2. September 2015

"Brüste zu zeigen, ist völlig wertfrei"

Interview geführt von

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Musiker ihre Interviewpartner lange warten lassen. Oft verschiebt sich ein Interview-Termin in letzter Minute, manchmal gar am um Tage.

Die perfekte Punktlandung legte bei mir bisher einzig und allein Heinz Rudolf Kunze hin. Aber König Boris von Fettes Brot meldet sich sogar drei Minuten vor dem vereinbarten Termin.

Wow, so pünktlich war ja nicht mal Heinz Rudolf Kunze

König Boris: Ich bin pünktlicher als Heinz Rudolf Kunze? Den Satz lass ich mir tätowieren. Ja, herrlich.

Euer Debüt "Auf einem Auge blöd" liegt jetzt schon zwanzig Jahre zurück. Seitdem hat sich Deutschrap stark gewandelt, ist durch verschiedene Metamorphosen gegangen. Eine Zeit lang stand die Gangsta-Attitüde deutlich im Mittelpunkt. Jetzt wandelt sich das bei den jüngeren Musikern wieder in eine weitaus positivere Einstellung. Fühlt ihr euch in diesem Umfeld aufgehobener? Denkt ihr, dass da eure Tradition wieder auflebt?

Wir waren ja immer selbstbewusst genug, um uns in einem anderen Umfeld ganz gut zu fühlen. Was aber richtig ist, ist dass die Hip Hop-Landschaft deutlich bunter geworden ist. Das begrüßen wir natürlich. Bei dem ein oder anderen könnte man vermuten, dass er früher einmal eine Fettes Brot-Platte gehört hat. Da freuen wir uns dann still in uns hinein, wenn wir das bei anderen, etwas jüngeren Protagonisten beobachten und heraus finden können. Wir begrüßen die Vielfalt und dass es in Deutschland eben nicht nur Straßen-Rap gibt.

Bei wem denkst du ist etwas von euch mit eingeflossen?

Da habe ich jetzt kein konkretes Beispiel. Wir wissen es aber von dem ein oder anderen, dass sie eine Platte von uns im Schrank hatten. Blieb ja nicht aus, wenn man sich für Rap interessiert hat. So viele gab es ja damals nicht. Wir können uns auf die Fahnen schreiben, dass wir die erste Rap-Band in Deutschland waren, die sich getraut hat, im Chorus zu singen. So merkwürdig das heutzutage klingt, früher war das ausgeschlossen. Das stand nicht zur Debatte, dass man in einem Rap-Stück singt.

Das mit dem Singen habt ihr ja so richtig offensiv auf "Fettes Brot Lässt Grüßen" eingebaut.

Das stimmt. Ab da haben wir es häufiger gemacht. Ich glaube aber, der erste Song, in dem wir uns das getraut haben, war "Frikadelle Am Ohr" auf der "Auf Einem Auge Blöd". Da haben wir uns das erste Mal bewusst dazu entschlossen, zu singen.

Ihr habt damals nicht jeden Ton getroffen. Das machte aber ja auch den Charme von Songs wie "Viele Wege Führen Nach Rom" aus.

Das hast du nett formuliert. Danke.

Auf eurer neuen Platte "Teenager Vom Mars" hat man in Stücken wie "Von der Liebe" oder "Das Letzte Lied Auf Der Welt" das Gefühl, dass ihr entweder etwas Gesangsunterricht genommen habt, oder dass euch die heutige Technik diesbezüglich sehr entgegen kommt.

Das natürlich auch, aber wir sind tatsächlich besser geworden. Das wirst du hören, wenn du auf ein Live-Konzert kommst. Wir treffen die Töne heutzutage etwas sicherer als damals. Wir sind natürlich weit entfernt, irgendwelche Supersänger zu sein, aber sind glaube ich gut genug.

Da habt ihr euch in den zwanzig Jahren tatsächlich weiter entwickeln. Es war nicht alles umsonst.

Oder? Hält man ja nicht für möglich. Ein bisschen was ist besser geworden. Zum Glück lernt man im Leben ein bisschen was dazu.

Ihr seid jetzt alle über vierzig. Ihr gehört damit zur frühen Generation im Deutschrap und zu den ersten, die in diesem Umfeld älter werden. Selbst wenn es augenzwinkernd gemeint ist, wie lange geht es da noch gut, Platten "Teenager vom Mars" zu nennen? Wie lange kann man da noch der Jugendliche sein und wo geht der Weg hin?

