6. Dezember 2016

"Mit Angst wird das meiste Geld verdient"

Interview geführt von

Erst kürzlich überraschte der Elektronik-Pionier mit der Nachricht, dass pünktlich zum 40. Geburtstag von "Oxygène" der dritte und finale Teil der Reihe folgt.

Im Vorfeld seines Gigs im Zürcher Hallenstadion gewährte der Franzose auch laut.de eine kurze Audienz. Seinem etwas abgekämpften Eindruck ließ Jean Michel Jarre ein paar Stunden später eine wahrhaft bombastische Live-Show folgen, in jeder Hinsicht ein Ausnahme-Event.

Trotz der traditionell unterirdischen Akustik in diesem Beton-Bunker legte Jarre einen Auftritt der Extraklasse hin. Visuell beeindruckend und - so man sich das Echo wegdenken konnte - auch klanglich erste Sahne. Zudem zeigte er ungeahnte Entertainer-Qualitäten, animierte das Publikum zum Abgehen und löste nach dem ersten Teil des regulären Sets sogar die Sitzordnung auf. Fast noch unfassbarer: das normalerweise recht reservierte Zürcher Publikum machte auch noch mit. Ein rundum denkwürdiger Abend.

​​​​​Nach einer längeren Zeitspanne, in der du dich nur mit Kollaborationen befasst hast, konzentrierst du dich jetzt wieder auf deine Solo-Arbeit. Wie war dieser Wechsel für dich?

"Electronica" ist ja schon mein eigenes Werk, mein Album mit Kollaborationen. Vor zwei Jahren habe ich dann ein Musikstück komponiert, das überhaupt nichts mit "Electronica" zu tun hatte. Ich dachte mir, wenn ich "Oxygene" heute schreiben würde, dann klänge es so. Ich legte das Stück irgendwo ab. Als die Plattenfirma mich daran erinnerte, dass man zum 40-jährigen "Oxygene"-Jubiläum eine Box machen könnte, fand ich die Deadline mit dem 2. Dezember spaßig und habe sie als Vorwand benutzt, von dem aufwändigen "Electronica"-Ansatz wegzukommen.

Ich habe mich für sechs Wochen weggeschlossen, weil ich den ersten Teil damals auch in sechs Wochen aufgenommen habe und wollte ein langes Stück Musik kreieren. "Oxygene" ist ja auch ein einzelnes langes Stück, das ich in unterschiedliche Teile aufgeteilt habe, von eins bis sechs, wie die Kapitel eines Buches. Ich liebe Fortsetzungen. In der Literatur genauso wie bei Filmen. Es ist doch interessant, dieselben Schauspieler in einem anderen Zusammenhang zu sehen. Da es in der Musik nur sehr wenige Fortsetzungen gibt, habe ich mich hingesetzt. "Oxygene" ist für mich sonnig und dunkel zugleich. Die Musik, das Artwork und so weiter.

Auf dem jetzt erschienenen "Oxygene 3" hört man im Part 20 die Melodie von "Oxygene 6" des ersten Albums. Davor erklingen massive und bedrohliche Orgel-Töne, die dann in diese leichte Melodie überleiten. Wie kamst du auf die Idee, diese Gegensätze zu verbinden?

Danke für diese Frage. Du bist der erste, der nach diesem Moment fragt. Ich mag diesen Part sehr. Ich wollte so eine Art Schock erschaffen, dunkel und kinematografisch. Wie ein Monster, etwas sehr Dramatisches, das dich in eine Geräuschkulisse hinein führt. Vergleichbar mit einer Geistergeschichte, in der man Erinnerungen an die Vergangenheit erlebt. Aber nicht mit einem altmodischen Ansatz, sondern aus der Warte des Jahres 2016 heraus. Die Idee dahinter stammt von einer Unterhaltung mit Arthur C. Clarke.

Für ihn war "Oxygene" eine Reise durchs Weltall, daher empfahl er mir, auf einen Planeten zurück zu kehren, in dem es in der Atmosphäre brennt. Brennen sollte nicht im übertragenen Sinne für das Sterben, sondern eher für Hitze stehen, Asche im Wind ... Als ich dieses lange Stück aufnahm, war das wie ein langer Schrei im Weltall, aber nicht mit einer unheimlichen Atmosphäre. Ich finde, dass das ein schönes Ende ist.

Am Ende hört man ja das Geräusch von brennendem Feuerholz.

Ja genau.

Ist das das Feuerholz in einem Kamin oder irgendwo draußen in der Natur?

Total draußen für mich. Aber das ist nur meine Vision. Meine Musik ist nur der Soundtrack für den Film, den du selbst erschaffst. Darum geht es mir bei "Oxygene 3". Seit zehn Jahren sind wir doch in einem Zapping-Modus gefangen. Heutzutage kann man drei Staffeln "Game Of Thrones" schauen, ohne auch nur zu schlafen. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns selbst die Zeit nehmen, um wieder Luft zu holen. Das lag mir bei "Oxygene 3" am Herzen. Hier hast du 40 Minuten Musik, das ist nicht sonderlich lange, ich lade dich ein auf eine Reise.

