7. März 2016

"Ich bin der Berühmte und Brent der Vergessene"

Interview geführt von

Eigentlich planten Matt Berninger und Brent Knopf schon lange, ein gemeinsames Musikprojekt. Dass dies mit EL VY erst im Jahr 2015 und nach über zehn Jahren Freundschaft funktionierte, ist vor allem zwei Umständen geschuldet: Knopf (Ex- Menomena) ist ein musikalischer Weltenbummler, und Berninger hatte in den vergangenen Jahren einfach zu viel Erfolg mit The National. Letztere liegen momentan auf Eis - und Knopf nahm sich dann einfach die Zeit.

Ihr im Oktober erschienenes Debüt "Return To The Moon" kann man reuelos als astreine Indieplatte bezeichnen. Hier legt Berninger das Image des Chef-Melancholikers ab, trägt weiße Anzüge und avanciert dabei zum hookdichtenden Pop-Professor, während Knopf für funkige Instrumentals sorgt. Damit beeindruckte das Duo sogar US-Präsident Barack Obama, der die Band kürzlich im Rahmenprogramm seiner letzten "Ansprache zur Lage der Union" performen ließ. Warum sowohl die Chemie innerhalb des Projekts stimmt, und El Vy für die Musiker genau zum richtigen Zeitpunkt kommt, erklären sie uns im Interview.

Ihr seid beide als Musiker schon eine ganze Weile in der Indieszene etabliert. Wie fühlt es sich an, nun wieder mit einem Debüt-Album auf Tour zu gehen?

Brent Knopf: Für mich wohnt der Sache eine Frische bei, die ich sehr mag. Niemand hat von uns zuvor irgendetwas erwartet. Es gab niemanden, den wir hätten enttäuschen können - und wir mussten ebenso niemanden beeindrucken. Das fühlt sich befreiend an. Jedes Album, das ich von nun an mache, sollte ein neues Projekt sein. (lacht)

Matt Berninger: (lacht) Das macht Robert Pollard doch ständig, er lässt sich doch alle zwei Monate einen neuen Bandnamen einfallen. Ich glaube, er mag es sehr, seine Bands zu benennen. Aber ja: Die Chemie bei El Vy ist sicher eine spezielle und das fühlt sich erfrischend an. Es war sehr aufregend, etwas Neues zu erschaffen, das eine völlig andere DNA besitzt. Wir wussten ja nicht mal, was für eine Art Platte wir machen würden. Wir fangen gerade erst damit an, die richtige Chemie zu finden, weil wir jetzt Liveshows spielen. Es bereitet sehr viel Freude, da einfach mal hineinzulaufen und zu sehen, was passiert.

Ihr entstammt beide einem ähnlichen musikalischen Kontext: Jeder von euch war für viele Jahre mit kleinen Indiebands auf Tour, im Jahr 2003 habt ihr euch auf einer gemeinsamen Tour von The National und Menomena kennen gelernt. Wie sah denn eure Beziehung in den vergangenen Jahren aus – und hat sie sich verändert, seitdem The National kommerziell erfolgreich wurden?

Brent: Matt kam schon 2010 mit der Idee auf mich zu, gemeinsame Songs zu machen. Die Zeit, konkrete Ideen auszutauschen, fanden wir aber erst vor rund einem Jahr. Offen gesagt, denke ich auch nicht darüber nach, in was für einer Band Matt spielt. Ich dachte nur daran, eine Platte mit einem guten Freund aufzunehmen. Das war tatsächlich schon alles. Aber es stimmt, wir haben uns zum ersten Mal getroffen, als wir mit unseren Bands noch in halb leeren Sälen spielten. Und das haben wir nicht nur ein Mal gemacht. (lacht)

Matt: An der Idee einer gemeinsamen Platte reizte mich, dass Brent sehr hart arbeitet und gleichzeitig dieselben leeren Clubs wie ich gesehen hat. Außerdem steckt Brent voll Hingabe und Begeisterung. Ich bin seit langer Zeit ein Fan seiner Musik – und ich glaube auch, dass er The National mag. (lacht)

Brent: Eigentlich mag ich nur das Schlagzeugspiel. (lacht)

Matt: Jedenfalls glaube ich, dass wir damals in denselben Schützengräben gelegen haben. Uns bot es eine gesunde Perspektive, dieses Projekt nun anzugehen. Etwas, bei dem wir einfach nur Spaß haben können. Deshalb bezeichnen wir das auch nicht als 'Band'. Wir wollten es einfach etwas werden lassen, das ohne Drama und Ärger auskommt, weil wir beide das nur zu gut aus unseren anderen Bands kennen. Ganz klar war das einer der größten Reize an El Vy.

