15. Juli 2015

"Ich liebe die Gesänge des Meeres"

Interview geführt von

Glasgows bunte Musikszene spuckt ihr nächstes Talent aus: Christopher Duncan, kurz C Duncan, veröffentlicht am 17. Juli sein Debüt "Architect". Wie er nach seinem abgeschlossenen Studium in klassischer Komposition beim idealistischen Fatcat-Label gelandet ist und vieles andere hat er uns um Interview erzählt.

Während Ende Mai graue Wolken über Hannover hängen, schaltet sich per Skype C Duncan aus dem sonnigen Glasgow zu. Der junge Songwriter strahlt passend dazu übers ganze Gesicht, euphorisiert von den ersten größeren Konzerten bei Festivals und in Clubs.

Hey, wie geht's? Du hast gerade Auftritte beim Great Escape und deine erste Headline Show in London gespielt. Wie war's?

Es war richtig gut. Wir haben beim Great Escape drei Konzerte gespielt und die wurden gut angenommen. Immer mehr Leute beginnen, unsere Musik zu hören, also kommen auch mehr Leute zu unseren Gigs. Das ist toll. Auch unsere erste Headline Show vor zwei Tagen war ein großer Spaß. Es ist schön, der Hauptact zu sein und dass es Leute gibt, die dich sehen wollen. Ein bisschen surreal, aber großartig.

Klingt gut. Ich hatte in Interviews gelesen, dass ihr ein paar Schwierigkeiten bei der Live-Umsetzung hattet. Aber dafür habt ihr jetzt ja wahrscheinlich eine Lösung.

Jo, haben wir. Im Grunde habe ich jetzt zwei Bandmitglieder, mit denen ich live spiele, einen Keyboarder, einen anderen Gitarristen – und einen Sampler. Wir haben es geschafft, Drums und Bass komplett auf den Sampler zu packen. Wir haben kein Auto, hat also den Vorteil, dass wir kein Drumkit mit uns rumschleppen müssen. Ansonsten singen wir drei, füllen die Vokalharmonien aus und spielen all die anderen Teile. Das funktioniert echt gut.

Das ist ein ziemlicher Unterschied zur Art und Weise, wie deine Songs entstanden sind. Du bist ja ein "bedroom producer" und spielst live als Band. Wie findest du das? Gefallen dir Live-Shows besser als das Produzieren?

Naja, die Live-Sache ist immer noch ein bisschen ungewohnt, weil ich das Album rund ein Jahr lang allein in einem Zimmer aufgenommen habe. Und jetzt bin ich durch das Touren und Konzerte spielen die ganze Zeit von Menschen umgeben. Im Moment genieße ich das. Ich mag beides gleich gern, aber auf sehr unterschiedliche Weisen. Die Aufnahmen erlauben es, viel nachzudenken und Zeit mit sich selbst zu verbringen, was ich gerne tue. Du kannst dich einfach um deinen eigenen Kram kümmern. Aber es ist aufregend, auf der Bühne zu stehen, durch die Gegend zu touren, neue Orte zu sehen und neue Leute zu treffen.

Wenn wir mal auf deine Anfänge zurückkommen: Deine Eltern sind beide klassische Musiker. Welche Rolle spielten sie, wenn es um dein Interesse für Musik geht?

Während meiner gesamten Kindheit war ich umgeben von Musik. Mein Dad ist Violinist und meine Mum spielt Viola. Sie traten beide in Streichquartetten und Orchestern auf und hatten bei uns zuhause Proben. Mein Bruder und ich waren das von ganz klein an gewohnt, also wollten wir auch mit Instrumenten anfangen, weil Mum und Dad ja Musik machten. Ich lernte Piano und dann Viola. Als ich mit der Schule durch war, wollte ich immer noch Musik machen, also studierte ich klassische Komposition. Den Zugang zu klassischer Musik brachte ich von daheim mit. Als Teenager fing ich an, Popmusik aufzunehmen. Und nachdem ich meinen klassischen Abschluss hatte, habe ich beschlossen, wieder meine eigenen Songs aufzunehmen.

Du hast es kurz erwähnt: Du hast klassische Komposition am RCS (Royal Conservatoire of Scotland) studiert. Ich hab auch ein paar Musikkurse in der Uni belegt. Und irgendwann gibt's dann immer die Diskussion über die Kluft zwischen E- und U-Musik, also "klassischer" und "populärer" Musik. Darüber habt ihr vermutlich auch diskutiert?

