Porträt

laut.de-Biographie

Drafi Deutscher

Zunächst war da die Klassik, doch der am 9. Mai 1946 in Berlin-Wedding geborene Drafi Deutscher hat nicht viel Gelegenheit, von der Kunst seines Vaters Drafi Kálmán zu lernen: Der gebürtige Ungar und angesehene Klassik-Pianist verlässt früh die Familie und reist zurück in seine osteuropäische Heimat. Der junge Drafi wächst in Berlin bei der alleinerziehenden Mutter auf.

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Sie sind plötzlich da, gekommen, um zu bleiben. Sie treiben uns in den Wahnsinn, Hölle, Hölle, Hölle. Wann ist ein Wurm ein Wurm?
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Früh bringt er sich Akkorde auf der Gitarre bei und hat mit 14 Jahren erste Bühnenauftritte mit der Band Die Zeitbomben. 1963 belegt Drafi bei einem Talentwettbewerb den vierten Platz und erhält einen Plattenvertrag. Drafi sucht und findet eine Begleitband, die sich aus jungen Jazz-Musikern rekrutiert – doch er warnt sie, dass ihm der Sinn nach der derzeit angesagten Beat-Musik steht.

Die Produzenten Günther Loose und Christian Bruhn nehmen den Sänger und seine Mitstreiter unter ihre Fittiche. Drafi Und Die Magics schlagen ein: "Shake Hands" und "Keep Smiling" entwickeln sich zu Riesenhits, der Künstler wird mit seinen deutschsprachigen Beat-Songs Dauergast in den Hitparaden. 1966 landet Drafi seinen wohl berühmtesten Hit: "Marmor, Stein und Eisen bricht". Eine in englisch eingesungene Version erobert gar das Ausland: "Marble Brakes And Iron Bends."

Drafi heiratet und wird Vater von zwei Töchtern. Im Jahr seines größten Erfolges folgt gleichzeitig der erste Karriereknick – ausgelöst und begleitet von Deutschlands größtem Boulevard-Blatt. Im Vergleich mit den Eskapaden anderer Rockgrößen jener Tage wirkt der Aufhänger heute geradezu lachhaft: Während einer Feier stellt sich der angetrunkene Drafi ans Fenster, öffnet die Hose und lässt seinem Druck auf der Blase freien Lauf. Sein Pech: Er wird dabei von einigen Schulkindern beobachtet, die Zeitung hat ihr gefundenes Fressen.

Der Sänger wird zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt – wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses." Das Finanzamt, das sich als lebenslanger Forderungs-Begleiter entwickeln wird, meldet sich zum ersten Mal und fordert eine Zahlung in Höhe von rund 200.000 DM. Durch seinen sorglosen Lebenskünstler-Stil hat sich Drafi keinerlei größere Rücklagen gebildet. Der Ruf ist ruiniert, Engagements und TV-Präsenz bleiben aus.

Um sich und seine Familie durchzubringen, arbeitet er als Stoff-Verkäufer auf Wochenmärkten und Diskjockey in verschiedenen Clubs. Ein tiefer Fall zeichnet sich ab, und Drafi beschließt, einen Schnitt zu machen. Er siedelt von Berlin nach München um. Damit endet auch die Zusammenarbeit mit den Magics. Drafi schreibt und komponiert fortan ausschließlich in Eigenregie, doch aufgrund seines Rufs hat er Probleme, als Künstler aufzutreten. Drafi wechselt vom deutschsprachigen Beat zu englisch eingespieltem Pop – und entwickelt sich rasch zum Mann der tausend Masken.

Fortan erscheinen immer wieder Projekte, die namentlich nicht auf Drafi hindeuten – er wählt Pseudonyme wie "Mr. Walkie Talkie" und "Baby Champ" und landet immer wieder Charts- und Discohits. Bis zu Beginn der achtziger Jahre erscheinen so über 60 Inkognito-Singles, bei denen Drafi etwa 40 unterschiedliche Pseudonyme verwendet. Gelegentliche, aber erheblich seltenere deutsch gesungene Singles unter eigenem Namen werden ebenfalls produziert.

Zunächst aber begründet Drafi im Sog der aus den USA überschwappenden Jesus-People-Welle von 1971-73 das Bandprojekt Wir. Es erscheint ein vielbeachtetes Album, das mit "David Und Goliath" und "Die Welt Von Heut'" zwei veritable Chartserfolge abwirft. Drafi scheint im Aufwind, doch ein erneuter skandalträchtiger Zwischenfall überschattet erneut die Karriere: 1972 wird er von Schlager-Guru Dieter Thomas Heck mit anderen Künstlern zu einer Reihe von Wahlkampf-Galas eingeladen.

Heck und die anderen unterstützen die CDU und ihren Kanzlerkandidaten Rainer Barzel auf den Polit-Veranstaltungen, was das eingetragene SPD-Mitglied zunächst anscheinend übersieht. Sein Favorit ist schließlich Willy Brandt. Am Ende der ersten Gala vor versammelter Christdemokraten-Basis beendet Drafi seinen Auftritt mit den Worten: "So, Leute, ihr wisst Bescheid – Willy wählen!" Natürlich wird er nicht auf die weiteren Galas geladen, und wieder rauscht es mächtig im Springer-Blätterwald.

