24. Februar 2003

"Der Teipel hat nur Lügen abgedruckt"

Interview geführt von

Wir dagegen wollen zunächst erfahren, wie es dazu kam, dass die grundverschiedenen Charaktere von Görl und Delgado nach so langer Zeit wieder Lust auf DAF bekamen. Im Laufe des Gesprächs lernen wir einen heißblütigen Sänger Gabi Delgado kennen. Er wirkt rastlos, seine Antworten brechen geradezu aus ihm heraus und im nächsten Moment ist er schon wieder ganz woanders.

Sein Partner und Programmierer Robert Görl vermittelt das genaue Gegenteil: Er ist ruhig, abwartend und nachdenklich. Schwer vorstellbar, wie diese beiden zusammen harmonieren können, für ein neues DAF-Album hat es jedenfalls gereicht. Zunächst greift sich Delgado den Hörer.

Warum kehren DAF im Jahre 2003 zurück?

Delgado: Warum? Nun, vor drei Jahren wurde der textliche und musikalische Austausch zwischen Robert und mir immer intensiver und da war dann auch der Wunsch da, DAF wieder zu machen. Es ist schwierig zu beschreiben, warum. Da ist oft auch viel Intuition dabei. Man merkt, es liegt etwas in der Luft. Wir hatten wirklich Lust auf was Neues und wollten explizit 15 neue Kompositionen. Das hat dann etwas länger gedauert, auch um die richtige Struktur zu finden, dass wir volle artistische Kontrolle haben.

Das ist für uns sehr wichtig, denn wir nehmen ja kein Blatt vor den Mund. Ja und nun sind wir wieder da. Wir hatten einfach gemerkt, Robert Görl + Gabi Delgado = DAF. Eine ziemlich einfache Formel. Und das war auch keine Schwierigkeit. Es war sehr leicht das zu machen. Auch wenn es ein langer Prozess war, in den wir viel Arbeit und Liebe investiert haben. DAF haben ja auch nie an Aktualität verloren.

Musikalisch oder textlich?

Delgado: Ich denke, dass wir in beidem Pioniere waren. Elektronische, track-orientierte Musik bestimmt doch heute das Programm der Diskotheken. Und auch die deutsche Sprache hat heute ihren festen Platz, gerade durch Hip Hop wird im Vergleich zu früher doch sehr viel Klartext geredet.

Eure Anfänge wurden in Jürgen Teipels "Verschwende Deine Jugend"-Buch ja sehr umfassend geschildert. Allerdings auch eure grundverschiedenen Lebenspositionen in den 90er Jahren, die eine DAF-Reunion in weite Ferne rücken ließen. Von dir kam dazu noch das harte Zitat: "Mit Robert ist es wie mit einem alten Hemd, das man aus dem Schrank zieht. Man hat es einmal gemocht, aber nun passt es nicht mehr".

Delgado: Ich sage dir ehrlich: in diesem Buch stehen viele Sachen drin, die überhaupt nicht stimmen, ja? Ich habe dieses Interview am Telefon gegeben, über Handy, auf der Fahrt zu einem Konzert, ja? Ich stehe dem Buch nicht positiv gegenüber. Was mir überhaupt nicht gefallen hat: der Jürgen Teipel hat mich nie gefragt, geschweige denn informiert, ob er das Buch denn so nennen darf. Und dieses Interview ist mir nie vorgelegt worden. Ich hatte nicht die Möglichkeit, es zu autorisieren, sonst hätte ich das nicht durchgehen lassen.

Wie es in unserem Song "Die Lüge" schon heißt: Bücher sind Lügen, ja? Und auch wie der Teipel das zusammen geschnitten hat, mit verschiedenen Zitaten von verschiedenen Leuten, das wirkt teilweise sinnentstellend. Dass das Buch trotzdem eine gute Welle für uns war, ist klar. Trotzdem bin ich sauer, weil da viele fette Lügen drin stehen. Und ich weiß, das andere Leute auch sauer auf Teipel sind. Aber da darf ich jetzt gar nix mehr weiter sagen, sonst gibt’s am Ende noch ne Sammelklage gegen den Mann.

Aber Teipel hätte das Buch doch so gar nicht abdrucken können, wenn die Zitate in Verbindung mit euren Namen nicht stimmen würden.