(Atmet tief aus wie viele Musikstudenten) Jaah, ich konnte das nie wirklich unterscheiden... Ich weiß wirklich nicht, warum das zwei unterschiedliche Dinge sein sollen (hadert mit sich und fängt an auf einem Blatt Papier zu kritzeln). Ich finde ja immer, dass man Musik auf die eine oder andere Art genießen sollte. Das Einzige, was Musik ernst macht, ist, wenn es um was Ernstes geht. Aber "U-Musik" hat genauso seine Berechtigung wie "E-Musik" und andersrum. Für mich war das immer dasselbe. Es hängt eigentlich nur davon ab, welchen Weg du wählst, wenn dein Publikum Freude oder wenn es deinen Schmerz fühlen soll.

Habe mir schon gedacht, dass du nicht viel davon hältst, weil dein Album ja auch offensichtlich auf beide Seiten zurückgreift.

(Während er weiter auf dem Blatt kritzelt) Ja, überhaupt nichts. Ich hätte die Platte umgekehrt genauso gemacht, wenn ich ein Streichquartett- oder Orchesterstück hätte schreiben wollen. Ich meine, es ist derselbe Prozess: Es geht nur darum, die Harmonie herumzubewegen, an Themen zu arbeiten und zu entscheiden, welche Stimmung du der Musik verpassen möchtest. Mit populärer Musik ist es genauso, denke ich.

Ich hab mich tatsächlich gefragt, ob du irgendwie anders herangehst, wenn du Pop oder Klassik schreibst. Ich hab nämlich eins deiner Stücke von 2011 gehört "Twine, for orchestra".

(Lacht) Achja!

Das ist echt pompös und klassisch, wenn man so will. Aber das macht für dich keinen Unterschied?

Nein, das Vorgehen ist ziemlich ähnlich. Der einzige Unterschied ist, dass das eine geschrieben und das andere aufgenommen ist. Es ist auf eine gewisse Weise erfüllender, Musik aufzunehmen, weil man das Ergebnis sofort hören kann, während man bei klassischer Musik darauf warten muss, dass andere sie spielen. Vor der Aufführung spielt sich alles nur in deinem Kopf ab. Ich schätze, das ist der einzige Unterschied. Die Ideen, die Themen und die Art, wie ich mit Harmonien arbeite, sind bei klassischer und populärer Musik sehr ähnlich.

Aber überlegst du, in der Zukunft wieder etwas wie "Twine" zu schreiben, also ein Orchester-lastigeres Album? Bei "Architect" ist das ja nicht so der Fall.

Ja, ich hab sehr große Lust drauf, wieder was in der Richtung zu schreiben. Ich spiele mit dem Gedanken für meine zweite Platte, die ich bald anfangen werde. Mich reizt es, ein Streichquartett einzubeziehen und zu versuchen, diese beiden Dinge ein bisschen mehr zu verbinden.

"Mit Fatcat hatte ich einfach viel Glück!"

Dein Debüt heißt "Architect". Spiegelt der Titel deine Arbeitsweise wider?

Wahrscheinlich schon. Als ich mit dem Album anfing, dachte ich darüber nicht so. Erst als ich halb damit fertig war, als ich anfing die Bilder für das Cover und die Singles zu gestalten. Es machte irgendwie Sinn es "Architect" zu nennen und diese Bilder zu benutzen. Sie ähneln der Musik sehr, sie sind ziemlich verschachtelt und es gibt viele Wiederholungen. Sie spiegeln sich alle ineinander wider. Dadurch bin ich auf "Architect" gekommen. Ein Track heißt ja auch so, der hält das in gewisser Weise alles zusammen.

Deine Gemälde zeigen Glasgows Straßen. Ich habe mich ein bisschen über die Perspektive gewundert, die ähnelt der Google Earth-Außenperspektive irgendwie. Warum hast du dich dafür entschieden? Hat das was mit Distanz zu tun?

(Lacht) Nein, nicht wirklich, aber ich habe tatsächlich Google Earth benutzt, um herumzugehen und diese Orte in Glasgow zu finden. Ich mag die Perspektive, weil man so viele, viele Gebäude sehen kann, aber nicht sieht, wie sie wirklich aussehen. Man hat einen total anderen Blick von oben herab. Das ist unvergleichbar, das kann man nicht sehen, wenn man herumläuft. Man kann es nur sehen, wenn man tatsächlich von oben runterschaut, sieht, wie die Straßen aussehen und wie die Formen zusammengehen.

