14. Mai 2020

"Der Hass im Internet stößt mich ab"

Interview geführt von

Gitarrenmusik irgendwo zwischen Alternative Rock, Indie, Punk und Emo. Mit einer authentischen Melange aus diesen Grundzutaten mischen Cadet Carter seit fast drei Jahren die deutsche Musikszene ordentlich auf.

Für das selbstbetitelte Debütalbum fuhren Cadet Carter 2018 von der Visions bis zum Fuze-Magazin gute Kritiken ein. Die Süddeutsche ernennt die Gruppe für ihre erste Single "Car Park Song" gar zur Band der Woche. Der Popularitätsschub bleibt nicht ohne Folgen. Die Band legt einen ungeplant schnell Aufstieg aufs Parkett und geht monatelang auf Tour. Frontmann Nick Sauter zieht danach, ausgebrannt vom schnellen Aufstieg der Gruppe, erst einmal die Reißleine. Ein kritischer Moment für die Band, deren Fortbestehen kurzzeitig an einem seidenen Faden hängt.

Nach einer ausgiebigen Erholungspause rauft sich das deutsch-walisische Quartett wieder zusammen und spielt mit frischem Elan das Zweitwerk "Perceptions" ein. Darauf findet die Band, ohne zu anachronistisch in die 90er zu schielen, zu ihrem eigenständigen Sound und reflektiert inhaltlich über (zwischenmenschliche) Erwartungshaltungen. Wir sprachen mit Frontmann Sauter über seinen Burnout und das Musikbusiness, das neue Album, den Umgang mit der Coronakrise sowie über negative Auswüchse der Social Media-Welt.

Wie gehts dir die Tage so? Alles klar bei euch?

Ja uns gehts ganz gut, wir quarantänieren alle vor uns hin. Und bei dir?

Genau die gleiche Lage hier (lachen).

Du lernst deine Wohnung und deine technischen Möglichkeiten als Musiker zuhause in solchen Situationen ganz neu kennen.

Ja, das kann ich mir vorstellen. Du hast ja quasi kaum andere Mittel zur Verfügung.

Genau. Mein WLAN war leider nicht schnell genug, um hier ordentlich zu streamen. Das war gleich der erste Schlag in die Magengrube.

Das fällt dann wohl derzeit unter die Kategorie der neuen Alltagshürden.

Es trifft uns halt auch so unvorbereitet. Dir wird eine Tour mit fast 15 Konzerten gecancelt. Dann heißt es: 'Kannst du irgendwas live via Instagram machen?'. Dann fragst du dich das erste Mal so Sachen, wie denn beispielsweise der Sound live über Instagram klingt. Lauter so Geschichten. Das ist echt spannend.

Das dürfte vor allem dann spannend werden, wenn du vorher Social Media-Kanäle kaum benutzt hast.

Ja, privat hatte ich damit wirklich bisher kaum zu tun. Meine größte Sorge und mein größter Abkotzfaktor ist immer, mir selbst eine Kamera in die Fresse zu halten und irgendwas für die Band zu promoten. Ich gebe das im Normalfall ganz gerne an die Bandkollegen ab, aber jetzt gerade erwischt es mich immer öfter. Ich mache da also auch einiges an neuen Erfahrungen.

Lass uns erst einmal kurz über euch als Band sprechen. Ihr kommt ja aus dem Raum München und habt alle lange in anderen Bands gespielt. Mit Cadet Carter seid ihr bereits seit dem Frühsommer 2017 am Start. Welche verschiedenen Einflüsse und Haltungen bündelt ihr jetzt innerhalb der Gruppe?

Ja, wir haben alle bereits ein bisschen was auf dem Kerbholz. Viele Leute sagen uns, man höre, dass unser Gitarrist John [Bauer; Anm. d. Red.] und ich aus dem Indie Rock und Alternative Rock kommen. Unsere Rhythmusgruppe, bestehend aus Passy [Theisen, Bassist; Anm. d. Red.] und Benny [Paska, Drummer; Anm. d. Red.], spielte dagegen traditionell in Hardcore-Bands. Tatsächlich sagt man uns im Zusammenhang mit dem zweiten Album oft, dass bei Cadet Carter eine tighte, aus der härteren Richtung kommende Rhythmusgruppe auf zwei Schrammel-Dandys trifft.

Im Januar 2018 erschien euer selbstbenanntes Debütalbum über das Independent-Label Uncle M. Von der Visions bis zum Fuze-Magazin hagelte es dafür gute Kritiken. Wie geht ihr als Band damit um? Im schnelllebigen Musikbusiness wart ihr ja wegen des plötzlichen Erfolgs gezwungen, so viele Kohlen wie möglich ins Feuer zu werfen. Wie bewertest du die Gefahr, die Leidenschaft an der Musik und den Bezug zur Kunst dadurch zu verlieren?