"Wir haben keinen Grund, pessimistisch zu sein"

Das Artwork des Albums greift auch wieder auf den ersten Teil zurück. Du konntest dir die Genehmigung von Michel Granger einholen, das Bild in 3D etwas verändert erneut als Cover zu verwenden. Granger engagiert sich ja auch sehr für die Umwelt. Du erwähnst ebenfalls immer mal wieder, dass dir das Thema wichtig ist und du Optimist bist. Wie gelingt es dir, in der heutigen Zeit optimistisch zu bleiben?

Über das "Oxygene"-Cover lässt sich nicht genau sagen, ob es optimistisch oder pessimistisch gemeint ist. Es erscheint düster und hat dadurch einen aktuellen Bezug, denn unsere Zeit ist recht düster. Aber wir haben keinen Grund, pessimistisch zu sein. Ich bin keiner von denen, die immer behaupten, dass früher alles besser war. Wenn du zurück blickst, siehst du, dass das nicht stimmt. Warum soll das nicht auch für die Zukunft gelten? Man sollte sich immer vor Augen halten, dass die Leute noch vor eineinhalb Jahrhunderten ihre Zähne im Alter von 18 Jahren verloren haben und mit 30 gestorben sind. 90% der Menschen hatten keine Arbeit.

Die Situation ist immer noch schlecht, aber ich denke, wir haben kleine Fortschritte gemacht. In den Medien gibt es ja so etwas wie ein Geschäftsmodell mit der Katastrophe, mit Gewalt und Dunkelheit. Mit Furcht und Angst wird weltweit wahrscheinlich das meiste Geld verdient. Als Künstler muss man mit so etwas spielen, und es ins Gegenteil verkehren. Bei "Oxygene 3" hast du zwar das gleiche Bild, aber die Perspektive ist anders. Auf ein Problem - oder hier auf die Musik - ist nun ein anderer Blickwinkel entstanden.

"Ich habe mehr Zeit mit Maschinen verbracht als mit Menschen"

Im Presse-Statement zum Album erwähnst du, dass "Oxygene" 1976 dein Leben verändert hat. Wo liegen die positiven, wo die negativen Aspekte dieser Veränderung?

Ich weiß nicht, ob man das überhaupt negativ sehen kann. Die positiven Aspekte überwiegen jedenfalls. Ich habe die Freiheit, tun zu können, worauf ich Lust habe. Ich habe die Anerkennung meines Publikums. Als Künstler versucht man, die Welt da draußen zu erreichen. Ich hatte ja vorher auch schon Alben veröffentlicht, aber auf einmal hat es 'Bumm' gemacht und so genau weiß ich immer noch nicht, warum eigentlich. Der erste große Erfolg - so du einen hast - bleibt für die Öffentlichkeit immer die Referenz. Bei Tarantino wird es immer "Pulp Fiction" sein.

Ist das manchmal ein Fluch?

Ja. Ich sage immer: Wenn du jung bist und nach Glück strebst, werde ja kein Künstler oder Musiker. Musik ist eine Sucht, Kunst ist Sucht. Ich mache Musik nicht des Ruhms oder des Geldes wegen. Ich habe einfach nie etwas anderes getan. Vielleicht wäre ich ja ein ganz guter Architekt, oder könnte Bilder malen oder Astrophysiker werden, aber das möchte ich eigentlich gar nicht. Während der Arbeit an "Electronica" merkte ich, dass ich wohl mehr Zeit in meinem Leben mit Maschinen und Keyboards verbracht habe als mit Menschen. Das ist eine Fluch. Oder auch nicht.

Für dein Publikum wahrscheinlich nicht.

(lacht) Ich weiß es nicht.

Mit "Oxygene 3" erscheint dein drittes Album innerhalb eines Jahres. Da fragt man sich natürlich, ob du schon wieder an neuem Material arbeitest.

Das ist wie bei Schauspielern, die an verschiedenen Projekten sitzen und auf einmal erscheint alles zeitgleich. "Electronica" hat eine Menge Zeit in Anspruch genommen, so dass ich beschlossen habe, es in zwei Hälften zu teilen. "Oxygene 3" kam irgendwie dazwischen. Ich habe in Zukunft noch viel vor. Ich möchte das weiterverfolgen, von dem du heute einen Teil sehen wirst, weil es mich wirklich glücklich macht. Glücklich ist vielleicht der falsche Ausdruck, aber ich bin weniger frustriert als zuvor.

Ich tüftle ja immer an einer Art Architektur des Klangs, an Sound-Schichten, usw. Schon immer wollte ich das mit 3D-Bildern live umsetzen, aber ich hasse 3D-Brillen. Wir befinden uns im dunklen Zeitalter, ja, auch der Brillen, aber ich meine im dunklen Zeitalter des 3D. 3D sollte ohne Brillen funktionieren. Ich denke, meinem Team und mir ist es gelungen, dass das Visuelle in den Sound eintaucht. Und zwar so, dass ich eine Art Plattform bereitstelle, auf deren Basis das Publikum seinen eigenen Film erschafft. Ich glaube, es funktioniert.

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