Welche Ecken aus Glasgow hast du dir ausgesucht?

Alle Bilder, das Cover inklusive, sind Orte, an denen ich entweder gelebt oder viel Zeit verbracht habe. Zum Beispiel war ich Fitnessclub-Mitglied im Westend von Glasgow. Dort war ich oft eine halbe Stunde in der Sauna gesessen, habe nur über Musik nachgedacht und Songs in meinem Kopf geschrieben. All die Gemälde sind von Orten, die das Album beeinflusst haben oder umgekehrt: Einige Songs spiegeln jene Orte wider, die ich gemalt habe. Das ist alles irgendwie miteinander verflochten.

Wie hat dich Glasgow musikalisch beeinflusst? Als ich mal da war, hatte ich den Eindruck, dass die Musikszene dort sehr lebendig ist.

Oh ja, Glasgow ist ein toller Ort für Musik. Auch in der Kunstszene ist so viel los. Es ist ein sehr, sehr offener Ort. Du kannst in irgendeine Bar in Glasgow gehen und dort wird Musik spielen. Es hat mich insofern beeinflusst, weil Glasgow sehr offen für viele verschieden Arten von Musik ist. Es gibt keinen Glasgow Sound oder so. Das ist genauso, wie mit Musiker aufzuwachsen, du bist die ganze Zeit umgeben von so viel verschiedener Musik. Ich schätze, das hat mich ziemlich beeinflusst.

Dein Album veröffentlichst du jetzt trotzdem beim Label Fatcat, das in Brighton (Südengland) sitzt. Wie ist der Kontakt zustande gekommen?

Ich habe ihnen mehr oder weniger einen Song geschickt und geschrieben, dass ich Fatcat wirklich mag. Das Label ist echt cool und großartig, weil die Leute sich jedes Demo anhören, das ihnen zugesandt wird. Ich war ein paar Mal in ihren Büros. Sie haben da jede Woche einfach stapelweise CDs rumliegen und nehmen sich dann einen ganzen Tag Zeit, um alle Demos anzuhören, die reinkommen. Da wird nichts aussortiert, landet nichts im Mülleimer. Jeder hat eine faire Chance. Dabei sind sie auf meinen Song gestoßen und mochten ihn. Sie luden ihn also auf ihre Soundcloud-Page für ihre Lieblingsdemos, um Rückmeldung von der Öffentlichkeit zu bekommen. Ich bekam gutes Feedback, also fragten sie mich nach mehr Songs. Dann luden sie mich ein, für ein Gespräch vorbeizukommen. Es war tatsächlich überraschend leicht. Leute sagen, es sei sehr schwer einen Plattenvertrag zu kriegen. Aber ich denke, ich hatte einfach viel Glück.

Hat Fatcat den Aufnahme-Prozess irgendwie beeinflusst?

Nein, ich habe alles allein gemacht. Sie sitzen ja in Brighton und ich in Glasgow, also schickte ich ihnen meine Tracks mit der Frage runter: "Gefällt's euch? Gefällt's euch nicht?". Sie haben dann ja oder nein gesagt und ich hab danach dann wieder allein weitergemacht. Sie haben mir viel Freiheit gelassen, was wirklich cool war. Sie drängten mich in keine Richtung, sondern wollten nur sehen, was für ein Album am Ende dabei herauskommt. Ganz am Ende haben wir es dann in die West West Side Studios in New York [wie unter anderem Sufjan Stevens, Animal Collective, Beirut oder Fleetwood Mac, Anm. d. Red.] zum Mastern geschickt.

"'I'll Be Gone By Winter' ist eine Wild Card"

Ich muss zugeben, dass ich überrascht war, als ich hörte, dass du dein Album ganz allein aufgenommen hast, weil so viel Chor-Passagen eingebaut sind. Wie kommt man auf die Idee, solche Vocals aufzunehmen, wenn man allein arbeitet?

Ich liebe einfach den Zusammenklang von vielen Gesangsstimmen. Als Kind habe ich immer viel in Chören und Kirchenchören gesungen. Also wollte ich versuchen, den Klang selbst zu erzeugen, nur mit meiner Stimme. Ich mag diesen üppigen, dichten Sound, den man dabei kriegt, also habe ich es einfach durchgezogen. Es hat total Spaß gemacht, sich selbst 40 mal aufzunehmen und es dann zu sehen, wie es klingt. Manchmal klingt das schrecklich (lacht). Aber manchmal klappt es.

