19. Dezember 2018

"Youtube ist zum Troll verkommen"

Interview geführt von

Da sein Debütalbum "Stokkholm" bereits im Juli erschien, konzentrierten Kex Kuhl und ich uns im Telefonat auf die Zeit und die Probleme nach dem Release des Longplayers. Wir unterhielten uns darüber hinaus über die Bedeutung von Lyrics, insbesondere seiner Texte, Entwicklungen innerhalb der Szene und Promo-Tools wie Deluxe Boxen und Images. In einem heiteren Gespräch legte der gebürtige Augsburger auch die ein oder andere Denkpause ein, ehe er antwortete.

Kex Kuhl sprengte mit seinem Album "Stokkholm" musikalische Grenzen. Es wurde auf einer Akustikgitarre komponiert und ohne Samples im Studio aufgenommen. Infolgedessen trafen Rap, Gesang und Rock, vielleicht sogar Grunge, unverkrampft aufeinander. Inhaltlich konzentrierte er sich auf persönliche Texte anstelle von Punchlines, die seine Musik über Jahre prägten. Eben jener Wandel stellt den idealen Anlass für ein Gespräch mit dem ehemaligen Weekend Warrior dar. Es wurde ein wirklich langes...

Wie geht's dir nach dem Release? Wie hast du die Zeit danach wahrgenommen?

Erst mal geht's mir eigentlich ganz gut, danke. Die Zeit nach dem Release habe ich tatsächlich stressiger wahrgenommen als gedacht.

Weil?

Weil das alles nicht so aufgegangen ist, wie ich mir das erhofft hatte. Was heißt erhofft hatte? Wie das der Plan von allen außenrum war.

Meinst du das Album oder das Feedback dazu?

Das Feedback war super, durchgehend gut. Du musst wissen, ich les' mir alles durch. Alles. Alle Kommentare. Einfach alles. Nur ein so'n winziger Blog hat absolut nicht verstanden, was ich gemacht habe. Ich weiß nicht mal, wie der heißt (lacht). Ansonsten war es durchweg zufriedenstellend. Das Feedback. Was schleppend lief oder immer noch läuft, ist tatsächlich Youtube. Das macht mir zu schaffen. Wir sind nicht in so viele Spotify-Playlists gekommen, wie ich anfangs gedacht habe. Weil ich alles lese, hinter allem stehe und immer weiß, was wo passiert, hänge ich mich in alles rein - auch in Angelegenheiten von ganz anderen Leuten (lacht). Deswegen ist das stressig für mich.

Das ist ja dieses Paradoxon. Leute streamen heutzutage viel, weil sie ständig unterwegs sind, gleichzeitig wollen sie krasse Videos in der Promophase sehen. Fällst du diesem Widerspruch vielleicht etwas zum Opfer? Verstärkt der womöglich deinen Struggle? Mit Hinblick auf Youtube und die Klicks.

Es fällt schon mit rein, weil ich maßgeblich an der Videoproduktion beteiligt bin. Ich bin ein sehr Selbstzweifel beladener Typ, natürlich mache ich mir dann Gedanken, "Ey Shit, waren die Bilder vielleicht nicht geil? War das Thema nicht geil gewählt?" Ich versuche das nicht abzuwälzen und zu sagen, "Youtube stirbt", sondern ich seh' ja auch bei anderen Leuten, wenn du mal diese typischen Trap-Videos nimmst, die gerade rauskommen und leider auch alle ziemlich gleich aussehen, wie ich finde, die gehen fucking viral, Alter. 60 Millionen Klicks auf irgendwelchen Videos. Da fangen Selbstzweifel an und ich frag' mich, "Fuck, hätte ich das anders machen sollen? Ein anderes Thumbnail wählen sollen? Anders promoten? Werbung auf die Videos schalten?" Aber das ist mir dann immer zu businessmäßig. Mir geht's letzten Endes nicht um Youtube-Plays, sondern darum, dass ich ein Video mache, das mir gefällt und ich hoffe, dass es den anderen auch gefällt. In diesem Fall hat es manchen, den meisten, nicht gefallen (lacht), aber das passiert auch.

Einerseits gehst du selbstkritisch mit der Situation um, andererseits arbeitest du sie distanziert und reflektiert auf?

Klar, auf jeden Fall. Es wäre ja auch Schwachsinn, wenn ich mich selbst kaputt machen würde, weil irgendwelche Videos nicht laufen. Dafür sind die Reaktionen der Leute auf das komplette Album zu gut, als dass ich rumheulen würde, weil ein paar Klicks nicht genug sind. Am Ende des Tages geht's ja auch nicht darum gute Videos zu produzieren, sondern gute Musik.

Du legst aber sehr viel Wert auf die Ästhetik deiner Videos. Denkst du, dass Videos in Zukunft immer noch so eine fette Rolle spielen werden?

Schon. Ich denke halt, dass es irgendwann Back to Basics geht. So wie alles. Im Grunde kommt alles irgendwann zurück. Alles wird solange überspitzt und hoch getrieben, bis es zu viel ist. Meiner Meinung nach ist es das bereits. Die Leute fangen doch jetzt schon wieder an, Videos mit VHS Kameras zu drehen, weil dieses 4K, dieses voll 3D und was weiß ich, too much sind. Dadurch wird irgendwann das Augenmerk wieder auf die Videos an sich gerichtet und nicht nur auf ihre Qualität. Es fehlt halt einfach auch eine coolere Plattform für Videos, finde ich. Youtube ist mittlerweile zu einem riesengroßen Troll verkommen. Wenn ich Youtube-Kommentare lese, fühle ich mich wie auf Twitter (lacht).

