23. Mai 2016

"Leute schreiben: 'Ticketmaster haben euer Artwork geklaut'"

Interview geführt von

Anfang des Jahres bescherten uns die Holländer ihr viertes Album "O" und gingen auf eine erfolgreiche Clubtour. Auch in Deutschland freuten sie sich über ausverkaufte Häuser.

Grund genug, sich mit Bandleader Torre Florim zum Telefonplausch zu verabreden. Etwas überraschend nimmt er direkt ab.

Ungewöhnlich, dass ich eine direkte Handy-Durchwahl bekomme.

Ja, wie läuft das denn normalerweise?

Meistens rufen die Gesprächspartner mich an, manchmal ist auch noch das Management dazwischen geschaltet und passt auf, dass man die Zeit nicht überschreitet.

Tja, wir mögen es lieber persönlich.

Ihr seid gerade von der Tour zurückgekommen. Wie liefs denn?

Sehr gut. Wir hatten eine Menge Spaß und viele ausverkaufte Shows.

Sogar in Deutschland dieses Mal, oder?

Ja, vorher haben wir immer vor vierzig oder fünfzig Leuten gespielt, aber irgendwie ist jetzt Schwung in der Sache drin.

Glaubst du, das hat mit den Videos zu tun? Speziell dem zu "Witch Doctor", das sich viral verbreitete?

Denke ich, und das höre ich auch so. Scheint für viele die Einstiegsdroge gewesen zu sein. Sie haben sich das Video angesehen, mochten es und haben sich mehr von uns angehört. Das beweist doch, dass ein gutes Video tatsächlich funktioniert.

Finanziert ihr die eigentlich selbst?

Für "Witch Doctor" hatten wir die Unterstützung eines niederländischen Fonds, der Geld für etwas abseitigere Videos mit verrückten Ideen zur Verfügung stellt. Wenn es denen innovativ und 'arty' genug ist, drücken sie dir Kohle in die Hand. Aber selbst wenn nicht, hätten wir es in Angriff genommen. Hätte bloß länger gedauert und mehr Durchhaltevermögen benötigt.

Lässt euch dieser Fond denn kreative Freiheit?

Ich hab mich mit drei Leuten, die ich schon vorher kannte, zum Brainstorming getroffen. Leute, die Animationen machen. Wir haben dann gemeinsam die Idee entwickelt und ein Drehbuch geschrieben. Dann sind wir damit zum Fond gegangen und die haben sofort gesagt: Das klingt gut, lasst uns das so machen. Also haben wir es umgesetzt. Es hat eine Menge Zeit gekostet, vor allem der Animationsteil, die CGI. Insgesamt neun Monate, hat sich aber gelohnt.

Wie ist denn die Band in den kreativen Prozess eingebunden? Oder sind die Videos alleine dein Ding?

Ich denke gerne über Ideen für Videos nach. Das ist sowas wie ein Hobby von mir. Wenn ich beginne, Musik zu machen, hab ich meistens auch schon eine Ahnung, was man visuell machen könnte. Manchmal habe ich sogar eine Idee für ein Video und schreibe dann die Musik dazu. Aber diese Sachen greifen ineinander. Ich bin deshalb gerne in einer Band, nicht nur der Musik wegen. Es macht einfach Spaß, sich Videos oder Konzepte zu überlegen oder Geschichte zu erzählen. Und Videos sind ein großer Teil davon, jedenfalls für mich.

"Ich mag es, Bands in die Küche zu schauen"

Lass uns kurz noch über deb Clip zu "Pep Talk" reden. Ist das in einer Einstellung gedreht oder sind da Schnitte drin?

Nein, komplett in einem. Wir haben drei Takes aufgenommen, der zweite war der beste, wenn ich mich recht erinnere. Der dritte Take ist ein bisschen aus dem Ruder gelaufen. (lacht) War einfach zu viel.

Vielleicht könnt ihr den mal als Outtake auf eine DVD packen oder so ...

Das ist 'ne gute Idee.

Mir gefällt besonders die Szene, als du ins Bild schlurfst und den Vorhang aufreißt.

Ja, dieses Gefühl kennt wohl jeder.

Kommen wir zum neuen Album "O". Das Cortana-Logo bei Windows 10 sieht genauso aus

Als wir uns entschieden haben, mit einem Blauweiß-Konzept rumzuspielen, sind wir schnell auf ein rundes Objekt gekommen. Das ist mir dann auch aufgefallen. Auf meinem Telefon, im Internet, überall in der digitalen Welt ist alles voll mit blauweißen Logos. Speziell in der Software-Branche, aus irgendwelchen Gründen. Facebook, Twitter, all diese Portale, auch Ticketmaster. Da haben sie sogar einen blauen Hintergrund mit einem weißen Kreis, wenn du auf die Bestellbestätigung wartest. Also man sieht es überall, und ich finde das ganz lustig. Mir schrieben auch schon Leute: Hey, ich wollte mir gerade ein Ticket für Adele kaufen, die bei Ticketmaster haben euer Artwork geklaut.