Es war tatsächlich so, dass wir nach der Veröffentlichung der Platte einen wesentlich schnelleren Start als erwartet und geplant hinlegten. Klar, wir haben jetzt natürlich keinen Superstar-Status inne. Danach waren wir für sieben Monate durchgehend auf Tour. Zwischendurch hatten wir immer zwei oder drei Tage Pause, aber danach ging es wieder raus. Wir waren da also schon echt gut unterwegs. Bei mir hat das, wie du bereits richtig angedeutet hast, zu einem absoluten Nervenzusammenbruch geführt, der mir den Spaß und die Leidenschaft am Band-Dasein und an der Musik genommen hat. Da hat die Musikindustrie an sich schon eine tragende Rolle gespielt. Loyalität und Worttreue sind im Musikbusiness nicht gerade gang und gäbe, sage ich mal ganz vorsichtig. Ich denke, sehr viele Bands und Künstler würden mir da zustimmen.

Wie hat sich der Zusammenbruch bei dir genau geäußert und welche Lehre hast du für dich selbst daraus gezogen?

Lass es mich so formulieren. Du kommst mit deinem Album raus. Es läuft viel besser als erwartet. Du bist schon über 30, kein totales Greenhorn mehr und plötzlich hast du so ein bisschen Erfolg. Die Leute wissen deine Musik zu schätzen und so. Damit steigen natürlich auch deine eigenen Erwartungshaltungen an die ganze Sache. Irgendwann bist du dann, so wie in meinem Fall, nur noch am Hinterherrennen. Auf einmal kam dann der Punkt, an dem ich das alles nicht mehr genießen konnte. Ich kann mich an einen Supportgig für Itchy in München im Backstage vor knapp 1.000 Zuschauern erinnern. Meine drei Bandjungs schwebten in Seeligkeit und meinten so in etwa: 'Hey das ist jetzt ein Highlight, die Bude ist voll und es sind auch genug Leute wegen uns da, man kennt uns'. Eigentlich ist das für die Bandgeschichte so etwas wie ein kleiner Meilenstein. Aber ich konnte mich nicht mehr darüber freuen.

Ich war mit meinen Kopf schon irgendwo anders und dachte nur so irgendwie: 'Okay, what's next?'. Das war tatsächlich ein Alarmsignal für mich. Ich stand an dem Punkt, an dem ich erkannte, dass ich es nicht mehr der Mukke oder der Erfahrungen wegen machte und sich alles nur noch wie ein Projekt anfühlte. Daraufhin habe ich für vier Monate die totale Reißleine gezogen. Zwischenzeitlich war auch mal kurz nicht klar, ob wir überhaupt weitermachen. Ich brauchte da einfach eine Pause und musste ein Stück weit weg von diesem Business, da es meine Einstellungen doch sehr verändert hat. Es hat tatsächlich lange gedauert und viele Gespräche benötigt, bis ich mich da ganz vorsichtig wieder herangetraut habe. Wir haben dann eine kleine Tour mit den Blackout Problems gespielt. Das sind Freunde von uns, die auch aus München kommen. Die haben uns ein bisschen mitgenommen und auch mich wie einen Welpen wieder herangeführt.

So habe ich die Liebe zur Musik wieder entdeckt und mir auch eine andere Herangehensweise angewöhnt. Dieses 'carpe diem'-Gelaber liegt mir ja normalerweise fern, aber so ein bisschen was ist da schon dran. Was ich gelernt habe, ist einfach dankbar zu sein für die Dinge die du erreichst und nicht insgeheim zu hoffe, dass es vielleicht noch besser, größer, schneller, weiter wird. Das ist eine gesunde Einstellung. Seit es so unverkrampft läuft und vor allem ich so unverkrampft bin, läuft es gefühlt noch besser witzigerweise. Das ist so ein ungeschriebenes Gesetz. Wenn du nicht mehr völlig verkrampft bei der Sache bist, dann laufen die Dinge noch einfacher von selbst.

Klar, man ist dann ja auch nicht mehr so gefangen in seinem eigenen Kopfgefängnis und hat dadurch auch einen wesentlich breiteren Blick auf die Sache. Diese Selbstbefreiung ist also ein wesentlicher Schritt, um im heutigen Business zu bestehen.