Klingt für mich aber nicht ganz einfach, diese Balance zwischen Entspannung und künstlerischem Anspruch zu halten

Matt: Natürlich spielte auch hier unsere Ambition eine große Rolle. Auf der anderen Seite überwiegt für uns aber der Spaß, den es macht, mit Freunden Musik zu machen. Das war definitiv die größte Motivation hierbei. Wir müssen ja nicht den großen Durchbruch schaffen.

Brent: Wollen wir nicht? (lacht)

Matt: Okay, natürlich wollen wir den Durchbruch schaffen. Das ist aber nicht der Grund, warum wir uns ursprünglich zusammengetan haben. (lacht)

"Vielleicht werde ich bei The National in Zukunft richtige Hooks schreiben"

Greift es diesen Spaß-Faktor nicht erheblich an, wenn ihr jetzt in der Presse ständig lesen müsst, dass El Vy ein Soloprojekt von Matt sei - und der Name Brent Knopf häufig erst viel später fällt?

Brent: Ich werde von der Presse ja erwähnt. Es ärgert mich mehr, wenn behauptet wird, dass ich immer noch Teil von Menomena sei. Dabei habe ich Menomena ja schon vor fünf Jahren verlassen. Ansonsten finde ich das okay – Matts Arbeit ist nun mal viel bekannter als meine.

Matt: Jeder, der sich etwas mit mir befasst, sollte außerdem wissen, dass ich nicht in der Lage wäre, ein Soloprojekt zu machen. Ich kann weder Klavier noch Gitarre spiele. Ich bin wohl ein klassischer Kollaborateur. Ein Songwriter und Sänger zwar, aber Matt Berninger ist niemand, der alleine funktionieren könnte. (lacht) Für mich klingt es lächerlich, an ein Soloprojekt zu denken. Ich habe eine bestimmte Arbeitsweise und brauche dafür eine bestimmte Umgebung - wie hier oder bei The National. Bei El Vy gibt es nur weniger Partner, ansonsten verläuft das alles ziemlich ähnlich.

Kürzlich habe ich eines deiner Facebook-Q&As gesehen. Du hast das ganz allein gemacht, Matt, während Brent seine Fragen unter die der Fans gemischt hat. Eine davon illustrierte auch die eben angesprochene Sache. Brent kommentierte: 'Wenn ich einen 900-seitigen Roman schreibe und Matt schreibt das Vorwort – denkst du, dass die Rezensenten meinen Namen erwähnen würden?'

Matt: Ich habe seine Fragen leider alle ignoriert. Brent hätte den Fans auch Rede und Antwort stehen sollen – stattdessen hat er mich hängen lassen und das Q&A getrollt! (lacht) Nein, im Ernst: Ich glaube, Brent genießt es, dass ich viel mehr rede als er. Und irgendwann habe ich mit diesem ganzen Social Media-Kram angefangen, diese Facebook-Livestreams und so, was Brent eher vermeidet.

Ich versuche immer wieder, ihn da hineinzuziehen, aber er ist schlau genug, sich da rauszuhalten. Es ist schließlich sehr gefährlich und kann deine Karriere ruinieren. Wir spielen einfach mit dieser Dynamik, dass ich der Berühmte bin und er der Vergessene. (lacht) Wir mögen das. Also, jedenfalls ich mag es. Magst du das überhaupt, Brent?

Brent: Ähm. .. (lacht)

Matt: Wie auch immer ... (lacht)

Wie kam es eigentlich, dass ihr gerade jetzt ein gemeinsames Album gemacht habt?

