23. Juli 2021

"Ich will nicht zurück in die 90er"

Interview geführt von

Es passiert nicht oft, dass meine Mutter die Namen meiner Interviewpartner kennt. Selbst die jugendlichen Mitautoren behandeln mich bei der Erwähnung des Namens Blümchen mal nicht so uninteressiert wie den ständig von früher erzählenden Onkel.

Die Blümchen-Hits "Herz an Herz" und "Boomerang" gehören einfach zum deutschen Musikkanon der 90er. Ein doch gar nicht so uninteressantes Jahrzehnt, für den Autoren Joachim Hentschel spiegelt die frühere Eurodance-Interpretin sogar perfekt den Geist dieses Jahrzehnts von Hyper-Image und Morph-Effect-Videos wieder.

In der Zoom-Konferenz sitzt mir mit Jasmin Wagner aber kein niedlicher Teenager, sondern eine Frau Anfang 40 gegenüber, die nach langer Abstinenz vom Musikbusiness freudig aufgeregt und auch etwas nervös auf das Release ihres Comeback-Albums "Von Herzen" schaut, das heute erscheint.

Jasmin: So. Hallo erstmal. Was soll ich machen?

Och, eigentlich nur meine Fragen beantworten. Das reicht mir schon.

Ich habe schon ein paar Antworten, mal sehen, ob die zu deinen Fragen passen.

Oh perfekt! Ich stelle mir gerade vor, wie eine deiner Antworten gar nicht zu meiner Frage passt.

Haha. Wollen wir uns nicht erst einmal vorstellen? Ich bin Jasmin und ich danke dir, dass du dir die Zeit für ein Interview nimmst.

Ich freue mich, dich zu interviewen und möchte dir erzählen, wie überhaupt mein erster musikalischer Kontakt zu dir stattfand. Das war nämlich gar nicht Blümchen. Eines Tages Anfang der 00er Jahre habe ich im Media Markt mal einen Turbonegro-Tribute-Sampler gekauft und an dem warst du als Denim Girl beteiligt.

Haha, jep. Denim Girl! Keiner weiß es!

Ich hoffe jetzt sehr, dass dich das rückblickend peinlich berührt?

Nein! Wie cool war das denn? Mit Bela B. abzuhängen und dann ist diese Gemeinschaft der Turbojugend ja weltweit aktiv. Das ist manchmal sogar sehr nützlich. Ich war mal in Los Angeles und hatte ein Problem mit meinem Auto. Da sah ich plötzlich zwei Jungs mit dieser Kutte vorbei laufen und schrie sofort: "Hey! Ich bin Denim Girl!". Die haben das erst nicht gar nicht geglaubt, aber ich konnte sie dann überzeugen, sie haben mir geholfen und wir hatten ein tolles Gespräch. Das ist wirklich eine schöne Gemeinschaft.

Stehst du eigentlich noch mit Bela B. in Kontakt?

Nein, aber wir haben viele private Momente verbracht. Seine damalige Lebensgefährtin ist eine meiner besten Freundinnen. Wenn wir uns heute treffen freuen wir uns total, aber wir haben natürlich nun andere Lebenswelten. Er ist natürlich immer noch ein Rockstar, aber eben auch Familienvater geworden. Wenn Bela etwas macht, ist das immer noch Punk.

Du bist immer noch Vorsitzende des Turbojugend-Chapters in St. Pauli, oder?

Ja, aber ich bin in den letzten Jahren nicht mehr so aktiv gewesen. Ich bleibe trotzdem für immer Ehrenmitglied. Ich mag das ja überhaupt, wenn man musikalisch solche Ausflüge übernimmt. Die Identität von Denim Girl sollte nicht im Vordergrund stehen oder aufgedeckt werden. Es ging in erster Linie um den großen Spaß an der Sache. Siehst du, ich bin nicht nur eine Persönlichkeit.

"Mir macht nichts mehr Angst"

Tatsächlich wollte ich darauf zu sprechen kommen: Du bist ja auf mehreren Feldern unterwegs. Theater, Sport, Musik und dann diverse Indie-Ausflüge. Würdest du all diese Facetten auch mal in einem Projekt zusammen führen?