Ja. Du hast dann deine ersten kleinen Erfolge. Irgendwann kommt dann dieser kleine Teufel auf deine Schulter gekrochen und sagt: 'Digga, da geht doch mehr'. Und dann steckst du unter Umständen mitten in einem Teufelskreis. Am Schluss kannst du dich nicht mehr darüber freuen, dass du ein paar hundert oder ein paar tausend Platten vercheckt hast und irgendwie auf Tour mit The Dangerous Summer und anderen Bands warst, die du seit deinem zwölften Lebensjahr feierst. Das ist dann alles eben nur noch Mittel zum Zweck und ein kleiner Haken auf 'ner Checkliste. Das sollte es aber nicht sein. Denn wo will man hin? Ein Weg ohne Ziel? Der Weg ist ja in diesem Falle das Ziel, um mal einen 08/15-Kalenderspruch rauszuhauen.

Wobei man Kalendersprüche im weitesten Sinne ja auch als subsumierte, richtungsweisende Lebenserfahrungen sehen kann. Muss ja also nichts negatives sein.

Ja. Ich denke, die Sprüche kommen halt nicht von ungefähr. Das sind zwar alles kleine Binsenweisheiten, aber tatsächlich ist da schon was dran. Also für mich zumindest.

Habt ihr euch aus diesen Erfahrungen eine Art Bandphilosophie zusammengezimmert?

Eine Bandphilosophie im klassischen Sinne eigentlich eher nicht. Eher eine Art Inspiration. Unser Drummer hat da so einen Spruch für Momente, in denen irgendwas Tolles passiert. Ich gebe dir ein Beispiel. Wir haben ein Releasedate für das Album und Uncle M sagt: 'Wir fanden nicht nur das erste geil, wir finden auch das zweite geil und wir wollen das mit euch machen'. Dann sitzt du zusammen und freust dich darüber, dieses Etappenziel erreicht zu haben. Unser Drummer Benny hebt dann meistens sein Glas und sagt: 'Du bist super, solange es Spaß macht'. Völlig egal ob da jetzt Cola oder Whisky im Glas ist. Das ist zwar echt plump, aber ich finde das mega inspirierend. Ich bin ihm jedes Mal dankbar dafür, wenn er das so raushaut. Warum? Ganz einfach weil er damit alles auf einen Punkt bringt. Wir durften so viele Leute kennenlernen, die in wesentlich bekannteren Bands spielen. Wir wissen aber von vielen, dass sie in ihren Bands nicht sonderlich glücklich sind und halt wegen des Erfolges dabei sind. Bei uns ist das genau andersrum. Wir sind dabei und eher zufällig erfolgreich. Ich hoffe, dass das immer so weitergeht.

"Die Chemie zwischen Menschen fasziniert mich."

Die Aufnahmen zur neuen Platte fanden in Bennys 8 Ohm-Studio unweit von München statt. Inwiefern ändert diese Tatsache für euch die Herangehensweise an das Songwriting? Komponiert ihr Songs eher klassisch im Proberaum aus, oder könnt ihr aufgrund dieser luxuriösen Position eher im Studio arbeiten?

Wir haben tatsächlich die eher luxuriösere Variante. Das 8 Ohm-Studio besteht aus zwei Aufnahmeräumen, von denen einer gleichzeitig unser Proberaum ist. Wenn wir nicht auf Tour sind, dann steht unser Equipment dort Plug-and-Play-mäßig drinnen. Du kannst also in den Raum gehen und dich einfach einstöpseln. Du musst nur den Computer im Studio mit hochfahren und auf Record drücken. Dann kannst du einfach ganz bequem alles mitschneiden, was du Proberaum so machst. Das ist natürlich eine brutal luxuriöse Variante, die wir gar nicht hoch genug schätzen können. Jede Band sollte so etwas haben. Leider geht das nicht immer. Wir haben da wirklich unfassbares Glück. Die Herangehensweise ans Schreiben hat sich für uns somit tatsächlich stark geändert. Wir haben auf dem neuen Album Songs, die in einem lauten Proberaum-Setting nicht entstanden wären.

Du weißt ja, wie das so ist. Im Proberaum brüllt der Sänger auch gerne mal gegen 2 Marshall-Amps‚ 'ne Ampeg-Box und den Drummer an. Das ist dann eher weniger ein Singen, sondern eher eine Art trying to get you heared. Vom neuen Album fällt mir dazu jetzt beispielsweise der Song "Run For Me" ein. Der hätte in so einem Setting nicht entstehen können. Es ist ein eher ruhiger Track mit relativ komplexem Arrangement, der einen ausgebufften Drumbeat fährt. Ein typischer Studiosong. Auf der anderen Seite haben wir aber das Setting, um auch zu viert in den Raum zu gehen und loszuballern. Dann kommen natürlich andere Songs dabei raus wie "A Bad Few Weeks" oder "Windshields", die ich eher so als klassische Cadet Carter-Songs einordnen würde.