Es bräuchte wirklich eine ernstzunehmende Alternative zu Youtube. Wobei je länger eine derartige Plattform besteht desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die am Ende auch wieder zum Troll verkommt.

Ich glaub' einfach, dass die Zeit da auch so'n bisschen mitspielt. Überleg mal, ich bin 29. Ich hab' Youtube angefangen, da war ich in der fünften, sechsten Klasse. Da gab es fünf bis sechs Videos, die cool waren. Zum Beispiel diesen dicken Star-Wars-Typen, der in seiner Garage Laserschwert gespielt hat. Wir haben das angeguckt und uns tot gelacht. Da hast du dir keinen Account gemacht. Du hast das Video einfach 12.000 mal am Tag geguckt und das war's. Du hast das weder kommentiert, geliked noch irgendwas. Geschweige denn einen Channel abonniert.

Es ist heute so, dass die Leute da reingeboren werden, damit aufwachsen und das nicht mehr für voll nehmen. Für die war das schon immer da und deswegen ist das nichts Besonderes. Gleichzeitig kennen sie sich komplett damit aus. Die wissen, wenn sie einen Daumen runter geben, juckt das den Typen. Die wissen aber auch, wenn sie da einen Scheiß-Kommentar schreiben, juckt das den Typen noch mehr. Daher gehen mit solchen Plattformen auch Trolle einher. Wir hatten früher Trolle in Internet-Foren oder haben die selbst unsicher gemacht. Jetzt betrifft das halt auch andere Plattformen.

Jeder sucht sich sein eigenes Ding, um zu stänkern oder zu haten, und du musst nach wie vor schauen, wo du halbwegs seriös und transparent deine Sachen veröffentlichen kannst. Immerhin willst du Leute erreichen, die das interessiert und reflektieren können, was du machst.

Voll. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob die Leute, die Youtube benutzen und regelmäßig schauen, tatsächlich die Zielgruppe meiner Musik sind. Es gilt das jetzt herauszufinden. Das liegt daran, weil ich angefangen habe, neue Musik zu machen. Wie ich finde, keine vergleichbare. Aus diesem Grund ist das ein länger währender Prozess herauszufinden, wer wo auf was achtet.

Stichwort: Herausfinden. Dir ist wichtig, dass deine aktuelle Gefühlslage und dein Gemütszustand in die Musik mit einfließen. Was erhoffst du dir, wie Leute deine Musik hören und wie sie die wahrnehmen?

(Überlegt) Puh, da muss ich ausholen. Naja, ich fang' mal so an: Es gibt ja immer einen Impuls dafür, dass Leute sagen, "Ich mach' jetzt mal 'was anderes." Bei mir war es so, dass ich diese Musik nicht mehr machen konnte, weil irgendetwas in mir gesagt hat, "Ne, das bist nicht du." Ich wünsche mir einfach, dass Leute, die diese Musik wahrnehmen, das erkennen und ein Stück weit als eine Art Selbstreflexion von mir betrachten. Sich vielleicht sogar selbst mal ein paar Gedanken machen. Weißte, das ist nicht dieser erhobene Zeigefinger-Scheiß. Das ist tatsächlich, "Leute, mir ging's kacke oder mir geht's kacke und deswegen mache ich diese Mucke. Diese Mucke hilft mir dabei, das zu verarbeiten."

Und wenn es anderen Leuten hilft und die sagen, "Mir geht's scheiße. Ich hab' Streit mit meiner Alten, deswegen hör' ich jetzt "Wein und so"", ist das schön, weil sie dann daraus 'was schöpfen. Das ist keine Party-Mucke. Du kannst nicht auf meine Musik feiern gehen. Ich bin der Letzte, der auf irgendeiner Youtube-Hausparty besoffen seine Musik anmacht. Ich finde das eh immer etwas lächerlich, wenn Leute auf Partys ihre eigene Mucke auflegen. Bruder, mach das nicht (lacht).

Sobald du anfängst, deine Musik anderen aufzudrängen oder sie in vollkommen ungeeigneten Situationen zu spielen, wird es kritisch.

Selbst wenn es die eigenen Anlässe sind. Ich verlass' meistens den Raum, wenn mein Song läuft. In dem Büro, in dem ich arbeite, kennen einige Leute meine Sachen. Komme ich ins Büro und einer hat etwas von mir in seiner Playlist, geh' ich halt kurz, wenn das läuft. Ich mag das nicht so. Das ist immer sehr unangenehm, weil dich dann alle so grinsend angucken, "Ja, das ist deine Mucke!" Und ich nur so, "Ja, ich weiß!" (lacht)

Das hat doch etwas. Ich stimme dir übrigens zu, deine Musik zeichnet sich nicht durch das Zeigefinger heben aus. Meines Erachtens kannst du die einfach auf mehreren Metaebenen hören. Bist du jemand, der darüber nachdenkt, wie intensiv sich die Hörer mit deinem Schaffen und deinen Textem auseinandersetzen?

Ehrlich gesagt nicht. Ich versuch' nicht extra acht Ebenen in meine Mucke einzubauen. Ich denke auch nicht, "Ok, die eine Hürde ist für die Kiddies, die nicht drüber nachdenken. Die zweite ist für Leute in meinem Alter und die dritte für Musik- und Textliebhaber." Ich schreibe einfach drauf los. Für mich ist wichtig, dass es sich gut anhört, mir ein gutes Gefühl gibt, alles sitzt und das aussagt, was ich erzählen möchte. Ich mache da nicht auf Biegen und Brechen metaphorischen Kram raus. Passiert manchmal trotzdem. Ich schreib' nun mal gerne. Das ist so'n bisschen mein Stil. Es freut mich natürlich sehr, wenn die Leute etwas tiefer gehen und besser zuhören. Wenn dir der Song einfach gefällt, weil der Beat geil ist und du das Gitarren-Solo in der Mitte magst, feier' den deswegen, Alter.