Seid ihr denn mit dem neuen Album zufrieden? Auch kommerziell gesehen?

Oh ja. Es läuft sehr gut, sogar besser als je zuvor. Als Band fühlt sich das wirklich gut an, wenn du ein viertes Album hast und die Verkäufe nicht runtergehen, sondern rauf. Wir freuen uns darüber.

Im Booklet habt ihr wieder sehr akribisch aufgeführt, welches Equipment verwendet wurde.

Für mich ist das auf viele Arten cool. Als Musiker finde ich es immer gut, wenn ich Bands quasi in die Küche schauen kann und sehe, was für Zeug die benutzen. Oder du siehst, dass man nicht eine Million Gitarren braucht und auch mit Instrumenten spielen kann, die kein Vermögen kosten. Als würde dir einer das Bandrezept geben und sagen: viel Spaß damit. Mir gefällt die Auflistung jedenfalls, und ich habe das so noch nirgendwo anders gesehen. Schaut auch gut aus. Das unterstreicht auch den musikalischen Aspekt. Wenn du die Instrumente im Booklet siehst, hörst du sie auch eher. Du beschäftigst dich mit der Musik auf andere Weise.

An der Oberfläche klingt das Album eingängiger und vielleicht etwas oberflächlicher als vorher. Wenn man genau hinhört, fallen einem dann erst die ganzen Details im Hintergrund auf.

Wir haben versucht, die Platte so offen und klar wie möglich zu halten. Trotzdem ist die Musik nicht einfach zu spielen. Sie hört sich leicht an, aber sie ist es nicht. Weniger Noten, offensichtlichere Melodien, das macht es wohl für einige Leute einfacher zu hören.

Habt ihr euch eine Art Masterplan überlegt? Beispielsweise die Keyboards noch weiter in den Vordergrund zu schieben?

Nicht unbedingt. Viele Leute sagen, es wären mehr Synthesizer und Keyboards auf der Platte, aber eigentlich ist es dieselbe Menge. Sie klingen wohl etwas prominenter und übernehmen mehr Leadmelodien. Aber das war nicht geplant, es ist einfach passiert. Außerdem haben wir etliche Gitarrensounds dieses Mal, die wie Synthesizer klingen. Und einige neue Effektgeräte. Du glaubst, du hörst Synthies, aber in Wirklichkeit sind das Gitarren. Wir wollen jedes Mal ein bisschen was Neues ausprobieren, um nicht immer das gleiche Album aufzunehmen.

Die Zielrichtung war: offen und klar, mir fällt keine bessere Beschreibung ein. Mit einer größeren Bandbreite, bei der du nie ganz sicher sein kannst, was du hörst. Auf "I_Con" hatten wir viele verschiedene Schichten, beim aktuellen Album wollten wir es offener halten. Einen Shaker beispielsweise nur dann verwenden, wenn der Song ihn wirklich benötigt. Keine Notwendigkeit, kein Shaker.

Könntest du dir vorstellen, die Bandbreite noch zu erweitern? Eventuell mal mit einem Orchester zu arbeiten?

Das hatten wir sogar schon mal. Aber ich stehe da auf dem Standpunkt, es nur zu machen, wenn es erforderlich ist. Du hast immer das Problem, die Sachen auch live umsetzen zu müssen. Okay, jetzt haben wir die Streicher, wie bekommen wir die live in den Song? Und wir sind eh schon zu fünft auf der Bühne. Ich möchte gerne in der Lage sein, alles live spielen zu können.

Wenn du also Streicher drin hast, musst du dich fragen, ob du den gleichen Vibe nicht auch mit den Instrumenten und Geräten umsetzen kannst, die du eh benutzt. Man müsste also auf Samples zurückgreifen oder zum Computer spielen. Darauf habe ich keine Lust. Aber klar, wenn ein Song Streicher braucht, dann packen wir sie rein. Ich sage sicher nicht nein dazu. Bloß ist dann die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du diesen Song nicht live hören wirst. Wer weiß, vielleicht ist unsere fünfte Platte voll von Streichern und du hast mich inspiriert. (lacht)

Das habe ich nicht gewollt! Im Ernst, ich halte es für eine gute Sache, die Songs nicht zu überladen. Man hört doch öfter mal Bands, bei denen die Hälfte aus dem Sampler kommt. Ich finde das nicht so überzeugend.

Stimme ich voll zu. Ich verstehe schon, warum Bands das machen. Trotzdem denke ich, dass es vielen Zuschauern einfach egal sein wird. Vielleicht geht auf einer unterbewussten Ebene was vor sich. Irgendwie merkst du doch, dass die Musik dadurch weniger dynamisch und echt ist. Aber das hängt natürlich auch vom Künstler ab. Tonnen von Hip Hop-Künstlern scheren sich nicht darum, bei denen passt es einfach. Wenn die so arbeiten wollen, wunderbar. Für uns ist es schöner und macht mehr Spaß, wenn wir auf der Bühne alles machen können, was wir wollen. Und das klappt am besten, wenn man nicht mit einem Clicktrack spielen muss. Man ist komplett frei.