Darüber mache ich mir keine großen Gedanken. Die Menschen schauen uns glaube ich recht wohlwollend beim Älterwerden zu. Das biologische Alter finde ich nicht so interessant und nicht so ausschlaggebend. Unser Maßstab ist: Haben wir noch Bock, auf das was wir machen und fallen uns noch gute Sachen ein? So lange das der Fall ist, machen wir einfach weiter. Wir fragen da niemanden um Erlaubnis. Haben wir noch nie gemacht. Entweder finden sich Leute, die das gut finden, oder nicht. Ob ich jemandem zu jung, zu alt oder zu hässlich bin, spielt keine Rolle.

Bezüglich des Älterwerdens hatte ich kürzlich ein ganz interessantes Gespräch in meinem Freundeskreis, in dem es darum ging, dass unsere Generation sich dem etwas verweigert. Nur wenige von uns werden im althergebrachten Sinn erwachsen. Aus der Generation X ist die Generation Peter Pan geworden. Man sammelt Figuren aus der Kindheit, hört alte Kinderhörspiele. Da wart ihr ja damals mit den drei Fragezeichen auch mal mit dabei.

Das ist aber schon wieder fünfzehn Jahre her.

Trotzdem sind wir ja weit weg von dem Bild, das uns unsere Eltern mit auf den Weg gegeben haben.

Das hat sich glaube ich geändert. Die Definition davon. Darauf kommt es ja an. Was bedeutet erwachsen sein. Bedeutet erwachsen sein, jeden Morgen um sieben aufstehen, um 18 Uhr Abendbrot und ein Job, den man nicht mag und keine Freunde mehr haben? Wenn man das so definiert, sind wir auf jeden Fall nicht erwachsen. Verantwortung übernehmen wir für uns, das was wir machen und unsere Familie ja trotzdem.

Das ist aber eine Art von Luxus, den wir uns nur leisten können, weil wir hier leben. In anderen Teilen der Welt hat man ja nicht einmal die Chance für eine Jugend oder Kindheit.

Absolut. Das ist ein absolutes Privileg. Dessen sollte man sich durchaus bewusst sein. Um so größer ist die Verantwortung, das irgendwie zu nutzen. Weil es ein großes Geschenk ist. Das einfach so verstreichen zu lassen, wäre verschenkt.

"Nazis kann man nicht überzeugen"

Da kommen wir zu dem Thema, das momentan die Medien bestimmt, und das ihr in "Ganz Schön Low" und zu Beginn von "Teenager Vom Mars" ansprecht: Die besorgten Bürger und der immer öffentlicher zur Schau getragene Hass auf Ausländer und Flüchtlinge. Deutschland brennt, fast jede Nacht. Nachdem es zuerst sehr ruhig war, beginnen sich die Künstler nun deutlich zu positionieren. Das "Das wird man wohl noch sagen dürfen"-Video von Joko und Klaas online, Lindenberg hat nun ein großes Konzert angekündigt

Das Video habe ich gesehen. Ich finde natürlich super, dass sie das gemacht haben. Das ist uns auch auf jeden Fall ein Anliegen. Zumal ich das Gefühl habe, dass von der politischen Seite gar nichts dazu kommt und wenn, dann viel zu spät und oft großer Scheiß. Insofern bleibt es bei Medienleuten und Künstlern hängen, dazu Stellung zu nehmen und zu sagen: "Nein, dass wollen wir nicht." Es ist sehr wichtig, ganz deutlich zu sagen, dass es hier einen Haufen Menschen gibt, die eben gar nicht so denken und es widerlich finden, was da passiert.

In wie weit kann man da als Musiker bei so großen Events wie zum Beispiel Anfang der Neunziger mit "Heute die, Morgen du" oder jetzt dem von Lindenberg geplanten Konzert überhaupt etwas erreichen?

Ich glaube, irgendwelche Nazis überzeugen kann man nicht. Trotzdem ist es nicht sinnlos. Es ist wichtig, Zeichen zu setzen. Wenn man ein Konzert gibt, zu dem zigtausend Leute kommen, die deutlich machen, auf welcher Seite sie stehen, und sich dies dann durch die Medien vergrößert, ist das immer wichtig, so trivial das auf den ersten Blick erscheinen mag. Was ist die Alternative dazu? Die Alternative wäre, dass man nichts sagt, dass diese große Öffentlichkeit nicht zusammen kommt und sagt: "Wir sind dagegen." Das wäre die schlechtere Alternative. Künstleraufgabe ist es, das anzusprechen und Haltung zu zeigen. Es gibt leider genug Bands und Musiker, die das völlig vermissen lassen und eine heile Welt propagieren, die es nicht gibt. An denen perlt die Realität komplett ab. Ansonsten muss natürlich auch jeder privat schauen, was er macht. Wo er helfen kann. Wo er das Gefühl hat, laut zu werden und einzuschreiten und zu sagen "Hier, stop, so nicht. Nicht in meiner Gegend."

