15. November 2016

"Wir Menschen haben die Harmonie verloren"

Interview geführt von

Mit ihrem dritten Album "Two Vines" reduzieren die beiden Australier von Empire Of The Sun ihren Hang zur musikalischen Zuckerglasur und überzeugen mit versöhnlichen Melodien und zurückhaltenden Beats.

Wir sprechen mit Nick Littlemore, dem Creative Mind der Band, über seine Faszination für den Schwarzwald, die Produktion der Platte, seine Intentionen dahinter, sein neues Projekt und seine Liebe für deutsche Musik.

Hey Nick! Schön, dass es geklappt hat mit dem Interview.

Wo sitzt du denn gerade in Deutschland, Johannes?

In Süddeutschland.

Und in welcher Stadt genau?

In Konstanz am Bodensee.

Ah okay, das kenne ich nicht. Ich bin noch nicht so viel herum gekommen in Deutschland. Ich war in Berlin und in Zürich in der Schweiz, aber das war es dann auch. Ich würde liebend gerne Zeit im Schwarzwald verbringen.

Im Schwarzwald? Dort lebe ich sogar.

Ernsthaft? Ach, ich beneide dich. Wie wundervoll die Spaziergänge dort sein müssen.

Ja es ist wirklich zauberhaft. Speziell wenn man auf die Berge geht und man bei guten Sichtverhältnissen bis nach Frankreich schauen kann.

Darauf wette ich. Ich habe viel gelesen über die biologischen Vorgänge im Schwarzwald und ich kann mir vorstellen, speziell jetzt zur herbstlichen Zeit, wie viel Natur vor unseren Augen zum Vorschein kommt, wie zum Beispiel seltene Pilze.

Absolut. Im Schwarzwald gibt es viele geschützte Gebiete wie das Hochmoor, damit sich die Natur wieder von alleine regenerieren kann.

Ich würde wirklich gerne dort mal laufen gehen, weil meine Stiefgroßmutter hat mir oft Geschichten erzählt und ich habe Bücher darüber gelesen. Sogar für einen Hobby-Mikrobiologen wie mich ist es faszinierend zu sehen, wie viel man aus der Natur lesen kann, wie viel Bäume über die Geschichte erzählen.

"Es war nicht mein liebstes Album und der Produktionsprozess war aus meiner Sicht kontraintuitiv."

Lass uns trotzdem mal über euer neues Album "Two Vines" reden. Gab es Unterschiede beim Produzieren der Platte im Vergleich zu den Vorgängeralben?

Definitiv, speziell für mich. Beim zweiten Album "Ice On The Dune" hatte ich das Gefühl, dass ich den Zugang verloren habe. Es war nicht mein liebstes Album und der Produktionsprozess war aus meiner Sicht kontraintuitiv. Wir haben nicht das gemacht, was wir eigentlich versucht haben zu tun. Wir haben die Idee der Sympathie verfolgt, aber die Umsetzung war fehlerhaft. Bei "Two Vines" hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass wir genau das erreicht haben, was wir uns vorgestellt hatten. Mein Ansatz war: Die Drums runterzufahren und die Musik in den Vordergrund zu stellen und auf Harmonien, Lyrics und Instrumente zu konzentrieren. Das Ziel war etwas zu kreieren, das genauso wunderschön ist wie die Natur selbst. Natürlich verwenden wir Technologie, aber wir haben viel mit Instrumenten und echten Musikern gearbeitet. In dieser Welt gibt es so viel Bezauberndes, so viel Majestätisches, so viel Magisches und dies alles wollte ich auf diese Platte bringen. Ich glaube an Tracks wie "To Her Door" oder "Two Vines", die dies transportieren. "Keystone" ist aber mein Lieblingssong. Ich bin sehr stolz auf das Album und auf dem letzten gab es schon den Song "I'll Be Around", der auch diese Erhabenheit hatte.

Stimmt, den Song mag ich auch sehr, weil er so ein Gefühl der Umarmung vermittelt. Wenn man den Song hört, fühlt man sich gut danach.