Das lässt mehr Raum für Improvisationen.

Genau. Oder wenn du einen Song schneller spielst, weil dich der Vibe an dem Abend einfach mitreißt. Das passiert automatisch. Manchmal wird der Song auch langsamer, weil allen total heiß ist. Das macht Spaß. Nur so wird jede Show etwas anders. Und das ist für mich das, was eine Liveshow ausmacht. Ein Konzert ist eine einzigartige Erfahrung, die jedes Mal anders sein sollte. Und so ist es auch. Jeden Abend spielst du an einem anderen Ort, andere Menschen kommen, alles verändert sich. Da erzähle ich dir sicher nichs Neues.

"Ich fühle mich zurzeit sehr von St. Vincent inspiriert"

Einige der Texte auf "O" drehen sich um Trennungen. Gabs da einen konkreten Aufhänger in deinem Leben?

Eigentlich nicht. Auf dieser Platte geht es mehr darum, in einer Schleife gefangen zu sein und immer wieder den gleichen Mist durchlaufen zu müssen. Gut, ein paar Songs haben auch mit Beziehungsenden zu tun. Aber deswegen halte ich "O" für so einen guten Titel. Die Songs handeln davon, für immer in irgendetwas gefangen zu sein, immer die gleichen Streitigkeiten mit der Freundin auszufechten, solche Dinge. Oder seine Eigenschaften an sein Kind weiterzugeben und den Kreislauf damit am Laufen zu halten. Darum geht es in "Baby". Viele Eltern hatten mal Träume, die sie jetzt auf ihre Kinder projizieren. Vollkommen normal.

Also reden wir hier weniger von autobiografischen Erlebnissen, sondern allgemeinen Vorstellungen?

Nein, eine Menge davon handelt schon von mir. Aber es ist auch eine Kombination von Dingen, die ich wahrnehme. Manchmal überspitze ich die Texte bewusst, um meinen Punkt rüberzubringen oder um das Thema etwas bildlicher zu gestalten. Aber klar, das Album dreht sich auch um mich. Ich bin jetzt 30. Seit acht Jahren spiele ich in dieser Band und manchmal fällt dir auf, dass sich die Dinge wiederholen. Und manchmal wiederholt sich jeder einzelne Aspekt deines Lebens. Das ist eine natürliche Sache, bloß habe ich erst jetzt angefangen, darüber zu schreiben. Du bemerkst plötzlich gewisse Muster um dich herum.

"Make The Call, Leave It All" überdreht dieses Gefühl, da treiben wir es richtig auf die Spitze. Das Lied könnte aber auch von jemandem handeln, der im Büro arbeitet. Jeden Tag, du fühlst dich wie ein Fisch in einem Aquarium, schwimmst nur im Kreis rum und schaust raus. Aber du entkommst nicht.

Das kann vermutlich jeder nachvollziehen, der arbeitet - oder schon mal in einer langen Beziehung war.

Ja. Also sagen wir doch, das Album handelt nicht so sehr von mir zum aktuellen Zeitpunkt. Manchmal hast du solche Gefühle eben und für mich war es sehr interessant, darüber zu schreiben.

Wenn du Songs schreibst, fängst du mit der Musik oder den Texten an?

Immer mit der Musik. Wenn ich Musik schreibe, fange ich aber auch direkt an, zu singen. Die Worte müssen dann noch keinen Sinn ergeben, die sind erstmal Platzhalter. Manchmal passen sie aber direkt und ich muss nur noch schauen, wie ich sie am besten einbaue. Das ist eine merkwürdige Vorgehensweise, für mich funktioniert sie sehr gut. Wenn du aber eine komplette Melodie fertig hast und Worte finden musst, die darauf passen, das ist nicht so leicht. Manchmal habe ich Glück und ich singe direkt Worte mit Bedeutung.

Abschließend möchte ich noch wissen, welche Musik dich inspiriert. Was hörst du dir im Moment so an?

Ich fühle mich zurzeit sehr von St. Vincent inspiriert. Sie ist wirklich fantastisch bei allem, was sie anpackt. Und natürlich Iggy Pop, den ich schon immer geliebt habe, von den Stooges-Platten bis heute.

Hast du seine neue schon gehört?

Bisher lediglich ein paar Tracks. Ich hab mir die Platte gekauft, aber noch nicht so richtig Zeit gehabt, mich damit zu beschäftigen. Was ich gehört habe, war super. Klingt alles sehr entspannt und gut für seine Stimme. Er hört sich wie ein cooler Typ an.

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