Jetzt in meinem "Mittelalter" kommen natürlich diese ganzen Facetten zum Glück alle zusammen und die machen mich auch zu einer gelasseneren Künstlerin. Das eine hat das andere positiv beeinflusst. Die Theaterjahre haben mich zum Beispiel zu einer besseren Musikerin gemacht, weil ich dort mehrstimmig singen musste und auch das Songwriting hat das verbessert. Also kommen all diese Fähigkeiten, die ich weiter entwickelt habe, jetzt zu so einer Superpower zusammen und ergänzen sich perfekt.

Weißt du, mir macht nichts mehr Angst. Ich musste dort immer ins kalte Wasser gestoßen werden und kann jetzt in verschiedenen Situationen auf meine Erfahrungen, sowohl im Musikbereich als auch woanders, zurückgreifen. Als Blümchen oder junge Person haben mir noch sehr viele Dinge Angst gemacht, was sich aber dann zum Glück über die Jahre in gesunden Respekt verwandelt hat.

Was würdest du denn deiner jüngeren Version mit deinem jetzigen Erfahrungsschatz raten?

Ich finde das immer abgefahren, dass meine Mutter mir so viel Freiheiten gegeben hat. Als ich damals gestartet bin, gab es eigentlich kaum jemanden, der so jung war und trotzdem hatte sie so unfassbar viel Vertrauen in mich. Dabei war ich wirklich vielen Verlockungen und Gefahren ausgesetzt. Meine Mutter ist aber zum Glück eine starke Frau, die mich schon früh für diese Sachen sensibilisiert hat. Sie hätte mich auch sofort aus der Sache wieder rausgenommen, wenn ich dafür zu schwach gewesen wäre und dann eben wieder zurück an die Schulbank geschickt. Genau das wollte ich vermeiden! Ich habe andere Künstler genau dabei beobachtet, wenn sie zu wild feierten und diese ganzen Prozesse, die dazu gehörten. Mein Gedanke war nur: "Wow! SO möchte ich aber nie gesehen werden." Das war eine abschreckende Erfahrung und hat mich eben nicht neugierig gemacht, sondern eher abgestoßen.

Aber du beschreibst die 90er auch als eine einzigartige Zeit. Du tauchst in einem Buch von Joachim Hentschel über das Jahrzehnt auf - warte, ich halte es mal in die Kamera.

Ah! Das ist ja cool. "Euphorie und Drama eines Jahrzehnts" ist als Titelzusatz sehr gut gewählt. Beides passt wirklich perfekt in diese Zeit.

Es ist natürlich schwer, ein komplettes Jahrzehnt in einen Satz zu packen, bei ihm ist es letztendlich sogar ein Buch geworden. Wie sieht deine Interpretation aus?

Ich habe das alles natürlich aus der Sicht eines Teenagers erlebt, aber komplett präsent war dieses "Alles Geht"-Gefühl. Da gab es nicht mehr diese Grenzen und irgendwie ging alles nach oben und war im Wachstum, immer weiter. Die Loveparade ist dafür ein gutes Beispiel. In der Musikindustrie herrschte totale Goldgräber-Stimmung. Es gab genügend Budgets und kaum Restriktionen. Die Videos haben mitunter eine halbe Millionen gekostet. Ich bin mit Blümchen dran gekommen, als alles noch gesund und bombastisch schien. Persönlich fand ich diese Zeit verbindlicher. Also klar, ich nutze nun auch Whatsapp, aber man hat sich damals eben zu einem festen Zeitpunkt verabredet. Jetzt gibt es immer verschiedene Variationen und alles wird spontan noch umgeändert. Bei uns gab es noch das berühmte "akademische Viertel" und wenn das jemand verpasst hat, war das schon ein Auslöser für Diskussionen. Es war also eine Form von Sicherheit spürbar. Corona ist wahrscheinlich für unsere Generation der wirklich erste große Prüfstein oder das Schlimmste, was uns bis jetzt widerfahren ist.

Ansonsten musikalisch: Elektronik kam aus dem Underground und wurde dieses große Phänomen. Und es gab diese kommerzielle Seite, zu der ich natürlich mit Blümchen gehörte. So aus meiner heutigen Sicht wird Blümchen viel mehr geschätzt, das sah damals in meinen Anfängen ganz anders aus. Du bist zu jung und kannst nichts: Ich habe schon viel negative Kritik bekommen, heute dagegen sehr viel Liebe. Da erzählen mir die Leute dann, was sie mit dieser Zeit und meiner Musik verbinden. Das ist dann doch so ein Gefühl von Wertschätzung, die ich damals wegen der Kommerzialität nicht bekam.