Ja genau. Ich möchte Musik machen, sodass sich Leute gut fühlen. Musiker können nicht viel tun, damit sich die Welt ändert. Aber was wir tun können, ist sehr wichtig. Ich bekomme jeden Tag unzählige E-Mails von Menschen, denen unsere Musik geholfen hat, vor allem in schwierigen Zeiten. Egal ob es um Krankheit, Schule, Familie oder dergleichen geht, die Musik hilft überall. Wenn wir Musik machen, die Menschen glücklich macht und die sie in einer erhebenden Richtung verändert, dann glaube ich, dass wir unseren Job erledigt haben.

Ich hatte die Gelegenheit das ganze Album vorab zu hören und ich hatte genau dieses Gefühl, das du beschrieben hast. Es hat diesen versöhnlichen Vibe, der den Menschen in Not Trost spendet.

Das liegt glaube ich an der Stimme von Luke Steele. Als ich Luke vor etlichen Jahren kennen gelernt habe, sah ich etwas in seiner Stimme, für das ich Melodien schreiben wollte. Es ist ein Instrument, welches ich noch nie zuvor gehört habe. Seine Stimme besitzt eine gewisse Transzendenz und ich schätze mich sehr glücklich, dass ich für so jemanden Melodien komponieren und Lyrics schreiben darf. Seine Stimme wollen Leute überall auf der Welt hören, so etwas wie ein Prophet in alten Zeiten.

Apropos Luke: gibt eigentlich eine klassische Rollenverteilung, wenn ihr beide ein Album produziert? Nach dem Schema 'du machst das' und 'Luke macht jenes'?

Ja so kann man das sagen. Luke singt immer, ich singe oftmals auf den Demo-Songs und bei vielen Liedern hört man meine Backvocals, wie in "Welcome To My Life". Wenn wir etwas anfangen, versuchen wir verschiedene Dinge auszuloten und ich habe diese seltsame Gabe, dass das kosmische Bewusstsein, wenn du so willst, durch mich hindurch fliest und ich daraus dann Melodien und Texte erschaffe. Ich weiß nicht warum das so ist, aber es passiert einfach.

Als ich dieses Projekt Empire Of The Sun gegründet habe, wollte ich etwas Farbenfrohes machen. Natürlich hatte ich schon Erfolg mit meiner anderen Band Pnau, aber etwas Neues und Frisches zu machen war einfach wichtig für mich. Wenn man das Wissen aus zehn Jahren Musikmachen besitzt, fängt man an gewisse Dinge anders anzufangen. Für Luke wollte ich ein neues Terrain schaffen und auch das Kennenlernen war ein Abenteuer. Wir kommen aus total unterschiedlichen Welten.

Was meinst du genau mit 'Welten'?

Musikalische Welten im Grunde. Lukes Band The Sleepy Jackson ist eher im Cyberpunk / Industrialrock zu verorten und ich habe viel belgischen und deutschen Trance und Techno gehört. Ich war ein wenig verrückt nach dem deutschen DJ Thomas P. Heckmann, seine Musik hat mich stark beeinflusst. Genau dieser Clash der unterschiedlichen Welten, dieses interdisziplinäre Zusammentreffen, war der Anlass, etwas völlig Neues zu kreieren. Seinen Puls hat es vor allem auf dem Dancefloor und dies hat seine Ursprünge in Deutschland. Eine Band wie Kraftwerk hat einen Platz in meinem Herzen und damit bin ich aufgewachsen. Auch der wundervoll inspirierende Sound von Tangerine Dream hat mich maßgeblich beeinflusst, Die Krupps waren ebenfalls toll.

Ich habe mir die Lyrics von "High And Low" näher angeschaut und da gibt es die Zeile 'Alice D, you're on your way up'. Steht das für die Droge LSD oder geht es tatsächlich um ein Mädchen namens Alice D? Oder ist es doppeldeutig gemeint?

Es ist alles von allem, würde ich sagen. Es gab wirklich ein Mädchen namens Alice, mit ihr bin ich auf Raveparties gegangen, so mit 14 oder 15 Jahren. Das waren Parties in Häusern in seltsamen Gegenden von Sydney und da gab es Leute mit bemalten Gesichtern, die bis zum Morgengrauen getanzt haben. Dort liegen wahrscheinlich auch meine musikalischen Anfänge, dass ich zu elektronischer Musik getanzt habe. Und klar, man transzendiert dann diese Realtität auf eine Realität, die weit weg ist.