Es ist doch bestimmt schön, wenn du merkst, dass sich die Leute tiefgehender mit den Texten beschäftigen. Wenn du sagen würdest, "Genauso war das gemeint", ginge viel von der Magie der Musik verloren ...

Bei "Wein und so" hatte ich zwei Ausgangspostionen. Irgendwo wurde diskutiert, ich weiß gar nicht mehr wo, ob es da um eine alte Freundschaft oder um eine alte Liebe geht. Ich fand es witzig, da mit zu lesen. "Nein, aber er sagt, das und das, deswegen meint er 'ne Frau!" "Nein, aber er sagt auch, das und das, deswegen meint er 'nen Typen." Fand ich großartig, hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Kam die Diskussion zu einem Schluss?

So weit habe ich die tatsächlich nicht verfolgt. Ich verliere schnell das Interesse an Sachen, generell an allem (lacht). Ich verlier' nicht direkt das Interesse, aber lass' mich sehr schnell von Kleinigkeiten einnehmen und beeindrucken. "Eine andere Diskussionen? Ah okay, nice. Bin sofort da."

Es erscheinen ja auch tausend Sachen. Ganz gleich ob Videos, Interviews, Releases oder Playlists.

Die Aufmerksamkeitsspanne ist viel niedriger geworden, habe ich gemerkt. Früher war es so, dass ich mir einen Song ganz angehört habe. Egal, wie schlecht der war. Mittlerweile schalte ich nach zwei Sekunden weg, wenn mich 'was langweilt. Die Leute entscheiden, urteilen und sichten viel schneller. Ich weiß nicht, vielleicht ist mir das ein bisschen zur Last gefallen oder meiner Musik. Da wird zu wenig Codein gesippt, da werden zu wenig Bitches gefickt und er hat gar keine Kanacks mit Knarren hinter sich. (lacht)

In "Alte Götter" äußerst du unterschwellig Kritik an der Szene, falschen Freunden und an Zweiflern deiner Musik. Du rappst aber auch, dass deine Idole alle tot sind. Meinst du das im übertragenen Sinne und spielst damit auf das Phänomen an, dass man seine Idole nie privat kennenlernen sollte oder sind deine Idole wirklich tot?

Teils, teils. Es ist metaphorisch, sinnbildlich und gleichzeitig wörtlich zu nehmen. Ich hör' viel alte Musik und es ist tatsächlich so, da ich ja auch schon ein gewisses Alter erreicht habe, dass Leute anfangen zu sterben, die man früher angehört hat. Andererseits ist es wie du sagst, man hat eigentlich zu jemandem aufgeblickt und/oder sich an demjenigen orientiert, merkt aber, wenn man erst einmal in dieser Maschinerie drin steckt, was für Vollidioten das sind. Und die sind dann eben sinnbildlich für mich gestorben.

"Wenn deine Musik nicht aussagekräftig genug ist, musst du halt zu Images greifen."

Kannst du das noch etwas ausführen? Hast du ein Beispiel parat, was dich an dieser Maschinerie und ihren Abläufen aufregt?

Das hat sich alles mit der Zeit entwickelt. Ich bin 2014 mit Rockstah auf Tour gegangen, da hat's angefangen. Da kamen immer bekanntere Leute auf die Konzerte, die ich schon kannte, von der Mucke her zumindest. Dann habe ich die privat kennengelernt und gemerkt, die sind überhaut nicht, wie sie sich in den Songs geben. Die haben einfach ein Image und für mich ist ein Image zu haben, das absolut Ekelhafteste, was du machen kannst. So'n falsches Image. Weißte, wenn du irgendein Straßen-Kanack bist, der getickt und gepusht hat, oder seine Kumpels um ihn herum gepusht haben, kannst du diese Mucke authentisch rüberbringen. Aber sobald du selbst anfängst so zu tun, nimmst du den Leuten, die das wirklich gemacht haben, ihre Fläche und ihre Bühne, weil es schon etablierte Künstler gibt, die über so was rappen. Und dann kommt der wirkliche Ticker-Kanack und macht einen Song, der vielleicht nicht krass, aber authentisch ist. Dem wird dann aber kein Gehör geschenkt. Der andere ist natürlich krasser, weil der seine Geschichten ausschmückt und was weiß ich.

Das liegt aber auch an den Raphörern. Für eine PR-Kampagne ist ein Image natürlich extrem hilfreich. Du kannst dir die Künstler so zurechtrücken, wie du sie brauchst und die Hörer springen darauf an. Zumindest wenn ihre Zielgruppe erreicht wird. Gerade wenn Leute gar nicht dahinter blicken können und denken, dass ihnen die Wahrheit erzählt wird. Im Jahr 2018 ziehen solche Gimmicks und Images einfach.

Ich habe immer versucht, was heißt versucht, ich habe solche Sachen erfolgreich gemieden und werde das in Zukunft auch weiter machen. Ich hätte ja auch mein Album auf Depri-Selbstmord-Schienen aufbauen können. Das wäre ja dazu prädestiniert gewesen. "Alter, das ist der traurigste Rapper der Welt und der war in der Klapse." Ich hätte die Scheiße authentisch rüberbringen können, aber wofür? Ich will ja nicht, dass die Leute sagen, "Hey, check mal Kex Kuhl, das ist ein ganz trauriger Emo-Junge", sondern die sollen sagen, "Alter, check mal das Album, das hört sich mega an." Darum geht's mir. Ich hab' mit Images nie viel am Hut gehabt und will's auch nie haben. Ich find', Images sind ein Zeichen für Qualitätsmängel in der Musik. Das heißt, wenn deine Musik nicht aussagekräftig genug ist, musst du halt zu Images greifen.