Brent: Die Erklärung gestaltet sich ganz einfach: Weil es das erste Mal war, dass wir beide ein bestimmtes Zeitfenster zur Verfügung hatten. Ich hatte die Lost Lander-Platte gerade fertig produziert und Ramona Falls pausiert. Die Jungs von The National sind gerade in andere Projekte involviert, kümmern sich um ihre Kinder und haben sich einfach noch ein Jahr frei genommen. Wir hatten ja schon eine gefühlte Ewigkeit mit einem gemeinsamen Projekt geliebäugelt, und nun haben wir beschlossen, es einfach mal durchzuziehen.

Matt: Ich für meinen Teil habe inzwischen so viele Alben mit The National gemacht - und wir arbeiten gerade an einem neuen, was nach wie vor sehr aufregend ist - aber dennoch fühlt sich El Vy so an, als würde man ein Fenster aufmachen und für eine Weile neue Luft atmen. Damit du mich nicht falsch verstehst, The National stellt mich nach wie vor künstlerisch zufrieden, aber hier kann ich Dinge ausprobieren, die ich in meiner anderen Band nicht tun kann, weil wir da unsere festen Abläufe gefunden haben. Allein deshalb war es spannend, ein neues Projekt anzupacken, von dem ich vorher nicht wusste, wie die Chemie sein würde.

Gehst du die Sache anders an, wenn du für El Vy Texte schreibst?

Matt: Als erstes werfe ich die musikalischen Ideen, die mir Brent sendet - genauso wie Bryce und die anderen National-Jungs es tun - in meinen Laptop und erstelle mit Garage Band eine Gesangsspur. Dann kommt eine Flasche Wein hinzu und ich fange an, nach Melodien und Wörtern zu suchen. Es gibt in der Herangehensweise keinen Unterschied, denke ich. Dass die Texte sich unterscheiden liegt einfach daran, dass ich auf die Musik reagiere. Ich unterscheide nicht zwischen einer El Vy-Persönlichkeit und einer National-Persönlichkeit.

Könnte deine Arbeit mit El Vy dennoch deine Texte bei The National beeinflussen - vor allen Dingen, was Hooklines anbetrifft? "I'm peaceful 'cause my dick's in sunlight" vom Song "I'm The Man To Be" ist ja wirklich eine Phrase, die einem im Ohr bleibt.

Matt: Ja, das mit den Hooks ...

Brent: Matt hat tatsächlich einen 'hooked penis (lacht)

Matt: Ja, niemand wusste bisher davon. Ich bin froh, dass ich das endlich zugeben kann!

Brent: Wir mussten ihn deshalb auch schon in die Notaufnahme einliefern!

Matt: In Wahrheit bin ich ungefähr so wie Jack Nicholson in "Witches Of Eastwick" ... (lacht) Zurück zu den Hooks: Unsere Vorband auf Tour, die Penny Serfs, haben eine Menge Hooks. [Matt fängt an den Song, den die Vorband in diesem Moment zwecks Soundcheck anstimmt, mitzusingen.] Hooks sind eine unwirkliche Sache, über die ich vorher nie so viel nachgedacht habe. Früher hegte ich vielleicht sogar eine Abneigung gegenüber Hooks, weil mir das immer zu einfach klang.

Inzwischen habe ich aber gelernt, dass Hooks keinesfalls leicht zu finden sind. Jetzt reagiere ich wohl weniger allergisch auf Hooks (lacht). Vielleicht werde ich bei The National in Zukunft richtig Hooklines schreiben – ich weiß es nicht. Noch mal: Ich denke da nicht wirklich bewusst drüber nach. Aber wenn ich eine Hook wahrnehme, dann schenke ich dem Song automatisch mehr Aufmerksamkeit. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.

"Es wird definitiv ein zweites El Vy-Album geben

Jetzt habe ich noch eine Frage, die exklusiv für dich bestimmt ist, Brent.

Brent: Lass mich raten: 'Wie fühlt es sich an, mit Matt unterwegs zu sein?'

Nein, und sie hat ebenso wenig mit deinem Gemächt zu tun. Ich wollte eigentlich eine Frage zu Matts Stimme stellen ...

Brent & Matt: (lachen)

War es denn schwierig, Matts Stimme in die El Vy-Songs zu integrieren, da diese durchweg eine hellere Grundstimmung besitzen als The National-Songs?

