20. November 2005

"Es macht Spaß, Songs für Kylie zu schreiben"

Interview geführt von

Es scheint, als interessiere sich Emiliana Torrini für fast alles. Nun, dass sie mal Hip Hop und Thrash Metal gehört hat, hätte ich diesem zarten Wesen dann doch nicht zugetraut. Doch sie hat noch viel mehr merkwürdige und interessante Geschichten auf Lager ...Klein und zierlich sitzt Emiliana Torrini vor mir. Doch ihre Figur lässt nicht auf ihr Temperament schließen: Bestimmt und direkt beantwortet die Isländerin mit italienischem Vater meine Fragen. Doch nie wird ihre Art dominant oder unangenehm. Auch wenn die Antwort ein wenig harsch ausfallen sollte - ihr schönes Lächeln und das atemlose Lachen machen das wieder wett.

Emiliana: Möchtest du das Interview auf englisch oder deutsch führen?

Ist mir egal!

Mir auch.

Ich überlege einen Moment, denke aber, dass sie ihre Gedanken wohl besser ausdrücken kann, wenn wir englisch sprechen.

Lass es uns auf englisch machen. Bist du gerade erst in Köln angekommen?

Ja, aber ich war schon oft hier. Ich hab zwar immer noch nicht viel von der Stadt gesehen, aber ich mag Köln wirklich gerne, ich hatte hier immer eine hervorragende Zeit!

Vor kurzem warst du ja beim Filmfestival in Cannes, was war da genau dein Job?

Ich war in der Jury. Es war ein Traumjob, ich wünschte, ich könnte das jedes Jahr machen ... das ganze Jahr über. Ich schaue ohnehin drei Filme am Tag. Lacht ihr kurzatmiges und doch liebenswertes Lachen Es war großartig, Filme zu gucken, Süßigkeiten zu essen, ein schickes Kleid zu tragen und meinem Lieblingsfilm einen Preis zu verleihen.

Was war dein Lieblingsfilm auf dem Festival, welchen empfiehlst du mir?

Das waren so viele Filme. Mein Lieblingsfilm war vom ca. 98-jährigen Portugiesen Manoel de Oliveira. Der hat aber nichts gewonnen. Es hat so viel Spaß gemacht, ich habe jede Minute geliebt, die ich das machen konnte!

Zu deinen Songs: Hast du irgendeine Routine entwickelt, wie du ans Songschreiben rangehst?

Nein, nicht wirklich. Ich nenne mich auch nicht Songwriter, denn eine kurze Pause entsteht ... ich nenne mich zufällige Songwriterin. Denn ich mag es nicht, ins Studio zu gehen und mich zu zwingen, etwas zu schreiben. Da bin ich meist ziemlich schnell enttäuscht. Und wenn ich einen Song schreibe, den ich nicht mag, dann bin ich danach wirklich am Boden zerstört. Ich denke dann 'Oh Gott, ich kann nicht glauben, dass ich so einen Song geschrieben habe'. Ich wünsche mir dann, dass das nie passiert wäre, und das ist in dem Moment ziemlich dramatisch. Wenn ich mit Dan (ihrem Songwriting-Partner, Anm. d. Red.) ins Studio gehe, trinken wir viel Kaffee und nehmen uns Zeit. Wenn wir nicht in der Stimmung sind, zu schreiben, gehen wir einfach was essen, quatschen und gehen dann zurück ins Studio. Wenn dann was passiert, dann passiert's eben und wenn nicht, dann nicht. Das ist eine sehr freie Art zu arbeiten. Ich muss da sehr relaxed sein, denn ich werde sehr schnell nervös.

Wird das nicht sehr teuer, wenn man so viel Zeit im Studio braucht?

Ja, aber ... Ihre Gedanken schlingern in eine andere Richtung ich hatte zu dieser Zeit keinen Plattenvertrag. Und wir mochten es einfach, zusammen zu arbeiten. Wir wurden schnell beste Freunde und wollten einfach nur Songs zusammen schreiben. Also richteten wir uns nicht nach den Kosten, sondern nach unserer Motivation.

Wir habt ihr euch das dann leisten können?