Unterschreibe ich nur teilweise. Es gibt ja auch Rapper, die die Fertigkeiten haben, um gut zu rappen, aber sich trotzdem hinter einem Image verstecken. Wie stehst du dazu? Sollten die rappen oder etwas anderes machen?

Die können das gerne machen. Es gibt genug Leute, die das hören und das feiern. Sonst würden die Künstler nicht Gold und Platin gehen. Nehmen wir Kollegah. Kollegah ist großartig. Ich höre Kollegah schon seit der RBA. Ich hab' immer gefeiert, dass er dieses Zuhälter-Ding macht, auch als er noch nicht aussah wie ein Zuhälter (lacht). Da hat er ja schon darüber gerappt, dass er der breiteste Mensch der Welt ist. Er ist konsequent bei dieser Scheiße geblieben. Er hat das ausgemalt. Kollegah musste sich tatsächlich hochkämpfen. Der ist nicht aufgrund des Images berühmt geworden, sondern aufgrund seiner Skills und er hat dieses Image einfach beibehalten. Der wurde ja früher belächelt, als er gesagt hat, "Toony, der Drogendealer." Und alle so, "Digga, halt's Maul."

Alle haben ihn wegen seines Aussehns belächelt, als die alten Selfmade-Videos rauskamen. "Hey, der Typ sieht aus wie der größte Lauch und rappt hier so 'ne Scheiße." Der hatte es durch sein Image sogar schwerer. Er hat sich in dieses Image reingearbeitet. Er hat gesagt, "Hey, ich setz' mir ein Ziel. Ich will ein verfickt reicher Typ werden und das werde ich!" Das hat der gemacht. Der hat meinen höchsten Respekt, dieser Mann. Auch wenn mir die Musik langsam in eine zu melodramatische Richtung schwappt. Bruder, ich bin alt genug. Ich brauch' diese Lebensweisheiten nicht mehr. Dennoch abgefahrene Technik. Der Typ ist ein stabiler Rapper, da kannst du überhaupt nichts gegen sagen.

Indirekt sagst du damit, dass solche Künstler sogar eine größere Angriffsfläche bieten. Ich kann mir gut vorstellen, dass dir das als Künstler irgendwann auf den Sack geht, wenn du zum hundertsten Mal auf dein Gimmick angesprochen wirst.

Ist bestimmt anstrengend. Wobei viele ja auch Dingen nacheifern und solange versuchen erfolgreich zu werden, bis sie irgendetwas gefunden haben, das funktioniert.

Du kannst dich halt den Wünschen und Bedürfnissen der Fans anpassen.

Ey, so sieht's nämlich aus. Wenn in fünf Jahren wieder Rucksäcke und Boom bap cool sind, sind das die ersten, die auf einmal ein Feature mit MC Rene machen. So was nervt mich. Ich versteh' das nicht. Es zählt auch ein bisschen die Authentizität. Aber naja, es ist nun mal so. Es war schon immer so. Und ich glaube, je größer Hip Hop wird, desto weniger ist es wichtig, man selbst zu sein und gute Musik zu machen, sondern umso wichtiger ist es, welche Marketingstrategien du hast. Mit dem Erfolg von Hip Hop und der größeren Hörerschaft von Hip Hop wächst natürlich auch die Maschinerie, das Geld dahinter und die Leute, die nur das sehen. Das finde ich sehr schade.

Ich habe tatsächlich eine Frage zu den Säulen des Hip Hop. Überleg' mal, was für eine Bedeutung die früher hatten. Jeder Hip Hop Head konnte die im Schlaf runterrattern. Jetzt drehen sich die Diskussionen eher darum, ob es eine fünfte oder sogar eine sechste Säule gibt. "Zähle ich produzieren dazu oder nicht?" Haben die Säulen für dich noch eine Bedeutung? Und was denkst du, wie die generell wahrgenommen werden? Die ehemaligen Grundprinzipien des Hip Hop.

Also, ich bin ja tatsächlich damit groß geworden. Ich hab' ganz am Anfang versucht, zu breaken, was fürchterlich schief gegangen ist, weil ich der unsportlichste Motherfucker der Welt bin. Es hat einfach nicht funktioniert, es ging nichts. Ich hab' schnell gemerkt, "Lass das mal lieber, Taha." Danach merkte ich, dass ich eine Ader für's Zeichnen habe und bin da so'n bisschen reingekommen und in Graffiti. Ich war an der Kanne nie so gut wie auf'm Zettel, deswegen durfte ich, wenn ich mitgegangen bin, nur Fill-Ins machen. Ich wollt' aber auch nicht mehr machen, weil ich fand, dass andere das besser konnten. Und wenn andere etwas besser können als ich, gebe ich sehr, sehr gerne ab. Irgendwie bin ich dann halt zu Rap gekommen und habe selbst angefangen, zu schreiben.

Vor ein paar Jahren auf'm Splash habe ich mich im Vollsuff noch darüber lustig gemacht, dass es neue Hip Hop-Säulen gibt. Es gibt neue Elemente des Hip Hop (überlegt). Welche waren das nochmal? Ich glaube, es waren Youtube, Insta-Story, Snap und noch irgendetwas, das fehlt. Es gibt auf jeden Fall einen Wandel. Es ist absolut nicht mehr wichtig, ob du lyrisch gut bist, ob deine Texte anderen Leute irgendetwas bringen. Es geht darum, wie krass dein Video ist, wie viele Follower du hast und wie witzig deine Stories sind. Ich amüsiere mich auch über gute Stories. Natürlich gucke ich die Stories von Bonez an. Jeder guckt sich seine Scheiß-Stories an. A zeigt er eine Welt, in der man nicht lebt, die man aber interessant findet. B ist er einfach ein fucking, witziger Typ.

