10. November 2017

"Ich denke jeden Tag an Lemmy"

Interview geführt von

Dieser Tage bringt Deutschlands bekannteste Metal-Frau ihre erste deutschsprachige Compilation "Für immer" heraus. Ihr letztes Album liegt einige Jahre zurück, da kann man sich ruhig mal zu einem netten Plausch in einem Kölner Restaurant treffen.

Als ich in die Burgerschmiede einkehre, die sich Doro für ihre Interviews ausgesucht hat, posiert Deutschlands bekannteste Metal-Frau gerade neben einer lebensgroßen Lemmy-Statue mit einer Schallplatte in der Hand. Ein merkwürdiger Anblick. Aber was tut man nicht alles, um die Pressefotografen glücklich zu stimmen. Doro präsentiert mir stolz die Vinyl-Ausgabe von "Für immer" und gerät sofort ins Erzählen.

Doro: Für das Video zu "Helden" habe ich meine ganze alte Plattensammlung mitgebracht, ich wollte das Lied unseren Helden widmen. Lemmy und Dio und Peter Steele und diese ganzen schönen Platten.

Du hattest Peter Steele im Video? Hab ich gar nicht gesehen.

Ja, als Foto. Wir haben eine Fotosession in Amerika gemacht. Von Pete Steele hatte ich keine Platte, nur CDs. Der Regisseur des Videos hat nur die Platten abgefilmt. Da sind ein paar Raritäten drin, die Motörhead-Single gibt es glaube ich nur sechs Mal. Also echt was für Nerds. (lacht)

In dem Video sehen wir also Originalsachen von dir?

Ja, von mir und meinem besten Kumpel, der ganz viele Sachen hat. Zeug für Sammler und Nerds.

Hast du eine große Plattensammlung?

Habe ich früher gehabt. Dann verlor ich zweimal in New York meine Wohnung, weil ein Hurricane kam. Dadurch habe ich viel verloren. In Deutschland lagert noch einiges, aber meine Lieblingsscheiben hatte ich alle mit rübergenommen. Wir haben auch immer drüben aufgenommen, da wollten ich die Platten dabei wissen. Einige sind unterschrieben, es waren auch welche von Ronnie James Dio dabei, da hatte er mir ein ganz liebes Briefchen dazu gelegt. Das ist alles weg. Die Plattensammlung ist also nur noch teilweise vorhanden, aber nicht mehr komplett.

Die Erinnungen sind ja noch da.

Das stimmt, aber manchmal möchte man die Sachen anfassen und sehen und dann kommen noch andere Erinnerungen hoch. Da war ich todtraurig, als die Platten weg waren, besonders über die Plattensammlung, Fotos, Briefchen, all sowas. Den ganz persönlichen Schnickschnack.

Du hast gerade die ganzen toten Helden aus dem Video erwähnt. Fühlst du dich selbst ein bisschen wie eine Überlebende?

Manchmal schon. Gerade in den letzten Tagen auch wieder. Ich weiß nicht, ob du es gehört hast, der Martin Eric Ain von Celtic Frost ist auch gestorben. Mit 50. Und so geht es mir auch privat. Wenn ich in Düsseldorf irgendwo hingehe, kommen die Geschichten. An der Tankstelle vor ein paar Tagen erzählte mir die Frau, ihr Mann sei gestorben, auch 50. Der war früher immer in der Altstadt, man kannte sich so vom Bierchen trinken. Manchmal denke ich schon, dass es krass ist, was alles passiert. Die allerliebsten Freunde waren mir der Lemmy und der Ronnie James Dio. Und das ist unwiderruflich vorbei. Man kann auch nicht mehr jemand anderen so liebhaben. Es war so eine tiefe menschliche Liebe zwischen Musikern und Künstlern.

Ich bin mit denen aufgewachsen. Wir haben 1986 die Monsters Of Rock-Festivals in England zusammen gespielt. Erst kamen wir, dann waren Motörhead dran. Da wurden viele Feuerwerkskörper geschmissen, damals war das noch alles etwas rauher, Konzerte und Festivals. Es gab auch keine Security, keine Wellenbrecher. Ich weiß noch, wie Lemmy sagte: "Wenn ihr jetzt nicht aufhört, die Dinger zu schmeißen, dann brechen wir den Gig ab." Das war so richtig hardcore. In England ging's immer hardcore zu. Hinterher haben wir uns dann unterhalten. Ach, so viele Erinnerungen haben einen dann verbunden.

