29. August 2003

"Wir konkurrieren nicht mit Atomic Kitten"

Interview geführt von

Client A und Client B, so die offizielle Bezeichnung der Client-Damen, sitzen gestylt und auftrittsbereit in den Katakomben des E-Werks, wo sie gleich beim Introducing auf die Bühne gehen werden. Von Aufregung keine Spur. Sängerin B entschuldigt sich zwar vorweg, dass sie wenig sprechen kann, um ihre grippegeschwächte Stimme zu schonen. Aber das wäre nicht nötig gewesen, denn Client A, die brünette Keyboarderin, fühlt sich pudelwohl in der Rolle der munteren Gesprächspartnerin.

Ein Song eures Debütalbums heißt "Leipzig". Welche Beziehung habt ihr zu der Stadt oder zu Deutschland?

A: Hier wurde Client geboren. Mit meiner alten Band Technique spielten wir 2001 im Vorprogramm von Depeche Mode. Die Band brauchte damals noch einen Support neben Fad Gadget für einen Open Air-Auftritt. Daraus wurden dann zwei, in Hamburg und Leipzig. Schließlich wurden es noch mehr, bis eines Tages unsere Sängerin abhaute. Zum Glück fand ich schnell Client B. Ich kannte sie nicht persönlich, hörte aber, dass sie in London gerade nichts am Laufen hat. Unser erster Gig zu zweit war dann auf der Popkomm im selben Jahr, mit einer einzigen Probe.

B: Oh Gott, ja!

A: Als nächstes spielten wir in Warschau vor 35.000 Zuschauern. Und alle schrien nur "Depeche Mode, Depeche Mode". An Leipzig erinnere ich mich noch gut, denn es war verdammt windig und man überlegte ernsthaft, das Konzert abzusagen. Wir standen dann da oben in unseren Outfits und es war einfach nur saukalt (lacht). Aber der Vibe hat gestimmt. Danach beschlossen wir, zu zweit als Client weiter zu machen. Daraus und aus der gesamten Tour entwickelte sich eine Liebe zu Deutschland und Osteuropa.

Die Depeche-Fans haben euch also am Leben gelassen.

A: Nach dem ersten Song lief es gut. Ich war nicht so nervös, denn wir waren der Last Minute-Support und bei uns konnte nicht viel schief gehen, denn außer ein paar Live-Keyboards kam eh das meiste vom Minidisc. Wir spielten fünf Songs, bang - bang - bang - bang - bang - und schon waren wir wieder weg. Die Leute hatten nichtmal richtig Zeit, uns zu bewerfen. Und für diejenigen, die dort stundenlang auf dem Gelände rumstehen, sind zwei Girls in Uniform sicher auch nicht das Schlechteste. Ich meine, wir haben niemanden vor den Kopf gestoßen, haben nicht versucht, uns einzuschleimen oder Depeche zu kopieren. Wir sind damals einfach nach dem Mittagessen auf die Bühne gegangen.

Mit Kraftwerk, DAF und Die Doraus und die Marinas finden sich auch deutsche Bands in euren DJ-Sets wieder.

A: Yeah, wir lieben DAF. Ihre Basslines sind ziemlich sexy. Karl Bartos (Ex-Kraftwerk-Mitglied) haben wir sogar kürzlich getroffen. Er spielte ein Showcase in London und fragte uns, ob wir vorher ein paar Platten auflegen würden.

B: Er kam dann zu einem Auftritt von uns in Hamburg und meinte, ihm gefiele unsere Show. Sowas ist natürlich sehr schmeichelhaft.

Habt ihr das Comeback-Album "Tour de France" seiner ehemaligen Kollegen schon gehört?

A: Bis jetzt habe ich es noch nicht gehört, habe aber schon einiges darüber gelesen und brauche das Ding unbedingt. Brennen werde ich es übrigens nicht, ich kaufe mir das Album!

Und das neue DAF-Album?

A: Hab ich auch noch nicht gehört. Aber ihre alten Sachen habe ich auch alle.

In diesem Fall reicht das.

A: (grinst) Ja? Mal sehen, ich liebe einfach das alte Zeug.

Ich muss bei euren Songs öfter an The Human League denken.

A: Oh, gut!

B: Ich glaube, das ist vor allem mein nordischer Akzent. Ich stamme ja aus der Umgebung von Sheffield.

A: Dabei spielen wir bei unseren Sets eigentlich immer nur ihren Song "Being Boiled", der ja ziemlich düster ist. Aber okay, ich mag auch "Don't you want me baby". Ansonsten stehe ich aber mehr auf David Bowie, sein "Low"-Album oder Joy Division. Das ist schon ein wichtiger Einfluss.

Würdet ihr denn mit einer 80s Band wie Human League auf Tour gehen?