Delgado: Pass auf, damit wir das ein für allemal klären und dann gebe ich dir den Robert: der Jürgen Teipel wollte ständig, dass ich ihn auf meine Kosten über Handy anrufe. Und der klang für mich schon am Telefon wie so eine Art spießiger Studententyp, sag ich mal. Meine Kumpels und ich haben uns dann einen Scherz erlaubt: immer wenn er auflegen wollte und meinte "Ohhh, jetzt wird's aber wirklich teuer", dann habe ich irgendwas erfunden, irgendwelche Lügen erzählt, so was wie: "Wusstest du, dass ich aufn Strich gegangen bin?" Nur damit er am Telefon bleibt. Das ganze Auto hat über den gelacht. Und diese Lügen hat er dann eben abgedruckt. Von meinem Text kann man etwa die Hälfte als nicht wahr bezeichnen. Die Aufzeichnung von diesem Telefongespräch möchte ich auch mal gerne hören, ob man solche Sätze überhaupt darin findet, ja?

Als Leser des Buchs kann man natürlich nicht wissen, dass es dir mit Teipels Projekt nicht ernst war.

Delgado: Nee, deswegen sag ich das ja. Es ist egal ob du Fernsehen guckst oder in die Kirche gehst, zwei Drittel von dem was du hörst, sind eh Lügen. Ich arbeite auch wie ein Geheimdienst. Jedes zweite Wort ist eine Desinformation. (lacht) Aber nochmal zu Teipel: Schwamm drüber. Hat ja in gewisser Weise auch viel für uns gemacht. So, und jetzt gebe ich dir den Robert.

Görl: Hallo.

Hallo Robert. Wir reden gerade über das Teipel-Buch, das bei Gabi ja anscheinend nicht sehr hoch in der Gunst steht ...

Görl: Ja, Gabi war damals sehr überrascht, als das zum Buch wurde. Das wurde wohl nicht jedem gesagt.

Nach deinem schweren Autounfall Anfang der 90er Jahre hast du begonnen, dich für die spirituelle Welt zu interessieren. Du hast einige Asien-Reisen unternommen und an einer Stelle im Buch sprichst du gar davon, ein Kloster für den Rest deines Lebens finden zu wollen.

Ja, ich habe seit Anfang der 90er auf meinen Reisen durch Thailand sehr viele Mönche kennen gelernt, auch Wandermönche. Eigentlich wollte ich ein Kloster für mich finden, einen Ort, an dem ich bleiben könnte und der mich spirituell weiter bringt. Aber auf all meinen Reisen habe ich diesen Platz nicht gefunden. Letztlich kam ich zu der Erkenntnis: Ich bin mir selbst mein Kloster. Ich kann überall sein. Ähm, kannst du damit etwas anfangen?

Ja schon. Nur wurde im Buch der Eindruck vermittelt, dass du dich von der Sex, Drugs & Rock'n'Roll-Welt, in der Gabi ja noch zugange war, völlig verabschiedet hast, bis auf einige Techno-Platten, die du auf Disko B veröffentlicht hast.

Görl: Ich habe mich in dieser Beziehung auch sehr geändert, das stimmt. Ich denke ich habe jetzt den Weg der Mitte gefunden. Weder ernähre ich mich asketisch, noch laufe ich alten Exzessen hinterher. Wobei ich auch mehrere Jahre mit Asketen zusammen gelebt habe. Doch in dieser Art von Abwendungswelt besteht wiederum auch eine Form der Extreme.

Hattest du während dieser Zeit Kontakt zu Gabi?

Görl: Ich bin ihm immer wieder über den Weg gelaufen. Selbst wenn wir uns mal zwei, drei Jahre nicht gesehen haben, dann wurde zumindest ab und an telefoniert. Vor etwa drei Jahren habe ich ihn in Berlin besucht und er kam dann mal nach München und so entstand diese DAF-Idee. Trotz meiner Asienreisen war ich ja nie ganz weg vom Musikgeschehen. Hätte ich aber ein Kloster gefunden, das für mich bestimmt gewesen wäre, wäre ich vielleicht geblieben.

Weißt du schon, wohin es dich nach der angekündigten DAF-Tournee hin verschlägt?

Görl: Ich sehe heute alles sehr leicht. Ich muss nicht mehr überall hinrennen. Ich kann jetzt Sachen auf mich zukommen lassen und was immer es ist, ich schaue es mir an.

Von eurem neues Album habe ich bislang nur fünf Songs in gekürzter Form gehört. Das meiste klingt größtenteils wie das, was ihr schon in den 80er Jahren gemacht habt, bis auf den Song "Liebeszimmer", der ziemlich heraus sticht, wie ich finde.

