17. Oktober 2018

"Wenn alle die gleiche Meinung haben, kommst du nicht voran!"

Interview geführt von

Sofatalk mit den Farmer Boys, der Band, die freitags nicht kann. Es geht um Zeitpläne, Farbenzwerge, die Freiwillige Feuerwehr und Yoga ... da ist doch Alkohol im Spiel! Es geht aber auch um lange Auszeiten, Kooperation und Zusammenhalt und den Unterschied zwischen Melancholie und Verzweiflung.

Es gibt sie noch, die außergewöhnlichen Interviews. Wobei "absurd" auch durchaus passend wäre. Oder "verstrahlt"? Oder doch eher "verwirrend"? "Themenspezifisch und dabei doch am eigentlichen Thema vorbei"? Aber irgendwie hab' ich von den beiden Stuttgartern gar nichts anderes erwartet. Unterhaltsam war es auf jeden Fall.

Mir sitzen Sänger Matthias Sayer und Gitarrist Alex Scholpp nach der Listening-Session im Nuclear Blast Headquarter in einer gemütlichen Sofaecke gegenüber und sind ausgesprochen redseliger Laune. Was so seine Tücken hat: Eigentlich sollte es um das am 2. November erscheinende Album "Born Again" gehen.

So, Alex, wir zwei kennen uns ja jetzt schon 'ne ganze Zeit lang, aber wer ist der nette hasenzüchtende Onkel neben dir?

Matze: Ich züchte gar keine Hasen, ich hab' nur welche. Aber weißt du, wer Hasen züchtet? Der Sänger von Bläck Fööss.

Faszinierend.

Alex: Der ehemalige Faith No More-Gitarrist Jim Martin züchtet jetzt Kürbisse und hat damit auch schon Preise gewonnen.

Das ist eines der sinnlosesten Gespräche, die ich je geführt habe. (Alle lachen. Währenddessen googelt Matze ernsthaft nach Bläck Fööss und Hasenzüchtern.)

Alex: Beim Eddy musst du ein bisschen aufpassen, was du sagst. Der schreibt das alles auch so, wie wir hier labern. Der hat mal 'ne Überschrift platziert, da klingelte anschließend das Telefon und Stuttgarter Hofbräu wollten wissen, was man uns denn getan hätte, dass man so negativ über deren Bier herzieht.

Matze zeigt sich wenig beeindruckt und referiert lieber über das Züchterporträt auf kleintiernews.de.

Alex, wusstest du, dass der Kerl so komisch mit seinen Hasen drauf ist, als du das Album mit ihm aufgenommen hast?

Matze: A, wa! Als ich den Hasen aufgenommen hab', war das Album schon fertig. Ich hab' jetzt daheim zwei Farbenzwerge. Das sind ganz tolle Tiere. Der eine liegt immer unten auf dem Teppich und schaut auch mit fern. Aber jetzt sind sie auch viel draußen.

Bin ich falsch abgebogen? Ich wollte eigentlich ein Interview mit Farmer Boys über deren neues Album machen. Das klingt grade eher nach einem, der auf 'nem Acid-Trip ist.

Alex: Dann stell doch mal 'ne Frage.

Wie denn? Der eine faselt von Farbenzwergen und der andere von Kürbiszüchtern. Aber ich versuchs: Wer von euch beiden kam zu der Entscheidung: "Jetzt oder nie?"

Alex: Diesen Moment hatten wir schon recht früh. Allerdings hat er sich jetzt über 14 Jahre hingezogen (lacht). Wir haben ja zwischendrin alle paar Jahre immer mal wieder 'nen Gig gespielt und uns dadurch eigentlich nie aus den Augen verloren. Zwischendrin hat jeder von uns, wie du ja weißt, immer wieder andere Sachen gemacht. Wir haben in der Zeit aber auch ein paar Songs entwickelt und damals sogar mit unserem alten Drummer Till und Keyboarder Dennis noch dran gearbeitet. Damit haben wir wieder angefangen. Wir hätten das auch gern so aufgezogen, aber Till und Dennis machen keine Musik mehr. So mussten wir uns erst wieder neu aufstellen. Das hat dann eben ein bisschen gedauert. Irgendwann hatten wir fünf, sechs neue Songs und haben uns überlegt, wie wir weiter machen. Also sind wir erst mal wieder raus und haben live gespielt, und zwar ohne überhaupt zu wissen, ob das noch jemanden interessiert und ob da irgendjemand auftaucht. Dass das Feedback letztendlich so enorm positiv ausfallen würde, hat uns selbst überrascht. Aber damit waren wir dann auch in Zugzwang, endlich ein neues Album zu machen.