Kann man also sagen, dass die Säulen nach heutigen Maßstäben komplett überflüssig sind?

Ja. Komplett, ja.

Könntest du dir vorstellen, dass man sich in Zukunft wieder Säulen aufbaut und an denen orientiert? Oder waren die ein damaliges Phänomen, weil man zu dieser Zeit auch noch charakterlich Hip Hop war?

Das kann ich mir gar nicht mehr vorstellen. Es sind mittlerweile verschiedene Welten. Wenn du heute mal davon ausgehst, wie mich Leute sehen, sagen die, "Alter, der macht gar kein Autotune und der ist so richtig krass Alte-Schule mäßig." Zeig mal irgendwelchen Oldschool-Hip-Hoppern meine Mucke. Die sagen, "Ist der behindert? Das hat absolut nichts mit Rap zu tun!" (lacht). Ich sag's mal grundsätzlich: Hättest du mir früher Songs aus den Mio-Modus-Mio-Playlists gezeigt, hätte ich gesagt, "Verpiss dich mal mit der Scheiße!" Nicht falsch verstehen, da sind auch Leute drin, die ich feiere, ich hate nicht gegen alle. Für mich ist jedoch Lyrik sehr wichtig und lyrisch ist das absoluter Müll. Entweder reimt sich nichts, nur die letzen Buchstaben oder ein Wort wird achtmal wiederholt. Das ist dann der Part. Für mich ist das keine Leistung.

Wenn du das wieder positiv auslegen wolltest, könntest du das auf die Vielfalt in der Szene zurückführen, aber das hat natürlich nichts mehr mit diesem Hip Hop-Urgedanken von früher zu tun.

Was auch nicht schlimm ist. Nimm mal den wortkargen Rin. Der prahlt nicht mit seinem Wortschatz, dennoch finde ich, dass er geile Mucke macht. Auch wenn der grammatikalisch so oft daneben tritt, dass ich langsam glaub', dass das Absicht ist ... (lacht)

Du wirst den Künstlern gar nicht gerecht, wenn du sie in irgendwelche Schubladen zwängst. Keine Frage, das war eine bedeutende Phase, aber heutzutage entwickelt sich einfach alles weiter und wenn du nicht mit der Zeit gehst, verstehst du irgendwann einfach nicht mehr, warum Künstler klingen, wie sie eben klingen. Im Grunde kannst du ja nur noch die alten Sachen hören, weil du den Zugang gar nicht mehr hast.

Es wäre auch falsch, dass an alten Sachen festzumachen. Ich finde gut, wie es ist. Dass viel mehr Leute das hören und Künstler eine Reichweite haben, die unglaublich ist, dennoch ist das nicht meine Welt. Ich glaube nicht, dass ich in diese ganze Hip Hop-Maschinerie reingehöre. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

Du verpackst ja wirklich private Themen in der Musik. Hat dich das Überwindung gekostet, das Intime mit der Öffentlichkeit zu teilen?

Ich habe mir oft gedacht, "Kann ich das jetzt so sagen, ist das nicht zu privat?" Beispielsweise als ich "Sohn" zum ersten Mal gespielt habe, war das für mich so hart unangenehm, weil das so hart privat ist. Das ist ja nicht mal so, dass sich damit jemand identifizieren kann. Ich erzähle ja meine Geschichte. Nicht die eines anderen, der eventuell ich sein könnte, sondern es ist meine Scheiß-Geschichte. Hört jeder, weiß jeder. Es hat schon etwas Überwindung gekostet. Im Endeffekt war es aber einfach nur konsequent. Hätte ich das nicht gemacht, hätte ich mir in den Arsch gebissen, weil genau das wollte ich machen. Ich wollte mich öffnen und ich wollte, dass die Leute wissen, wer ich bin und das hätte ich nicht effektiver lösen können als mit diesem Song. Oder mit so einem Album. Also ja, es fiel mir schwer, es war aber gut, dass ich mich überwunden habe.

Ist deine Hemmschwelle für künftige Releases niedriger?

Auf jeden Fall. Ich habe ja meine ganze Herangehensweise an Songs geändert.

Inwiefern?

Naja, früher habe ich einfach Sachen aufgeschrieben, die ich witzig fand, und die zu einem Part zusammengeknüpft. Einen 16er mit 20 Punchlines. (lacht) Das hat sich komplett geändert. Ich mache mir Gedanken über ein Thema und möchte erst wissen, was ich damit aussagen möchte. Welche Gefühlslage ich ausdrücken möchte. Es ist auch nochmal anders, weil ich erst die Texte schreibe und mir das Instrumental drumherum baue. Dementsprechend hat sich alles grundlegend geändert.

Wie kann man sich diese Prozedur zeitlich vorstellen? Mit Hinblick auf die Themenfindung eines Songs und die Gedankengänge, wenn du zu einem Song ein Video drehen möchtest?

Meinst du, wenn ich den Song schon habe oder von Anfang an?

Von Anfang an.

