3. Dezember 2010

"Ich muss keine 18-Jährigen in Nürnberg missionieren"

Interview geführt von

Vier Jahre sind seit dem letzten Console-Album "Mono" vergangen. Dazwischen liegen ein Notwist-Album und zahlreiche DJ-Sets als Acid Pauli.Martin Gretschmann ist in seinem Studio in Weilheim. In einer Stunde soll unser Skype-Video-Interview steigen und ich freue mich schon darauf, ansatzweise zu sehen, in welcher Arbeitsumgebung der Console-Schöpfer seine dampfenden Ambient-Tracks ausbrütet. Doch dann eine E-Mail: Sein Laptop hat den Geist aufgegeben und im Studio gibts kein Festnetz. Halb so wild: Gretschmann läuft mit seinem Handy so lange herum, bis der Ton für mich absolut störungsfrei ist.

Martin, wir wollten uns ja eigentlich per Video-Skype unterhalten, aber dann hast du mir geschrieben, dein Rechner sei abgeraucht.

Martin: Genau. Gestern Abend wollte ich noch Mails bearbeiten und dann kam irgendwann nur noch der Kreisel. Jetzt ist die Festplatte kaputt.

Waren da auch Songs drauf?

Ja, aber es geht noch. Das letzte Backup ist ne gute Woche alt. Von daher: Shit happens.

Du wohnst ja immer noch in Weilheim. Existiert denn noch die Szene von früher, aus der du auch stammst, also Ende der 90er Jahre, als diese ganzen Bandprojekte den Namen Weilheim salonfähig machten oder hat sich das über die Jahre alles nach München verlagert? Und wie viele deiner alten Musikkumpels gehen heute einem normalen Job nach?

Die Szene hat sich auf jeden Fall ausgedünnt. Eigentlich gibt es nur noch Lali Puna, Notwist und Console. Bei Ms. John Soda ist auch schon ne ganze Weile Babypause. (überlegt) Ja. Es ist jedenfalls nicht mehr so, dass man sich sowieso immer irgendwo trifft und man gemeinsam an Ideen herum spinnt. Gut, dann gibts noch Tied & Tickled Trio und die Sachen, bei denen Micha und Markus mitspielen, da gibts zum Beispiel noch so ne Blues-Band, aber eine Szene ist das nicht mehr.

Wenn der Schweinzl (aka Hometrainer, Console-Bandmitglied, Anm. d. Red.) demnächst noch ein Dorf weiter weg zieht, bin ich quasi der letzte von dieser Urszene, der hier noch rumhängt. Natürlich gehen auch viele regulären Jobs nach, denn von einer Band wie Console kann ja keiner leben. Dazu spielen wir auch zu wenig.

Du hast neben Console ja noch das bekanntere Standbein The Notwist, legst nebenher als Acid Pauli auf oder komponierst Soundtracks. Womit verdienst du denn in erster Linie deinen Lebensunterhalt?

Also ich kann dir das jetzt nicht in prozentualen Anteilen sagen, das wäre schwierig. Naja, hauptsache es reicht. Klar, wenn wir mit Notwist ne Platte machen und auf Tour gehen, kommt da am meisten rüber. Wenn wir das aber nicht machen, isses tatsächlich das Auflegen und natürlich meine Hörspiele.

Musstest du auch schon mal Aufträge annehmen, die dir künstlerisch nicht so zusagten, die aber gutes Geld einbrachten?

Ehrlich gesagt schon ziemlich lange nicht mehr. Gott sei Dank. Vor zehn Jahren oder so, als es mit Console gut lief, gabs ziemlich viele Remixanfragen. Da waren auch Sachen dabei, bei denen ich dachte: Das musst du jetzt nicht unbedingt machen. Aber die waren halt manchmal unverschämt gut bezahlt. Also warum nicht? Bei einem von denen hab ich damals gedacht, okay, das nimmste jetzt mit und mit dem Geld können wir dann endlich unser eigenes Label Smaul Records gründen. Und das haben wir dann auch gemacht. Also es war schon okay, ich musste mich da nicht total verbiegen, aber man hat halt manchmal in dem Moment keine Lust oder so.

Irgendwann in dieser Phase, als ich verdammt viele Remixes gemacht habe, kam dann aber auch der Punkt, an dem ich dachte, das wird mir jetzt alles too much. Deshalb hab ich das dann auch runtergefahren. Jetzt bin ich natürlich auch total happy, dass ich alles grade so machen kann, wie ich will. Ich glaube auch, dass das langfristig das einzig Sinnvolle ist. Das ist einfach authentisch. Ich mache einfach genau das, was ich in diesem Moment tun will. Und ich glaube, das merken die Leute, das hört man dann auch oder man spürt es, eben weil es ehrlich ist.

