2. Juni 2020

"Ich habe keinen Capital Bra-Output"

Interview geführt von

Auch der Corona-Lockdown kann einen Fynn Kliemann nicht aufhalten. Seine Dokumentation startet online, Heimwerker-Projekte laufen weiter und dazu kommt noch sein zweites Album, "Pop", heraus. Trotzdem findet er noch Zeit kurz bei uns durchzuklingeln.

Album Nummer Zwei hatte er eigentlich ausgeschlossen. Die Arbeit an "Nie", seinem Debütalbum, war einfach zu viel. Vor allem, weil Fynn Kliemann nicht nur Musiker, Webdesigner und YouTuber ist, sondern auch sein eigener Labelchef.

Aber er konnte es einfach nicht lassen. Keine zwei Jahre nach "Nie", erscheint mit "Pop" am Freitag seine zweite Platte. Wieder mit der selben, eigenwilligen Veröffentlichungsstrategie. Es werden nur exakt so viele Platten produziert wie Vorbestellungen einlaufen. Außerdem fließt ein Euro pro verkaufter Einheit in einen Fond für Nachwuchsmusiker*innen.

Über den Arbeitsaufwand dahinter, gescheiterte Netflix-Verhandlungen, das Album und noch vieles mehr spricht er hier im laut-Interview.

Moin, hier ist Fynn Kliemann

Hi, schön, dass das klappt.

Sehr gerne.

Ok, dann fang ich gleich an: Wie geht es dir denn zurzeit?

Super, ich bin gerade erst aufgewacht.

Das ist schön, ich dachte du wärst schon ein paar Stunden wach.

Ne, ich hab gestern noch lange rumgemacht.

Das heißt, du kannst jetzt auch mal länger schlafen?

Naja, wenn ich bis um 5 Uhr arbeite, dann schlafe ich auch länger. Jetzt staut sich aber vieles und ich muss mich ein bisschen beeilen.

Dann beginn ich mal mit dem Kliemannsland. Wie sieht es dort zur Zeit aus?

Joa, da ist zurzeit alles abgeschottet, aber es sind noch viele Leute da, die den Corona-Lockdown bei uns verbracht haben. Da wohnen zurzeit sechs, glaube ich. Die arbeiten die ganze Zeit auf dem Hof und basteln Sachen und verlassen den Hof eben nicht.

Da gab es am Anfang eine Entscheidung: "Entweder du bleibst hier oder du bist halt bei deiner Familie. Wenn du hier bleibst darfst du dann nicht mehr gehen." Das war bevor das ausgerufen wurde. Naja und die sind jetzt halt noch da und es passiert eigentlich recht viel. Aber das Cafe hat natürlich zu, unser Festival ist abgesagt und die ganzen Events fallen natürlich auch weg.

Und wie sieht's bei dir selbst aus? Bist du aktuell beim Kliemannsland involviert?

Ja. Wir drehen jetzt auch in einer halben Stunde. Das ist immer noch zweimal die Woche. Aber natürlich mit Mundschutz und Sicherheitsmaßnahmen. Das geht ganz normal weiter.

Apropos Mundschutz. Du hast angefangen Masken zu produzieren und bist inzwischen der größte Hersteller Europas ...

Ja, das habe ich mal so vermutet. Also zumindest kenne ich da keinen größeren. Unser Produzent in Portugal war am Ringen, weil der ganz viele Jobs verloren hat und dann haben wir eben gesagt: "Hey, wie sieht es mit Masken aus? Sieht so aus als könnte man die bald auf der Welt brauchen." Und so ist dann eben auch gekommen.

Ich finde auch, dass das Masken-Unterfangen sehr passend ist zu dem, was du sonst so machst. Du nimmst immer mehr in die eigene Hand und hast für das neue Album sogar einen eigenen Vertrieb aufgebaut.

Das ist auch so. Es gibt inzwischen nicht mehr viel, wo jemand anderes mitarbeitet. Ich hab wirklich versucht die ganze Wertschöpfungskette zu verstehen. Es fehlt eigentlich nur noch ein eigenes Presswerk aber ansonsten ist eigentlich alles selbst hergestellt.

Diese DIY-Herangehensweise ist mir auch auf dem neuen Album immer wieder inhaltlich aufgefallen. Insofern als dass du etwas erschöpfter von dem Ganzen wirkst und trotzdem nicht davon wegkommst ...

Gut gesehen. Ich meine, das ist auch ne kleine Sucht. Klar, ich hätte auch vieles davon abgeben können. Aber ich unterschätze eben Aufwände immer extrem. Ich weiß, das klingt immer so dumm und ich will das nicht immer als Label davorstellen und mich dafür rechtfertigen, aber ich bin eben süchtig nach diesem Arbeitspensum. Dieses Mir-Selbst-Etwas-Aufhalsen und scheißegal was ihr sagt, wir schaffen das schon.