Im Vergleich zu eurem Debütalbum klingt der Nachfolger "Perceptions" wesentlich ausgereifter und eingängiger. Was habt ihr auf dem Weg zum Endprodukt im Vergleich zum Vorgänger anders gemacht?

Die Herangehensweise war komplett anders. Allein schon durch die Tatsache, dass wir den kleinen, druckgeschuldeten Break hatten. Wir hatten damals für das erste Album sechs Studiotage zur Verfügung. Wir haben uns dieses Zeitlimit aber selbst gesetzt. Einfach Augen zu und durch. So klingt das Album jetzt dann auch. Es ist sehr spontan und ich mag unser Debüt nach wie vor sehr gerne. Auch wenn es nicht so vielschichtig ist. Ich glaube der Faktor Zeit ist da schon wichtig. Für "Perceptions" waren wir insgesamt über zwei Monate im Studio. Da hast du natürlich viel mehr Zeit, um auch über ganz bestimmte Songs oder Songparts heiß zu diskutieren. Das ist ein ganz anderer Ansatz. Was das Songwriting angeht, gab es für die aktuelle Platte von den anderen drei auch wesentlich mehr Input. Beim ersten Album war ich, betreffend der Songs an sich, schon noch eher der Einzelkämpfer. Jetzt bei den neuen Tracks, floss unglaublich viel von den anderen mit rein. Das merkt man einfach.

Würdest du sagen, dass ihr genau deswegen zu einem eigenständigen Stil gefunden habt?

Auf jeden Fall. Das entspricht auch dem Feedback, das wir bis jetzt von Fans oder Freunden bekommen, die bereits etwas in das Album reinhören konnten: 'Auf dem ersten Album klangt ihr ein bisschen nach Jimmy Eat World und The Get Up Kids und so. Jetzt entwickelt ihr euch in Richtung eines Sounds, der einfach nach Cadet Carter klingt'. Das ist für uns eigentlich das größte Kompliment.

Die erste Single "A Bad Few Weeks" war für euch so etwas wie der musikalische und lyrische Fixpunkt, der letztlich zum Album führte. Welches Mindset liegt denn dem Ganzen zugrunde?

"A Bad Few Weeks" war der absolute Fixpunkt und tatsächlich auch der Song, der den Bock umgestoßen hat. Wir hatten bereits ein paar Songs für das Album geschrieben und waren damit eigentlich auf einem guten Weg. Dann kam mein Rückzug und die monatelange Pause. Der Refrain von "A Bad Few Weeks" war das erste, was ich schrieb, nachdem ich mich entschlossen habe, es vielleicht doch noch einmal mit dem Songwriting zu probieren. Die Zeilen, die ich im Refrain singe [It's been a bad few weeks and / I'm scratching the walls until / it stops and that feeling is gone; Anm. d. Red.], habe ich zuerst aufgeschrieben. Das setzte tatsächlich den Ton für das ganze Album. Inhaltlich und musikalisch ist das schon der Fixpunkt und musste deswegen auch die erste Single sein.

Da gab es keine Debatten oder so. Das war uns allen sofort klar, nachdem wir den Song gespielt hatten. Wir haben ihn damals auf der Tour mit den Blackout Problems in das Set mit aufgenommen und erstmals ausprobiert. Als Ansage vor dem Song hab ich nur irgendwie gesagt: 'Der nächste Song ist für alle, die 'ne schlechte Zeit haben oder gerade hatten'. Ich wusste nicht weiter und hab' daraufhin einfach nur gesagt: 'Wenns noch wehtut, isses nicht vorbei'. Wir haben dann diesen Song gespielt und ich werde vergessen, wenn du in die Augen der Leute geguckt hast, wie viele Leute sich durch diese wenigen Zeilen und dann vom Refrain angesprochen gefühlt haben. Spätestens da war klar, dass wir da etwas haben, was die Leute berührt.

Kein Wunder, so Zeiten kennt ja jeder. Also kann sich damit auch jeder ein Stück weit identifizieren...

... du hast ja nicht nur in 'ner Band 'ne schlechte Phase. Du kannst auch in deinem Job, in deiner Ehe, in deiner Beziehung oder in deinem Freundeskreis schlechte Phasen haben. Es kann zu Veränderungen kommen, die du willst oder nicht willst. Aber das ist einfach das Leben.

Man kann also sagen, dass die Single sehr viel mit deinem eigenen Zusammenbruch zu tun hat?