Ich höre da raus, dass du im Moment nicht gerade mit Remixanfragen überschüttet wirst. Also nicht etwa wie damals, als Großkaliber wie Depeche Mode anfragten.

Ach, dafür gabs jetzt gar nicht so viel Geld. Das habe ich halt gemacht, weil ich die Band respektiere und bewundere. War ein geiles Kompliment. Richtig viel Geld gabs mal für eine Band aus Amerika, die ich gar nicht kannte. Oder ich hab ja auch mal einen A-ha-Remix gemacht. Das fand ich dann schon wieder lustig, dass ich da ne Anfrage bekomme, weil die Band ja eher nicht so mein Geschmack ist, das Stück auch nicht.

Aber das Tolle am Remixen ist ja, dass du alles wieder so machen kannst, dass es dir gefällt. Ich habe auch immer Remixe gemacht, die mir gefallen und habe im Vorfeld deshalb immer gefragt, ob es sowas wie ein No-Go gibt. Aber es hieß eigentlich immer: Mach was du willst. Und so hab ich das auch gemacht.

In letzter Zeit zieht das wieder an mit den Remixe, allerdings eher als Acid Pauli. Und seit ein paar Jahren habe ich keinen einzigen Remix mehr für Geld gemacht. Ich mache das nur noch für Freunde oder im Tausch, als Remix-Deal. Jeder macht einen Remix für den anderen, wie jetzt gerade mit Velten und Dirty Doering oder mit dem Dritten Raum. Die macht man dann auch gern und umsonst.

"Mit der Console-Band hätten wir nie einen Termin gefunden"

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Acid Pauli- und einem Console-Remix?

Bei Acid Pauli is die Prämisse schon Club und Tanzen. Das wird auch nicht ewig so sein, mal schaun. Bei Console könnte es zwar auch ein Club-Remix sein, ist aber dann meistens so, naja, wie heißt das, IDM oder Ambient oder sowas. Der Mix kann auch gern ein komplett anderes Tempo haben.

Dank unseres gemeinsamen Freundes Dominik Kraus kam ich kürzlich in den Genuss deiner Clubrakete "Paul ist tot" von den Fehlfarben.

Stimmt, der hat sich das mal gewünscht und dann hab ichs ihm mitgebracht.

Wie sehr juckt es dich denn, so etwas zu veröffentlichen, wenn es in deinen Sets super funktioniert? Dein Johnny Cash-Remix zu "I See A Darkness" zählt für mich ja immer noch zu deinen Meisterleistungen.

Das kommt drauf an. Letztes Jahr gabs ja einen Marvin Gaye-Remix von mir als White Label. Aber das meiste in dieser Richtung mach ich erstmal für mich zum Auflegen. Vieles passiert ja auch spontan, wenn ichs zusammen mische, da passt ja manchmal überraschend was total gut zusammen und das spiele ich dann öfter. Aber nen Mix mache ich davon fast nie.

Und irgendwie finde ich das auch gut, etwas zu haben, was nicht jeder hat. In meinem Umfeld gibts so Leute wie Daniel Bortz aus Augsburg, der grade auch ganz viele Edits oder Remixe macht und die dann immer an ein paar Leute raus schickt. Und ich finde es eigentlich total cool, wenn man so Remixe hat, die speziell sind und die noch nicht veröffentlicht sind.

Interessiert dich denn das Feedback zu deinen Remixe, sei es Fehlfarben oder eben A-ha?

Nee, das ist gar nicht mein Bier. A-ha war ja ein angefragter Remix und auf der Single-CD, wo der drauf war, gabs so Liner Notes zu jedem Remix von dem Sänger. Und zu meinem hat der sowas geschrieben wie: Er findet es immer wieder erstaunlich, was es für Nerds gibt, die Sounds kreieren, die am nächsten Tag schon wieder out sind. Seltsam, aber eher lustig als böse gemeint. Aber bei den illegalen, nicht geklärten Remixe hab ich meistens gar keine Lust da anzufragen, weil ich mir denke, die kapieren ja eh nicht worums geht.