Matze: Ich hab neulich in meine Files reingeschaut. Das erste war, glaube ich, von 2014. Seitdem sind wir da ernsthaft dran. Zwischen Alex und mir herrschte eigentlich schon immer die Übereinstimmung, dass wir nochmal was machen müssen. Allerdings gab es dann immer irgendwas, das dazwischen kam oder einfach als Grund herhalten musste, um das wieder zu verschieben. Aber irgendwann gab es keine Ausreden mehr, und wir haben einfach angefangen. Kaum waren wir dran, lief der Rest. Ich will jetzt nicht sagen, wie von allein, aber es lief und fühlte sich einfach geil an. Es muss erst was passieren, das dich in die Pflicht nimmt. Ansonsten bist du einer von den Typen, die 15 Jahre an irgendwas arbeiten, und dann wird es doch nicht veröffentlicht, weil du stirbst. Und erst 5.000 Jahre später taucht es auf, und jeder fragt sich, warum das nie veröffentlicht wurde.

Alex: Sowas wie "jetzt oder nie" gab es bei uns eigentlich nicht. Ein paar Gigs spielen und 'ne Kiste Bier trinken können wir auch, ohne ein Album zu veröffentlichen. Nur, WENN wir was machen, dann wollen wir es auch RICHTIG machen.

Matze: Genau. Entsprechend haben wir uns dann wirklich mal auf den Arsch gesetzt und uns gefragt: Wie klingen Farmer Boys 2017/18 eigentlich? Wofür stehen wir? Dann fängst du an zu schreiben und merkst nach und nach, dass sich das vollkommen natürlich entwickelt und du dir eigentlich gar keine großen Gedanken über Richtung und Stil machen musst. Klar waren da auch ein paar Sachen dabei, die es letztendlich nicht auf das Album geschafft haben, weil sie zu weit von unserem Sound weg waren. Aber wir haben uns ganz schnell unglaublich wohl in dieser produktiven Phase gefühlt. Als uns Markus Staiger und der Wossi (Markus Wosgien) von Nuclear Blast besucht haben und bereits einen Plattenvertrag dabei hatten, war das auch emotional noch einmal ein ordentlicher Push. Dass die so an uns als Band glauben, gibt nochmal einen Extra-Kick. Aber natürlich auch die klare Ansage: "Jetzt kommt mal ausm Quark und macht das Album klar."

"Samstags ist Schützenverein, deswegen spielen wir freitags keine Gigs"

Matze, du warst in den letzten 14 Jahren nicht gerade faul und hast weiterhin Musik gemacht.

Matze: Während Alex weitgehend in unterschiedlichen Band-Umfeldern unterwegs war, hab' ich primär im Bereich Filmmusik gearbeitet. Für mich hat sich das richtig komisch angefühlt, als ich in Nashville mal mit ein paar Typen auf Songwriter-Sessions Musik geschrieben habe, also auch wieder so eine Art Bandumfeld hatte. Das war für mich echt strange. Da bist du mit wildfremden Menschen zusammen, zu denen dir komplett der Zugang fehlt, und arbeitest mit denen an Songs. Das klappt zwar schon irgendwie, aber du baust einfach nie auch nur ansatzweise die Verbindung auf, wie sie zwischen Alex und mir existiert. Wir kennen uns einfach in- und auswendig.

Alex: Wir haben mit 18 oder 19 angefangen, zusammen Musik zu machen, und das hat einfach von Anfang an super funktioniert.

Matze: Als wir damals zusammen in den USA waren, war er noch nicht mal 21, weswegen ich seine Drinks bestellen musste. Das ist wie in einer Familie, und ich muss ehrlich sagen, dass ich mich stellenweise gefragt habe: "Warum habe ich darauf eigentlich so lange verzichtet?" Klar, ich mach' meine Filmmusik auch zusammen mit Tim Ströbele (Cellist), zu dem ich ein gewisses Vertrauensverhältnis habe, aber er kommt letztendlich doch aus einer ganz anderen Welt. Wenn ich mit Alex Musik mache, dann ist das einfach 'ne ganz eigene Nummer. Wir kommen aus der gleichen Welt, standen auf den gleichen Bühnen und haben viele gleiche Erfahrungen gemacht.

