21. Januar 2020

"Kollegah hat mich komplett abgeholt"

Interview geführt von

Philosoph, Model, Journalist, Exzentriker, Rapper: Frank Hemd hat viele Gesichter. Das Gespräch über seinen Werdegang dreht sich um Exzentrik, Battlerap, den Status Quo im deutschen Trap, miese Labeldeals und was man daraus lernen kann.

Im Lebenslauf von Frank Hemd stehen bereits einige Stationen: Jugend in einer spießigen Kleinstadt im Ruhrgebiet, erste Gehversuche als Rapper in der RBA, Philosophie-Studium, angehende Karrieren als Teilzeit-Model und Teilzeit-Journalist, VBT-Fame, mieser Labeldeal und der Neuanfang als Trap-Trendsetter unter dem Radar. Ungefähr in dieser Reihenfolge. Mit Produzent Massala und seinem Album "One Dollar Smile" hat der Rapper der deutschen Szene mal eben den Status Quo in Sachen Flows, Adlibs und ganz generell modernem Hip Hop aufgezeigt. Gerade frisch erschien ein Doppel-Video zu den Tracks "Für Immer" und Boom":

Viele gute Gründe, um zusammen mit Frank Hemd seine Karriere aufzurollen und sein Schaffen unter die Lupe zu nehmen:

In einem Porträt über dich wurde dir ein exzentrischer Stil nachgesagt. Hältst du dich selbst für einen Exzentriker?

Frank Hemd: Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Keine Ahnung, ob ich mich überhaupt irgendwie beschreiben würde. Die Frage ist auch, was ist ein Exzentriker? Jemand, der außerhalb der Norm lebt?

Jemand, der anders ist als die Durchschnittsgesellschaft, würde ich sagen.

Ich finde, ich falle schon ein bisschen aus der Reihe. Aber das ist kein Selbstentwurf, sondern einfach etwas, was so passiert. Genauso die Kunst, die ich mache. Ich lebe jetzt nicht mit dem Selbstbild eines Exzentrikers, aber ich kriege das oft gespiegelt.

Du hast eine recht interessante Geschichte, hast sehr verschiedene Sachen gemacht. Lass uns mit dem Hip Hop-Ding beginnen. Wie hat das bei dir angefangen?

Ich fand das eigentlich immer null Prozent cool und habe einfach Folk gehört. Mit 15 hat mir dann einer das zweite Zuhältertape von Kollegah gezeigt, und das hat mich komplett abgeholt, weil das so intelligent und asozial zugleich war. Einfach Battlerap. Dann habe ich zwei Jahre nur Kollegah gehört. Danach kamen die 257ers. Ich fand die auch immer cool. Gleichzeitig habe ich mir gedacht, wenn die das können, kann ich das auch. Deshalb habe ich in der RBA angefangen zu battlen.

"Ich habe gemerkt, dass ich Probleme mit der Szene habe"

Du hast Philosophie studiert, warst Model und Rapper.

Ich habe versucht, zu modeln, weil mich hier und da Fotografen auf der Straße angesprochen haben. Das war aber überhaupt nicht meine Welt, weil es nur um Oberflächlichkeiten geht. Ich glaube, dass es einen verrückt macht, wenn man glaubt, dass man schön ist und es auch von allen Seiten hört, obwohl es eigentlich überhaupt nicht wichtig ist. Deshalb lief das sporadisch über zwei bis drei Jahre. Das tut dem Ego ganz gut, aber eigentlich ist das gar nicht mein Ding und ich habe dann schnell wieder aufgehört.

Rap war hingegen immer mein Hobby, und erst durch den Erfolg beim VBT kam dann die Perspektive dazu, dass ich das tatsächlich professioneller machen könnte. Das war auch der Grund für den Labeldeal. Während dieser Zeit habe ich gedacht, ich müsste jetzt unbedingt erfolgreich sein, was mich mega abgefuckt hat. Ich wollte nicht an Erfolg denken, sondern das einfach machen, weil ich es liebe. Für das neue Album habe ich überhaupt nicht mehr an Kommerz gedacht, sondern einfach Spaß gehabt, und das war unfassbar geil. Aber jetzt, wo ich mich intensiv mit meiner beruflichen Zukunft auseinandersetze, merke ich, dass eigentlich nur Musik machen in Frage kommt (lacht). Jetzt schaue ich, wie es möglich ist, das eigentlich nur für mich zu machen und trotzdem in professionelle Strukturen reinzukommen.

Hat dein Philosophie-Studium Einflüsse auf deine Musik?