Diesen Spirit über ganz viele Unternehmen und Ideen hinweg zu spüren, ist auch einfach viel. Und wenn man dann halt Mucke macht und einfach mal ganz offen und ehrlich über Dinge spricht die im Raum stehen, das ist Musik für mich. Dann fließen halt auch solche Sachen in die Mucke ein und machen einen Unterschied, den man vielleicht sogar hört.

"Wenn ich etwas ernst meine wird es halt Pop"

Genau darauf wollte ich hinaus. "Pop" wirkt ein bisschen loser, als wäre in der Produktion nicht so viel weggeschnitten worden. Es sind noch mehr Soundschnipsel dabei, mehr Soundideen und insgesamt wirkt es chaotischer. So ein bisschen wie ein typisches Handwerkervideo von dir ...

(Lacht) Da sind auf jeden Fall ganz viele Cuts aus alten Videos drin und gleichzeitig auch viel Field-Recording. Die Songs haben alle Übergänge. Das ist ein ganzes Konzept vom ersten bis zum letzten Song. Da steigst du in einen Song ins Auto ein, am Ende wieder aus, gehst ein Stück durch die Stadt und dann fängt der nächste Song an. Das ganze Zeug ist halt in Städten aufgenommen worden und hat sich so angesammelt. Ich hab auch Samples aus meinem Äthiopien-Besuch mitgebracht und in Syrien Songs geschrieben und generell ganze viele Soundteilchen einfließen lassen.

Über eines dieser Soundteilchen will ich sprechen: "Vokabeln 1". Eine Sprachlernkassette als Song. Das habe ich, glaube ich, noch nie gehört.

Die hat mein Vater mir mal aufgenommen. Ich war voll schlecht im Vokabeln lernen und er hat mir die aufgenommen, weil ich sonst immer durchgedreht bin. Dadurch konnte ich dann Sachen nebenher machen und im Hintergrund die Vokabeln hören.

Ich glaube, "Vokabeln 1" ist mir auch so aufgefallen, weil es dazu kein Äquivalent auf "Nie" gibt, im Gegensatz zu den anderen Songs. "Frieden Mit Der Stadt" hat ein ähnliches Thema wie "Kieztränen", "Schmeiss Mein Leben Auf Den Müll" erinnert an "Bau Mich Auseinander". War das eine bewusste Entscheidung?

Nee, also nicht im Sinne von "Ich mach mal Barkeeper Teil Zwei". Das sind halt Themen, die sind bei mir allgegenwärtig und bestimmen mein Leben. Ich stoße immer wieder auf diese Sachen. So wie ein Maler, der ja auch eine Motivart hat. Es gibt da zum Beispiel diesen australischen Maler, der malt nur Superhelden. Picasso hatte auch immer seine Epochen. Also nicht dass ich mich mit Picasso vergleichen will. Der hat halt monothematisch seine Sachen gemalt. Man wird ja auch nicht in zwei Leben den Grundtenor für sein Leben los. Das beschäftigt einen vielleicht sogar für immer und sind eben allgegenwärtige Themen, an denen ich immer hänge.

Das Album selbst ist ja ein gigantischer Widerspruch. Erstens gibt es überhaupt ein zweites Album, damit hatte ich nicht gerechnet. Außerdem hast du bei unserem letzten Gespräch gesagt, dass du dir die Bezeichnung "Pop niemals auf die Brust tätowieren" würdest. Jetzt ist das sogar Albumtitel, also fast langlebiger als ein Tattoo ...

Stimmt. Aber darum geht es auch ein bisschen, diesen Scheiß aufzuräumen. Dass ich Album Nummer zwei nie machen würde, war immer auf das Arbeitspensum bezogen. Dass mir das einfach zu viel ist. Aber dann habe ich wieder voll viel Musik gemacht und die Songs halb fertig auf dem Rechner. Aber damit ich die fertigstelle, müssen die auf Vinyl. Sonst kriege ich die nie aus meinem Kopf. Ich mache so fünfhundert Schnipsel und einer davon wird vielleicht ein Song, ich habe ja nicht so nen Capital Bra-Output.

