8. März 2019

"Deutschrap ist 2019 einfach sehr jugendlastig"

Interview geführt von

Schluss mit Deichkind! Schluss mit Hip Hop! Schluss mit lustig! Von nun an geht's bei Ferris MC brachial zu. 2019 verpasst er sich einmal mehr ein neues Image und kommt nun mit einer Rock-Platte um die Ecke.

Sascha Reimann hat sich in seinem Leben sehr oft neu erfunden. Vor über 20 Jahren schickte er sich als Ferris MC an, der Hip Hop-Szene seinen ureigenen Stempel aufzudrücken, ehe er von 2008 an eine ganze Dekade Electro-Pop unter der Dachmarke Deichkind mitprägte. Nach neun Jahren Solopause erschien 2015 mit "Glück Ohne Scherben" neues Material – darauf ging es mit einer Crossover-Mischung aus Rap, Rock und Electro kunterbunt zu. Schließlich kehrte er 2017 mit der Platte "Asilant" zu seinen Hip Hop-Wurzeln zurück – mit überschaubarem Erfolg.

In diesem Jahr soll es nun also Rock sein. Das "MC" im Namen ist geblieben, ansonsten erinnert jedoch wenig an längst vergangene musikalische Tage des Wahl-Hamburgers. Das neue Soundbild kreierte er gemeinsam mit der Band Madsen. Herausgekommen ist: "Wahrscheinlich Nie Wieder Vielleicht". Ein Albumtitel, der bei Ferris' verrückter Vita nicht treffender hätte gewählt werden können. Seine ständigen Genrewechsel sind dann auch gleich zu Beginn unseres Gesprächs Thema.

Wann hast du eigentlich zuletzt als DJ aufgelegt?

Zuletzt vor einigen Wochen in einem Dorf-Club in Ostfriesland.

Ich frage auch deswegen, weil ich mich ein bisschen gewundert habe. Nachdem du deine Rap-Karriere nach "Asilant" 2017 für beendet erklärt hast, hast du im letzten Jahr einige Electro-Stücke veröffentlicht. Da dachte ich zumindest, dass es in dieser Richtung bei dir weitergehen könnte. Wie kam jetzt der Sinneswandel zu einer Rockplatte?

Naja, die Rockplatte war ja im Endeffekt schon fertig, bevor diese Electro-Sachen herauskamen. Deswegen würde ich nicht von einem Sinneswandel sprechen, auch wenn das vielleicht in der Außenwahrnehmung so rüberkommen könnte. Ich fahre ja schon lange irgendwie ein bisschen mehrgleisig. Es kommt auch noch ein Electro-Projekt. Das ist schon in der Planung, wird aber nicht unter dem Namen "Ferris Hilton" stattfinden. Das Demotape dazu habe ich mit einem Kollegen so gut wie fertig und dann geht es irgendwann mit einer richtigen Story dahinter los.

Wie kam denn die Zusammenarbeit mit Madsen für das Album zustande?

Ich kenne die Jungs schon seit ihrem Debütalbum 2005. Weil ich mit Deichkind ja auf vielen Festivals gespielt habe, sind wir uns oft über den Weg gelaufen und haben uns relativ schnell angefreundet. Wenn du es jetzt konkret für das Album wissen willst: Ich habe Sebastian Madsen einfach angerufen und gefragt, ob wir was machen wollen. Und zwar schon während der Promophase zu "Asilant".

Da hattest du doch gerade erst dein Rap-Comeback gefeiert.

Ja, aber mir war da einfach schon klar, dass ich dieses Deutschrap-Ding nicht weitermachen will, weil sich das für mich total unauthentisch angefühlt hat. Ich habe angefangen zu reflektieren und gemerkt, dass das bei meinen früheren Alben eine ganz andere Ausgangsposition war. "Asilant" war einfach noch mal ein Schritt in die Vergangenheit. Dazu habe ich mich einfach verpflichtet gefühlt, weil ständig Angriffe von links und rechts kamen. So ist diese Rap-Platte entstanden. Beim Reflektieren habe ich dann eben gemerkt, dass es nicht das ist, was ich will. Ich habe dann im Endeffekt von heute auf morgen alle Zelte abgebrochen.

Und dann kam Madsen ins Spiel.

Genau. Wir sind ins Studio gegangen und haben gecheckt, ob die musikalische Chemie stimmt und wir auf einer Wellenlänge liegen. Als das sofort gepasst hat, haben wir ganz unverkrampft gesagt: wir machen ein Album zusammen – frei von der Leber weg!