Ich war damals Metal/Punk-Hörer und wollte Techno gar nicht hören. Das hat sich ja zum Glück dann doch im weiteren Verlauf der 90er verändert, wenn ich da an die Chemical Brothers und das Vermischen von allen möglichen Genres denke.

Ja, und heute wird der Einsatz von elektronischen Elementen in verschiedenen Genres nicht mehr so kritisch gesehen, das machen ja auch Rockbands. Die Kombination aus elektronischer Musik und eher klassischen Instrumenten ergeben mitunter das Spannendste überhaupt.

Elektro oder Schlager muss ja immer den Anspruch von Authentizität erfüllen. Eigentlich blöd, Pop sollte ja eher Eskapismus sein und mich aus dem grauen Alltag raus holen.

Ja, es ist wirklich das anstrengendste Wort und keiner befolgt es so wirklich. In dem Augenblick, wo man sich damit rühmt, ist es auch schon vorbei mit der Authentizität. Dieses Wort wird wirklich für alle Dinge extrem missbraucht. Wenn es um mein Songwriting geht, ist es natürlich persönlich, weil ich es ja schreibe, aber mein Anspruch ist da jetzt nicht, dass ich den Leuten erzähle: Seht ihr, so bin ich! Ich weiß ja selber manchmal nicht, wer ich überhaupt bin (lacht) In meinen Songs geht es in erster Linie um Momente, ein starkes Wort oder einen besonders starken Leitsatz. Ich benutze da ganz bewusst wenig Worte, um dann etwas zu sagen.

Klar, die Leute wollen allem in dieser Welt einen Namen geben, also nenne ich meine Musik eben Elektro-Schlager. Mein Produzent ist ja wie du ein 90s-Kid und wir mögen diese synthetischen Elektro-Sounds sehr. Ich habe auch gar kein Problem mit dieser ersten Schaffensphase als Blümchen. Ich hätte diesen Blümchen-Sound als Teenager auch total abgefeiert und wäre Blümchen-Fan gewesen. Ich finde das schön, dass ich heute diese Verknappung einsetzen kann, aber einfach kopieren geht nicht. Was Finch und ich da gemacht haben ist eine Hommage, das kann man nicht noch einmal genau so reproduzieren. Geschichte möchte ja gar nicht wiederholt werden.

Meine Frisur wiederholt sich dank Corona. Erst gestern auch noch ein Holzfäller-Hemd bestellt.

Ja, das sieht nach Nick Carter-Grunge aus bei dir, haha. Wir haben schon das 70er-Revival erlebt, aber irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass das auch mal mit den 90ern passiert. Das ist natürlich schon sehr lustig, wenn ich Kids sehe, die 1:1 meinen Style von damals tragen. Den ich übrigens auch wieder schick finde! Vor fünf Jahren hättest du wahrscheinlich auch kein Holzfäller-Hemd in deinem Kleiderschrank gehabt. So eine Baggy Pants und ein Crop Top war ja praktisch noch vor Kurzem verboten und nun mag man es wieder. Nostalgie beschreibt ja auch so eine Sehnsucht. Wenn man "Früher war alles besser" sagt, verklärt man natürlich viel. Es war auch in den 90ern nicht alles gut und ich hatte meine Probleme, aber du wirst von mir nie den Satz hören, dass ich zurück reisen möchte. Was ich vermisse, hole ich mir eben kurz mit meinen Auftritten zurück. Das ist ja bei unseren 90er-Festivals so. Da kommen abertausende Menschen, 90s-Kids, und wir feiern für diesen Moment einfach noch mal unsere Jugend. Aber wir feiern sie auch so enthusiastisch, weil wir im Heute angekommen sind.

Wahrscheinlich kommen da auch Familienväter und -mütter, die mal aus ihrem Büro-Alltag wegwollen. Die Kinder bleiben dann wohl eher daheim, oder?