Stattdessen mache ich richtig viel Musik und denke mir bei einem Teilchen so: "Krass, das könnte cool werden." Sobald ich dann denke, dass ich das mal richtig fertigstellen sollte, muss ich es eben richtig rausbringen. Dieser Zwang, die Reise zur Vinyl abzuschließen, erfordert dann eben ein Releasedatum. Dazu kommt, dass ich in den anderthalb Jahre seit "Nie" natürlich auch vieles vergessen habe. Da hab ich mir gesagt: "Komm, so schlimm war das doch gar nicht und wenn ich das und das anders mache geht es doch." Dann hab ich mir halt relativ flott gesagt, dass wir das schon hinkriegen und alles ganz einfach ist und wir das eben selbst machen.

Und mit dem Titel: Ich kann so viel rumlabern wie ich will, ich mach einfach Popmusik. Das habe ich jetzt in der letzten Zeit festgestellt und auch akzeptiert. Was soll ich da rumlügen, ich bin halt kein Rapper! Klar kann man da Hip Hop-artige Ansätze drin erkennen, aber es ist nun mal Popmusik. Das passiert immer wenn ich etwas ernst meine. Am Ende kommt Popmusik raus. Ich kann dir schon jedes Genre der Welt hinbauen, aber das bin halt nicht so richtig ich. Das muss man einfach so akzeptieren und dann ist das am Ende Pop.

Du sagst dir also: "Ok, ich schreib neue Songs, stell die fertig und das mit dem letzten Album war ja gar nicht so schlimm" und wirst noch Labelchef ...

Das war ich aber auch davor schon.

Jetzt bist du auf dem Label aber nicht nur selbst drauf, sondern bietest auch anderen Künstler*innen einen Plattenvertrag an.

Ja, ich hab da halt das Gefühl, neben all den anderen Baustellen in meinem Leben, dass ich mal Bock hab, im Hintergrund Sachen für andere zu machen. Wir haben mittlerweile eine krasse Infrastruktur und können alles liefern wie die großen Majors und wir sind in ganz vielen Sachen wirklich besser und fairer als die.

Gerade bei der Musik gibt es da noch ganz viel aufzuholen für die Szene und ganz viele Menschen. Ich sehe halt so viele geile Talente und wir haben richtig viele, einfache Mittel die wir denen geben können. Warum machen wir das dann nicht einfach zusammen und ich helfe im Hintergrund anderen Leute was auf die Beine zu stellen. Ich weiß zumindest, dass wir ein paar Sachen machen können, welche die gerade nicht machen können. Ist doch ne geile Idee. Mal die eigene Nase aus dem Bild zu ziehen und wen anderes da hinzustellen, der da einfach besser reinpasst. Ich hab gerade einfach Bock ein bisschen im Hintergrund zu arbeiten.

"Ich wollte es allen beweisen"

Das fügt sich auch wieder in ein größeres Bild von dir ein. Ich hab das Gefühl, dass in letzter Zeit bei dir ein leicht politischer Aspekt einfließt. Du hast bei Zeit Online für die Videoreihe "represent" über kulturelle Angebote auf dem Dorf gesprochen. Du setzt dich für Zuganbindung deines Dorfes ein und auch das Kliemannsland ist irgendwie ein Integrationsprojekt für Leute, die ansonsten nicht so richtig reinpassen. Hast du dich bewusst dazu entschieden, solche Aspekte mehr in den Vordergrund zu rücken?

Ne. Ich hab das ja immer schon gemacht. Das ist auch kein politisches Engagement. Man muss halt den Mund aufmachen, wenn es drauf ankommt. Gleichzeitig geht es mir auch darum, keinen Parteilobbyismus zu betreiben. Es gibt hier halt ein paar blöde Sachen, da bin ich auch voll lokalbezogen. Die gibt es überall und das ist halt scheiße. Wir kriegen hier keine Mitarbeiter hin und keine Ahnung was da die letzten 20 Jahre über gelaufen ist, aber lass das doch mal anpacken. Dieser Ansatz tut manchmal eingefahrenen Gremien ganz gut. Wenn die das nicht machen, dann mach ich das einfach so.

War das auch die Idee hinter der Doku über "Nie". Die sollte ja eigentlich im Kino anlaufen und musste dann doch online veröffentlicht werden. Wieder so ein Ding nach dem Motto: "Ey, es gibt ein Problem, lass da einfach mal was machen"?

Naja, zum einen wollte ich es allen beweisen. Wenn da zehn Leute nicht dran glauben und sagen, dass das eine scheiß Idee ist, dann will ich es denen einfach zeigen. Nachdem die Streaming-Anbieter den nicht haben wollten, sollte der ins Kino kommen und alle waren Feuer und Flamme. Das ging natürlich wegen Corona nicht und wir mussten uns flott die nächstbeste Methode überlegen. Dabei sollten natürlich auch die anderen Leute die dran gearbeitet haben nicht vergessen werden. Das hat sich jetzt im Nachhinein als ganz klug herausgestellt.