A: Hmm, lieber mit Kraftwerk.

B: Mir graut es vor diesen 80s Revival-Tourneen, die in England ziemlichen Erfolg haben.

A: Ja, da muss man aufpassen. Ich würde lieber mit Leuten wie Miss Kittin, Gonzales oder Peaches auf Tour gehen.

Was ging euch durch den Kopf, als Andy Fletcher euch sein Labelangebot offerierte?

A: Das lief ziemlich seltsam. Er fragte uns mal während der Depeche-Tour nach einem Demo. Das passierte zu einer Zeit, als wir gerade die Technique-Sängerin los waren und uns Gedanken um ein eigenes Label machten. Wir hatten beide bis dahin schon Verträge mit Major-Companys gehabt, Top 20-Hits und wollten von diesem ganzen Business einfach nichts mehr wissen. Sarah war sogar ziemlich fertig, stimmt's?

B: Nach dem Ende meiner letzten Band war ich über ein Jahr depressiv, nahm Prozac und so ...

A: Kurz gesagt: Wir hatten von den üblichen Label-Mechanismen die Nase voll: Album, Marketing, Hype etc. Aber wir lieben Musiknunmal, so dass wir uns eine Alternative überlegen mussten. Also schlossen wir uns in unserm Schlafzimmer ein und sagten "Fuck the Majors"! Wir gaben Andy unsere CD und hörten während der ganzen Tour kein Wort mehr von ihm.

B: Ich meine, er ist ein internationaler Popstar, er ist sehr beschäftigt, was soll er sich groß mit unserer CD befassen? Auch als wir ab und an in London zusammen trafen oder mal was trinken waren, sagte er nie etwas.

A: Aber es entwickelte sich eine Freundschaft und man traf sich öfter im Pub. Wir hatten ohnehin schon unsere Pläne mit den Outfits, der Website und allem ausgearbeitet und ein potenzieller Vertriebspartner war mit EMI Publishing quasi schon im Boot. In dieser Phase rief er mal wieder an und meinte, er wolle mit uns einen trinken gehen. Dort angekommen fängt er plötzlich an (spricht mit tiefer Stimme): "Was läuft eigentlich mit Client? Ich stehe total drauf. Seit zwei Monaten läuft das Ding ununterbrochen in meinem CD-Player". (grinst)

B: Wir meinten nur "Wirklich?" ... nun ja, wir bringen eine Platte raus.

A: Und er sagte (verstellt wieder die Stimme): "Okay, was haltet ihr davon, sie auf 'Toast Hawaii' rauszubringen?" Und wir: "Okay. Danke Andy!"

B: Ein Händedruck und ein Drink.

A: Ja, keine große Sache.

B: Aber wir haben uns schwer besoffen.

Und Daniel Miller fand eure Songs auch gut?

A: Ja, wenn Daniel es gehasst hätte, wäre es nicht auf Mute erschienen und Andy hätte sich nach einem anderen Vertrieb umsehen müssen. So ist es natürlich klasse, denn Mute und vor allem Mute Deutschland ist ein fantastische Heimat für uns.

War das ein Kindheitstraum, auf Mute zu veröffentlichen?

B: Yeah, ich war immer ein großer Mute-Fan.

A: Ich entdecke erst nach und nach die alten Schätze. Früher war ich ein 4AD-Girl. Du weißt schon, die Cocteau Twins und sowas. Mute kam mir damals etwas hart vor.

Ausgehend von eurem ganzen Auftreten mit Bühnendress und Anonymitätsvorlieben, seht ihr euch als eine Art weibliche Aktivisten in einer von Männern dominierten Branche?

B: Ja und nein.

A: Es ist jedenfalls ein Klischee zu sagen, wir sind die armen Frauen, wir kriegen keinen Fuß auf den Boden im harten Musikbusiness. Ich meine, was soll der Scheiß? Wenn du gerne Musik machst, dann lerne dein verdammtes Musikprogramm und hör auf rumzuheulen. Schaut her, wir haben es geschafft, so schwierig ist es nun auch wieder nicht.

B: Es werden aber einige Dinge von dir als Frau erwartet, wenn du auf einem Majorlabel bist. Zum Beispiel werden Frauen noch immer hauptsächlich über das Outfit beurteilt.

A: Yeah, deshalb haben wir uns auch entschlossen, unsere Köpfe auf den Plattencover abzutrennen. Wir können und wollen nicht mit 18-Jährigen wie den Girls von Atomic Kitten konkurrieren.

B: Dafür sind wir auch zu bulimisch ...

A: Wir sind eben eine andere Generation und haben andere Figuren. Ich finde unser Outfit interessanter und mysteriöser. Vor allem schlüpfriger. Das geht eigentlich auf die frühen Releases von Throbbing Gristle zurück, im Prinzip wollten wir ihre Cover-Ästhetik ein wenig modernisieren.