Ich habe das Geld selbst aufgetrieben. Ich wollte das Album unbedingt fertig geschrieben haben, bevor ich mit der Musik auf irgendeine Plattenfirma zugehe. Ich wollte nicht einfach nur irgendwo unterschreiben, um einen Vertrag zu haben. Ich wollte bei einer Plattenfirma sein, die unsere Musik so mag, wie sie ist und uns tun lässt, was wir wollen. Mit den Videos und allem anderen. Sonst hätte das für mich keinen Sinn gemacht. Das einzige, was ich zu dem Zeitpunkt wusste war, was ich nicht wollte. Lacht. Ich wusste nur, dass ich es nicht einfach nur passieren lassen wollte.

War es bei deiner alten Plattenfirma so? Haben die dir viel reingeredet?

Nein, nicht wirklich. An manchen Punkten waren wir uns nicht einig. Es ist immer kompliziert, denn am Ende ist das immer eine Art Beziehung. Und so ist es nur natürlich, wenn man sich auch mal nicht versteht. Aber meist hat das bei uns ganz gut geklappt, denn mit vielen von denen bin ich immer noch befreundet. Das Heftige an einem Plattenvertrag ist, wenn du rausfindest, dass er nicht wirklich für dich gemacht ist. Dann steckst du in der Klemme. Aber ich hatte wirklich Glück. Ich sagte dem Chef, dass ich nicht mehr bei ihnen sein möchte. Und er hat begriffen, dass man Leute, die nicht mehr da sein wollen, auch nicht halten kann. Du wirst nichts mehr aus ihnen rausholen können. Sie werden versuchen, beschissene Platten zu schreiben, um aus ihrem Vertrag zu kommen. Lacht. Er ist ein guter Freund von mir und hat mir sehr geholfen. Also ließ er mich gehen und sagte 'Viel Erfolg mit dem, was du tust'. Und ich erwiderte: 'Ich werde nichts mit Musik machen, ich such mir was anderes'.

Was hast du dann gemacht?

Ich habe nichts wirklich gemacht. Ich war gerade dabei einen riesigen Schock zu verarbeiten (Emilianas Freund starb kurz zuvor, Anm. d. Red.). er wollte es mir wohl auch deshalb einfacher machen. An anderthalb Jahre dieser Zeit erinnere ich mich gar nicht mehr richtig. Ich habe sehr lange gebraucht, das zu verarbeiten, in der Zeit war ich vollauf damit beschäftigt.

Hat es dir denn geholfen, einfach zu warten?

Wahrscheinlich nicht. Aber ich denke, du hast in so einer Situation nicht den Verstand einer logisch denkenden Person. Du denkst nicht 'Hey, das ist wirklich schlecht für mich. Ich sollte heute lieber joggen gehen.' Lacht.

Aber man hat ja andere Menschen, die einem in so einer Situation helfen, einem Ratschläge geben, so dass man nicht stecken bleibt.

Ja, aber das ist eben eine komplizierte Situation.

"Ich war einfach verrückt nach Musik."

Um zu deiner Arbeit zurück zu kommen: Als du einen Song für Kylie Minogue schreiben solltest, bist du da anders vorgegangen als bei deinen Songs?

Nein, nicht wirklich. Wenn wir etwas hätten ändern wollen, hätten wir das sicher machen können. Aber es war einfach wichtig ... denn ich war ja eigentlich gerade dabei, mein Album zu schreiben ... Also, dieser Anruf kam genau zu dem Zeitpunkt, als Dan und ich gesagt hatten: 'Wir brauchen Urlaub. Wir müssen raus aus dem Studio und Abstand von dieser Platte bekommen.' Und dann kam dieser Anruf und ich dachte: 'Was? Ich kann es versuchen ...' Wir haben erst mal Späße darüber gemacht, dass sie eigentlich einen anderen Künstler anrufen wollten, vielleicht Jamelia und nicht mich. Dass sie die Namen vertauscht haben und es ihnen zu peinlich war, das zuzugeben. Dan und ich gingen dann vielleicht eine Stunde ins Studio, schrieben den Song und setzten uns dann in den Pub. Wir dachten, die würden den nie benutzen. Denn das war etwas, das weder ich noch er je zuvor gemacht haben. Wir kamen uns vor wie zwei Schlümpfe in dem Pub. Danach war klar, dass wir gleich mit der Platte weiter machen würden. Wir wollten nicht gleich wieder für andere schreiben. Wir bekamen Anfragen, die Leute fragten: 'Hey, kannst du einen Song für mich schreiben?' Aber wir sagten: 'Nein, jetzt nicht!'