Ja, Alice war eine Freundin von mir und war die feste Freundin von einem Highschool-Kollegen, sie war ein wildes Kind. Sie hatte immer Elixiere und Tränke in ihrer Tasche, diese hat sie auch mit anderen geteilt und wir sind zu wundersamen Plätzen gegangen. Dies war ein Teil meiner Jugend. Viele Songs thematisieren Dinge aus meiner Vergangenheit, an die ich Erinnerungen besitze. Ich sehe oftmals zu meiner Kindheit zurück und in Lukes Stimme fand ich eine kindliche Qualität, eine Unschuld und daher liebe ich es, diese Dinge zusammenzubringen und daraus Musik zu machen.

Da gibt es natürlich noch die Konnotationen des Beatles Songs "Lucy In The Sky With Diamonds" und die Mitglieder haben immer gesagt, es gab tatsächlich ein Mädchen namens Lucy und in unserem Song geht es wirklich um ein Mädchen namens Alice.

Im Song "First Crush" hört man ein Mädchen, das einige Zeilen auf Japanisch flüstert. Weißt du zufällig, was sie da sagt?

Nein, leider nicht. Luke war sehr aufgeregt. Sie ist ein Bodyboard-Champion von Hawaii und Luke war sehr von ihr beeindruckt. Ich habe sie letztlich nie getroffen, weil ich anderweitig beschäftigt war, aber Luke fand ihre Stimme toll und hat sie auf den Track genommen. Ich habe jedoch nie herausgefunden, was sie sagt. Vielleicht kann jemand den Text irgendwann übersetzen.

"Wir Menschen haben die Harmonie verloren."

Auf den letzten beiden Alben gab es die Instrumental-Songs "Country" und "Old Flavours". Warum fehlt solch ein Song auf "Two Vines"?

Der Song "To Her Door", den wir mit Lindsey Buckingham geschrieben haben, ist die Fortsetzung von "Country". Darauf gibt es zwar Lyrics, aber diese haben sich richtig angefühlt und als würde es das Stück vervollständigen. "Country" war ein Song, den ich lange in meinem Swag getragen habe, aber es hat sich einfach für dieses Album richtig angefühlt. Ich würde gerne mehr Instrumental-Musik machen und ich habe da ein neues Projekt, "The 2 Leaves Project". Ich habe dazu ein Album aufgenommen mit Henry Hey, einem konstanten Kollaborateur bei Empire Of The Sun. Die neue Platte mit ihm klingt wie ein "Country" auf Albumlänge und es hört sich an wie ein kontinuierlicher Flow aus 34 Minuten Musik.

Apropos "The 2 Leaves Project": Ich sah auf deinem Twitter-Account viele Postings davon. Ist das nur rein musikalisch oder geht es auch um Themen wie Umwelt?

Dieses Projekt findet für mich auf mehreren Ebenen statt. Es geht um die natürliche Ordnung der Entstehung der Musik, die in einem kommerziellen Sinne korrumpiert ist. Wenn jemand Musik macht, dann sollte das immer im Flow passieren, genauso wie die Natur. Sie wiederholt sich nie, ihre unendlichen Formen sind nie genau dasselbe. Ich wollte Alben produzieren mit Leuten, die ich verehre und die ich liebe. Und viele Künstler, mit denen ich arbeite, haben nicht die Möglichkeiten, die ich habe. Ich kann viele Leute erreichen mit meiner Musik.

Das Geld, was ich mit Luke zusammen in Form von Empire Of The Sun verdiene, verwende ich insbesondere, um unbekannten Künstlern zu helfen. Das erste Album vom "The 2 Leaves Project" ist mit der wunderbaren Sängerin Celia Pavey und heißt "Every Ocean Tells A Story"; es erscheint am 11. November. Ich habe ungefähr 12 Alben in der Hinterhand mit Künstlern verschiedenster Couleur, die alle nach und nach veröffentlicht werden. Das ist meine Art, Dinge zurückzugeben, die ich errungen habe im Laufe meiner Karriere. Es wird aber Musik sein, die nicht für kommerzielles Radio gemacht wurde, sondern für das Genießen des Hörers, weil es keine einzelnen Songs sind, sondern zusammenhängende Musik.

Also gibt es tatsächlich nur einen sehr langen Song auf "Every Ocean Tells A Story"?