Es geht nämlich nicht darum, geistiges Eigentum zu stehlen, sondern darum, ein Stück in einen anderen Kontext zu setzen. Musik, es geht einfach nur um Musik. Und jeder, der sich ein bisschen mit der Thematik befasst, weiß, dass mit so ner 500er oder 1000er Auflage an Vinyl kein Geld zu verdienen ist. Und außerdem scheucht man damit nur schlafende Hunde.

Dann lass uns doch zu deiner neuen Platte kommen. Ich muss ja sagen, ich fühlte mich teilweise an dein "Live At Centre Pompidou" von 2001 zurück erinnert. Da gibts die düsteren Passagen wie in "Walking The Equator" oder wenns so verfrickelt und sphärisch wird wie in "She Saw". Kannst du es denn selbst schon einordnen?

Nicht so genau. Aber das finde ich jetzt mal ein schönes Kompliment. Neulich haben wir mal eine Probe aufgenommen, die ich dann im Auto gehört habe und das hat mich dann auch so ein bisschen an Zeiten erinnert, wie damals bei "Centre Pompidou". Als alles viel offener war und die Band nicht einen ganz klaren Ablauf hatte. So konkrete Stücke gibts jetzt natürlich auch, aber eben trotzdem auch dieses Drauflosspielen: Dass die Bassdrum einfach mal weggeht und dann was anderes passiert. So wie damals eben.

Wobei meine Assoziation bei der Platte eher die "Rocket In The Pocket" ist, was aber persönliche Gründe haben kann. Der kurze Zeitraum, in dem sie entstanden ist und das Unverkrampfte, das sind Parallelen. Ich habe mich diesmal wirklich sechs Wochen eingesperrt und nur diese Platte gemacht. Allein. Abgesehen von der Miriam. Erst als sie fertig war, habe ich sie den anderen vorgespielt. Das war auch wichtig, denn mir war natürlich klar, dass es absolut utopisch ist, dass wir alle mal einen gemeinsamen Termin finden. Und das hätte mich blockiert, denn ich war grade in nem Flow drin.

Sowas kann man wahrscheinlich auch nur mit guten Freunden machen. Normale Bandmitglieder wären da doch sicher eingeschnappt.

Klar, da muss man sich auch selbst zurücknehmen können. Ich habe in anderen Konstellationen oder mit anderen Musikern auch schon erlebt, dass Leute beleidigt waren, wenn ihre Spur am Ende nicht mehr vorkommt. Davon muss man sich halt lösen. Ich meine, mir passiert das selbst ja auch, etwa bei Notwist. Das kann schon schmerzen. Man investiert viel Herzblut und Zeit in etwas, das dann mit einem Fingerschnipp abgekanzelt wird.

Wobei du bei Notwist ja auch gleichberechtigtes Bandmitglied bist, oder?

Ja schon. Aber wenn die Allgemeinheit entscheidet, das was nicht passt, dann passts eben nicht. Aber das geht ja allen so. Wichtig ist, was am Ende rauskommt. Bei Notwist isses auch so, dass man am Schluss oft gar nicht so genau weiß, was von wem ist. Also abgesehen von der Gitarre und dem Gesang. Neulich haben wir ein Stück ausgegraben, das gar nicht auf der Platte is, über 100 Spuren, und wir waren völlig verblüfft, weil keiner mehr wusste, von wem die ein oder andere Spur kam.

Würde es dich denn treffen, wenn der Schweinzl jetzt ankäme und sagen würde, ihm gefallen nur drei Songs von deiner Platte?

Würde mich schon treffen, auf jeden Fall. Einfach weil ich ihn total schätze, wie alle Bandmitglieder. Als ich mit der Platte fertig war, habe ich alle eingeladen und so ne richtige Listening Session gemacht. Danach hat man sich dann darüber unterhalten.

Ich habe zwar noch ein zwei Kleinigkeiten auf Vorschläge der anderen hin geändert, aber die haben schnell gespürt, dass da ansonsten bei mir nix zu holen war. In dem Moment, als die Platte fertig war, hatte ich das Kapitel schon abgeschlossen. Diese Platte habe ich wirklich für mich gemacht. Daher ist es mir fast schon egal, ob das jetzt jemandem gefällt oder nicht. Ich stehe da wirklich ein bisschen drüber, das hatte ich in dem Maße auch noch nicht.

"Ich bin heute nicht mehr so aggressiv"

Wie war das denn bei der Listening Session? Als Journalist kenne ich das zwar auch, aber da sind doch in den seltensten Fällen die Bandmitglieder dabei. Ist halt doch eine sehr intime Sache.