Ja (betont). Auf jeden Fall. Tatsächlich ist das wahrscheinlich ein sehr autobiographischer Song, geschrieben vom Unterbewusstsein. Dieser Refrain kam gefühlt nicht aus meinem Kopf, sondern landete einfach auf dem Papier. Der Song schrieb sich dann, nachdem die Zeilen auf dem Papier standen, innerhalb einer halben Stunde wie von selbst geschrieben. The magic of songwriting sag' ich da dazu. Das kannst du nicht erklären, das passiert dann einfach. Das ist so ein Song, der einfach raus musste.

Wie das Ergebnis einer gewissen Art von Flow-Erlebnis ...

... ja, total (betont). Ich hab hier so ein kleines Heimstudio, wo ich Demos produziere und meinem Songwriting nachgehe. Da wusste ich schon damals, als ich hier saß, dass das jetzt etwas ist, aus dem etwas werden kann. Ich musste dann schauen, was der Rest dazu sagt. Aber das war für uns alle ein No-Brainer. Alle meinten: 'Mega, da arbeiten wir jetzt gleich mal dran'. Dann war der Song wirklich sehr schnell fertig. Das hat auch im Studio nicht lange gedauert. Es gab keine Debatten darüber, die der Song zu klingen hat. Es war ein natürlicher Prozess.

Generell beschäftigt ihr euch auf "Perceptions" viel mit zwischenmenschlichen Erwartungshaltungen. Das ist ja quasi auch der rote Faden des Albums. Gerade "Telescope" oder "End / Begin" handeln viel vom unbewussten Auseinanderleben und von der Entfremdung. Was ist dir an dem Thema so wichtig?

Grundsätzlich habe ich an mir selbst entdeckt, dass ich zumindest aktuell kein Songwriter bin, der über große politische Zusammenhänge schreiben will. Das machen andere wahnsinnig gut und ich hab‘ jetzt gerade noch nicht den Eindruck, dass ich zu dieser Thematik was beitragen könnte, was irgendwie Hand und Fuß hätte. Deswegen hatte ich immer schon das Verlangen, und genau da hat es mich auch immer wieder hingezogen, über zwischenmenschliche Sachen zu schreiben. Also eher über das Kleine, als über das Große. Die Songs, die du da jetzt nennst, sind sehr persönlich. Sie sind nicht immer autobiographisch, aber sie sind sehr persönlich. Sie befassen sich mit dem, was zwischen zwei Menschen passieren kann, ohne dass man es merkt. Das geht in beide Richtungen. Leute können sich auseinanderlieben und dann fällt es ihnen plötzlich wie Schuppen von den Augen und sie stellen fest: 'Oh, wir haben uns auseinandergelebt'. Leute können aber auch zusammenwachsen, ohne das richtig zu merken. Irgendwann ist man so 'ne geschlossene Einheit und weiß auch gar nicht so genau, wie es dazu kam. Die Chemie zwischen Menschen fasziniert mich.

Genau das willst du wahrscheinlich auch mit dem Text von "Windshields" ausdrücken. Du beschäftigst dich dort mit der Schnittmenge an persönlich erfahrener Gewalt jeglicher Couleur und natürlich auch mit der Gewalt, die in den sozialen Medien herrscht. Bist du der Meinung, dass Menschen, beeinflusst durch die Art und Weise, wie wir in solchen Medien miteinander umgehen, auch im Alltag immer öfter den Ellenbogen auspacken?

Ich denke schon, dass da ein Zusammenhang besteht. Ich denke, die jüngere Generation würde sich im Internet über ihre Mitmenschlichkeit feiern. Auch über dieses 'Haltet zusammen!' und dieses 'Flatten the curve!' wie jetzt im aktuellen Corona-Fall. Jedes Mal, wenn ich so etwas in den sozialen Medien sehe, habe ich das Gefühl, dass die Menschheit eigentlich gut ist. Aber dann schaust du vielleicht, was die Leute unter ein Foto einer Schauspielerin schreiben. Vor allem dann, wenn sie ein neues Foto von sich ins Netz stellt. Es wird recht schnell jemanden geben, der Dinge schreibt wie: 'Alte bist du dünn, friss mal was!'.

Das kannst du natürlich auch auf die Musik beziehen. Es gibt etwas, das mir immer durch den Kopf geht. Du bist 'ne Band, du produziert einen Song, du bringst ihn raus, du drehst für viel Geld und mit viel Zeit ein Musikvideo. Du stellst es online und freust dich, dass es da ist. Dann kommt irgendeiner, der mit der Band nichts anfangen kann und schreibt auf Youtube drunter: 'Dieser Song ist der größte Scheiß, den ich je gehört habe'. Dann drückt er auch 'send', steht auf und geht mit seinem Hund spazieren. Ab dem Moment hat der Typ das auch schon wieder vergessen. Die Leute aber, die diesen Song und diese Kunst im weitesten Sinne produziert haben, die kriegen daraufhin eine Benachrichtigung darüber, dass irgendjemand das Video kommentiert hat. Für die ist das ein Stich ins Herz mit einem stumpfen Gegenstand. Die Brutalität, die im Internet herrscht, stößt mich ab.