Das interessiert mich jetzt doch mal: Wenn du neben so eine Lemmy-Figur zum Fotografieren gestellt wirst, brechen die alten Gefühle dann wieder auf? So lange ist sein Tod ja noch nicht her, nicht mal zwei Jahre.

Ich denke jeden Tag an Lemmy. Es vergeht keiner, an dem ich nicht an ihn denke. Wir sind gerade dabei, an einer neuen Platte zu arbeiten. Da wird auch ein Stück für Lemmy drauf sein, das heißt "Living Life To The Fullest". Wir werkeln immer daran herum. Außerdem habe ich eine Coverversion von Motörhead aufgenommen, einen unbekannteren Song. Ich will den Titel noch nicht sagen, sonst ist der ganze Witz weg. Es ist nicht "Ace Of Spades", auch wenn ich den Song liebe. Ein gefühlvoller Song, vielleicht packe ich ihn auf eine Limited Edition oder so. So bleibt Lemmy doch allgegenwärtig. Oder jetzt mit dem Video, sie sind immer dabei, Lemmy und Ronnie. Jimmy Bain ist auch letztes Jahr gestorben, der hat mit uns damals die Touren gemacht. Er war saunett. Aber immer sturzbetrunken, muss man dazusagen. Er kam oft in unseren Tourbus rein und blieb dann da liegen oder sitzen. (lacht) Tolle Momente. Oder Philty Animal Taylor. So viele Leute, die schon nicht mehr da sind, ich kann das gar nicht verkraften.

Und denen hast du jetzt "Helden" gewidmet. Hast du eine besondere Beziehung zu David Bowie gehabt?

Ja, ich hab ihn oft beim Proben in New York getroffen. Dort gibt es einen riesigen Proberaumkomplex namens SIR, dort proben alle für ihre großen Touren. Nicht nur Rockbands, auch Leute wie Mariah Carey, die war im Nebenraum. Bowie und ich sind uns oft über den Weg gelaufen, er hat immer wunderschöne Frauen im Arm gehabt, die immer zwei Köpfe größer waren als wir. Er war ein schicker Mann. Man hat sich meistens draußen getroffen, die Proberäume waren ja ziemlich dunkel und gut abgedichtet. Ich weiß nicht, ob er geraucht hat, aber wir mit der Band waren immer ein Zigarettchen qualmen. Dort haben wir auch mit Bowie gequatscht. Ich weiß noch, dass er zwei verschiedene Augenfarben hatte. Wenn er im Licht stand, hat man wie gebannt hingeschaut. Er war sehr speziell, hatte immer so ein verschmitztes Lächeln drauf. Aber cool. Zu seinem Gitarristen Earl Slick habe ich heute noch eine gute Verbindung, letztens schickte er mir erst wieder ein kleines Briefchen. Mit ihm zusammen hab ich damals "In Freiheit stirbt mein Herz" geschrieben. Irgendwie ist man sich mit denen immer über den Weg gelaufen. Ich hab sie nicht so gekannt wie beispielsweise Lemmy, aber man kannte sich.

Lass uns ein bisschen über die Musik sprechen. In den letzten Jahren ist es veröffentlichungstechnisch etwas ruhiger um dich geworden.

Vergiss die DVD nicht, an der haben wir zweieinhalb Jahre gebastelt. Es war ja ein Dreier-DVD-Set beziehungsweise zwei BluRays. Und eine Live-Platte. Es hat lange gedauert, das alles zu mixen, zu schneiden. Für die Live-Platte brauchte ich von allen Künstlern eine Genehmigung, das war aufwändig. Klar sagen die Leute, dein letztes Album ist schon länger her, ich verstehe das auch. Eine DVD hat nicht denselben Stellenwert wie eine neue Platte. Für unsere Die-Hard-Fans ist da aber 'ne Menge drauf, sieben Stunden Material. Aber an der neuen Platte hab ich auch schon geschrieben. Die soll nächstes Jahr zu Wacken erscheinen. Dort mache ich eine Jubiläumsshow mit allem Schnickschnack, Pyro und Licht. Und mit großem Bühnenbild und Gästen. Vielleicht sogar welche, die ich noch nicht hatte.