Würdest du das denn inzwischen noch mal machen?

Ja, würde ich. Definitiv. Da muss aber immer einiges zusammenpassen. Du musst den Künstler immer mögen. Ja, es hat sehr viel Spaß gemacht, deshalb würde ich das sicher machen.

Und ihr habt wirklich nur eine Stunde gebraucht, um den Song zu schreiben?

Ja, ich weiß auch nicht warum. Ich sage das nicht, um jetzt hier spricht in einem überheblichen Ton 'hey, das ist alles so easy für uns' sagen zu können. Es war mehr so eins dieser zufälligen Songwritings.

War es Kylies Idee, dich zu fragen, oder war das ihr Management, das euch ausgesucht hat?

Ich weiß es nicht, ich denke, das war ihr Management. Ich habe keine Ahnung. Sie hat einen anderen Song von mir gehört, den sie auf der Platte haben wollte. Er hat es auch auf die Platte geschafft, aber bei dem ist ziemlich wenig übrig von dem, was ich geschrieben hab. Sie haben so viel daran geändert, dass ich ihn kaum mehr erkenne. Denn ich habe ihn nicht produziert oder so. Der Song heißt "Someday". Ich war ein bisschen verunsichert, dachte, 'ich weiß gar nicht, was da gerade passiert.' Aber Vorrang hatte für uns eh meine Platte aufzunehmen, und das war ein riesen Spaß. Es ist immer gut, zwischendurch ein bisschen Spaß zu haben.

Wer hat dich sonst noch gefragt, ob du Songs mit ihnen aufnehmen würdest?

Nein, nein ... Mit einem Lächeln auf dem Gesicht, aber so bestimmt, dass man sich schon ein bisschen unwohl fühlt - so als hätte man was falsch gemacht - macht sie klar, dass sie darüber absolut nicht reden möchte.

Ok, du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht möchtest. Du hast früher klassischen Gesangsunterricht genommen. Wann hast du denn das erste Mal so richtig gesungen?

Wenn du jung bist denkst du ja nicht daran, dass du irgendwann mal einfach nur noch singen wirst. Ich war damals lange Zeit im Chor, ich hab mit sechs angefangen und das gemacht, bis ich ungefähr 14 war. Mit 15 bin ich auf die Opern-Schule gegangen. Das war so eine Idee, weil ich dachte 'Ich bin Halb-Italienerin und ich mag klassische Musik, also macht das Sinn.' Ich hatte kaum Ahnung von Pop-Musik, ich kannte wesentlich mehr Blues und Jazz und klassische Musik. Später fuhr ich voll auf Hip Hop ab und dann auf Indie-Zeug, ich hörte sogar Thrash-Metal.

Ich war einfach verrückt nach Musik. Einen Tag war ich ein Hip Hopper, sah auch so aus, dann wieder rannte ich rum wie ein Gruftie, mit geweißtem Gesicht und so, und am nächsten Tag dann gab ich vor, aus Manchester zu kommen oder so ... lacht Ich bin immer noch ein Spätentwickler. Ich halte mich selbst immer noch für einen Spätzünder in Musiksachen. Die erste Platte, die ich auf Island aufgenommen habe, war komplett naiv gemacht. Ich dachte: 'Das ist ein wunderschöner Song, den möchte ich singen.' An solche Sachen wie Verkaufszahlen hätte ich dabei nie gedacht. Es war eine Annäherung an den Job.

"Es macht aus jedem einen etwas besseren Menschen."

Du bist wirst ja nun als Profi immer mehr ins Business reingezogen. Fühlst du dich inzwischen auch ein bisschen als Geschäftsfrau und nicht nur als Sängerin?