Blödes Beispiel jetzt. Aber wenn du dir bei einem Bäcker ein Brot kaufst und es schmeckt dir nicht so gut, dann würdest du ja vielleicht für dich entscheiden, dort kein Brot mehr zu kaufen. Du gehst aber nicht zurück, machst die Tür auf und schreist: 'Euer Brot ist total scheiße'. Nur um danach wieder zu gehen. Das gibt es nur im Internet. Es gibt von Helmut Schmidt folgenden Ausspruch: 'Es wurde schon alles gesagt, aber nicht von jedem'. Dieses Gefühl habe ich im Internet ganz oft. Jeder tut irgendwie seine Meinung zu Dingen kund, nach denen er nicht gefragt wurde. Ich habe auch Lieblingsbands, deren neue Songs mich jetzt nicht vom Stuhl hauen. Das kommt vor. Aber ich setze mich dann nicht hin und schreibe drunter: 'This is disappointing'. Ich nehme es zur Kenntnis. Vielleicht finde ich es nicht so geil. Aber ich reibe es den Jungs dann auch nicht unter die Nase. Ich versteh' diese Hasskultur nicht. Davon handelt "Windshields" in ganz besonderem Maße. Es gibt ganz viele Songs, in denen dir der Songwriter erklärt, dass du deine Wände und deine Schutzhüllen um dich herum fallen lassen musst. Dass du offen sein musst und so. Ich wollte einfach mal 'nen Song schreiben, der sagt, dass solche Schutzschilde um dich herum manchmal gar nicht so schlecht sind. Das muss man auch mal sagen dürfen.

"Du machst die Welt nicht besser, wenn du bei Instagram ein Bild bei mit 'nem Spruch postest. Du instrumentalisierst es nur für dich."

Sicher. Es ist halt, gerade in Bezug auf die gefühlte Anonymität im Internet, nichts einfacher, als sich diese narzisstisch-egoistische Maske aufzusetzen und einfach mal so Hassbotschaften oder diffamierend-abwertende Kommentare zu verbreiten.

Ja, das Internet ist eine tolle Erfindung. Es hat aber halt eben auch eine Schattenseite.

Wenn du jetzt aber sagst, dass du dich eher mit den kleinen Dingen beschäftigst und eher nicht so gerne mit den großen. Denkst du dann nicht, dass genau das, was du eben gesagt hast im Endeffekt...

... auch 'ne große Sache ist?

Genau. Denn damit drückst du doch eigentlich eine zutiefst politische Haltung aus.

So formuliert hast du da natürlich nicht unrecht. Aber ich mache das halt fest an meinen ganz persönlichen Erfahrungen und beschreibe auch nur diese. In dem Song ist jetzt keine Zeile, die sagt: 'Social Media sucks'. Ich mache das an ganz konkreten, kleinen Beispielen fest, die mir auch persönlich bekannt sind oder die mir persönlich passiert sind. Mir ist schon wichtig, das alles aus einer Ich-Perspektive heraus zu erzählen (Ich-Botschaften sind mir wichtig) und nicht aus einer Wir-Perspektive.

Absolut verständlich. Mit einer Ich-Botschaft sendest du natürlich eine ganz andere Art der Message an eure Hörer.

Ja. Die Erfahrungen, die ich jetzt habe, und ich bin jetzt kein großer Netzwerke-Mensch, die teilen ja auch viele andere. Ich habe da noch so ein Beispiel mit einer Instagram-Story. Da postete irgendein Mädel zusammenklirrende Weingläser und schreibt drunter: 'Ich hab' hier gerade die geilste Party meines Lebens'. Es dauert zehn Sekunden, dann macht sie einen Spendenaufruf wegen der Buschfeuer in Australien und schreibt drunter: 'Hey, das ist super wichtig. Leute, das ist so super wichtig'. Wieder zehn Sekunden später kommt das nächste Bild und zeigt, wie sie mit ihrer besten Freundin in irgendeiner Bar rumhängt. Wo ist da bitte die Ernsthaftigkeit bei solchen Sachen? Das ist alles so leicht und es ist zu (betont) leicht. Wenn sich jemand 20 Jahre für Greenpeace engagiert und dort wirklich Arbeit leistet, das kann ich respektieren. Der tut was. Aber du machst die Welt nicht besser, wenn du ein Bild postest mit 'nem Känguru drauf und 'nem Spruch wie: 'Oh, die Buschbrände in Australien sind so schlimm'. Damit instrumentalisierst du das Ganze nur für dich.