Ja, so könnte man es sagen. Es ist eher wie eine Oper, die von einem zum anderen geht. Es geht mir nicht um kommerziellen Erfolg. Es geht mir vielmehr um den natürlichen Vorgang des Erschaffens, so ähnlich wie wenn man einen Baum wachsen sieht und seine Äste in alle Richtungen gehen. Er wächst immer höher und höher, bis er die Sonne erreicht.

Das klingt tatsächlich sehr spannend. Aber lass uns wieder zu "Two Vines" zurückkehren. Du hast u.a. mit Lindsey Buckingham von Fleetwood Mac und Tim Lefebvre von David Bowies Blackstar-Band zusammengearbeitet. Wie hat sich diese Erfahrung für dich angefühlt?

Ich meiner Karriere hatte ich das Glück mit den begabtesten und talentiertesten Musikern zusammenzuarbeiten, wie Rowland Des Howard und Sir Elton John. Und dann kam da Lindsey Buckingham ins Studio gelaufen, steckte seine Gitarre ein und fing einfach an zu spielen. Plötzlich spielt er einen Fleetwood Mac Song und man ist Teil davon und singt mit ihm zusammen. Das Gefühl, was ich dabei hatte, war grandios und man genießt einfach eine wundervolle Zeit.

Die Großzügigkeit und den Spirit, die diese großartigen Künstler haben, erstaunt mich jedes Mal. Es gibt so viel Antipathie und Habgier in dieser Welt. Aber wenn du einen wunderbaren Musiker triffst, dann empfängst du Zuneigung und Liebe und es ist wie ein Geschenk, das man immer weiter gibt. Man nimmt diese Momente auf und teilt sie mit so vielen Menschen.

Ist diese Ansicht, die du gerade beschrieben hast, das große Thema in "Two Vines", dass Menschen durch die Musik zusammenwachsen und wieder glücklich sein können nach schwierigen Zeiten?

Ich mag es, dass du sagst "zusammenwachsen". Es geht mir vor allem darum, dass wir wieder zurück zur Natur finden und ihr zuhören, und ich sage das im 37. Stockwerk eines Apartmentgebäudes in New York. Wir Menschen haben die Harmonie in unserem Leben verloren, weil wir immer nur nach außen orientiert sind, kaum einer beschäftigt sich wirklich mit sich selbst. Jeder ist darauf aus, externe Werte zu sammeln durch die sozialen Netzwerke. Ich sage es immer wieder: die Natur ist in sich voller Harmonie und das sieht man am besten an Bäumen, von ihnen können wir so viel lernen. Das Grüne, die florierende Landschaft, all das ist für uns so wichtig wie nie zuvor.

Darüber hinaus sollten wir viel mehr von Babies lernen, denn sie kommen auf die Welt mit einem perfekten Set an Harmonie. Sie lernen alles so schnell, setzen Dinge in Verbindung, können sich anderen mitteilen und zeigen Empathie. Dies kann nur geschehen, weil sie Harmonie in sich tragen.

Du hattest ja in Deutschland einen großen Erfolg mit deiner Band Pnau und dem Song "Changes". Hast du eine spezielle Verbindung zu deutschen Fans?

Dieser Song war ein totaler Schuss ins Blaue. Wir haben diesen Remix fertig gestellt und haben uns nichts Großes dabei gedacht. Der immense Erfolg kam vollkommen überraschend für uns und wir fühlen uns total überwältigt und vom Glück verwöhnt. Deutschland gibt uns immer sehr viel Liebe.

Gibt es denn bald ein neues Album von Pnau mit deinem Partner Peter Mayes?

Wir haben ein frisches Album produziert und verleihen dem ganzen den finalen Touch. Ein wenig Feinjustierung fehlt noch, aber wir hoffen, es bald veröffentlichen zu können.

Eine letzte Frage: Was magst du an Deutschland am meisten?

Diesen Erfindergeist und die damit zusammenhängende Präzision. Deutschland ist ein sehr schnell wachsendes Land, das unheimlich wandlungsfähig und zukunftsorientiert ist. Vor allem mag ich jedoch die Musik, die mich stark beeinflusst hat. Die elektronischen Künstler habe ich ja schon erwähnt, aber deutsche Klassik höre ich ebenfalls sehr gerne. Ich habe Richard Wagners Ring der Nibelungen oftmals gehört und bei Konzerten genossen. Ich würde eines Tages liebend gerne mit den Berliner Philharmonikern zusammenarbeiten.

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