Wie muss man sich den Arbeitsprozess im Studio vorstellen? Passiert da jeder Schritt gemeinsam oder schreibst du lieber deine Texte alleine, während die Jungs den Sound einspielen?

Wir haben in deren Studio gemeinsam geschrieben. Erst immer schön gefrühstückt, dann die Texte geschrieben und die Musik zusammen fertig gemacht und dann habe ich abends eingesungen. So ging das dann zwei bis drei Wochen lang.

"Das, was ich als Makel habe, drehe ich einfach um"

Welche Bands oder welche Sounds haben dich musikalisch zu "Wahrscheinlich Nie Wieder Vielleicht" inspiriert?

Wir hatten alle Bock auf den 90er-Jahre Grunge-Sound, das war die Ursprungsidee. Wir wollten so ein bisschen den Style von Nirvana fahren. Dann hatte ich mal Bock auf eine Ballade, mal auf was Ruhiges, dann wieder ein bisschen härter, dann bock auf Message, Bock auf Emotionen ... Dann ist das auf einmal relativ abwechslungsreich geworden. Das war dann plötzlich ein Potpourri aus handgemachtem Musikarten. Ein bisschen Metal, ein bisschen Grunge, ein bisschen Pop, ein bisschen Poprock, ein bisschen Punk, ein bisschen Punkrock. Madsen und ich haben da natürlich auch so Bands wie Rage Against The Machine, Beastie Boys, The Ramones, Die Ärzte, oder Die Toten Hosen Tribut gezollt. Das steckt alles mit drin, weil wir damit auch groß geworden sind.

Inhaltlich klingt "Wahrscheinlich Nie Wieder Vielleicht" einerseits düster, andererseits aber auch hoffnungsvoll und Mut machend. Was war deine Intention dahinter?

Wir sind völlig unverkopft daran gegangen. Wir haben nicht gesagt, dass das jetzt einen roten Faden haben muss. Wir haben auch nicht daran gedacht, dass das jetzt düster oder hoffnungsvoll sein muss. Wir haben einfach aus einem Gefühl heraus Thematiken bearbeitet. Wenn man jetzt länger daran arbeitet, ist auch alles sehr subjektiv. Das heißt, ich kann gar nicht sagen, wie die Wahrnehmung da draußen sein wird. Ich weiß nur, dass ich musikalisch bei mir selbst angekommen bin. Ich habe mich getraut, über mein Image und meinen Schatten hinweg zu springen, um einfach nur Musik zu machen.

Der Album-Opener heißt "Allianz Der Außenseiter". Warum zählst du dich da dazu?

Das war bei mir so, ist so und bleibt auch so. Ich war schon bei der Mongo Clikke oder der Klasse von 95 immer der Freak. Ich sah schon immer ein bisschen anders aus, bin aber eigentlich total der liebe Kerl. Deswegen hat man mich auch immer anders behandelt. Und weil man mich anders behandelt hat, habe ich auch meine Macken teilweise entwickelt und rausgelassen. Aber so ist es halt einfach. Ich habe kein Problem damit, ein Außenseiter zu sein. Das bin ich lieber als einer von vielen, der in der Masse untertaucht und den man nicht wiedererkennt. Das, was ich als Makel habe, drehe ich einfach um und gehe damit progressiv nach draußen.

Der Track "Wahrscheinlich Nie Wieder Vielleicht" beschäftigt sich parallel dazu mit den unerschöpflichen Möglichkeiten, die jeder heutzutage hat, und dem schwierigen Prozess von Entscheidungen. Wie triffst du heutzutage Entscheidungen?

Das ist eigentlich eine sehr gute Frage. Ich bin auch noch Sternzeichen Waage und man sagt ja, dass Waagen ein Defizit in der Entscheidungsfindung haben. Trotzdem bin ich aufgrund meiner Situation gezwungen, Entscheidungen zu treffen und das ist immer verschieden. Manchmal kommen sie aus dem Bauch heraus und erweisen sich als richtig. Manchmal stellen sie sich aber auch als falsch heraus. Genauso gut kann es mir aber passieren, dass wenn ich länger über eine Entscheidung nachdenke, dennoch die falsche treffe. Natürlich treffe ich meine Entscheidungen – vor allem im Hinblick auf meine Familie – in diesem Lebensabschnitt wesentlich bewusster, als noch vor 20 Jahren, wo ich mich täglich weggeballert habe. Da war mir das egal, da habe ich auch ganz oft andere für mich die Entscheidungen treffen lassen.

Aus dem Track "Für Deutschland Reicht's" lese ich heraus, dass wir mit einigen Dingen hier sehr zufrieden sein können. Allerdings auch, dass wir in diesem Land viel fortschrittlicher sein oder leben könnten.

