiten Refrain erstmals ein reduziertes Gitarrensolo gönnt.

Es ist diese Zurückgenommenheit, die das gesamte Album hindurch begeistert und manchen Song zu einem Meisterwerk vollendet. "Knocked Up" ist mit sieben Minuten klar der längste Song der Platte und darf aufgrund seiner prominenten Positionierung durchaus als Statement verstanden werden. Und allen Ungeduldigen sei gleich gesagt: Nein, es wird kein Refrain mehr kommen nach dem zweiten! Darum gehts auch gar nicht.

In "Charmer" blitzt zwar die altbekannte Riffgewalt durch und nicht zuletzt durch Calebs Urschreie wird die Kings'sche Vorliebe für die frühen Pixies-Meisterwerke endlich mal überdeutlich. Das Southern Rock-getränkte Riffriding des umjubelten Debütalbums scheint dennoch Lichtjahre zurück zu liegen. "Because Of The Times" ist einerseits nah an "Aha Shake Heartbreak", andererseits wieder meilenweit entfernt. Die Songs fordern, nur um noch mehr zu geben, sie sind durchdacht, und doch niemals verkopft.

Ganz klar legen es die Kings darauf an, mehr denn je die Aufmerksamkeit des Hörers zu fordern: kurz auflegen und abrocken, das war einmal. Nie zuvor komponierte die Band so intensive Songs wie "On Call", das einem vom sphärischen Beginn weg schier die Tränen in die Augen treibt (gabs das bei den Kings schon jemals?), und auch auf die jede Kritik im Ansatz verbietenden Meisterleistungen "Ragoo" oder das psychedelisch-romantische "Trunk" wies vor zwei Jahren allerhöchstens der Song "The Bucket" hin.

All die klischeebeladenen Sätze, die die Kings Of Leon in früheren Interviews so oft von sich gegeben haben, das sich die Ernsthaftigkeit ihres Berufs nur mit der innigen Liebe zu Bands wie den Rolling Stones, Creedence oder Led Zeppelin erklären ließe, dass die Musikindustrie von heute nur noch auf vermarktbare Pin Up-Stars setze und man diesem Übel eben nur mit echter Liebe beikommen könne; all diese scheinbaren Floskeln verwoben sich in der Entstehung von "Because Of The Times" zu einer neuen Wahrheit zusammen, an der plötzlich keine Spur von Nostalgie oder Qualitätssehnsucht mehr zu kleben scheint.

Alleine was Jared Followill mit seinem Bass anstellt, ist stellenweise genial ("Knocked Up", "My Party"), ganz zu schweigen von Nathans unglaublich songdienlicher Schlagzeugbehandlung oder Matthews intuitivem Soligespür. Auch wenn das in diesem Zusammenhang abschätzig klingt: Eine der wenigen Konstanten im Sound der Kings ist Calebs heiseres, mitunter krächzendes Organ geblieben. Was selbstverständlich seit jeher das Aushängeschild der Band markierte.

Dabei hätte man es den einfachen Jungs aus den Südstaaten nicht verübeln können, wenn ihnen nach der Tournee mit U2 und persönlich vorgebrachtem Lob aus dem Munde Bob Dylans (!) neben all den Drogen schlicht und ergreifend die Selbstüberschätzung das Hirn zerfressen hätte. Doch dank des bandtypisch erdigen Sounds verbunden mit einer im positiven Sinne neu entdeckten Vorliebe für Stadionsoundeffekte ist in manchen Momenten sogar der U2-Klassiker "The Joshua Tree" greifbar. Ich würde mich nicht wundern, wenn man in 20 Jahren ebenso ehrfürchtig von "Because Of The Times" sprechen würde.

Wie auf dem '87er Album der Iren sind auch hier einige Songs so einnehmend großartig, dass nicht alle Beiträge in dieser schwindelnden Höhe mithalten können: Bei dem rockistischen "Black Thumbnail" und stellenweise auch in "Camaro" erdreisten sich die Followills unflätigerweise, mal nur zwei bis drei Ideen statt der doppelten Menge zu verarbeiten. Dies ändert aber nichts mehr an dem Gesamteindruck, dass uns die Kings Of Leon mit "Because Of The Times" ein Rock-Monster vor die Füße legen, auf dessen Cover sie weise-hinterlistig das "Hochexplosiv"-Zeichen gegen eine berstende Glühbirne austauschten.

Die mag nun kaputt sein und alles andere als morphingfähig, eines steht dennoch fest: Der Viersitzer Kings Of Leon durchbricht in dieser Verfassung Schallmauern, und zwar ganz ohne die sonst übliche hohe PS-Zahl. Wie viele Menschen sie damit in Bewegung setzen, ist momentan noch nicht absehbar.

Trackliste

  1. 1. Knocked Up
  2. 2. Charmer
  3. 3. On Call
  4. 4. MC Fearless
  5. 5. Black Thumbnail
  6. 6. My Party
  7. 7. True Love Way
  8. 8. Ragoo
  9. 9. Fans
  10. 10. The Runner
  11. 11. Trunk
  12. 12. Camaro
  13. 13. Arizona

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