Die hören das auch! Das finde ich total faszinierend. Die kommen durch Spotify-Listen auf mich und wollen dann die Person hinter diesen Hits kennenlernen.

Diese Generation wächst auch mit einem anderen Verständnis von Feminismus und Sexismus auf. Ich erinnere mich noch an eine besonders dumme Headline in der Bild: "An diesem Blümchen möchte man gerne mal schnüffeln".

Ja, in der Bravo gab es auch so einige Headlines, die man so heute nicht mehr schreiben würde. Damals gab es noch ein anderes Empfinden von Moral. Wenn ich mir jetzt "Sex & The City" zusammen mit Freundinnen anschaue, ist das zwar ganz witzig, aber da sind auch durchaus Momente dabei, wo man denkt: "Wow. Das fanden wir okay?" Wenn ich jetzt mit meinen Tänzern unterwegs bin, die mitunter auch gerade erst 20 sind, dann merke ich schon, dass die mit einem ganz anderen Sprachempfinden oder Grundmoral aufwachsen. Das ist erfreulich, auch wenn es den Humor natürlich verändert. In den 90ern gab es Extreme, die jetzt eher abgebügelt werden. Ich habe das damals auch nicht so bewusst wahr genommen oder war offended. Das hat man eher weggelächelt. Heute ginge das überhaupt nicht mehr, weil ich manche Dinge sofort thematisiert hätte und das auch in der Presse ein Echo gefunden hätte. Gut, dass wir uns weiter entwickelt haben.

Ja, ich habe das gegenüber einem Teenager als echt eklig empfunden.

Aber ist doch schön, wenn es bei dir so Beschützer- und Vaterinstinkte weckt.

Moment, so alt bin ich nun auch wieder nicht!

Nene, aber ist doch super, dass du nun dafür so sensibilisiert bist und das eben als Unrecht empfindest. Das zeigt doch die Veränderung in der Gesellschaft.

"Oh Fuck! Wie schreibe ich wieder Lieder?"

Ich würde gerne noch ein Zitat von dir aufgreifen. In einem Spiegel-Interview sagtest du 1997 über das Erwachsenwerden: "Will ich nie werden, auch wenn ich reifer sein muss als die meisten anderen in meinem Alter. Ich habe Erwachsene kennengelernt, die ihr Leben weit weniger im Griff haben als ich."

Ganz schon lässig, ne? Aber das sind wohl diese Pubertätshormone, wo man sich unbesiegbar fühlt und denkt, man weiß wie alles läuft. Ich empfinde jetzt natürlich viel mehr Demut und bekommt ein Bewusstsein für die Konsequenzen. Ich mag mein Mindset heute viel lieber, weil ich viel offener und toleranter bin. Als Teenager gab es immer nur zwei Möglichkeiten: richtig oder falsch. Mit 20 habe ich auch noch gedacht, dass ein gutes Leben aus Haus und Heirat besteht.

Das waren ja so Spießergedanken, die von der Gesellschaft idealisiert und vorgelebt wurden, teilweise auch von Eltern und Großeltern. Das färbt alles ab auf deinen Entscheidungsfindungsprozess. Ich musste erst realisieren, wie man eigene Wünsche von den Erwartungen separiert. Das ist ja eine spannende Frage im Leben: Willst du etwas wirklich oder nur weil es die Gesellschaft so möchte? Das zu unterscheiden fällt dann tatsächlich erst mit wachsender Erfahrung und mit fortgeschrittenem Alter leichter.

Ich kann das gut verstehen. Ich hatte auch so eine Phase, wo ich genau aufgrund solcher Gedanken meinen ach so tollen sicheren, aber für mich sinnentleerten Beruf aufgab. Die Eltern wollten natürlich auch lieber die Sicherheit und ich eine lange Zeit auch. Allerdings hätte ich die Finanzen bei dem Exit doch besser berücksichtigen sollen.

Kann ich gut nachvollziehen. Ich war lange am Theater und es ist ja kein Geheimnis, dass wir da nicht unbedingt mit Gold bezahlt werden. Viele meiner Kollegen waren noch nebenher Koch oder Yogalehrer. Ich habe da gelernt, dass es eine andere Form der Entlohnung gibt, abseits von Materialismus. Von daher wirst du jetzt auch mit weniger Bezahlung letztendlich mehr entlohnt.