Ja. Digital gesehen sagt man ja, dass Deutschland schon Dritte-Welt- Land ist. Obwohl wir einfach viele Erste-Welt-Probleme haben, die auch total belastend sind. Aber der Song ist eigentlich ein Fun-Punk-Song. Ich habe natürlich eher die kreative Seite von manchen Leuten beleuchtet wo man sich so fragt, mit was für einem Billo-Song oder Schauspiel kommst du denn an den Start? Aber für Deutschland reicht's eben. So war es gedacht. Der Song bietet natürlich viele Interpretationsmöglichkeiten. Da haben wir, glaube ich, mit dem Video auch visuell nochmal eine weitere Ebene reingebracht.

Was muss sich denn in Deutschland unbedingt ändern?

Der 5G-Ausbau sollte schneller voranschreiten, als er es eigentlich tut. Ansonsten überlasse ich sowas aber gerne anderen Menschen. Ich bin kein Politiker. Ich beschwere mich zwar gerne mal über Sachen, habe aber nicht unbedingt die Lösung am Start.

In "Shitstorm" drehst du auf gewisse Art und Weise den Song "Kill Kill Kill" von "Glück Ohne Scherben" weiter. Damals sprachst du davon, dass du den Leuten Handy und Internet wegnehmen willst. Jetzt geht es um mehr oder weniger anonyme Kommentare im Netz. Was kann man gegen diese ganzen Internet-Trolle tun?

Wenn es mir zu bunt wird, dann blocke ich die Leute einfach. Was ich sowieso nicht verstehe: das sind ja nicht nur junge Leute, sondern auch über 30-Jährige. Dass die das Gefühl und das Verlangen haben, bei irgendeinem Künstler ihren Frust loszulassen und den damit zu verletzen ... Das kann vielleicht bei einem 11-jährigen Kind in der Schule funktionieren, aber bei so alten Männern wie mir frage ich mich echt: was denken sich die Leute, was das bei mir auslöst? Ich lasse das nicht an mich ran. Vor fünf bis sechs Jahren habe ich mich noch davon beeinflussen lassen, aber irgendwann lernt man damit umzugehen und merkt, wie armselig diese Menschen eigentlich sind, die das tun.

Auf der Platte geht es ja auch brachialer zu, teilweise mit wildem Geschrei. Dient dir Rockmusik nochmal als ein besonderes neues Vehikel, um deine Aggressionen abzubauen?

Im Prinzip schon. Das macht vor allen Dingen tierisch Spaß, weil das einfach Sachen sind, die zur Rockmusik passen. Das kannte ich von Rap jetzt nicht so. Ich habe es ja schon so Punk-Rap mäßig angelegt auf meinen Scheiben. Aber dann ist man da trotzdem ein wenig limitiert. Und auch emotional ist man ein wenig limitierter als in der Rockmusik, habe ich persönlich das Gefühl. Bei Rap ist das noch ein bisschen komplizierter. Wäre zwar vielleicht der neue Style, aber ich war nicht gewillt, das zu machen, weil dann wäre es wieder meiner Meinung nach in zu viel Arbeit ausgeartet und zu verkopft gewesen. So wie es jetzt gekommen ist, hat es mir einfach mehr Spaß gemacht, als jetzt das neueste Wortspiel zu finden. Mir war die gesamte Message wichtig, der Song muss rund sein und es muss ein Gefühl dabei rüberkommen. Ich hoffe, dass das irgendwie rüberkommt und wertgeschätzt wird. Natürlich nicht von den Hip Hop-Nazis, die von mir die ganze Zeit den alten Ferris verlangen. Aber da habe ich halt keinen Bock mehr drauf.

"Die deutschen Rapstars von heute sind das für die kleinen Jungs, was früher die Boybands für die kleinen Mädchen waren."

Ein Begriff, den man schon seit Beginn deiner Karriere mit dir assoziiert ist "Reimemonster". Du und Afrob habt euch damals so bezeichnet, um damit auszudrücken, dass im Hip Hop kein Weg an euch vorbei geht. Was müsstest du jetzt als "Rockmonster" mitbringen, um zu verdeutlichen, dass du grade der Angesagteste bist?

Ich glaube, die Attitüde ist eigentlich dieselbe wie früher. Die wird einem vielleicht nicht unbedingt in die Wiege gelegt, aber in die Wiege des Lebenslaufs. Und aus meinem Lebenslauf hat sich das dann eben so entwickelt. Ich muss – auch wenn ich in den letzten Jahrzehnten vielleicht Hip Hop mitgeprägt habe – aber ehrlich sagen, dass ich nie irgendeiner Szene angehört habe. Ich habe einfach Musik gemacht. In Deutschland habe ich schon das Gefühl, dass man immer Rechenschaft für irgendwas ablegen muss, anstatt zu genießen, was man da macht.