Drafi siedelt nach Hamburg über und arbeitet weiterhin als Produzent. Es beginnt eine finanziell äußerst erfolgreiche Phase in der Zeit der Disco-Ära. Die Scheidung von seiner ersten Frau fällt ebenfalls in diese Zeit. Die Single "Be My Boogie Woogie Baby" unter dem Namen Mr. Walkie Talkie wird ein europäischer Top-Hit, und Drafi produziert Künstler wie Bino und dem Hit-Song "Mama Leone." Mit Tina Rainford gelingen ihm große Erfolge dank "Silver Bird" und "Fly Away Pretty Flamingo." Für Frank Farians Boney M. schreibt er den Top-Seller "Belfast."

Drafi heiratet seine zweite Frau, er ist inzwischen wieder mehrfacher Millionär. Er jettet unter anderem nach Brasilien, genießt das Dasein als Luftikus und Lebemann – und verschwendet weiterhin natürlich keinerlei Gedanken ans Finanzamt. 1978 hat er als Jack Goldberg einen erneuten Smash-Hit mit "Can I Reach You." 1979 reist Drafi in die USA, um seinen Horizont als Künstler und Produzent zu erweitern. Er wirkt unter anderem bei der Produktion des Bee Gees-Albums "Livin' Eyes" mit.

Zurück in Deutschland wartet das Finanzamt und fordert eine hohe Steuernachzahlung, die sich im sechsstelligen Bereich bewegt. Drafi hatte gut verdient in den abgelaufenen Jahren, aber auch gut ausgegeben – es ist kaum etwas zu holen. 1982 erscheint das Album "Drafi." Für den Film "Marmor, Stein und Eisen bricht", eine Hommage an Drafis Leben, komponiert er den Soundtrack und übernimmt eine kleine Nebenrolle. 1983 folgt seine zweite Scheidung.

Mit dem Projekt Masquerade meldet sich das Stehaufmännchen Deutscher eindrucksvoll zurück: Seine internationale Version des Songs "Guardian Angel" sprengt europaweit Verkaufsrekorde, und die deutsche Fassung "Jenseits von Eden" wird der bis heute größte Erfolg des Sängers Nino de Angelo. Mit Oliver Simon gründet Drafi das Duo Mixed Emotions und hat Erfolg mit der Single "You Want Love." Solo ist er unter anderem mit "Herz an Herz Gefühl" erfolgreich.

Bis Mitte der neunziger Jahre ist Drafi wieder nur mäßig erfolgreich. Er produziert für Heidi Brühl, Demis Roussous und die junge Sängerin Isabell Varell. Beide heiraten, doch der Ehe ist nur ein kurzes Glück beschieden, und Drafis dritte Scheidung lässt nicht lange auf sich warten. Ein uneheliches Kind taucht auf. Ärger mit dem Finanzamt bleibt ein ständiger Begleiter. 1991 belebt er - diesmal mit Andreas Martin als Partner - kurzzeitig die jetzt als New Mixed Emotions betitelte Arbeit im Duett.

Nach einer mehrjährigen Pause erscheint 1996 mit dem Album "So Viele Fragen" ein neues Lebenszeichen des Künstlers. Ihm folgt 1998 mit "Zukunft" ein weiteres Werk. Zunehmend leidet Drafi Deutscher an gesundheitlichen Problemen, hervorgerufen durch seinen ausschweifenden Lebenswandel, der in der Vergangenheit auch vor Drogen nicht halt machte. Zigaretten und Alkohol gehören von jeher zu Drafis treuen Begleitern. Ärzte stellen Diabetes fest.

1999 veröffentlicht Drafi zusammen mit Oliver Simon ein Remix-Album mit den Songs aus ihrer Mixed Emotion-Zusammenarbeit, doch der Erfolg bleibt überschaubar. Sein 2000 fertig produziertes Album "Wer War Schuld Daran?" erscheint zunächst nicht, weil Drafis eigene Plattenfirma Konkurs anmeldet. Geldstreitigkeiten mit seinem Manager folgen. 2002 veröffentlicht das Label QED den Longplayer.

Im Mai 2006 feiert Drafi Deutscher seinen 60. Geburtstag, die opulente Werkschau "Diesseits Von Eden" erscheint als Drei-CD-Box. Doch das neue Lebensjahr beginnt mit einer ernsten Krise: Am 21. Mai erleidet der Künstler einen körperlichen Zusammenbruch und muss in ein Krankenhaus verlegt werden. Ärzte stellen eine doppelseitige Lungenentzündung fest, begleitet von Herzproblemen sowie Leber- und Nierenversagen.

Eine Verschlechterung der Situation erfolgt Ende des Monats: Der Künstler wird in der Frankfurter Universitätsklinik in ein künstliches Koma versetzt. Sein aktueller Manager Gebhard Rothermich lässt Anfang Juni verlauten, dass Drafi weiterhin in einem kritischen Zustand sei, aber gut auf die gereichten Medikamente anspreche. Eine Herzoperation, die nach Angaben der Ärzte erfolgreich verläuft, lässt zunächst das Beste hoffen. Doch am Morgen des 9. Juni 2006 verstirbt der Sänger in der Frankfurter Klinik an akutem Herz-Kreislaufversagen. Deutscher sei "nach zweiwöchiger Krankheit um 8.30 Uhr friedlich von uns gegangen", so Manager Rothermich gegenüber der dpa. Als einer der ersten äußert sich auch der Vorsitzende des deutschen Drafi Deutscher-Fanclubs, Marcel Just: "Ich bin ganz fassungslos. Seine Musik hat mich seit Jahrzehnten begleitet."

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