Mein Theaterchef hat mal gesagt: Wir leben auf verschiedenen Inseln. Menschen mit und ohne Kinder. Jeder ist auf seiner Insel glücklich, aber es kommt eben selten zu Überschneidungen oder Besuchen. Dumm ist es natürlich, wenn man sich für keine der beiden Inseln entscheiden kann. Ich finde es absolut legitim zu sagen, dass man ein Leben ohne Kinder führt, wie ich aktuell. Allerdings habe ich das Gefühl, dass das die Gesellschaft irgendwie überfordert. Offensichtlich sind heute doch noch mehr konservative Vorstellungen verbreitet als man denkt. Wir sind ja nicht nur da, um Kinder zu bekommen. Heute kann man zum Glück die Entscheidung darüber selbst treffen. Ich will dir aber nicht absprechen, dass du zum Beispiel ein guter Vater gewesen wärst. Und hey, wir sind ja nicht zu alt.

Kommen wir zu einer spannenden Leser-Frage, die wir auf Facebook erhalten haben. Sie lautet: Kannst du dir vorstellen, mal ein Projekt Jasmin featuring Blümchen zu starten?

Ich kann mir derzeit alles vorstellen! Alles von dem ich dachte, es würde nicht mehr passieren, passiert aktuell. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wieder Musik zu machen. Das erfordert ja Mut, in dieses Leben zurück zu kehren und manchmal sage ich da fast zu oft und zu schnell Ja. Dann habe ich diesen Vertrag unterschrieben und dachte direkt "Oh Fuck! Wie schreibe ich nun wieder Lieder?" Das habe ich ewig nicht mehr gemacht und heraus gekommen sind dann die schönsten Lieder überhaupt. Endlich auch ein Lied über Hamburg, meine Heimatstadt. Alle Hamburger Musiker, die hier leben, haben einen Song über die Stadt geschrieben. Jetzt ist es soweit und ich bin total nervös vor dem Album, ganz furchtbar.

So von deinem medialen Auftreten her dachte ich eher, dass du total tough bist und kaum Angst vor einem möglichen Flop verspürst.

Ich bin total nervös und ehrlich gesagt: Ich habe vor vielen Sachen Angst. Angst ist aber auch manchmal ein guter Wegweiser und überhaupt: Sobald Angst auftaucht, hängt das auch mit einer neuen Herausforderung zusammen und genau da wird es ja interessant.
Da springe ich dann eben in die Eifel hinein oder mache Bergtouren. Da habe ich auch erst einmal extremen Respekt und wandele das einfach in Energie um.

Aber zum Album: Klar, ich habe da lange dran gearbeitet und mein Herzblut rein gesteckt. Und nun bin ich nervös und denke gerade: Uff, können wir das nicht noch etwas weiter verschieben. Aber nun muss ich einfach tapfer sein und der liebe Gott hat uns ja zum Glück auch Alkohol geschenkt. Das wird meine Nerven beruhigen. (lacht)

Aber du hast ja viele Facetten. Wenn es nicht klappt, kannst du ja auf anderes Feld ausweichen.

Ja, aber ich konzentriere mich derzeit total auf die Musik und wenn die nicht angenommen werden würde, wäre ich erst einmal etwas planlos und wüsste nicht direkt weiter.

Du hast ja zum Glück die Kontrolle über dein Image und deine Mutter hat dir überwiegend schon damals freie Hand gelassen. Wie siehst du das, was mit Britney Spears geschehen ist, ihr langer Kampf gegen die Vormundschaft des Vaters?

Ich habe sie kennen gelernt, als ihre Karriere gerade los ging. Britneys Manager Lou Pearlman erzählte meiner Managerin damals, dass er das Blümchen-Konzept smart findet. 1997 kam dann Britney mit diesem Image. Es ist schon bitter, wenn man sieht, dass die Bühnenfreundin von damals einen solchen Weg eingeschlagen hat. Es ist ätzend, das zu verfolgen. Ich hoffe wirklich, dass sie am Ende wieder eine mündige Person wird. Nichts anderes wünsche ich ihr. Idealerweise macht sie dann endlich wieder Musik, aber viel wichtiger ist, dass sie wieder ein frei bestimmtes Leben führen kann. In diesem Sinne: Free Britney!

