laut.de-Kritik

Die alte Schule ist tot und dieses Album hat sie getötet.

Review von

Um die Frage, ob dieses Album ein Klassiker ist oder nicht, hätte Joe Budden sich einmal fast geprügelt. Im Namen aller Fans der klassischen Rapmusik bestand er darauf: "Finally Rich" von Chief Keef, das völlig hirnbefreite Drill-Album des damals 16-jährigen Chief Keefs ist kein Klassiker. Die Geschichtsbücher geben ihm unrecht. "Finally Rich" ist ein Klassiker. Nur eine seiner Aussagen traf ins Schwarze: "Finally Rich" hat die Grundlage für ein Jahrzehnt im Hip Hop gelegt. Es ist das Necronomikon des Soundcloud-Raps, die Blaupause einer ganzen neuen Ära der Rapmusik. Für die einen ist es der Punkt, ab dem endgültig alles den Bach herunterging, für die anderen ein messianischer Moment der Genre-Verjüngung.

Dabei dreht und wendet es sich alles um diese eine Single: "I Don't Like". 2012 machten die verrückten Kids aus dem O-Block in Chicago der ganzen Welt mit diesen vier Minuten geballter Anarchie Heidenangst. Young Chop kredenzt einen Glockenbeat, der eine zehn auf der Richter-Skala beben lässt, Chief Keef und Lil Reese blöken ein paar der simpelsten, aber effektivsten Flows der Rapgeschichte. Auch in Zeiten von Gucci Mane, Lil Wayne, Young Jeezy und Waka Flocka Flame hat die Welt Rap noch nicht so ignorant erlebt. Dazu diese Bilder: Halbnackte Teenager in einem heruntergekommenen Wohnzimmer, bis an die Zähne bewaffnet, am headbangen.

"I Don't Like" markiert nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Hip Hop-Landschaft. In den letzten Atemzügen des Klingelton-Raps haben archaische Internet-Plattformen wie Worldstar und DatPiff die Szene in der Hand. Wer dadurch populär wird, grenzt an Glücksspiel, und nur die wirklich abgefahrenen Clips kommen an die Viralität, die in wenigen Jahren in die Social Media-Ära überschwappen sollte.

Chief Keef liefert auf "Finally Rich" den richtig abgefahrenen Scheiß, den Soundtrack dieser Übergangs-Ära. Der Junge durfte weder Bier trinken noch wählen gehen, aber Interscope Records gewährt ihm ein siebenstelliges Budget für das Debütalbum, und Kanye West macht einen Remix von "I Don't Like" mit Pusha T und Jadakiss. Chief Keef legt nach und haut so richtig auf die Kacke. Das ganze Album löst das Versprechen ein, das Soulja Boy, Lil B und Waka Flocka nie so recht eingehalten haben: Ein ganzes Tape voller richtig dummer, in die Fresse gehender Banger.

Angefangen mit dem ikonischen Intro auf "Love Sosa", den man heute noch immer wieder durch das Internet geistern sieht. Ein wütender Jordan Gilty redet sich ohne Kontext zu einem ominös einlaufenden Beat in Rage und sagt: "Fuckers in school telling me, always in the barber shop 'Chief Keef ain't 'bout this, Chief Keef ain't 'bout that My boy a BD on fucking Lamron and them, they say that n*gga don't be putting in no work' - Shut the fuck up! Y'all n*ggas ain’t know shit! All ya motherfuckers talk about... 'Chief Keef ain't no hitta, Chief Keef ain't this, Chief Keef a fake' Shut the fuck up!" Und dann, dann droppt dieser Beat.

Dieser malmende, zeternde Beat. Young Chop und ein paar andere Produzenten stellen wie die besten Drill-Beats die Frage wie etwas, das so billig klingt, so immens schallern kann. Fast jedes Instrumental stampft sich binnen Sekundenbruchteilen in das Dopaminzentrum des Eidechsengehirns. Chief Keef bewegt sich dabei in unisono mit der Produktion. Er scheint die Frage zu stellen: Wie viel beschissener müsste er rappen, dass das nicht mehr genial wäre?

"Kay Kay", "Ballin", "Kobe" imponieren in ihrer Effektivität im Vergleich zu der Tatsache, dass sie objektiv ein paar der unbeeindruckendsten Rapparts der Welt sind. Chief Keef rappt langsam, zieht den selben Flow oft über mehrere Parts und auch, wenn er auf späteren Tapes experimenteller werden würde, sind hier sowohl seine melodischen als auch seine perkussiven Ansätze absolut rudimentär. Aber das ist scheißegal: Wenn Keef rappt, hört man ihm zu. Er verkörpert das Charisma der dreisten, respektlosen Ignoranz.

Es gibt theoretisch wenig zu verteidigen, wenn er auf "Love Sosa" Zeilen wie "I gets lots of commas, I can fuck yo mama/ I ain't with the drama, you can meet my llama" rappt. Es wäre noch schwerer, es nicht als Ausdruck einer impulsiven Genialität zu verstehen, die sich gar nicht weiter bemühen muss. Mit beleidigender Selbstverständlichkeit rotzt Keef einen Hit nach dem anderen raus, wer es über die ersten vier Tracks noch ausgehalten hat, keinen Aufstand zu diesem Tape anzuzetteln, wird mit "Hate Being Sober" über die Kante gestoßen.