Philosophie war nie als Berufsfeld gedacht, sondern als Rückzugsort, an dem ich mich mit ein paar Sachen auseinandersetzen kann, die mich beschäftigen. Ich halte Philosophie für eine Lebenshaltung. Sich von Konventionen losmachen und Normalität in Frage stellen. Danach lebe ich einfach, würde das aber nicht nochmal studieren oder einen Beruf in die Richtung suchen. Und so, wie ich lebe, mache ich auch Musik. Ich mache nichts, weil das üblich ist, sondern versuche herauszufinden, was für mich richtig ist. Man macht dadurch auch dumme Fehler, denn nicht alle Konventionen sind zu Unrecht Konventionen, sondern machen durchaus auch einfach Sinn.

Du arbeitest Teilzeit als Journalist und hast damit mit einem Praktikum bei rap.de angefangen. Dort hast du neben klassischen News vor allem Meinungsartikel geschrieben. Ist es dir auch wichtig in deiner Musik deine Meinung zu vertreten?

Also, ich stelle mir schon die Frage, was Rap darf und was nicht und will mit mir selbst im Reinen sein. Andererseits finde ich, dass Rap davon lebt, ein Gefühl einzufangen. Hinter den Texten sollte ich natürlich trotzdem stehen können, aber sie müssen nicht im Vordergrund stehen. Um eine starke Meinung zu vertreten, schreibe ich lieber einen Artikel.

Du hast im Battlerap angefangen, RBA, FTC und schließlich VBT. Wie erinnerst du dich an diese Zeit zurück?

Ich habs hart geliebt. Ich komme aus einer spießigen Kleinstadt und es tat mir richtig gut, mich mit 18 durch asozialen Battlerap im Internet ausleben zu können. Ich habe jedes Battle angenommen, das sich mir angeboten hat. Das VBT war dann die logische Konsequenz vom Audio-Battle zum Video-Battle. Es ist auch extrem geil, dass dieses Turnier einen zwingt, kontinuierlich zu arbeiten, weil man richtig schnell besser wird. Es war aber auch eine Phase, in der ich gemerkt habe, dass ich Probleme mit der Szene habe, was Sexismus und Homophobie angeht, und das in den Battles thematisiert. Deshalb habe ich anschließend auch einen Cut gemacht und das Battlen aus meiner Musik verbannt, um etwas zu finden, was ich unabhängig vom Battlekontext künstlerisch machen will.

Wie hast du die Zeit danach erlebt? War es schwer, die Fanbase zu halten?

Ja, absolut, sie ist stetig kleiner geworden. Mit dem neuen Album ist sie gefühlt erstmals wieder gewachsen und ich habe wieder Leute erreicht, die mich vorher gar nicht kannten. Die Fans aus dem VBT hätten sich wohl eher ein freakiges Battlealbum gewünscht. Weil das nicht kam, haben die das Interesse verloren. Ich habe aber trotzdem auch so ein paar richtig harte Fans, die mich bis heute unterstützen.

Nach dem VBT hast du einen miesen 360°-Labeldeal unterschrieben, was du auch in einem Artikel auf noizz.de verarbeitet hast. Kannst du im Nachhinein trotzdem irgendetwas Positives daraus ziehen?

Ja, ich finde, das war zu diesem Zeitpunkt die absolut richtige Entscheidung. Im Endeffekt habe ich das Beste draus gemacht und geschaut, wie ich das Ding zum Laufen bringe. Und ich habe auch währenddessen nie irgendwas abgebrochen oder schleifen lassen, sondern alles reingegeben. Da habe ich gemerkt, dass ich es auch gegen den größten Widerstand schaffe, Musik rauszubringen. Ich kann mir einfach keinen schlimmeren Deal vorstellen, und ich habe es trotzdem geschafft. Das war so unfassbar anstrengend und stressig. Ich weiß jetzt genau, was für eine Art von Deal ich bräuchte und wie ich neu verhandeln würde, aber ich könnte auch immer mein eigenes Ding machen.

"Deutschrap hängt den USA krass hinterher"

Eine deiner Stärken ist deine außergewöhnliche Art zu rappen, die du auf deinem neuen Album perfektioniert hast. Wie hat sich das bei dir entwickelt?

Ich fühle einfach in jeden Song rein, was geht. Dass es so eine besondere Art zu rappen ist, erfahre ich dann auch immer erst im Nachhinein von Hörern und Fans. Die Flows sind vom State Of The Art in Amerika inspiriert. Deutschrap hängt da krass hinterher und versteht das überhaupt nicht. Anstatt sich inspirieren zu lassen, werden einfach nur erfolgreiche Rapper aus den USA übersetzt. Ich bin ein Techniker, auch wenn ich nicht mehr unbedingt technisch anspruchsvoll rappe. Aber es ist alles konstruiert und jeder Rhythmus und jede Melodie sind komplett ausgearbeitet. Es muss am Ende ein homogenes Ganzes sein, bei dem alles stimmt.

