22. Juni 2012

"Ich bin fremdgegangen"

Interview geführt von

Am 30. Juni tritt Dieter Meier in Schaffhausen vor dem größten Wasserfall Europas auf. Selbst für den Schweizer Alleskönner ein waghalsiges Experiment.Dieter Meier spielt seit jeher viele Rollen. In erster Linie ist er der schnauzbärtige Zampano der Synthie-Pop-Band Yello, er könnte sich beim Einchecken in Hotels aber auch als Performance-Künstler, Schauspieler, Filmer, Fotograf, Autor, Musiker, Viehzüchter oder Weinbauer ausgeben. Nun könnte man meinen, der Schweizer hätte schon alles gesehen, alles ausprobiert. Doch am 30. Juni steht dem 67-Jährigen eine weitere Premiere bevor. Dieter Meier wird im Rahmen des Rheinfall Festivals in Schaffhausen am größten Wasserfall Europas mit einem eigens komponierten Rezital auftreten.

Das außergewöhnliche Projekt erfordert außergewöhnliche Planung. So tat sich Meier mit dem Klangkünstler Andres Bosshard und dem Lichtdesigner Roger Staub aus Los Angeles zusammen, letzterer bereits als Stagedesigner für Beyoncé zu Ruhm gekommen. Bei einer Pressekonferenz in seinem Zürcher Restaurant Bärengasse legt Meier Wert darauf, bei diesem Spektakel nicht im Mittelpunkt zu stehen, er werde von seinen Kollegen lediglich inszeniert, so Meier. "Der Rheinfall ist das Orchester, ich bin allenfalls der Bariton." Wenngleich er Details zu seinem Auftritt selbstverständlich für sich behält.

Klar ist nur, dass Meier mit dem Tosen des Wassers ins Duett tritt, während sein virtuelles Abbild den Rheinfall besteigen wird. Hinzu kommt die spezielle Komposition des Soundmeisters Bosshard. Man habe sich bei der Inszenierung vor allem auf die Klangfarbe des Rheinfalls konzentriert, erklärt Meier. So sei in gewisser Weise "eine neue Form von Wassermusik" entstanden.

"Wir wollen nicht in Wagnerische Niederungen abtauchen"

Die Konzeption der archaischen und lautmalerischen Wortspiele und Miniatur-Gedichte sind für Meier "eine Essenz aus vielem, das ich gemacht habe. Es ist etwas wunderbar Sinnloses, etwas Vergängliches, wie viele meiner Sachen aus der Vergangenheit. Einige meiner Skulpturen gab es nur für eine Stunde. In so einem gewaltigen Kontext kann man sich eigentlich nur nicht lächerlich machen, indem man sich darüber lustig macht. Wir wollen nicht in Wagnerische Niederungen abtauchen".

Keine philosophischen Deutungsversuche also, sondern eine dadaistische Abhandlung. Von Beginn an seien sich alle Beteiligten darüber im Klaren gewesen, dass man die mystische Urgewalt des Rheinfalls mittels dargestellter Ironie relativieren müsse. Meier nennt das Experiment ein Spiel mit dem Größenwahn. Und spürte trotz der besonderen Umstände der Vorbereitung keine Form künstlerischer Befreiung: "Ich spüre nie Befreiung. Das Leben ist eine einzige Befreiung."

Er halte es da gerne mit dem bekannten Satz "Werdet wie die Kinder": "Ein jüdischer Wanderprediger hat das gesagt, ein wunderbarer Satz. Er verfolgt eigentlich mein ganzes Leben. Jesus wurde im Laufe der Geschichte ja grausam verkrümmt zu dem, was er heute ist. Der war ja wahrscheinlich ein weiser und guter Mensch und nicht unser Herr, wie er immer genannt wird. Er ist ein guter Freund. Da ich Atheist bin, gehe ich damit sehr locker um."

"Mein Fremdgehen hat Boris Blank Spaß bereitet"

Meier betont, dass einer der großen Leitsätze seines Lebens keinesfalls mit dem Satz "Bleibt wie die Kinder" verwechselt werden dürfe: "Wir gehen durch den Unfall des Erwachsenenseins und all die Verschüttungen hindurch, um dann hoffentlich wieder zu einem Kind zu werden. Wir sind ja die Götter auf dieser Welt. Ich bin auch kein Buddhist, ich glaube nicht an die punktuelle Explosion der Erleuchtung. Irgendwann kann man sich hoffentlich lächelnd verabschieden."

Wenn der Auftritt beim Rheinfall Festival verdaut ist, freut sich Meier schon wieder auf seinen ursprünglichen und bekanntesten Soundboss, Yellos Boris Blank. "Wir sind schon dran an einer CD, die bald fertig sein wird", plaudert der Sänger aus dem Nähkästchen. "Es schwirren momentan viele lustige visuelle Ideen im Raum und wir hoffen, das Album im Oktober aufnehmen zu können. Der Arbeitstitel lautet 'Mellow Yello'." Der Name könnte zum Programm werden: "Früher waren unsere CDs ja richtige Achterbahnfahrten mit Größenwahnsinn, Kitsch, hier südamerikanisch, da orchestral. Die neuen Sachen fließen eher so dahin, finde ich. Das war auch die ursprüngliche Idee."

Ob Blank auch die Reise nach Schaffhausen zu Meiers Wassermusik-Rezital antreten wird, weiß der Sänger nicht. Er habe sich aber sehr darüber gefreut, seinen Kollegen kürzlich bei der Zürcher Uraufführung seiner akustischen Band Out Of Chaos im Kaufleuten begrüßen zu dürfen. "Obwohl es etwas ganz anderes war als Yello, fand er das gut. Ich bin ja sozusagen fremd gegangen. Aber als er gesehen hat, dass ihm mein Fremdgehen Spaß bereitet, war es in Ordnung", witzelt Meier.

Im Vorfeld sei er nämlich durchaus darauf gefasst gewesen, sich kritische Töne anhören zu müssen. "Blank hätte auch sagen können: 'Was für ein Blödsinn, das passt mir nicht, bleib du mal bei Yello.' Mir hat es daher viel Spaß bereitet, ihm zu zeigen, dass ich das kann. Denn es ist eine Sache, als Studiomusiker vor 500 Spuren zu sitzen, wo du alles tausend Mal wiederholen kannst. Aber auf einer Bühne in real time 90 Minuten lang zu singen ist etwas ganz anderes. Er hat eigentlich eher gedacht, dass ich das nicht kann."

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