Das Video herauszufinden, ist nicht schwierig. Ich habe jetzt schon 20 bis 25 Ideen für neue Songs. Für's nächste Album. Aber das sind einfach nur Ideen. Die kommen und gehen. Sind nicht mal Skizzen. Manchmal ist es nur eine Melodie oder ein einzelnes Wort. Manchmal ganze Hooks. Ich sitze meistens Zuhause rum, gucke irgendetwas, bin mega high und dann kommt so, "Oh shit, das wäre geil!" Daraufhin setze ich mich hin, schreibe mir das kurz auf und versuch' weiter zu schreiben. Wenn ich merke, ich komm' nicht weiter, lass ich das ruhen. Sobald ich das Gefühl habe, ich bin wieder im Mood dazu und das erinnert mich an den Song, zu dem ich eine Idee hatte, schreib' ich da weiter. Ich erzwinge nichts. Ich könnte mich nicht hinsetzen und sagen, "Ok, ich erfinde ein komplett neues Thema innerhalb der nächsten zwei Tage." Jeder Song geht mit einem eigenen Findungsprozess einher.

Was machst du mit den Ideen, zu denen dir nichts mehr einfällt? Bestehen die weiter oder sind die nach einer gewissen Zeit komplett weg?

Ich schreibe nichts auf, was ich nicht verwende. Wenn ich 'was aufgeschrieben habe und das kacke ist, streiche ich das durch und schreibe unten drunter weiter. Wenn es komplett scheiße ist, werfe ich das weg. Ich mag das auch nicht, wenn Leute ihr Album rausbringen und in ihrer Deluxe Box die Super-Special-EP haben. Das sind dann die Songs, die eigentlich nicht auf's Album gekommen wären. Resteverwertung. Davon bin ich kein Fan.

Dadurch will man ja auch nur Käufer generieren. Inbesondere die Leute, die sich selbst als Hardcore-Fans bezeichnen, wollen natürlich alles von ihren Favorites haben. Aber eigentlich musst du keinem mehr erzählen, wieso eine Box so aufgebaut ist, wie sie im Laden steht.

Schau mal, du musst überlegen, die Leute nennen das Deluxe Box. Ich bin generell gegen Deluxe Boxen und kein Fan davon. Ich hoffe auch, ach was, ich scheiß' drauf, ich werde niemals eine Deluxe Box machen. Es sei denn ich habe tatsächlich DIE Idee, von der ich sage, "Ok, der Name der Deluxe Box ist es wert, dass ich ihn ausspreche." "Ey, ich habe hier einen Tropfen von meinem Blut!" Ach ne, das gab's ja bei Massiv schon. Scheiße Alter, es gibt echt schon alles.

Eine von dir gezeichnete Tattoo-Vorlage.

Ja, irgendwie so was. Vielleicht Heroin (lacht). Mal gucken. Auf jeden Fall finde ich, dass das Wort Deluxe Box impliziert, dass da irgendetwas Krasses drin ist. Sagen wir mal, du gehst in irgendein Luxusrestaurant und die sagen, "Wir haben hier ein 8-Gänge-Menü", aber du kriegst nur Vorspeisen und ein Hauptmenü, das zwar geil ist, aber dafür ist der Rest das Essen vom Vortag. Das ist Resteverwertung. Das ist dann auch kein Luxusrestaurant, sondern ein Typ, der schnell Geld verdienen will. So kommt es mir eben auch bei Deluxe Boxen vor. Der Inhalt hat nichts mit dem Namen zu tun. Wenn du da ein T-Shirt in L reinlegst und eine beschissene Autogrammkarte, ist das eine beschissene Deluxe Box und irgendeine EP, die es nicht auf dein Album geschafft hat. Wenn du ehrlich genug bist, sagst du, "Hey, das ist eine EP mit Songs, die es nicht auf's Album geschafft haben. Hier habt ihr die for free." Dann Hut ab!

Das würde natürlich den Kaufanreiz für die Box minimieren. Ein paar Boxen gibt es allerdings schon, die ganz cool sind, aber der Großteil ist 08/15. Ich nehme mal die von Alligatoah.

Was ist da drin?

Ein Blumentopf, eine Gießkanne, Saat (Minze & Ringelblume) und Blumenerde. Der Inhalt ist kreativer als der einer normalen Box. Trotzdem muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden, ob er seine Pflanzen mit einer Alligatoah-Gießkanne wässern will.

Das finde ich mega witzig.

Wenn du merkst, dass sich jemand Gedanken macht, ist das ok.

Voll.

Oder Haze, der hatte doch diesen fake Urin drin.

Ey, Haze fand ich mega cool, das passt aber auch zu dem. Das ist legitim. Ich kaufe mir aber generell keine Boxen, ich kaufe mir die Vinyl.

Boxen sind eigentlich auch eine Platzverschwendung.

Alter, voll.

Schallplatten sind da deutlich angenehmer.

Ich habe drei Deluxe Boxen. Eine von Ali As, eine von eRRdeka und eine von MoTrip, die hat er mir geschickt. Ich war ja damals gemeinsam mit Ali As beim Label Embassy, deswegen habe ich die geschickt bekommen. Die Box von Ali, die das Label gemacht hat, war das Erbärmlichste, was ich je gesehen habe. Shoutout an Ali, ich liebe diesen Mann, aber die Box war dünner als eine Kellogsschachtel. Da waren irgendein erbärmliches T-Shirt und zwei Sticker drin und ich dachte, "Das könnt ihr doch nicht ernsthaft für 40 Euro verkaufen."

Noch schlimmer waren die Papp-Boxen von Amazon früher. Das waren ja nicht einmal Boxen. Die hatten doch nur einen Frontsticker. Die waren zwar noch nicht so teuer, gingen aber in ähnliche Richtungen.

Richtig bescheuert.