Ist es mittlerweile ein relaxterer Umgang miteinander, wenn ihr an Songs arbeitet?

Alex: Ja, auf jeden Fall. Durch die Erfahrung auch deutlich offener. Früher, mit 19 oder 20, konnte nicht einfach einer ankommen und sagen: "Das Riff ist jetzt mal richtig Scheiße!" Da war man gleich beleidigt und dachte sich: "Was 'n Wichser."

Matze: Heute sagt man das aber auch nicht mehr so krass.

Alex: Doch, eigentlich schon (lacht). Aber heute gibt es dann kein Rumgezicke mehr, sondern dann packt man einfach was anderes an.

Matze: Entweder das, oder man ist heutzutage einfach offener und hat eine ganz andere Bereitschaft, sich auf die Ideen des anderen einzulassen. "Promises" war zum Beispiel so eine Nummer, von der ich erst mal nicht überzeugt war. Aber Alex hat absolut Recht gehabt, da drauf zu beharren, und jetzt ist ein geiler Song draus geworden. Wobei das jetzt nicht heißt, dass deswegen beim Songwriting keine Spannung mehr entstehen würde. Die brauchst du einfach, denn daraus entsteht die Energie. Wenn alle die gleiche Meinung haben, kommst du nicht von der Stelle und entwickelst dich nicht weiter. Ich hab' das bei vielen andere Projekten gemerkt, dass mir der Gegenpart gefehlt hat, den ich in Alex habe. Ich hab' das erst im Laufe der Zeit richtig zu schätzen gelernt. Wenn du 'ne Frau daheim hast, die dauernd nur mault, du sollst die Füße da runter tun, nicht so viel trinken und was weiß ich was, dann nervt das nur. Aber in kreativer Hinsicht bringt dich sowas echt weiter.

Ich seh' schon, du bist der Familienmensch in der Band.

Matze: Ja, bin ich. Absolut.

Mit zwei Farbenzwergen geht das ja kaum anders. Wie sind eure Erwartungen an das Album und die Band?

Alex: Von Erwartungen würde ich da eigentlich gar nicht sprechen. Wir genießen die Zeit zusammen, freuen uns über jeden Erfolg, der kommt, egal, wie klein, und dann sehen wir weiter.

Matze: Man macht ja kein Album nur fürs eigene Ego, das dann keiner hören soll.

Manchmal wünscht man sich das aber schon.

Alex: Das stimmt allerdings (lacht). Und wir müssen schon schauen, wie wir uns koordinieren. Mittwochs hat Matze den Kleintierzuchtverein und Freitag Freiwillige Feuerwehr.

Matze: Genau, und samstags ist Schützenverein. Deswegen können wir freitags keine Gigs spielen.

Alex: Und unser Keyboarder hat dienstags Yoga, deswegen spielen wir nur montags und mittwochs. Aber sonst halten wir uns alles offen.

Und sonntags bist du mit Bläck Fööss beim Hasenzüchten.

Alex: Ich sehs schon vor mir. Das wird die Überschrift zu dem Interview. Irgendwas mit Farbenzwergen.

Matze: Der Farbenzwerg ist mir an Heilige Drei Könige zugelaufen. Das kannst du gern schreiben.

"Man wacht ja nicht jeden Morgen auf und hat automatisch gute Laune"

Mach' ich, aber mal im Ernst: Da fragt doch jeder, auf was für Drogen wir hier sind. Das klingt doch nach 'nem ganz üblen LSD-Trip. Mein Freund Harvey, der unsichtbare Hase. Ich warte eigentlich nur noch auf den Hidden Track für Hasenfreunde.

Alex: Darauf läufts vermutlich raus. Aber um auf deine Frage zurück zu kommen: Wir bringen das Album jetzt raus und freuen uns auf die anstehenden Gigs. Wir wollen so viel wie möglich live spielen, und natürlich haben wir auch vor, ein weiteres Album zu machen. Der Plan ist jedenfalls nicht, sich einfach so wieder für 14 Jahre zu verabschieden.