Du hast dein Album als Konzept aufgebaut: Ein Tag im Leben von Frank Hemd. Das ist aber nur anhand der Tracktitel offensichtlich, inhaltlich wird dieses Thema nie konkret und du bist ja auch nicht wirklich ein Geschichtenerzähler. Warum dann trotzdem dieses Konzept?

Es geht bei mir nicht ums Geschichtenerzählen, sondern um ein Gefühl. Trap-Beats wären dafür auch gar nicht geeignet. Deshalb ist das Album keine thematische Geschichte, sondern eine Stimmungskurve. Die ersten Songs klingen sehr energisch, während die letzten Songs etwas ruhiger sind. Das ist eher zufällig so entstanden, und ich habe es dann so arrangiert. Ein gefühlter Tagesablauf. Es ist richtig cool, wenn jemand das merkt, aber extra darauf hinweisen würde ich auch nicht. Am wichtigsten ist es eh, dass man die Songs gut findet, aber es freut mich natürlich, wenn dieses Konzept auffällt. Ich mag auch selbst Kunst, in der Tiefe steckt, die aber nicht so prätentiös ist.

Du hast trotzdem in deinen Songs Pointen, in denen du gesellschaftspolitische Themen anreißt. Hast du kein Interesse daran, mal komplette Songs über Themen zu machen, die dir vielleicht sehr wichtig sind?

Doch, habe ich. Das wird auch als Nächstes passieren. Das einzige negative Feedback zum Album war, dass die Texte unverständlich und zu collagenhaft sind. Für das Album war das cool, weil es keine große Rolle gespielt hat. Ich werde das aber jetzt angehen, weil ich schon starke Gefühle zu bestimmten Themen habe und die gerne behandeln und festhalten würde. Trotzdem muss es immer um Musik gehen, sonst kann ich auch einen Artikel oder ein Buch schreiben.

Hast du da schon etwas im Kopf?

Ja, es wird richtig viel Liebe sein. Ich muss aufpassen, dass es dann nicht zu kitschig wird, aber das bewegt mich derzeit total. Mal gucken, was das wird.

Lass' uns nochmal über den Sound des Albums sprechen. Du arbeitest mit Massala, ihr orientiert euch am aktuellen Trap-Sound, nehmt aber auch südamerikanische Einflüsse mit auf, vor allem auf "No Merican".

Massala ist ein riesiger Trap-Nerd und entwirft meist Skizzen, die wir dann zusammen ausarbeiten. Oder wir schicken uns Songs hin und her, die wir cool finden, und er holt da seinen eigenen Twist heraus. Wir finden beide die gleiche Musik richtig spannend, was eine perfekte Grundlage ist. Aber auf "No Merican" ist das eher Zufall, dass die Form da zur Kunst geworden ist, das haben wir nicht bewusst so gemacht.

Du hast deinen Sound mal als "Pop-Trap" bezeichnet, jetzt nennst du es "progressiven Trap". Liegt das nur an Massala oder ist das auch deiner eigenen Entwicklung geschuldet?

Das liegt schon daran, dass wir beide viel Trap hören. Wir hätten natürlich auch Pop-Hooks machen können, aber finden eigentlich die Trap-Melodien und Rhythmen viel spannender. Das ist das interessantere Spielfeld. Ich würde vielleicht auch poppigere Sachen machen oder richtig gerne in so eine Lofi-Richtung gehen, aber Massala hört eigentlich nur Trap und kann mit dem Rest nicht soviel anfangen, weshalb es jetzt so geworden ist. Was aber natürlich auch supercool ist, ich bin sehr zufrieden damit.

Sprechen wir zum Ende noch über deine Adlibs: Ich finde, die stechen in Deutschland sehr stark hervor, wo das viele einfach noch nicht drauf haben. Schreibst du die mit oder kommt das eher nach Gefühl?

Also, ich persönlich finde, dass wir in Sachen Adlibs in Deutschland schon top of the game sind. Manche Songs haben drei Adlib-Spuren, die wie Mainspuren aufgebaut sind. Ich finde, das ist richtig stark geworden. Meist steht die Mainspur zuerst, und ich freestyle etwas dazu, aber das wird dann auch wieder im Nachhinein konstruiert. Es gibt auch Adlibs, die man mitschreibt, oder man schreibt eine Line und guckt, ob man einen Teil davon zum Adlib macht, um zum Beispiel ein Call & Response zu haben. Aber eigentlich sollten Adlibs schon gefreestylet werden, wenn die Mainspur steht und man schaut, was da noch so in die Lücken reingeht. Mittlerweile rede ich teilweise auch schon normal so. Das ist ein bisschen weird, aber es fühlt sich schon gut an (lächelt).

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