"Ich liebe Kuttenträger!"

Hast du schon überlegt, ob du in Wacken mehr von den deutschsprachigen Sachen spielen willst? Weil du jetzt gerade die Compilation rausbringst?

Weiß ich nicht, das Publikum in Wacken ist doch sehr international. Für die kommende Tour jetzt wollte ich viele Sachen einproben und dann die Fans entscheiden lassen. Vielleicht machen wir es über Facebook oder schauen, dass sich die Fanclub-Mitglieder was wünschen können. Nach der normalen Setlist rufe ich eigentlich immer ins Publikum und bitte um Wünsche. Da sind natürlich die ersten Reihen im Vorteil. Aber es werden vielleicht so vier deutsche Songs jetzt sein. Wir spielen auch in Belgien und Italien, das interessiert die Leute da vermutlich nicht so.

Die Platte kommt zwar überall raus, ist aber mehr für die deutschsprachigen Länder gedacht. Manche Songs sind auch so melancholisch, die passen vielleicht nicht gut in ein Live-Set, wo man total abrockt. Obwohl, das geht auch. Wir hatten mal ein Konzert, bei dem sich die Leute etliche Balladen am Stück gewünscht haben. Da haben wir eine Dreiviertelstunde nur langsame Sachen gespielt. Das war schön. Jeder Gig wird so gemacht, wie es sich am besten anfühlt.

Hast du keine festgelegte Setlist?

Nein. Ein kleines Skelett schon, aber der Rest wird accordingly gespielt. Manchmal geh ich bei der Vorband schon mal gucken, wie die Leute so drauf sind, ob viele Kuttenträger dabei sind. Manchmal sind nicht so viele da, dann bin ich ein bisschen traurig. Ich liebe Kuttenträger. Ich freu mich riesig, wenn die alte Schule kommt. Die kennen halt noch den alten Metal-Spirit und leben ihn weiterhin. Fans, die gerade neu hinzukommen, wissen ja gar nicht, was wir damals alles erlebt haben. Was uns so viel bedeutet hat oder warum. Manchmal kommen auch Fans ins Konzert, die sind fünfzehn und haben sich als erstes Album meine aktuelle Platte gekauft. Und fragen, ob wir denn noch mehr Platten hätten. (lacht) Dann freu ich mich immer total, weil ich weiß, dass die noch viele Perlen entdecken werden.

Jedes Konzert ist anders. Es kommt auch manchmal auf die Halle an. Wenn es ein Punk-Club ist, spielen wir eher die schnellen Nummern oder wenn mehr Oldschool-Fans da sind. Oder es kommen Leute, die nur "Für immer" kennen und sich damals dazu verliebt haben. Die sind nicht mit irgendwelchen B-Seiten vertraut, die spiele ich aber auch manchmal gerne. Das ist dann nur für ein paar Fans interessant, aber die anderen denken hoffentlich auch: Hört sich gar nicht schlecht an.

Was war denn für dich der ausschlaggebende Punkt, jetzt die Compilation mit den ganzen deutschsprachigen Liedern zu veröffentlichen?

Es gab ein paar Gründe. Zum einen hat "Für immer" jetzt dreißigjährigen Geburtstag. Es kam 1987 raus. Wir haben auch ein bisschen die "Triumph And Agony"-Platte gefeiert. Ich mache auch wieder viel mit unserem alten Gitarristen, dem Tommy Bolan. Wir haben ein paar Songs für die neue Platte geschrieben und waren gerade zusammen in Amerika auf Tournee. Ein weiterer Grund ist, dass bei einigen Songs die Rechte ausliefen. Einige Alben sind nicht mehr erhältlich. Alles, was zwischen 2002 und 2009 auf SPV/AFM erschienen ist. Dann haben wir uns überlegt, ob wir nicht ein eigenes kleines Label gründen, um die Sachen neu rauszubringen.