Schallplatten besitzen nicht nur einen höheren Sammlerwert, wenn du auf so was Wert legst, sondern sind auch zeitloser. Die kannst du noch in 20 Jahren hören. Eine Box staubt ein und irgendwann fragst du dich, "Was wollte ich eigentlich mit der?"

Genau das ist es. Als wären noch die Download-Codes gültig, wenn du die Box in zehn Jahren öffnest. Die Plattform ist schon lange tot und du hast noch diese Scheiß-Codes.

Du hast natürlich noch die Option, über eigene Wege eine überschaubare Anzahl von Boxen oder Bundles zu produzieren. Als Beispiele seien da Marvin Game (Kollaborationen mit Purize, RUE Berlin und Viva con Agua), Metrickz (eigener Sport-Booster) und Morlockk Dilemma (eigene Action-Figur) genannt. Dabei sind die Kosten für den Künstler beziehungsweise für alle, die daran beteiligt sind, natürlich höher. Im Grunde musst du etwas finden, das du nicht auf tausende Boxen ummünzen kannst und das du selbst gerne in einer Box hättest.

Das habe ich ja gemacht. In der Vinyl ist unangekündigt ein Backpatch drin. Also so'n Patch, den du dir auf den Rücken nähen kannst. Auch in 10 Inch. Echt groß, schön verarbeitet und so. Das habe ich nicht einmal kommuniziert. Ich fand das war eine schöne Überraschung. Du machst die Platte auf, rechnest nicht damit und das Ding ist drin. Kein Aufpreis, kein gar nix. Ich hab' das Label gefragt und die haben gesagt, "Klar, können wir machen." Die Reaktionen waren super. Die Leute haben gesagt, "boah", „ach krass", "Habe ich gar nicht mit gerechnet", "geil" und so weiter. Das ist der Sinn und Zweck von so was, finde ich. Du sollst dich bei einer Deluxe Box auf den Inhalt freuen. Mittlerweile ist das einfach nur noch ein Promo-Tool geworden. Das ist schade.

Die Grundformel lautet ja: Ein T-Shirt, ein Poster, eine Autogrammkarte, die Instrumentals und/oder die Akustik-Versionen der Songs und eine DVD, von der dir vorgegaukelt wird, dass sie über Jahre entstanden sei. Ausnahmen bilden unter anderem die vorhin genannten, bei denen kannst du nachvollziehen, weshalb das Angebot teurer ist.

Marvin Game hat mit Purize diese Kiffer-Box gemacht.

Die mit dem Wasser?

Wasser?

Das sind tatsächlich zwei unterschiedliche Boxen. Die, die ich meine, enthält ein T-Shirt von Rue, einem Berliner-Modelabel, und eine Wasserflasche von Viva con Agua. Die haben eine Kampagne, mit derer Hilfe auf die Bedeutung von sauberem Trinkwasser hingewiesen wird.

Ach, das ist ja geil. Das ist 'ne Killer-Idee. Ich meinte tatsächlich eine andere Box. Die Box mit Purize hatte einen Grinder, Papes, Aktivkohlefilter und eine Mischschale als Inhalt. Das fand ich cool, Alter. Zum Rest kennste ja meine Meinung.

"Ich kenne sehr wenige Leute, die sich ein KMN-Album in voller Länge anhören können."

Du hast die Themen auf dem Album so verpackt, dass man sie auf sich wirken lassen und sich mit ihnen beschäftigen sollte, um ein ideales Hörerlebnis zu haben. Theoretisch könntest du das Album aber auch nebenbei hören. Ich denke nicht, dass das beabsichtigt war oder? Ist das vielleicht ein Vorteil deiner Musik?

Du meinst, dass man sich wirklich reinhören muss?

Zum einen das, zum anderen, dass man sie eben doch auch zwischendurch hören kann.

Natürlich ist das ein Vorteil, wenn Leute sagen, "Ich kann das hören, wenn ich saufe, pumpe oder meinetwegen beim Autofahren." Oder eben, "Ich setze mich Zuhause hin." Ich mach' das sehr gerne. Ich mache mir Tee, rolle mir einen und höre ein Album durch. Ist natürlich geil, wenn beides funktioniert, hat einen Mehrwert für alle. Dadurch wird es öfter gehört, geklickt und/oder gestreamt. Das geht mir ähnlich. Das neue Post Malone-Album zum Beispiel. Alter, ich kann das immer hören. Nebenbei oder auch aktiv. Es gibt einen Künstler, der heißt Rhye, hat nichts mit Hip-Hop zu tun, megaschöne Stimme, den kann ich nicht nebenbei hören. Das funktioniert einfach nicht. Für den muss ich mir Zeit nehmen. Das ist auch wieder etwas Schönes, wenn dich die Musik so einnimmt, dass du keine Zeit mehr dafür hast, nebenbei irgendetwas anderes zu machen.

Dann ist das bei dir wohl eine glückliche Fügung.

Ja. Ich habe bei diesem Album nichts erzwungen. Gar nichts. Auch wenn der Produzent irgendetwas eingezockt hat und sich das für mich falsch anfühlte, habe ich dem nicht gesagt, "Du musst das so und so machen", sondern "Hey, das fühlt sich etwas falsch an, lass uns das doch neu angehen." Wir haben immer einen Konsens gefunden.

Du hast zum Album eine Playlist erstellt, in die du Mucke reingeworfen hast, die du während des Schaffens gehört hast.

Genau.

Drückt diese Playlist Gefühle aus, die dich während des Arbeitsprozesses begleitet haben oder war das wirklich die Musik, die du aktiv gehört hast und die dich inspirierte?

(Lacht) Genau das. Nicht während ich geschrieben habe, sondern während ich aufgenommen habe und wir an den Instrumentals saßen. Die sind bei Alex Sprave auf'm Land entstanden.