Nicht selten bekommt man dann als Künstler zu hören, dass man das alles ja nur aus Promozwecken macht. Wobei es einem Flüchtling letztendlich ja egal ist, aus welchem Grund man ihm hilft.

Der Vorwurf ist ein bisschen einfach. Um es mal an Joko und Klaas oder Til Schweiger festzumachen: Hätten die es überhaupt nötig, auf diesen Weg Werbung für sich zu machen? Das sind ja alles sehr sehr erfolgreiche Leute, bei denen es läuft. Es gibt keinen Anlass für sie, irgendwo billig Werbung abzuholen. Wie du sagst, selbst wenn, ist da ja immer noch ein guter Scheck dabei. Es gibt Leute, die machen auf viel schlechteren Wegen Werbung für sich selber.

2010 hattet ihr eine Schaffenspause eingelegt, die gerade einmal drei Jahre dauerte. In der Pause hast du dich mit Der König tanzt ausgetobt. Das Album hatte interessante Aspekte, auf der anderen Seite musstest du wegen des Outfits einiges Einstecken.

Ja.

Beim Roche & Böhmermann-Auftritt wirktest du schon verunsichert. So als würdest du dich in einer Rolle nicht mehr wohl fühlen. Als wäre dir diese Maske bereits zu schwer geworden.

Das war der erste Fernsehauftritt damit. Das kann natürlich sein, dass man da verunsichert war. Das war für mich ja neu. Allein und mit einer ganz neuen Geschichte. Aber hey, das ist menschlich.

Wie bewertest du rückblickend die Phase und die Platte?

Ich finde die Platte super. Ich wollte die machen und ich hab sie gemacht und bin stolz auf sie. Ich bereue da gar nichts. Es lief okay. Manche Bands würde sich den kleinen Finger abschneiden, um so viele Platten zu verkaufen. Aber im Vergleich zu Fettes Brot war das natürlich deutlich weniger. Ich glaube, das habe ich schadlos überstanden.

"Die Auszeit hat uns Schwung verliehen"

Jetzt kommt mit "Teenager Vom Mars" das zweite Album nach der Pause. Erkennst du einen Unterschied zwischen der Zeit vor und nach diesem kurzen Split? Was ist heute anders?

Wir haben gemerkt, wie sehr wir das alles vermisst haben. Das war schon ganz gut. Das war uns vorher nicht ganz klar. Wir haben aber gemerkt, dass uns was fehlt. Das war eine einfache, aber interessante Erkenntnis. Seitdem sind wir sehr produktiv. Das ist das, was mir auffällt. Die Auszeit hat uns auf jeden Fall Schwung verliehen.

Auf dem neuen Album bedient ihr verschiedene Stilrichtungen, aber der Sound hält die Platte ziemlich fest und deutlich zusammen.

Die Einschätzung teile ich. Im Vorfeld haben wir uns gesagt, wir denken nicht an einen roten Faden, kein Konzept oder so. Wir machen einfach und gucken hinterher, was dabei raus kommt. Insofern sind wir selber ein bisschen überrascht, dass dann doch so eine Stringenz in dem Album ist. Das hat wahrscheinlich was mit uns zu tun. Die große Klammer, der große rote Faden, sind ja wir drei. Wir halten das natürlich zusammen, geben dem ganzen einen deutlichen Wiedererkennungswert.

Aber müsst ihr in "Eure Autos" gleich damit drohen, unsere Autos aufzufressen.

Das ist die Art, wie Fettes Brot Verkehrspolitik macht. Alle weg. Die stören ja auch oft. Als Statussymbol sind sie völlig veraltet.

Was wäre denn das zeitgemäßere Statussymbol?

Eigentlich braucht man keins. Wozu? Ein gutes Fahrrad tut es auch.