Eigentlich gut, dass du so eine lange Pause hattest und der mitunter toxischen Musikindustrie entfliehen konntest.

Na, da täusche dich mal nicht! Auch die Theaterlandschaft kann toxisch sein, aber es war für mich schön, eine andere Ausdrucksform zu finden. Gerade wenn dir als Teenager ständig vorgehalten wird, was du angeblich alles nicht bist. Als Kind habe ich mir das zu Herzen genommen und wie ein Schwamm aufgesogen. Wichtig ist, dass ich ins Bett gehe und denke: Wagner, das ging heute absolut klar. Und wenn nicht gibt es ja noch den Begriff des "Schöner scheitern". Also wenn, dann aber bitte mit Karacho.

Wie wurde die Kollabo mit Finch von deiner Fanbase aufgenommen?

Die fanden das aufregend. Ich fand es ja auch lustig, wieder als Blümchen aufzutauchen. Immer brauche ich das aber nicht. Finch ist eben mit dieser Musik aufgewachsen und hat ja selber viel "Happy Hardcore"-Musik raus gebracht. Man könnte also fast sagen: Er ist der Blümchen von heute! Ich mag es, wie er sein eigenes Ding durchzieht. Es hat mit uns direkt funktioniert. Wir hatten in erster Linie unheimlich Spaß und ich sehe ja überall die Reposts und wie die Leute zu dem Song abfeiern. Niemand weiß, was Blümchen als nächstes macht, ich übrigens auch nicht.

Könntest du dir noch weitere Kooperationen oder Features vorstellen, eventuell auch welche, die dein Management gar nicht auf dem Schirm hat?

Ich war ehrlich gesagt viel mit meiner eigenen Musik beschäftigt und musste mich erst wieder zurecht finden in diesem Musikbusiness, was sich ja in meiner Abwesenheit durchaus verändert hat. Wenn das Album nun draußen ist und hoffentlich gut angenommen wird, dann habe ich komplett die Antennen offen. Ich würde wirklich gerne mit einer Künstlerin zusammen arbeiten. Hättest du denn eine Idee?

Tatsächlich gibt es ein relativ junges Genre namens Hyperpop, das gerade auch diese Ästhetik von Eurodance etwas aufnimmt und mit Reizüberflutungen und Stilen arbeitet. Jinka würde mir aus Deutschland spontan einfallen.

Ha! Hey Jinka! Den Namen muss ich mir mal notieren.

Ich finde, das würde passen. Charli XCX geht ja auch mit dem Hyperpop-Label PC Musik und A.G. Cook diesen Weg.

Ja, aber die ist dann auch gar nicht so extrem schnell. Das Ding ist, dass so extrem viel Musik pro Tag erscheint, ich glaube rund 60.000 Songs. Wie soll ich in meinem Alter da noch den Überblick behalten?

Ich glaube deine Fans müssen jetzt erst einmal dein Comeback verarbeiten. Ob die jetzt schon mit Hyperpop zurecht kämen?

Nee, jetzt ist erst einmal Elektro-Schlager dran. Ha! Hyper-Schlager! Vielleicht ist das sogar noch passender für das Album. (lacht)

Gute Laune ist ohnehin sehr vorurteilsbehaftet. Wir in Deutschland stecken das gerne in die Schublade oberflächlich und eben unauthentisch. Gerade deine Heimatstadt hat Bands hervor gebracht, die lieber die existentialistische Seite beschreiten und so bei Kritikern mehr Lob einfahren.

Ach, selbst Kritiker sehen das nicht mehr so eingeschränkt. Ich habe auch viel lieber gute Laune. Auf der Bühne möchte ich auch, dass das Publikum diese spürt. Das Leben hat schon genug eklige Momente, die muss ich nicht über meine Musik vermitteln.

Zum Schluss: Wie siehst du deine nahe Zukunft?

Ich habe keinen großen Masterplan. Ich lebe einfach zu sehr im Moment und gerade fühlt sich alles richtig und gut an. Ich habe gelernt, nicht alles durchzuplanen. Ich bin einfach offen und schaue, was auf mich zukommt. Ich möchte dieses Interview gerne mit einem Satz von Goethe abschließen: Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.

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