Görl: "Liebeszimmer" ist eine meiner Lieblingsnummern, von der spreche ich natürlich nur positiv. (lacht) Nein, ich bin ja auch mit allen anderen Songs sehr zufrieden. Einen roten Draht zu damals wollten wir definitiv herstellen, aber ohne wie eine Selbstkopie zu klingen. Wir haben deshalb wie damals viel analoges Equipment benutzt, das wir aber mit neuer Software vernetzt haben. Wir wollten uns treu bleiben, ein bisschen im alten Sinn.

Bei einem Song wie "Die Lüge" könnte man euch dagegen Stagnation vorwerfen.

Görl: Stagnation würde ich nicht sagen. Es klingt immer noch modern. Wenn man sieht, dass sich heute auch ganz neue junge Bands analoges Equipment suchen, um repetitive Tracks zu komponieren, das ist ja alles wieder sehr aktuell.

Hast du Einfluss auf Gabis Texte?

Görl: Wir beeinflussen uns gegenseitig. Jeder hat seinen Masterbereich, Gabi die Texte und ich die Musik. Aber wir können schon bei dem andern reinschauen. Außerdem bedarf es bei jedem Track, den wir letztendlich produzieren, einer 2:0-Entscheidung, dass er durchkommt. Warte, ich geb dich mal an Gabi weiter.

Delgado: Hallo? Ja, wir spielen nach Streetballregeln, weißte? Wenn jemand ein Foul macht, dann muss man das selbst anzeigen. Auch diese Streitfragen zwischen uns sind aufgebauscht worden. Natürlich hat mich Robert manchmal genervt und ich ihn, logisch. Wir kennen uns 25 Jahre. Wir reden halt nicht um den heißen Brei herum, sondern sagen, wenn uns was nicht passt.

Einen Kommerz-Vorwurf, der euch im Zuge des Revival-Taumels in Sachen Elektro oder eben dem Teipel-Buch begegnen könnte, fürchtest du also nicht?

Delgado: Von diesem Vorwurf habe ich ja noch nichts gehört. Soso. Also ich denke, die meisten Leute sind ganz froh, dass wir wieder was zusammen machen. Ich habe auch eine einfache Philosophie: Wenn man Geld braucht, dann sollte man nicht den Umweg über Musik oder Kunst gehen oder eine Bäckerei aufmachen. Sondern man sollte überlegen: Wo ist das Geld? Am besten man geht direkt ins Geld-Business. Ob das Aktien oder Banküberfälle sind, bleibt jedem selbst überlassen. Das nur als kleine Empfehlung an eure Leser und Hörer, ja?

Der Bandname Deutsch-Amerikanische Freundschaft wurde von euch einst gewählt, um zu provozieren. Ironischerweise tut er das heute wieder.

Delgado: Selbstverständlich. Die Musik und die Texte von DAF sind von den Zeitenwenden nicht eingeholt worden. Außer der Text zu "Kebabträume". Mauerstadt und Stacheldraht, das ist ja vorbei. Aber den Song spielen wir live auch nicht mehr. Und unser Bandname war immer ironisch zu verstehen.

Die politische "Freundschaft" zwischen Deutschland und Amerika thematisiert ihr auch in der neuen Single "Der Sheriff".

Delgado: Was ist das überhaupt für eine seltsame Art von Freundschaft? Eine echte Freundschaft ist sehr schwierig, wenn das Machtgefälle so groß ist.

In diesem Fall geht es um Abhängigkeiten.

Delgado: Genau, und obwohl es beides angeblich souveräne Staaten sind, leben wir doch im amerikanischen Weltreich. Der Sheriff ist nunmal der Bush. Aber es ist auch ein Anti-Sheriff-Lied. Denn wenn du die Tschetschenen fragst, dann ist vielleicht der Russe der Sheriff. Der Sheriff hat ein Gewaltmonopol und damit kann er die Leute zwingen, an bösen Taten teilzunehmen und andere Leute zu lynchen. Reitet man nicht mehr mit dem Sheriff, wird man sozial geächtet und vielleicht sogar das nächste Lynchopfer.

"Der Sheriff" ist also ein Song für den Frieden?

Delgado: (lange Pause) Tja ... du musst bedenken, wir machen Filme. Sehr klare, präzise Filme, die oft auch sehr heiße Themen anpacken, ja? Ich glaube es war schon immer unser Style, das im Abspann eben gerade nicht steht, dies bedeutet das und das. Der Text ist deutlich genug.

Das Interview führte Michael Schuh

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