Jetzt mal ganz ehrlich: Warum wollte Netflix die Doku nicht?

Weil die keinen Bock hatten. Die haben da nichts dran gesehen. Die haben weder das Konzept gelesen noch sich den Film angeguckt, zumindest anfänglich nicht. Die sind einfach zu groß für solche kleinen Sachen. Dass so kleine Sachen auch groß werden können, lässt sich auch aus einer E-Mails schwer rauslesen. Ich versteh die auch. Diese Plattform wird bombardiert mit Angeboten von tollen Filmemachern mit super Projekten. Da dann Gehör zu finden ist einfach schwierig. Labels haben am Anfang die Beatles abgelehnt. Das soll auch wieder kein direkter Verglich mit mir sein. Ich will nur sagen, dass Fehler passieren. Gerade weil man überlastet ist oder einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Vielleicht habe ich das auch falsch verkauft, keine Ahnung.

Aber dafür, dass das von allen so schlecht dargestellt wurde war es doch ein Monstererfolg. Wir haben 20.000 Karten verkauft. Paar Leute meinten auch, dass das der erfolgreichste Dokumentarfilm in Deutschland sein könnte, zumindest für kurze Zeit. Das ist schon verrückt. Keine Ahnung, die (bei Netflix, Anm. d. Red.) haben das einfach nicht so gesehen, und das ist auch ok und ein bisschen schade.

Ich denke, die bei Netflix ärgern sich auch ein kleines bisschen.

Umso besser. Aber das ist auch nicht das erste Mal. Einmal die Woche trete ich mit einer Idee an jemanden heran, das ist mein Leben. Diese Ideen finden und realisieren. Bei der Realisierung brauche ich halt immer wieder Leute, Kohle oder Kontakte. Wenn ich dann jemanden treffen, der nicht an die Idee glaubt, dann ist das Treibstoff für meine Rakete. Da denke ich mir: "Wart mal ab. Du hättest 20 Prozent halten können. Dann eben nicht." Das motiviert mich erst recht alles zu geben, damit diese Idee erfolgreich wird. Damit eben diese Person sich denkt "Fuck, fuck, fuck". Diese Leute werde ich auch beim nächsten Projekt nicht mehr fragen.

Wenn Netflix also auf dich zukommen würde für eine Zusammenarbeit ...

Äh, ja. Keine Ahnung. Da ging es jetzt eher um Investoren. Ich weiß es auch nicht. Ich find die ja auch nicht blöd. Es hat auch den Vorteil, dass man einen anderen Spielraum hat, wenn jemand kommt. Das ist wie eine Referenzliste, wenn man jemanden einstellt. Wenn der die nicht liefern kann, kann man auch nicht wissen, ob der gut ist. So ist das auch bei neuen Projekten. Da kann ich abgelehnte Projekte vorzeigen und welchen Erfolg die hatten. Das erhöht für Andere den Druck mitzumachen.

Dann kommen wir schon zur letzten Frage. Was kommt als nächstes? Zur Erinnerung, ich habe dich das auch letztes Mal gefragt und die Sachen sind beide in Erfüllung gegangen.

Der Flugschein ist noch nicht erfüllt, ich hab nur ein paar Flugstunden absolviert. Aber ansonsten habe ich nur so Fertigstellungsträume. Dass aktuell so viele Sachen auf Halt stehen macht mich fertig. Das Hausboot wird hoffentlich in den nächsten zwei bis drei Monaten fertig. Das ist ein Meilenstein. Im Kliemannsland habe ich extrem viel vor, was die Leute dann ab August/September sehen können. Außerdem habe ich im Hintergrund zwei neue Firmen gegründet. Die Sache dahinter würde ich als die vielversprechendste Idee meines Lebens bezeichnen. Ansonsten mal gucken. Ich mach noch viel in meinem kleinen Kellerchen und will einfach mal gucken. Ich will einfach Sachen fertig bringen, die ich angefangen habe. Es sind halt nicht so kleine Sachen wie der Führerschein. Ich will an einem Punkt anlangen, an dem ich Sachen fertiggestellt habe. Im besten Fall lerne ich bis dahin, nichts Neues anzufangen. Einfach ein paar Monate mit dem Segway durch den Garten fahren.

Klingt fantastisch. Es war mir eine große Freude und vielen Dank fürs Interview!

Es war mir auch ein Freude.

Dann bis Album Nummer 3.

Ja, vielleicht aber auch nicht!

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Fynn Kliemann

Fynn Kliemann zählt sicherlich zu den umtriebigsten Menschen des Landes. Hauptberuflich Webdesigner, kennt man den langen Hansel aus Norddeutschland …

Noch keine Kommentare