Nein, überhaupt nicht! Ich bin einfach nur glücklich darüber, dass ich von dem, was ich tue, leben kann. Ich denke, diese Einstellung ist sehr gesund. Ich denke nicht, dass es besser wäre, Platten so zu machen, wie viele Bands es heute tun müssen: Es ist nicht mehr viel Geld zum Platten aufnehmen da. Ich möchte nicht zwei Jobs machen müssen, während ich abends noch an meiner Platte arbeite. Und wenn du dann auf Tour gehst, kannst du deine Jobs nicht behalten. Das ist ganz schön kompliziert. Es ist ein Traum, dass ich davon leben kann. Ich habe auch gar keine Ahnung von den ganzen Geld- und Business-Geschichten. Ich bin eine totale Tussi, wenn es um solche Sachen geht. Ich verstehe absolut nichts davon. Das würde mich auch total langweilen.

Warum hast du dich damals eigentlich entschlossen, in England zu leben und nicht nach Island zurück zu gehen?

Am Anfang bin ich immer hin und her gefahren. Das war allerdings schnell sehr ermüdend. Ich war dann drei Wochen am Stück in England und schrieb jeden Tag ... Emiliana macht ein Geräusch wie eine ratternde Schreibmaschine. Wenn man daran nicht gewöhnt ist, ist das ein wenig sie macht ein Geräusch das in etwa nach "jui" klingt. Das war alles so neu für mich, ich wollte eigentlich was komplett anderes machen. Ich wollte nach Bulgarien und Indien gehen und die volkstümliche Musik dieser Länder sammeln. Ich wollte einen Chor haben, Gesangslehrerin werden und ein kleines Bread & Breakfast haben. Stattdessen kam ich nach England. Am Ende ging ich aber wahrscheinlich aus Bequemlichkeit nach England. Ich war damals sehr aufgeregt. Ich wusste schon immer, dass ich Island mal verlassen werde. Ich wollte Reisen ...

Warum?

Es ist wichtig. Ich bin mit Leuten aufgewachsen, die nie das Land verlassen haben. Nie! Sie haben nie eine andere Kultur gesehen, nichts. Ich finde das nicht gesund, denn es ist wichtig, ein Teil der menschlichen Welt zu sein, sie zu sehen und zu verstehen. Es macht aus jedem einen etwas besseren Menschen. Ich wollte die Welt kennen lernen. Es ist so ein großer und aufregender Ort. Immer wenn du irgendwo hinkommst, siehst du wieder was Aufregendes, Neues. Und du triffst Leute, hast plötzlich Freunde auf der ganzen Welt, die du besuchen kannst. Und jeder kann das machen. Jeder muss das machen!

Wenn du überall auf der Welt hingehen könntest, wohin würdest du reisen?

Ich würde sehr gerne nach Peru, nach Tibet, nach ... ich würde gerne tauchen gehen, ich würde also gerne ins Meer gehen. Ich würde auch sehr gerne nach Grönland, Alaska, ach, überall hin reisen.

Interessiert dich da mehr die Landschaft oder die Leute?

Beides!

Ich wollte immer nach Island. Was würdest du mir bei einer Reise in deine Heimat empfehlen? Was muss man da gesehen oder gemacht haben?

Wenn du Island sehen möchtest, musst du zweimal gehen. Einmal im Sommer, also Juni/Juli, und einmal im Winter, November/Dezember, vor allem an Silvester. Das ist dort verrückt!

Der Tourmanager klopft an, um uns zu sagen, dass die Zeit rum ist. Kannst du bitte nicht immer so doll klopfen, das erschreckt mich jedes Mal! , beschwert sich Emiliana. Da bekomm ich fast einen Herzinfarkt. Also, das sind einfach zwei verschiedene Länder, wenn man im Schnee und dann im Sommer kommt, spricht sie nahtlos mit mir weiter. Im Sommer hast du einfach 24 Stunden Tageslicht. Da musst du dann durchs Land reisen, in die Highlands gehen. Aber es ist sehr teuer. Du musst Jahre lang sparen, um dir den Urlaub da leisten zu können.

Wir merken uns: Trotz musikalischer Verwirrungen in der Jugend und merkwürdiger Pläne etwas später ... Emiliana Torrini hat ihre liebenswerte Naivität auf eine gesunde Art und Weise bewahrt.

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LAUT.DE-PORTRÄT Emiliana Torrini

Emiliana Torrini kommt aus Island, hat eine sanfte, bezaubernde Stimme und tritt 1999 mit ihrem internationalen Debüt "Love In The Time Of Science" ins …

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