Aber auch die plakativ ungebrochene Nummer eines Kindes darüber, wie geil es ist, das Leben auszublenden und einfach high zu sein, ist bei weitem nicht die beißendste Geschmacklosigkeit von "Finally Rich": Diese Ehre gebührt "Laughing To The Bank". "Laughing To The Bank" ist ein ernster Kandidat, der dümmste Song aller Zeiten zu sein. Wer diesen Refrain, diese robotischen "Haw Haw Haw"s noch nicht gehört hat, der hat etwas verpasst. Es mag der musikalisch bescheuertste Moment der Platte sein, aber man fragt sich die ganze Zeit: Zieht er das gerade wirklich durch? Ja. Haw-haw-haw.

"Finally Rich" ist der Blueprint der Soundcloud-Szene, der fast ein Jahrzehnt später immer noch absolut seiner Zeit voraus ist. Chief Keef hat gezeigt, dass Persönlichkeit über Skill geht, Emotionen über Fähigkeiten. Wer etwas zu zeigen hat, etwas zu erzählen, der wird es in die Welt setzen. Da wundert es kaum, dass so ziemlich jeder Rapper, von Lil Uzi Vert über Fetty Wap über Playboi Carti über Lil Pump über Lil Tecca über XXXTentacion über Lil Peep mindestens einmal zu Protokoll gegeben hat, dass Chief Keef eine der ersten Instanzen war, die sie zum rappen motiviert hat.

"Finally Rich" ist ein Manifest, dass die Welt ohnehin irgendwie für den Arsch ist und diesen durchgedrehten Punks am Arsch von Chicago keiner irgendetwas zu sagen hat. Moderner Rap wurde schon ein paar mal mit Punk verglichen, aber Chief Keefs Fuck-Off an die Welt und alle musikalischen Standards wäre das "No New York" der Szene. Keine Instrumente können, nur Klischees bedienen, aber einmal die größten Rockstars der Welt sein. Häng die Beine aus dem Fenster, mach die Kamera an und schrei: "WORLDSTAR!"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Love Sosa
  2. 2. Hallelujah
  3. 3. I Don't Like (feat. Lil Reese)
  4. 4. No Tomorrow
  5. 5. Hate Bein' Sober (feat. 50 Cent & Wiz Khalifa)
  6. 6. Kay Kay
  7. 7. Laughin' To The Bank
  8. 8. Diamonds (feat. French Montana)
  9. 9. Ballin'
  10. 10. Understand Me (feat. Jeezy)
  11. 11. 3Hunna (feat. Rick Ross)
  12. 12. Finally Rich

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7 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Die Features sind halt leider alle deplatziert und schlecht, außer Lil Reese natürlich.

  • Vor 3 Jahren

    Wie viele Sterne hatte das album eigentlich vor dem meilenstein bekommen?

  • Vor 3 Jahren

    Lächerlich was hier teilweise als Meilenstein gehandelt wird. Chief Keef Meilensteinrezension, aber Reasonable Doubt von Jay-Z nicht? wtf :D

    • Vor 3 Jahren

      Vor allem, war das 'nen Mixtape was von Interscope schnell aufgebohrt wurde, um den Hype abzugreifen. Daher auch die unpassenden Features.

    • Vor 3 Jahren

      "Paid in Full" und "Criminal Minded" ebenfalls nicht. Trap-Dreck ist halt wichtiger.

    • Vor 3 Jahren

      Jay-Z ist doch mit Blueprint schon (über Gebühr) geehrt worden, von Boogie Down ist "By All Means Necessary" dabei.

      Eric B. & Rakim zugegeben noch nicht, aber bei allem unbestrittenen Verdienst, das Teil hat schon mächtig Staub angesetzt. Rakim mag einer der ersten gewesen sein, die komplexer gereimt haben, aber sein damals vmtl. revolutionärer Flow kommt im Heute einfach arg hölzern rüber. Gilt für die Beats natürlich erst recht, da ist schon noch seehr viel passiert. Ein bisschen Patina ist ja bei dem Alter auch weiß Gott keine Schande, aber gerade für so ein Angeber-Album leidet die Wirkung da schon etwas. Wäre rein vom Hörvergnügen für mich (90er Jahrgang) jedenfalls kein 5er-Kandidat.

    • Vor 3 Jahren

      Ist es gesetzt, dass pro Künstler (m/w/d) lediglich ein Werk in dieser Kategorie möglich ist, Kubischi? (serious question)

    • Vor 3 Jahren

      War zumindest lange ungeschriebenes Gesetz. Neulich hatte aber einer der Autoren (Alex?) angekündigt, dass diese Mauer demnächst fällt. Die Konstellation Solo/Gruppe gab es sogar schon paarmal, meine ich (Wu-Tang fällt mir spontan ein).

      Ehrlich gesagt hoffe ich aber, dass solche Dopplungen die absolute Ausnahme bleiben. Klar gibt es bei vielen Acts mehr als ein Top-Album zur Auswahl, aber erstens gehört das Gezanke, welches denn nun die „wahre“ Meilensteinplatte war, irgendwie dazu (und wird in gar nicht so wenigen Rezis ja auch direkt angesprochen) und zweitens glaube ich, dass die Bandbreite an Musik einfach so groß ist, dass es quasi zwangsläufig immer noch ein paar Platten mehr gibt, die in ihren Nischen Standards gesetzt bzw. verschoben haben. Das finde ich auf jeden Fall interessanter als 5 Beatles/Dylan/Stones-Steine (für die es ja dann auch Listen oder den Rolling Stone gibt). Ein paar seltsame Griffe (zB Spice Girls, Die Firma oder eben Jay-Z) nehm ich dafür gerne in Kauf...

    • Vor 3 Jahren

      The Blueprint > Reasonable Doubt