Eine Sache, die uns in dem Kommentaren zu dem "Teenager Vom Mars"-Video vorgeworfen wurde, mag ich einfach mal an dich weiterreichen. Auf "Strom Und Drang" hattet die Single "Bettina, Zieh Dir Bitte Etwas An". Da singt ihr: "Bettina! Pack deine Brüste ein!". Im neuen Video kehrt ihr das ins Gegenteil. Mein Kollege hatte das Gesehene mit der Überschrift "Laser-Titten, Alien-Eier und viel Party" umschrieben und sich den Vorwurf des Sexismus eingehandelt. Dazu kommt die Stelle, in der Björns Zunge zu den Worten "Was passiert eigentlich wenn ich hier drauf drückt?" zwischen die Beine einer Darstellerin schnellt. Wie passt das mit dem alten Song zusammen?

Ich finde, Brüste an sich zu zeigen, ist völlig wertfrei. "Bettina" war ja kein Song gegen Sexualität oder gegen Nacktheit, sondern gegen die Pornografisierung unserer Gesellschaft und den täglichen Versuch, alle möglichen Produkte mit Nacktheit zu verkaufen. Das Video steht ja in einem ganz anderen Zusammenhang. Das ist ja ein Science-Fiction-Trash-Video. In dem Zusammenhang überspitzen wir. Es gibt auch Grenzen, aber schon in einem Kunstzusammenhang. Es geht ja nicht darum, irgendwelche Dinge zu bewerben, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen. Jede H&M-Werbung ist pornografischer als unser Video.

Du kritisierst, Dinge und Produkte mit Nackheit zu bewerben, aber streng genommen sind euer Album und die Single ja auch ein Produkt, das ihr verkaufen wollt, oder?

Das kann man so sehen, ja. Aber das sind nicht Gedanken, die uns durch den Kopf gehen, wenn wir darüber nachdenken, was für ein Video wir drehen. Dass wir denken "O.K., dann lass uns mal ein paar Brüste zeigen, dann verkaufen wir ein paar Platten mehr." Das funktioniert auch nicht. Wir wollen ein unterhaltsames Video drehen zu einem Song, den wir hören. Wir haben mit unserem Freund Oliver Tietgen, der gerade mit "ABCs Of Superheroes" einen Film beim Fantasy Filmfest laufen hat, gesprochen und der hat das Konzept für uns geschrieben. Wir fanden das super.

In "Alle Hören Schlager" geht ihr ziemlich hart mit der heutigen Schlager-Szene und ihren Fans ins Gericht. Meint ihr damit auch den alten Schlager der Siebziger oder nur die heutige Entwicklung?

Nö, hauptsächlich das Aktuelle, das jetzt stattfindet. Wenn man sich jetzt die Welt anguckt und was da so passiert, sieht man brennenden Asylantenheime, Länder, die pleite gehen und Naturkatastrophen. Gleichzeitig wird sich plötzlich millionenfach darauf geeinigt, dass Schlager mit Nullaussage und einer ausgedachten heilen Welt die Musik ist, die man zu hören hat. Wenn sich dabei keiner mehr schämt, dann ist das mehr als ein schlechter Musikgeschmack, sondern dann sagt das irgendwas über unsere Gesellschaft aus. Ich habe das Gefühl, dass bei einigen Leuten die Tendenz vorhanden ist, sich abzukapseln, weil ihnen die Welt, in der sie Leben unübersichtlich geworden ist. Dass sie sich nach einfachen Weltbildern sehnen. Nach Mann und Frau, gut und böse, schwarz und weiß. Dort können sie alles schön einsortieren und müssen keine Angst haben. Das ist eine Haltung, die der momentanen Lage nicht entspricht.

Aber gerade in solchen Situationen wie jetzt kann man das ja immer wieder beobachten. Während die Welt draußen zuzieht, sehnen sich die Leute nach einfacher Unterhaltung und der schönen heilen Welt. Das konnte man ja auch in den Fünfzigern mit den Heimatfilmen beobachten.

Das macht es ja nicht besser. Nur weil es schon öfter passiert ist. Wir leben im Jahr 2015. Da könnte man ja die Hoffnung haben, dass die Leute ein bisschen was dazu gelernt haben oder anders damit umgehen als in den fünfziger Jahren. Ich habe das Gefühl, dass das unsere Aufgabe ist, dazu etwas zu sagen, wenn wir das Gefühl haben, es findet hier so eine Rückbesinnung auf konservative fünfziger Jahre Werte statt.

Okay, ich danke dir für das Gespräch und Grüße an die anderen beiden.

Mach ich. Mach's gut. Tschau Tschau

Boris legt auf und ich warte gespannt auf die ersten Fotos der "Ich bin pünktlicher als Heinz Rudolf Kunze"-Tätowierung. Bitte enttäusche mich nicht, König.

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