So siehts aus. Und vor allem sogar noch unsinnig Ressourcen verbraucht damit...

... ja, richtig (lacht).

Apropos Welt verbessern. Eigentlich wolltet ihr im Mai auf Tour gehen. Die derzeitige Weltlage um das Coronavirus macht euch da, wie allen anderen Bands auch, gehörig einen Strich durch die Rechnung. Die Tour wurde nun erst einmal auf den Dezember verschoben. Wie geht ihr als Band und Kulturschaffende generell mit dieser momentanen Lage um?

Wir haben uns jetzt tatsächlich seit dem ersten März nicht getroffen. Wir ziehen das also echt durch. Zumindest noch bis Anfang Mai. Dann werden wir wohl wieder damit beginnen, uns zumindest zu zweit zu treffen – natürlich immer mit dem nötigen Sicherheitsabstand. Ansonsten haben wir jetzt für den Sommer einfach mal nichts Konkretes geplant. Wir hatten schon Bedenken, die Konzerte für den Dezember wieder anzusetzen. Immerhin gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass du diese Termine auch wieder canceln musst. Wir wollen aber auch so ein positives Zeichen setzen und damit vermitteln, dass ein Ende in Sicht sein wird. Ich stimm' da ungern ein in diese ganzen apokalyptischen Botschaften der Marke: 'Aah, unser Leben wird nie mehr so sein wie zuvor'. Das ist nicht die Pest, die wir da haben. Wir werden lernen, es zu kontrollieren. Da muss man an die Menschheit auch einfach mal glauben. Da wollten wir ein positives Zeichen setzen und die Gigs jetzt nicht einfach canceln, sondern sagen: 'Hey schieben alles sechs Monate auf, aber ziehen das durch, wir machen das'. Das ist uns wichtig. Auch für uns selbst, glaube ich. Wir brauchen ja auch etwas, worauf wir uns freuen können, wenn das Album dann veröffentlich ist.

Die finanziellen Einbußen dabei darf man ja auch nicht außer Acht lassen. Wobei ihr wahrscheinlich alle noch normale Jobs nebenher habt?

Ja, wir haben alle noch Jobs. Aber natürlich alles Berufe, die so flexibel sind, dass du touren kannst. Das ist ja nicht in jeder Berufssparte gegeben.

Eine Möglichkeit zum Proben habt ihr momentan wahrscheinlich nicht ...

... ne, ne.

Arbeitet ihr in der momentanen Zwangspause mit anderen Mitteln an neuen Songs? Immerhin wäre es eine gute Gelegenheit.

Wir haben, Gott sei Dank, alle so kleine Recording-Einheiten zuhause und arbeiten jetzt gerade an einer Akustikversion des neuen Albums. Wir wissen aber noch nicht, ob wir das ganze Album auf diese Art neu einspielen, oder ob wir nur ein paar Songs machen. Nach dem 3. Mai, wenn hier in Bayern die Ausgangsregelung hoffentlich etwas gelockert wird, bin ich dann gemeinsam mit unserem Drummer im 8 Ohm-Studio. Wir fangen da dann mit neuen Songs an. Es ist total weird so etwas nur eine Woche, bevor dein Album rauskommt zu machen. Also faktisch schon an Album drei oder an irgendeinem follow up zu arbeiten, aber etwas anderes können und wollen wir jetzt nicht machen. Also wollen wir die Zeit, die wir jetzt haben auch kreativ nutzen.

Eigentlich bleibt dir ja kaum etwas anderes übrig, als diese Pause so zu nutzen.

Wir planen noch so eine kleine Live-Session, so eine Art kleines Konzert über unseren Youtube-Kanal aus dem Studio heraus. Auch, um die neuen Songs vorzustellen. Wir wollen dran bleiben und den Leuten was geben. Aber das kannst du jetzt auch nicht jede Woche machen. Das ganze Business hat sich Mitte März auf dieses Streaming-Zeug gestürzt und baut da jetzt Systeme und Kanäle auf, um das quasi langfristig zu machen. Aber... Also ich bin ein riesen Foo Fighters-Fan. Wenn die Foo Fighters jetzt aber fünf Mal in der Woche in München spielen, dann würde ich auch nicht fünf Mal in der Woche hingehen, obwohl ich ein riesiger Fan bin. Man kann so etwas auch overkillen und dann ist es einfach nicht mehr interessant. Irgendwann ist es am Ende ja doch immer dasselbe. Du sitzt immer auf deiner Couch und hörst dir da die Band an. Das ist halt auch eine relativ schwache Ersatzdroge. Ich weiß nicht, wie lange das geht. Vielleicht haben wir Glück. Wir sind eine kleine Band. Wenn jetzt wieder Konzerte bis 300 Leute wieder erlaubt werden oder so, dann wären wir schon safe. Ich hoffe, dass da bald ein Durchbruch in der Medizin gelingt und dass sich die Dinge dann normalisieren.