Du hast ja eben schon gesagt, dass du kein Bock mehr auf das Rap-Ding hast. Ist das diesmal wirklich endgültig?

Diesmal für immer, wie die letzten Male auch schon (lacht). Also wenn ich nochmal rappen sollte, dann eher so, wie auf dem Song "Niemandsland" auf meinem neuen Album jetzt. Da geht es so ein bisschen "crossoviger" zu. Das ist vergleichbar mit Linkin Park, die ja auch Gesang mit Rap kombiniert haben. Aber so wie Deutschrap momentan ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich diesen Schritt nochmal zurückgehen möchte, weil ich es einfach nicht fühle. Deutschrap 2019 ist einfach sehr jugendlastig. Die deutschen Rapstars von heute sind das für die kleinen Jungs, was früher die Boybands für die kleinen Mädchen waren.

Welcher Rapper könnte dich nochmal von einem Comeback überzeugen?

Keiner. Ich habe auch keinen Bock mehr auf dieses Battleding. Das ist nur eine einzige Emotion und ich will einfach mehr zeigen.

Gibt es im norddeutschen Raum eigentlich eine Art Musikertreff mit alten Rap-Kollegen?

Nicht von meiner Seite aus. Ich habe meine eigene Familie hier und die anderen waren für einen gewissen Weg Familienersatz, hat man gedacht. Aber das ist alles mehr Schein als Sein. So buddymäßig, wie du beispielsweise mit jemanden in der Schule bist, waren wir dann doch nicht.

Du bist ja auch als Schauspieler sehr aktiv. Was fällt dir eigentlich leichter? Texte zu schreiben oder Texte auswendig zu lernen?

Texte auswendig lernen ist wesentlich leichter und macht mehr Spaß.
Da musst du nicht wirklich kreativ sein. Du musst nichts erschaffen. Wenn du schreibst, erschaffst du was, was Hand und Fuß haben muss. Das dauert teilweise richtig lange. Früher als ich noch gekifft habe, hat mir das Texteschreiben natürlich auch viel Spaß gemacht.

Welche Filmprojekte stehen bei dir in Zukunft an?

Es gibt einige Ideen, ich muss hier und da zum Casting. Es ist aber noch nichts wirklich spruchreif. Wir wissen auch noch nicht, wie es mit einer dritten Staffel von "Blockbustaz" aussieht.

Die Serie identifiziert sich auf einer gewissen Ebene ja schon stark mit der Hip Hop-Kultur- und Lebensform. Könnte so eine Serie auch in einem Rock-Musik-Milieu stattfinden?

Das ist schwierig, glaube ich. "Blockbustaz" bedient schon ein gewisses Klischee, was Ekos und meine Rolle angeht. Es würde bestimmt gehen, aber es ist halt gang und gebe, dass die Hip Hopper meistens aus dem Block oder dem Hochhaus kommen.

Wo hängen die so ab?

Das weiß ich nicht, ich gehöre ja keiner Szene an. Ich glaube, viele Punker kommen aus gut betuchten Familien und wollen einfach rebellieren.

Im letzten Interview mit laut.de vor knapp vier Jahren hast du gesagt, dass du dich mit 41 viel fitter fühlst als mit 25. Wie sieht dein Fitnesslevel anno 2019 aus?

Das hängt bei mir immer von der Ernährung ab. Momentan fühle ich mich wieder fit, weil ich mich jetzt vegan ernähre. Aber es gab Phasen mit 42 und 43 wo ich gedacht habe: jetzt geht's nur noch bergab. Das lag einzig und allein an der Ernährung. Jetzt ernähre ich mich aber gut und fühle mich verjüngt.

Das heißt, wir können uns auf eine wilde Tour von dir freuen?

Erstmal spiele ich als Support-Act bei der Madsen-Tour. Dann stehen natürlich die zwei Releaseshows zu meiner Platte in Hamburg und in Bremen an und im Sommer wahrscheinlich das ein oder andere Festival.

Eine letzte Frage hätte ich noch: Was hältst du eigentlich von Paris Hilton?

Über die habe ich mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken gemacht. Das ist ja so die Gossip-Abteilung, damit beschäftige ich mich gar nicht. Der Name "Ferris Hilton" ist nur aufgrund des lustigen Wortspiels entstanden.

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