Brent: Das funktionierte eigentlich ganz intuitiv. Wenn du einen Song schreibst, dann geht es vor allem darum, Dinge in Balance zu bringen. Wenn du zwei Ideen verbindest, dann werden im Idealfall beide Ideen ein bisschen stärker. Ich liebe Matts Texte und seine Stimme, also war es für mich sehr spannend, Dinge zu finden, die sie noch besser klingen lassen und sie an den richtigen Platz stellen.

Matt: Meine Art zu singen ist oft eher monoton und meditativ. Brent schreibt Songs, die sehr lebendig sind und die sehr spannende Wendungen nehmen, sich musikalisch ins Gegenteil verkehren. Für mich war es nun also interessant zu sehen, wie ich mit seiner Art zu tanzen klar kommen würde. Weil ich gerne einen langsamen Shuffle tanze, er jedoch auf Pirouetten und Saltos steht. Um an vorhin anzuknüpfen: Ich denke, dass das ein entscheidender Teil unserer Chemie ist. Wir bewegen uns beide in verschiedene Richtungen.

Kürzlich war auch zu lesen, dass die anderen The National-Mitglieder erst nicht so glücklich über deine neue Richtung waren.

Matt: Im Gegenteil, sie waren eigentlich von Beginn an eingeweiht und haben sich dafür interessiert. Vielleicht waren sie anfangs etwas nervös. So genau weiß ich das gar nicht. Jedenfalls hatte ich immer ihre Unterstützung. Und jetzt sind sie natürlich erleichtert, denn sie lieben das Album. Sie wissen schließlich auch, dass es für die Band sehr gut ist, wenn wir uns alle ab und an anderen Projekten widmen.

Keiner von uns hat je einen Besitzanspruch auf die anderen erhoben. Das gilt ja auch für unsere National-Platten, bei denen wir immer wieder andere Künstler wie Sufjan Stevens, St. Vincent und Justin Vernon dazu holen. Wir öffnen Kollaborateuren ja ständig die Tür. Gleichzeitig kann jeder zu dieser Tür hinaustreten und andere Dinge tun. So funktioniert einfach The National – es ist alles ein Teil derselben Familie. Brent und Menomena zähle ich hier dazu, denn wir kennen uns inzwischen seit 15 Jahren.

Brent: Seit zwölf Jahren.

Matt: Echt? Es fühlt sich wie 15 Jahre an!

Brent: Ich bin in den letzten zwölf Jahren vielleicht 15 Jahre gealtert.

Matt: Ich in den letzten zwei. (lacht)

Klingt, als hättest du ein anstrengendes Leben, Matt! Dann belästige ich mit meiner letzten Frage ausschließlich Brent, da wir ihn sowieso etwas vernachlässigen. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, heute ein Brent-freundliches Interview zu führen.

Brent: Das ist mir jetzt zu viel Aufmerksamkeit. (lacht)

Matt: Brent kann übrigens auch Deutsch, also kannst du ihm die Fragen ruhig auf Deutsch stellen!

Stimmt das?

Brent: [Auf Deutsch] Nein, ich kann nur ein bisschen Deutsch sprechen. [Auf Englisch] Aber lass uns das doch lieber auf Englisch machen!

Okay. Wie fühlt es sich an, dass El Vy möglicherweise nur für dieses eine Album existiert?

Brent: Wir gingen ohne jegliche Erwartung an dieses Projekt heran. Wie ich vorhin gesagt habe gab es keinen Druck. Inzwischen macht uns das hier aber so viel Spaß, dass wir schon darüber geredet haben, noch ein Album zu machen. Ich habe Matt inzwischen ein paar neue Ideen geschickt.

[Matt zieht sein Smartphone hervor und präsentiert mir eine Playlist mit dem Titel "El Vy 2"]

Brent: Wow!

Matt: Das ist streng geheim!

Brent: Er macht Ernst! Also kommt da vielleicht wirklich noch mehr von uns.

Matt: Gestern bin ich um fünf Uhr morgens aufgewacht und habe von da an bis zum Soundcheck an neuem Material gearbeitet.

Jetzt habe ich auch endlich meine Überschrift: "Neues El Vy-Album kommt bald!"

Matt: Du musst mir schwören, dass du das nicht schreibst. (lacht) Aber das Zusammenspiel auf der Bühne führt dazu, dass wir uns gerade noch besser kennenlernen, uns gegenseitig finden. Deshalb wird es definitiv noch ein zweites El Vy-Album geben.

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