Dann hast du auch die Gewissheit, dass es vernünftig erscheint, nicht ohne Booklet und mit schlechtem Foto. Es gibt ja inzwischen diese Boxen, sieben CDs drin für fünf Euro. Mit dem schlechtesten Foto, was man je gesehen hat und ohne jegliches Booklet. Das tut mir in der Seele weh. Jede Platte hat schließlich zwei Jahre gedauert, manchmal eins, manchmal drei. Die "Für immer"-Scheibe ist jedenfalls das erste, was auf dem neuen Label rauskommt. Und dann vielleicht ein oder zwei Releases pro Jahr, schöne Sachen mit besonderer Gestaltung, Picturedisc oder was mit Cutout. Etwas Wertiges.

Willst du nur deinen eigene Sachen veröffentlichen oder planst du auch, später andere Künstler aufzunehmen?

Vielleicht. Wenn ich irgendwann sagen würde, die Band ist so geil, die kennt noch keiner und die möchte man unterstützen. Solche Bands habe ich mir oft als Vorbands eingeladen. Einfach, um den Leuten mal zu zeigen, dass diese Musik da ist. Wir haben viele Bands auf diese Art mitgenommen. Einige haben sich leider inzwischen aufgelöst, weil ihnen irgendwann die Puste ausgegangen ist. Es ist so schwer, zu überleben, wenn du nicht noch einen Job hast. Die Leute kaufen keine Platten mehr so, wie es in den 80ern und 90ern der Fall war. Viele tolle Bands mit Frauen mussten dran glauben, zum Beispiel Crucified Barbara aus Schweden, die waren supergeil. Oder Sister Sin, ebenfalls aus Schweden, die fand ich auch super. Die haben uns auf einer ganzen Amerika-Tour begleitet. Sowas könnte man vielleicht rausbringen, aber so weit bin ich noch nicht.

Empfindest du dich als Frau etwas als Vorreiterin im Rock- und Metalbereich?

Ich bin halt ein Metalhead. Ich liebe die Musik, ich liebe die Fans, und das ging immer über alles. Ich habe nie über mich selber nachgedacht. Dieses Thema "Frau im Metal", darüber wurde zwar oft geschrieben, weil es so offensichtlich war. Aber ich hab immer nur für die Musik gekämpft. Es ist schon als Musiker schwer genug, überhaupt dabeizubleiben, die Tour zu überleben oder die Platte rauszubringen. Oder die Unterstützung einer Plattenfirma zu bekommen. In den 90ern, als Grunge plötzlich so riesig wurde, da war es im Metal vollkommen egal, ob du Männlein oder Weiblein warst, da ging es um anderes. Aber klar, mir haben Frauen erzählt, sie hätten das "All We Are"-Video gesehen und sich davon inspirieren lassen, ihre eigene Band zu gründen. Oder eine Gitarre in die Hand genommen. Das höre ich manchmal, das freut mich auch total. Aber so als Frau? Ich hab nie gedacht, dass es ein Vor- oder Nachteil wäre.

In den letzen Tagen ist ja die Debatte um sexuelle Belästigung stark in den Medien. Stichwort Harvey Weinstein. Hast du im Metalbereich Erfahrungen damit machen müssen?

Ganz ehrlich: nie. Ich wurde immer supertoll behandelt, immer total supportet, habe mich von der ersten Stunde an sehr wohlgefühlt. Unsere erste große Tour war mit Judas Priest '86, das war ein Traum. Ich hatte nie das Gefühl, wir wären second best, weil ich eine Frau bin. Wir wurden ganz normal behandelt, bekamen volles Licht und Sound. Ich weiß noch, als die Tour ihren Abschluss in Skandinavien fand. Es war die "Turbo"-Tour. Ich spielte mit der Band und auf einmal gingen alle Pyros und Effekte los, der ganze Apparat. Die haben alles für uns als Vorband verpufft, einfach, um uns ein Abschiedsgeschenk zu machen. Das war grandios.