In Deutschland gibt es eine Band namens Chicks On Speed, die sich sehr in dieser aktiven kämpferischen Rolle sieht. Sie haben sich einst auf einer Kunstakademie kennen gelernt, kreieren heute ihre eigenen Bühnenklamotten und spielen minimale elektronische Musik.

A: Das ist super! Ihre Musik habe ich mal bei John Peel gehört. Wir haben mit Client aber schon den Anpruch, in erster Linie für unsere Musik beachtet zu werden.

B: Eben genau so wie Männer für ihre Musik angesehen werden. Bei uns kommt die Musik auch vor dem Aussehen.

A: Ich kann nur allen Girls da draußen raten, lernt Gitarre spielen, gründet ein Label. So schwer ist das alles nicht.

Ist London momentan der interessanteste Ort für junge Bands und neue Musik?

A: Es gibt viele gute Bands, aber die Majors pressen soviel aus ihnen heraus, wie sie nur können. Und das Radio spielt nur amerikanischen Scheißdreck. ich merke aber, dass die Leute gerade in solchen Zeiten untertauchen und beginnen, sich für Indie-Themen zu interessieren. Allein um gegen den ganzen Rest anzukämpfen. Nimm zum Beispiel Radio One, die einzige Radiostation in England: Von zwanzig Platten die in einer Woche 'heavy rotation' bekommen, sind siebzehn aus Amerika und drei aus England. Das ist furchtbar, oder? Sind wir nur eine Art Waschpulver für Musik aus Amerika? Noch dazu ist das Zeug, das im Radio läuft, absolut unhörbar.

Holt ihr euch neue Inspirationen in Clubs?

A: Im Etceterea-Club sind wir Residents. Das beginnt ab acht, könnte gegen zwölf also übel werden. Ansonsten höre ich mir viele Sachen im Internet an. Ich bin sowieso die ganze Zeit online.

Genau wie wir.

B: Aber sie ist obsessiv.

A: Als wir im Studio waren, war da dieser Typ, der mir bei den Drums helfen sollte, denn ich bin ziemlich schlecht, was Drum-Programming angeht. Ich verwende immer Loops. Und er meinte irgendwann "Kate, du kannst keine Loops mehr verwenden, du musst Beats machen. Loops sind out". Das hat dazu geführt, dass wir ihn mit auf Tour genommen haben, so dass er sich für uns um die Drums kümmert. Und er denkt, ich sei einfach nur ein Internet-Surfer ...

B: Aber in Wirklichkeit bist du ein Nerd.

A: Ich wache manchmal mitten in der Nacht auf und setze mich an den PC, Mails checken und so, neue Websites ausfindig machen.

Unsere heißt www.laut.de.

A: Die muss ich auch checken, klar.

Sie ist allerdings auf deutsch.

A: Und ich habe in der Schule deutsch abgewählt und spanisch genommen, Mist!

Noch ein Wort zu eurer Tour mit Ladytron. War das ein gutes Package?

B: Würde ich schon sagen. Ich hatte das Gefühl, die Leute waren recht neugierig.

A: Hamburg und Köln waren super, in Stuttgart war es sehr rockig, schon allein der Club. Aber das ist cool, wir sind ja auch ein bisschen rockiger als Ladytron. Ich meine, die haben neun Keyboards auf der Bühne, wir haben nur eins! Sie hatten zwei Stunden Soundcheck, wir zehn Minuten. Aber das ist okay. (grinst)

B: Ja, denn die sind ja wirklich alle nett und wir haben uns auch meistens den Dressing Room mit ihnen geteilt.

Letzte Frage: Gibt es eigentlich einen Nachteil, auf einem Label zu sein, dessen Chef ein weltbekannter Popstar ist?

A: Wenn wir beim Publikum nicht angekommen wären, würden die Leute sicher sagen, Fletchers Label ist ein einziger Witz. Aber so läuft es super. Andys Meinung ist auch sehr hilfreich, meistens kommt er vorbei und sagt "Das ist gut, aber ...". Bei ihm gibt es immer ein 'Aber'. (lacht) Dann sagen wir natürlich: "Aber was? Geh und mach es besser!" Nachteile gibt es bis jetzt keine. Würden wir versuchen, Depeche zu kopieren, wäre das sicher gefährlich. Aber schließlich sind wir auch Frauen. Unser Songwriting ist zwar auch eher dunkel wie bei Martin, aber er schreibt eben aus der Sicht eines Mannes. Frag uns in einem Jahr nochmal.

Demnächst kommt der Labelchef Andy Fletcher an gleicher Stelle zu Wort.

Das Interview führte Michael Schuh.

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