Auf dem Bauernhof?

Richtig. Das war die Mucke, die wir zusammen gehört haben. Das fand ich interessant und schön. Ich habe die deswegen in die Playlist gepackt, damit andere Leute ein Feeling dafür bekommen.

Bist du da vollkommen unverkopft dran gegangen?

Komplett unverkopft. Immer wenn ich einen Song gefeiert und gemeint habe, "Ey, nicer Song", habe ich den darein gehauen. Wenn der mir irgendetwas gegeben oder etwas mit meiner Gefühlslage angestellt hat, gehörte der für mich darein. Ich höre die Playlist selbst sehr gerne, dadurch versetze ich mich zurück in diese Zeit. Es war schön auf dem Bauernhof und es war schön kalt draußen. Ich bin eher ein Mensch, der Kälte mag. Ein Wintermensch.

Bin ich auch.

Geil, gibt wenige von uns.

Der Sommer war zu viel ...

35 Grad, Dikka, was soll denn die Scheiße? (lacht)

Wochenlang ...

Ich bin so froh, dass jetzt kalt ist. Endlich kann ich Pullis tragen (lacht). Die Playlist ist genau richtig für das Wetter. Die kannst du gut hören, wenn du alleine bist. Das ist genau diese Musik. Und ich dachte mir, wenn ich dieses Gefühl beim Album habe und das ein bisschen rüberbringen möchte, dann können sich Leute, die mir auf meinen Kanälen folgen und sich intensiv damit beschäftigen, eine Playlist einfach mal anhören und ein kleines Gespür dafür bekommen. Die war eigentlich mehr für mich, aber dann dachte ich, "Wieso soll ich die nicht öffentlich machen?"

Ich fuchse mich im Winter rein.

Rhye findest du übrigens auch in der Playlist. Da sind großartige Musikstücke eingefangen, auch wenn ich nicht weiß, ob da überhaupt Rap drin ist. Kann ich dir gar nicht sagen.

Es gab für dein Album den Begriff Grunge-Rap, und aufgrund der Gitarrenriffs hätte man den Stil unter Umständen auch als leichten Rock-Rap bezeichnen können. Hast du mal mit dem Gedanken gespielt, ein Crossover Projekt aufzuziehen? Stimmlich könntest du das.

Früher war ich Mitglied in einer Crossover-Band.

Vor deinen EPs?

Exakt. Wir waren die Weekend Warriors.

Geiler Name.

Dankeschön. In Zukunft sehr gerne, sofern ich eine geile Band finde, die mir gefällt und die Bock darauf hat. Aber das ist nicht das, was ich mit meiner Mucke machen möchte. Das wäre ein Zweitprojekt. Meine aktuelle Musik ist das Richtige. Sobald sich das mal ändern sollte, werde ich da genauso radikal drangehen wie jetzt. Von einem auf den anderen Tag alles ändern und dann ist mir auch scheißegal, ob das jemand feiert. Bis dahin ist das eine ganz gute Richtung.

Ich hatte bei der Frage an Leute wie Swiss, B-Tight oder Twin gedacht, die allesamt auch Ausflüge in die Rock- und Punkwelt unternommen haben.

Swiss finde ich killer! Swiss & Die Andern sind klasse. Ich bin auch ein großer Fan von Shocky. Shocky bester Mann. Dickes Shoutout an dieser Stelle. B-Tight fand ich nicht so geil.

Swiss & Die Andern haben ihre eigene Nische. Die kannst du ebenfalls aktiv oder passiv hören. Abhängig davon, ob du mit deren Weltbild übereinstimmst oder einfach nur diese Punk-Rap-Schiene feierst.

Das hat aber auch viel damit zu tun, dass die Jungs authentisch sind und über das rappen, was sie erleben, machen und wie sie die Welt sehen. Sobald das gegeben ist, kannst du die Musik ganz anders feiern. Ich kenne sehr wenige Leute, die sich ein KMN-Album auf voller Länge anhören können. Nichts gegen die Jungs, ist einfach nur nicht meins.

Wenn Swiss und sein Umfeld nicht authentisch wären, hätte der Typ von Slime doch gar nicht mit denen gearbeitet. Der gehört doch noch einer ganz anderen Garde von Künstlern an. Menschlich wie musikalisch.

Denke ich auch.

Zurück zu Dir. Deine "Im Nachtzug nach Stokkholm" Tour steht an. Wie groß ist die Vorfreude?

Ich hab' MEGA Bock. Ich nehme ODMGDIA mit. Das sind unfassbare Jungs. Wir sitzen schon an einem Tour-Song. Und vor der Tour wird es tatsächlich noch etwas geben.

Ein Video?

Mal sehen. Ich habe schon ein paar Mal gesagt, "Das war es noch nicht mit "Stokkholm"" und dem ist genauso. Ich bin bekannt für meine Überraschungen und von denen wird es noch ein, zwei geben, mit denen die Leute nicht rechnen.

Nach der Tour ist dann aber erst einmal zur Ruhe kommen angesagt?

Ne, ne. Es wird direkt weiter gefeiert! Ich hab' schon einen Plan. Es wird noch ein Release geben. VIELLEICHT schon 2019. Jaja. Ich sammle auch schon Ideen für's zweite Album, aber es ist noch etwas anderes unterwegs.

Lassen wir das Interview doch mit diesem Cliffhanger enden. Ich danke dir ganz herzlich für's Gespräch, wünsche dir weiterhin viel Erfolg und vor allem ganz viel Freude bei der Tour!

Ich dank' dir vielmals! War supi, war cool, hat Bock gemacht!

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