Und die nächste Tour mit WASP war auch toll. Die fand immer in solchen Eissporthallen statt, auf die ein dünner Teppich gelegt wurde. Und alle Crewmitglieder meinten lieb, ich solle nicht auf dem Eis rumlaufen. Hab ich natürlich alles ignoriert und war kurz später total krank, mit Fieber und dem ganzen Programm. (lacht) In einem der versifften englischen Clubs, in denen die Tour stattfand, hab ich mich so im Durchzug rumgedrückt, weil es keinen Dressingroom für die Vorband gab. Da kam Blacky Lawless und hat sich nach mir erkundigt und dann seinen Dressingroom für mich geräumt, damit ich mich dort ausruhen konnte. Und hat mir frisch gepresste Fruchtsäfte gebracht, sowas gab es damals in England überhaupt nicht. Und Magic Potions für meine Stimme später auch. Er hat mich dann bis kurz vor dem Auftritt schlafen lassen, der lief dann auch einigermaßen gut. Sowas habe ich nie vergessen. Ich wurde immer sehr gut behandelt. Aus eigenen Erfahrungen kann ich wirklich nichts Schlechtes sagen.

Ich finde, deine deutschsprachigen Texte haben eine große Direktheit. Ist es für dich leichter, Gefühle auf Deutsch oder auf Englisch auszudrücken?

Es kommt einfach so aus mir heraus. Wenn eine Nummer deutsch wird, dann kommt sie aus tiefster Seele. Ich plane da nichts, es schießt einfach aus mir raus. Ich merke, wenn sie eine Bewandnis oder eine Bedeutung haben, dann bekomme ich starkes Herzklopfen. Da stecken so viel Emotion und Energie dahinter, da merkt man: da brodelt was. Ich habe auch viele deutsche Songs auf Englisch umgedichtet, aber die haben alles verloren. Die habe ich dann nicht mehr auf die jeweilige Platte gepackt. Manchmal vielleicht auf eine Limited Edition, aber eher nicht. Wenn was auf Deutsch rauskam, dann hat es immer eine Kraft und Magie gehabt. Und meist sind mir diese Lieder kurz vor dem Einschlafen eingefallen. Zum Beispiel bei "Tausend Mal gelebt", 80 Prozent des Songs standen sofort, Melodie und Text.

Kommt bei dir denn zuerst Musik oder Text, wenn du schreibst?

Beides. Und das ist auch das Schöne. Einer meiner Songs heißt "In Liebe und Freundschaft". Ich bin zu meinem Vater gegangen, der leider nicht mehr lebt und den ich sehr geliebt habe. Wir waren das beste Team. Zu seinem Geburtstag schmücken wir immer sein Grab mit Röschen und Blümchen. Da kam mir auf einmal sowohl die Melodie als auch der ganze Text dieses Stückes. Ich musste das dann sofort aufsingen. Oder "Unter tausend Tränen", das kam so rausgeschossen, hatte ich noch nie erlebt. Wenn man weint, dann weint man, aber in dem Fall schossen mir Bäche raus. Wie eine Animation fast. Ich habe den Song direkt am nächsten Tag im Studio aufgenommen und dann Sandra Eichner von AFM geschickt, die damals beim Label für mich zuständig war. Ihr ging's genauso und sie war auch sehr ergriffen und meinte, das müsse unbedingt die Single werden. Also haben wir einen deutschen Song als erste Single veröffentlicht. Ich nahm ihn auch noch mal auf Englisch auf, aber der hatte keine Power.

"Ich bin unglücklich, ja"

Auf der Compilation befindet sich mit dem "Seelied" ein bisher unveröffentlichtes Stück. Aus welcher Epoche stammt das?

Es ist schon ganz viele Jahre alt. Ich habe es aus einer Einsamkeitsstimmung heraus geschrieben. Wenn man im Studio ist und alle wuseln um einen herum oder man sich um Songs kümmert und auf Tour geht mit 20 Leuten, fällt man manchmal in eine Einsamkeit, wenn man wieder alleine zu Hause ist. Da kann es manchmal ganz dunkel werden. Ich hab mich an ein altes Steinway-Piano in New York gesetzt und das Stück war ganz schnell da. Benutzt habe ich es bisher nicht, weil es auf keine andere Scheibe gepasst hat. Ein deutscher Song ruft immer so ein große Erwartungshaltung hervor. Der Text ist direkter und die Leute wollen vielleicht mitsingen. Und diese kleine Lied fällt da raus, ich habe mich bisher nicht getraut, es auf eine Platte zu packen. Aber jetzt war der richtige Zeitpunkt. Einen Tag, bevor die Platte gemastert wurde, hab ich es noch schnell aufgenommen.