Matze: Ein finanzielles Kalkül steckt da jedenfalls nicht dahinter. Sonst hätten wir ja gleich nach "The Other Side" nachlegen müssen.

Alex: Genau, um dieses Argument zu entkräften, haben wir extra 14 Jahre gewartet (alle lachen).

Ich hatte mit meiner Frage auch eher auf das familiäre Umfeld und entsprechende Verpflichtungen abgezielt.

Matze: Na, Alex und ich sind beide selbstständig, da kann man sich die Zeit doch ganz gut einteilen. Es muss ja keiner von irgendwas Urlaub nehmen. Okay, ich hatte parallel jetzt noch eine Filmmusik-Produktion laufen, da wurde das stellenweise etwas eng. Dann muss das eine eben mal ein wenig zurückstecken. Aber familiär gesehen, stehen unsere Frauen voll hinter dem, was wir hier mit den Farmer Boys aufziehen. Mein Sohn ist jetzt fünf Jahre alt, meine Frau arbeitet auf Teilzeit. Klar, da muss man sich organisieren. Klar, wenn man Dave Grohl heißt, ist sowas 'ne Nummer einfacher. Aber wenn wir mit der Band jetzt einigermaßen erfolgreich werden, wird sich meine Frau vermutlich auch nicht drüber beschweren. Alex und ich sind ja mit Menschen liiert, die jetzt nicht die Katze im Sack gekauft haben. Die wussten durchaus, welche Rolle Musik in unserem Leben einnimmt.

Alex: Das kann ich nur bestätigen. Bei mir war es sogar so, dass ich letztes Jahr zum ersten Mal fünf Monate am Stück wirklich daheim war. Irgendwann meinte sie nur: "Sag mal, wie siehts denn aus. Hast du nicht irgendwann mal wieder 'ne Tour, die du spielen musst?" (Lacht)

Kommen dann auch so subtile Hinweise wie ein ausgewechseltes Türschloss vor?

Alex: So weit waren wir noch nicht, aber: wer weiß?

Matze: Aber das ist ja nicht nur in der Musik so. Wenn ich da meinen Bekanntenkreis zum Beispiel nehme: Wenn du in der Automobilbranche eine gewisse Position erreicht hast, bist du quasi ständig weg und unterwegs.

Wenn wir deine Leidenschaft für Hasen mal außen vor lassen: Wie hat sich deine Herangehensweise als Texter verändert?

Matze: Hm, schwierig. Ich denke, die Texte auf dem Album sind recht düster.

Na, so wirklich lebensfroh waren sie eigentlich noch nie.

Alex: Jetzt Moment mal. Wir haben uns, was die Texte angeht, recht viel darüber unterhalten und auch da eng zusammengearbeitet. Die Thematiken sind durchaus düster, aber Songs wie "Tears Of Joy" oder "Stars" haben definitiv eine positive Message. Das sind dann auch gern Situationen, die wir selber erlebt haben und die wir positiv aufarbeiten. Ich würde sogar sagen, dass alle Songs diesen Hoffnungsschimmer in sich tragen. Sind sie melancholisch? Auf jeden Fall. Aber Melancholie bedeutet ja nicht Trauer oder Verzweiflung.

Matze: Und auf keinen Fall Hass. Es ist so eine bitter-süße Grundstimmung, die sich durch alle Songs zieht. Jeder kennt diese Unsicherheiten, die man im Leben spürt. Egal, in welchen Belangen.

Alex: Man wacht ja nicht jeden Morgen auf und hat automatisch gute Laune. Jeder hat mit seinen eigenen Dämonen und Unsicherheiten zu kämpfen. Egal, ob das Erfahrungen sind, die einen nachdenklich stimmen, oder das, was man in den Nachrichten mitbekommt.

Matze: Alex und ich unterhalten uns viel über Zeitgeschehen und Politik. Da macht man sich schon Gedanken, wenn man, wie wir, in Zeiten des Kalten Krieges aufgewachsen ist, wo quasi eine ständige Bedrohung in der Luft hing. Aber wenn man aus heutiger Sicht darauf zurückblickt, erscheint einem diese Zeit fast sicherer als heute. Das ist schon schräg. Und sowas spielt sich dann eben in unseren Texten. Aber grundsätzlich würde ich auch sagen, dass unsere Texte lebensbejahend sind.

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