Ich war auch aufgeregt und gespannt, wie das läuft. Es war dann sogar ein Riesenspaß, ich saß ganz hinten und habe die anderen die ganze Zeit beobachtet und die Gesichtszüge gedeutet und so. Wir haben das auf einer Anlage in einem Studio des Bayrischen Rundfunks gemacht, das war toll.

Nimmt man mal den tanzbaren Song "A Homeless Ghost" raus, ist "Herself" ja betont ruhig. Inwieweit spiegelt ein Console-Album denn deine gegenwärtige Gemütsverfassung wieder?

Also momentan bin ich etwas aufgekratzt, heute passts also eher nicht so richtig. Aber vielleicht sollte ich gleich mal einen Schnee-Spaziergang machen.

Ich meinte das eher generell. Verausgabst du dich dich bei Acid Pauli-Sets derart, dass es bei Console-Alben automatisch ruhiger wird?

Hmm, teilweise vielleicht. Das ist aber nicht der Grund, warum die Platte so ruhig ausgefallen ist. Das bin einfach ich. Auch die Acid Pauli-Sachen fallen ja in letzter Zeit immer zurückgenommener aus, das ist ja nicht mehr so brezig-auf-die-Fresse-Techno. Mein Naturell ist heute nicht mehr so aggressiv, naja, aggressiv war Console auch nie, aber es geht halt nicht mehr ganz so wild nach vorne. Aber das ist auch authentisch, ich bin ja keine 23 mehr.

Das geht mir auch beim Auflegen oft so. Wenn ich in Nürnberg spiele, was ich ja auch nicht mehr mache, also nix gegen Nürnberg, aber irgendwo in nem Club zu stehen, wo dann ständig 18-Jährige angerannt kommen und rufen "Jetzt gib doch endlich mal Gas", also das kann ich nicht. Und das will ich auch nicht. Wenn ichs dann trotzdem mache, ist es nicht mehr authentisch und ich fühle mich total scheiße dabei. Deshalb denk ich jetzt auch oft, ach, dort musst du ja auch nicht unbedingt spielen. Soll doch da lieber jemand auflegen, der Ed Banger-Zeug auflegt. Dann haben die da auch ihren Spaß.

Ich muss keine 18-Jährigen in Nürnberg missionieren. Den Anspruch habe ich nicht. Dann spiele ich lieber in Berlin bei meinen After Hour-Freunden, die mich, wenn die Party am Samstag ist, auf den Montag buchen, wo die meisten Leute schon weg und nur noch Hartgesottene da sind. Und dann freuen sich auch alle.

Du hast ja auch eine Tochter. Was sagt die denn zu deiner Musik? Hört sie die denn schon?

Ja, hört sie. (räuspert sich) Zu meinem Entsetzen zwar auch Lady Gaga, aber in letzter Zeit auch wieder mehr Black Eyed Peas, was ich zumindest wieder ein bisschen besser finde.

Was ist ihr Lieblingslied von Console?

Das ist "Dirt On A Wire". Die neue Platte habe ich ihr natürlich auch vorgespielt und sie meinte dann: "Naja, Papa, weißte, mir fehlt da irgendwie der Rhythmus manchmal." (lacht) Ja, mei, sie ist halt noch jünger, wie die 18-jährigen Raver aus Nürnberg halt. Und sie ist ja erst ein angehender Teenager und wenn man so jung ist, braucht mans halt auf die Zwölf. Wir ham ja früher auch Slayer und Death und sowas gehört und fandens total super. Aber mittlerweile hat sie die Platte öfter gehört und jetzt steht sie fast schon drauf.

Erzähle doch noch was zum tollen Cover mit den Köpfen von dir und Miriam.

Ja, auf der Promo-CD ist das natürlich sehr gelungen. Das ist ja nur ein Pappschuber und auf der einen Seite bin ich und auf der anderen sie. Und da der Schlitz oben ist, gibt es eigentlich kein vorne und hinten. Auf der regulären CD ist es natürlich auch so, hat aber nicht den gleichen Effekt.

War das deine Idee?

Nein, die von meiner Frau, die die Fotos gemacht hat und vor allem von Stefan Bogner, der das Cover designt hat. Er hat ein bisschen mit den Fotos gespielt und uns dann immer wieder Vorschläge geschickt. Es gab zum Beispiel super Profilfotos, aber wir haben uns dann für diese eher unkonventionelle Version entschieden. Augen anschneiden gilt bei Grafikern immer noch als verbotene Zone. Daher fanden wir das einfach am Mutigsten.

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