Kannst du dir vorstellen, mal ein ganzes Album mit neuen deutschen Liedern zu machen?

Ich glaube nicht. Es ist mir wichtig, dass die Songs einfach so herauskommen. Sich hinzusetzen und bewusst nur deutsche Nummern zu schreiben, ich denke, das geht nicht. Es hätte dann auch nicht so eine tiefe Bedeutung für mich.

Wenn man die deutschen Songs auf der Compilation hintereinander hört, fällt auf, wie sehr sie sich stilistisch unterscheiden. Gab es Überlegungen, alle neu aufzunehmen und vom Sound her etwas anzugleichen?

Hab ich es, aber das ist schwierig. Manche Songs sind einfach so stimmig, die müssen genauso sein, da gibt es nichts zu verbessern. Man kann sie vielleicht mal in einem anderen Gewand aufnehmen wie bei meiner "Classic Diamonds"-Platte. "Tausend Mal gelebt" ist in dieser Variante mit auf der neuen Scheibe. Live kann man auch was anders machen. Aber noch mal ins Studio gehen und den Song verändern? Ich glaube, das kommt bei den wenigsten Songs gut. Ich finde auch, dass ein Lied ein Kind seiner Zeit ist. Inklusive des Produktionssounds. Und bei manchen Songs sind Gefühle, die man damals hatte, jetzt vielleicht gar nicht mehr so.

"Alles ist gut" habe ich 1993 für mein Album "Angels Never Die" geschrieben, der war eigentlich ironisch gemeint. Alles lag im Argen, in Deutschland ging es schlimm ab und man musste Angst um seine besten Freunde und Mitmenschen haben. Gemeint hatte ich mit dem Lied, dass im Gegenteil gar nichts in Ordnung ist. Aber die Fans haben ihn ins Herz geschlossen und mir gesagt: Endlich sagt mal jemand, dass alles gut ist. Dann konnte ich natürlich schlecht sagen, es geht eigentlich darum, dass alles vor die Hunde geht. Und fand es schön, dass man das Lied so für sich interpretiert.

Ist es ein schönes Gefühl, wenn Fans einen Song nehmen und für sich Dinge rausziehen, die sich quasi verselbständigen?

Ja, das ist ein schönes Gefühl. "Für immer" war aus einem Gefühl für meine engsten Freunde heraus geschrieben. Freundschaft ist eh ein Thema, das mir über alles geht. Dann haben den aber viele Leute auf ihre große Liebe bezogen, auf Hochzeiten wurde er gespielt, auch auf Beerdigungen. Das ist dann schön und richtig so.

Da deine Themen oft Freundschaft, Zusammenhalt und positive Energie sind: Wie fühlst du dich in einer Zeit wie der momentanen, wo gefühlt alles auseinanderbricht?

Ich habe es noch nie so schlimm empfunden, noch nie so unsicher und dass sich die Menschen so uneinig waren. Als ich 1987 in die USA rübergegangen und sofort da gelieben bin, herrschte dort ein total positives Leben. Man konnte alles machen, Freiheit ging über alles. Und jetzt feinden sich die Leute nur noch an und streiten. Man kann auch nicht mehr fernsehen, nur noch Diskussionen jeden Tag. Das macht einen ganz schön fertig und traurig. Als ich früher meine amerikanischen Bandmitglieder angesagt habe bei den internationalen Tourneen, da haben die Leute getobt, wenn sie gehört haben: Nick Douglas aus New York City! Das hat für so viel gestanden.

Und dann viele Jahre später meinten meine Amis: Bitte sag nicht mehr, dass wir aus Amerika sind. Es kamen Buh-Rufe und der Wind hatte sich gedreht. In der Tschechei sind mal Taxi gefahren und haben uns auf Englisch unterhalten. Der Taxifahrer fragte: Wo kommt ihr her? Ich sagte ihm, ich aus Deutschland, die anderen aus Amerika. Da sind wir aus dem Taxi geflogen und der Typ hat sich total ereifert. Das war richtig böse.