Die Chorgesänge erinnern mich sehr an die Fleet Foxes. Aber noch stärker finde ich die inhaltlichen Paralellen. "Architect" ist ja sehr naturverbunden, das Meer ist ein zentrales Thema. Wie passt das zu deinem Leben in der Stadt?

Hm, ich weiß gar nicht genau, woher das mit dem Meer kommt. Ich liebe das Meer einfach, liebe es dort zu sein, seine Gesänge zu hören. Außerdem bin ich auf dem Land in der Nähe vom Glasgow, nah am Loch Lomond aufgewachsen. Ich habe meine ganze Kindheit dort verbracht und bin erst für die Uni nach Glasgow selbst gezogen. Ich bin das ländliche Leben gewohnt, das sicherlich naturverbundener ist als die Stadt. Ich verbringe viel Zeit draußen, so kommt das dann wieder zusammen. Wenn ich in der Stadt bin, denke ich viel über das Land nach. Wenn ich auf dem Land bin, denke ich viel an die Stadt. Dadurch, dass ich jetzt so lange in der Stadt war, habe ich viel über das Landleben und die Natur nachgedacht.

Der Inhalt hält das Album schon zusammen, aber auch musikalisch hat "Architect" einen guten Flow. Wie viel Konzept oder Absicht steckt da dahinter?

Es gibt eigentlich keinen großen, konzeptuellen Rahmen. Es geht darum, welche Übergänge musikalisch funktionieren. Ich wollte kein Album, das richtig fröhlich startet und dann über den Rest hinweg stimmungsmäßig abfällt. Ich mag abwechslungsreiche Alben, bei denen du den nächsten Track hören willst und du wieder in fröhliche Gebiete zurückkommst. (lacht). Das klingt sehr einfältig, aber ich wollte, dass es durchwachsen ist. Wir verbrachten einige Zeit damit, herauszufinden, wie wir die Songs anordnen sollen und ich denke, es funktioniert.

Der letzte Song "I'll Be Gone By Winter" fällt für mich aber raus. Gibt's da eine Geschichte dazu? Er erinnert mich immer an Weihnachten, beschreibt eine Sehnsucht, alles hinter sich zu lassen. Er ist einfach anders.

Ja, das ist ein komischer Song. Als ich ihn geschrieben habe, war es Winter in Glasgow und der ist hier immer ziemlich trostlos. Ich war fast fertig mit dem Album und ... Kennst du das, wenn du noch ein paar andere Dinge zu tun hast, aber du einfach sooo lange brauchst, sie zu erledigen? Bei dem Song geht's also darum die ganze Tristesse hinter sich zu lassen und irgendwo anders hinzuziehen. Wir waren uns nicht sicher, ob wir den Song überhaupt auf das Album packen sollten, aber ich mag ihn da, wo er ist. Er ist eine Art Wild Card am Ende der Platte, weil er nicht so ist wie der Rest. Ich habe aber viele andere Songs wie diesen geschrieben, die nicht auf dem Album gelandet sind. Vielleicht ist es ein Vorbote für das, was als Nächstes kommt. Ich weiß nicht wirklich, warum er auf dem Album ist (lacht). Es klang einfach richtig.

Du hast deine Zukunftspläne schon ein bisschen angedeutet. Was steht in den nächsten Monaten so an?

Viele, viele Gigs spielen, unser Live-Set durchgehen, es festnageln und richtig, richtig gut werden. Dann kommen wir hoffentlich zum Touren nach Europa. Wir planen gerade ein paar Konzerte in Deutschland. Wir kommen wahrscheinlich für ein Festival und touren hoffentlich ein bisschen herum, möglicherweise auch in ein paar anderen Orten in Europa. Und ich habe schon angefangen am zweiten Album zu arbeiten. Das wird aber noch etwas dauern.

Wie schaut's mit deiner Kunst aus? Ich habe gelesen, dass du gerne bei ein paar Ausstellungen mitmachen würdest. Hast du dafür jetzt überhaupt noch Zeit?

Das habe ich im Moment hinten angestellt. Aber gegen Ende des Jahres würde ich meine Kunst gerne ein bisschen mehr ausstellen. Warum auch nicht? Das wird Spaß machen. Egal, ob die Leute sie mögen oder nicht. Es wird schön sein, sie irgendwo für eine Zeit lang an der Wand zu sehen statt sie nur in meinem Zimmer oder Wohnzimmer neben dem Sofa sitzen zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

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