Hat diese ganze Krise auch etwas mit eurem Albumcover zu tun, auf dem ein einzelner Mensch in einem Flughafenterminal zu sehen ist? Ein Albumcover kann man ja doch relativ kurzfristig anpassen.

Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Das Albumcover stand schon im November (lacht). Es ist weird, dass viele Leute jetzt sagen, in "A Bad Few Weeks" gehe es um die Corona-Pandemie. Ähh, ne (lacht)? Dieser Titel kriegt gerade irgendwie so ein neues Leben. Er kriegt eine unfreiwillige, neue Bedeutung. Das gleiche gilt auch für unser Cover. Also das Albumcover ist ja ein Flughafenmotiv. Auch unsere Singles haben das Flughafenmotiv. Tatsächlich werden wir ab und zu gefragt, ob das eine Reaktion ist. Nö. Uns holt irgendwie die Realität ein. Das erinnert mich ein bisschen an "Bleed American" von Jimmy Eat World. Das kam 2001 raus. Acht Wochen später war der 11. September und dann durften sie das Album nicht mehr "Bleed American" nennen. Oder Bush mit ihrem Album "Golden State", das ein abstürzendes Flugzeug auf dem Cover hatte. Das sind so Dinge, da holt es dich irgendwie ein.

Wir haben auch das große Glück, dass unsere CDs und LPs schon da sind. Das ist ja auch so ein Thema. Wie ich von anderen Bands erfahren habe, arbeiten die Presswerke nicht so wie sie sollten. Wir haben im November alles ins Presswerk geschickt und kurz vor Weihnachten war alles da. Das liegt jetzt schon alles hier auf Halde. Deswegen können wir das Release so durchziehen, wie wir es geplant hatten. Sonst hätten wir verschieben müssen. Es gibt ja genug Bands, die ihre Releases jetzt verschieben mussten. Wir haben endlich mal nicht alles auf den letzten Drücker gemacht, sondern mit zeitlichem Puffer. Das ist eine Lektion, die wir vom ersten Album gelernt haben.

Ich verstehe. Dass "A Bad Few Weeks" nichts mit Corona zu tun hat geht ja klar aus seiner Geschichte hervor ...

... du hast keine Ahnung, was manche Leute hier so fragen (beide lachen).

Ne du, da muss ich die Recht geben, das entzieht sich meiner Vorstellung.

Manche Leute drehen sich in ihren Köpfen die Sachen echt interessant zu recht.

Hast du spontan ein Beispiel auf Lager?

Wir haben so einen Instagram-Witz mit den City Kids Feel The Beat, 'ner befreundeten Band von uns. Wir haben da zusammen so eine Art Band-Haus. Das ist im Prinzip auch so Corona-Ersatz-Ding. Wir treffen uns ein Mal in der Woche in einer Skype Konferenz und machen irgendwas zusammen. Wir suchen uns verrückte Artikel, die wir in unserer virtuellen Band-WG unbedingt brauchen. Oder wir laden einen Fan ein, der dann irgendwelche Fragen stellt oder so. Ich hab' von einer Redakteurin tatsächlich die Frage gestellt bekommen, ob wir wirklich zusammen in 'ner WG wohnen. Also wir von Cadet Carter und City Kids Feel The Beat. Das war dann so wirklich... AHJAAA... Kucks dir doch an (betont)! Da sitzen irgendwie acht Typen in ihren Zimmern und skypen. Ganz klar, ja? Naja, witzig. Aber ich finds ja super, wenn sich die Leute interessieren. Das ist ja das größte Kompliment für uns.

Wir müssen leider zum Ende kommen nun. Von daher gebe ich dir zum Schluss das letzte Wort. Gibt es irgendwas, das du unseren Lesern mitgeben möchtest?

Dass sie euch weiter unterstützen sollen. Es gibt ein massives Sterben solcher Medien und ich als jemand, der euer Portal liest seit ... ich weiß nicht wie lange ... das gilt jetzt nicht nur für laut.de, sondern für viele Portale. Man soll die Kunst nicht vergessen. Das ist mir wichtig. Da gehören auch die Medien dazu, die sich mit den Musikrichtungen die wir so machen befassen. Das finde ich extrem wichtig.

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