Und da baten mich die Musiker, zukünftig nur noch den Namen zu sagen. Momentan mache ich es auch nicht. Meine Jungs werden auch für das angefeindet, was gerade in der Politik los ist. Dabei können sie nichts dafür. Ich war ja großer Obama-Fan. Zum ersten Mal hatten meine Musiker eine Krankenversicherung. Vorher war das immer ein dermaßener Stress, wenn mal jemand krank wurde. Oder bei Operationen. Unser Bassist hatte mal einen Leistenbruch. Hier gehst du einfach ins Krankenhaus, die Krankenkasse bezahlt, fertig. Da drüben sollte die Operation 8.000 Dollar kosten, glaube ich. Zum Glück kenne ich einige Ärzte in Deutschland, die Rock-Fans sind, dann haben wir das hier gemacht. Und jetzt sind sie zum ersten Mal in ihrem Leben krankenversichert und schon wird es wahrscheinlich wieder geändert und gekippt. Dass Sachen, die so gut sind, überhaupt diskutiert werden, furchtbar. Ich bin im Moment unglücklich, ja. Das Klima in Amerika ist schrecklich.

Es wäre unschön, jetzt mit so einem negativen Thema aufzuhören. Ich muss noch irgendwas Positives fragen.

Es ist aber auch viel schwerer, was Positives zu schreiben als was Negatives.

Das kenne ich. Bei meinen Rezensionen fallen mir die Verrisse leichter, ich habe keine Ahnung, warum.

Es geht halt schneller, was kaputtzumachen. Ich hab damals in den Anfangszeiten gerne negative Lyrics geschrieben. Das war einfach geil. Es ging nur um Hölle und Dämonen, um "alles ist scheiße" und um Rebellion. (lacht)

Wenn man mit Metal anfängt, gehört das vermutlich auch einfach dazu. Wenn man das dreißig Jahre später immer noch macht, denke ich mir oft: Vielleicht könnte man sich auch mal ein paar andere Themen suchen.

Auf jeden Fall. Mein Motto war damals von Metallica übernommen: Kill 'em all. Aber das will ich nicht mehr, ganz im Gegenteil. Ich möchte positive Energie rausbringen, aus der die Leute Kraft schöpfen können. Es geht vielen Leuten doch total scheiße. Wenn ich von Land zu Land zuckel, bekomme ich das gut mit. Vielen Ländern geht es wirklich dreckig. In manche fahren wir gar nicht mehr, weil die Promoter dort keine Möglichkeit mehr haben, Gigs auf die Beine zu stellen. Zum Beispiel Griechenland, da war ich schon ganz lange nicht mehr. Aber auch in den USA teilweise.

Jetzt sind wir schon wieder bei den negativen Themen. Aber als nächstes machst du sicher eine schöne Tour?

Ja, nächste Woche geht es los, durch ganz Europa. Wir sind gerade von einer ganz tollen Amerika-Tour zurückgekommen. Da hab ich endlich wieder mit dem Tommy Bolan zusammengespielt. Er hat immer noch genauso viel geile Energie. Es war so schön, dass man sich wieder gefunden hat. Das ging damals auch auseinander, nicht weil wir das wollten, sondern weil Plattenfirma und Manager gesagt haben: der fliegt raus. Aber wir haben uns jetzt wiedergetroffen, machen wieder Musik zusammen und das funktioniert großartig. Er schwitzt und blutet immer noch bei jedem Song, das ist für die Fans richtig was zum Gucken. Es ist schön, wenn sich etwas wiederfindet, das zusammengehört.

Man wird natürlich auch älter und lernt ein bisschen dazu. Als junge Menschen waren wir oft überfordert. Wenn alte Säcke gesagt haben, ihr macht das so und so, dann haben wir gekuscht. Und du hattest auch keine Chance. Damals war das Plattengeschäft noch richtig machtvoll und jetzt ist alles wieder im Rahmen. Jetzt kannst du genau das machen, was du willst.

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