laut.de-Kritik

Jochen, der alte Knochen ...

Review von

"Ein Lied mehr, das Dich festhält und nicht dahin lässt, wo Du hinwillst"
("Ghettowelt")

Verdammt lang her, diese ersten Zeilen vom Blumfeld-Debüt "Ich-Maschine". 17 Jahre! Was folgte, ist längst Teil der Pophistorie: "L'Etat Et Moi", "Verstärker", "Die Diktatur Der Angepassten", das großartige Video mit Helmut Berger, "Jenseits von Jedem", "Der Apfelmann". Hamburger Schule. Diskurspop. Wichtig.

Nur Ignoranten und Fans der Toten Hosen fanden: grausiger Hornbrillen-Studenten-Pop. 2007 dann der große Schock: Schluss, aus, keine Blumfeld mehr. Gähnende Leere. Wer nur, so fragten Fans und Feuilletons gleichermaßen, sollte diese jemals füllen? Doch nicht etwa ein Dirk von Lowtzow ...

Zwei Jahre später: Pickelface ist back in town! Jochen Distelmeyer, "bedeutendster deutscher Popstar der Neunziger" (taz), goes solo. Große Erwartungen, klar. Und was macht der Jochen? Begrüßt uns erst mal ganz nonchalant mit einem a cappella-Stückchen namens "Regen". Momentchen mal: Wie hieß doch gleich der Opener der letzten Blumfeld-Scheibe? "Schnee". Hmm ... Also doch alles beim Alten beim 42-Jährigen?

Irgendwie schon. Ein wenig klingt "Heavy" wie Blumfeld ohne Blumfeld. Der Spex sagte Distelmeyer: "Ich mache das Gleiche wie vorher, aber mit einer anderen Haltung". Ganz so schwer, ganz so "heavy", wie dies der erste Appetizer, "Wohin Mit Dem Hass" (Molotowcocktails und Pogo im dazugehörigen Video!), suggerierte, ist der Solostreich dann (leider) doch nicht ausgefallen. Dabei hatten wir uns insgeheim schon auf Distelmeyer mit Mähne und Nietengürtel gefreut.

Stattdessen scheint der Ex-Blumfeld-Boss mittlerweile mehr weiße Hemden im Schrank zu haben als Jogi Löw. Längst gehört der leger geöffnete Kragen zu Jochen Distelmeyer wie das dunkle Polohemd mit Krokodil zu Sven Regener.

Insbesondere bei poetischen Stücken wie "Lass Uns Liebe Sein" oder "Jenfeld Mädchen" muss man sofort an die Blumfeld der Spätphase denken. Das ist einerseits etwas enttäuschend, tut der vor allem textlichen Qualität der Songs jedoch keinen Abbruch: Ja, der Herr Distelmeyer war und ist immer noch: ein großer Poet, der es versteht, mit (mittlerweile) einfachsten Worten große Gefühle zu evozieren. Und dann sind es doch vor allem die rockigen Momente mit ordentlich Gitarren-Rumms, die Freude bereiten. Etwa, wenn Distelmeyer mit höchster Dringlichkeit in der sich fast überschlagenden Stimme vom "Komasaufen" und "Amoklauf" erzählt.

Und die Politik? Erhebt nur ab und zu ihr Haupt. Etwa wenn J.D. im ruppigen "Wohin Mit Dem Hass?" von brennenden Wagen schwadroniert. Ob die vielen, mittlerweile gut situierten Blumfeldianer mit den großen Familienkutschen vor der Haustür aus Prenzlauer Berg oder Mitte (wo das Porsche-Abfackeln längst Volkssport ist) das wohl so gerne hören?

Ans lattemacchiatisierte Hauptstadt-Personal jedenfalls muss man auch denken, wenn Distelmeyer im Rausschmeißer "Murmel" von "Katrin" singt, "Wiebke", die "gestern Geburtstag hatte", "Martin", der "zurück ist aus Wien" und "Eva" mit einem "Job in Berlin". Figuren von Judith Hermann ("Nichts als Gespenster") oder Maren Ade ("Alle anderen") fallen einem dabei ein. Man kann sich nur allzu gut vorstellen, wie sich Ades Protagonisten zu Distelmeyer-Songs um sich selbst drehen.

"Am Ende ist es nur ein Song", konstatiert Jochen D. schließlich im Finale seines ersten Soloalbums. Und schaut dabei Kindern beim Spielen zu. Ja, warum auch nicht. Ob allerdings diese Lieder einen wirklich festhalten?

Trackliste

  1. 1. Regen
  2. 2. Wohin Mit Dem Hass?
  3. 3. Er
  4. 4. Lass Uns Liebe Sein
  5. 5. Bleiben Oder Gehen
  6. 6. Hinter Der Musik
  7. 7. Nur Mit Dir
  8. 8. Hiob
  9. 9. Jenfeld Mädchen
  10. 10. Murmel

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