12. Juli 2018

"Wir haben Harry Kane!"

Interview geführt von

Zum Start der Headline-Tour trafen wir Bury Tomorrow-Frontman Daniel Winter-Bates in Frankfurt und sprachen über die "Black Flame" als tragendes Symbol zum neuen Album, den Anspruch, zukünftig die ganz großen Hallen zu füllen und das As I Lay Dying-Comeback.

In den letzten zehn Jahren sind Bury Tomorrow zu einer der beständigsten Bands im Metalcore gereift. Mit dem Wechsel zum Sony-Label "Music for Nations" will die fünfköpfige Formation aus Southhampton den nächsten Entwicklungsschritt einleiten. Vor der Show in Frankfurt trafen wir Shouter Daniel Winter-Bates zum Interview.

Heute startet eure Headline-Tour durch Europa, wie ist die Stimmung?

Es ist cool wieder hier zu sein, Deutschland ist für uns schon eine Art zweite Heimat geworden. Gemessen am Publikum und der ganzen Organisation genießen wir die Shows hier tatsächlich am meisten.

Gestern wart ihr noch beim Download in Paris, weitere Festival-Termine stehen noch aus. Wie fühlt sich der ständige Wechsel zwischen einer riesigen Festival-Meute und dann wieder ein paar hundert hartgesottenen Bury Tomorrow-Fans an?

Es ist aufregend. Du springst permanent von einem kurzen zu einem langen Set. Das gehört einfach dazu, wenn du in einer Band spielst. Jedes Festival-Set bietet uns immer eine riesige Chance, neue Fans zu gewinnen. Bei unseren Headline-Shows geht es mehr darum, mit denen zu feiern, die wir bereits überzeugen konnten. Das Gefühl ist vertrauter, die Interaktion gelöster und der Spaßfaktor um so größer.

Vor einem Monat habt ihr den Titel-Track eures am 13. Juli erscheinenden Albums "Black Flame" veröffentlicht. Kurioserweise war der Mix nicht ganz nach dem Geschmack eurer Fans?

Das war wirklich sehr speziell. Es ging zunächst komplett an uns vorbei. YouTube hat bestimmte Vorgaben für die Sound-Kompression. Wir haben erst eine sehr unkomprimierte Qualität des Songs hochgeladen. Durch die Kompression klangen die Vocals dann plötzlich total abgedreht. Unsere Fans merken schnell, wenn etwas mit dem Sound nicht stimmt und so häuften sich die negativen Rückmeldungen. Fürs Erste war das natürlich ein Schlag ins Gesicht, aber wir haben es dann sofort angepasst. Schließlich ist das Feedback unserer Fans enorm wichtig.

Die "Black Flame" ist ein ziemlich einprägsames Symbol. Auch hier ist die Connection zu euren Fans der Hintergrund, richtig?

Genau. Unsere Fans sind sozusagen die "Black Flame". Der Gedanke dahinter ist der, dass die Flamme im übertragenden Sinne über die ganze Welt weitergereicht wird und sich unsere Fangemeinde damit erweitert. Wir sind super glücklich an dem Punkt, an dem wir stehen, aber wir wollen mehr, wir wollen größer werden. Klar, ist es unser Traum die größte Band in der Szene zu sein.

Interessanter Gedanke, dass das über die Assoziation mit einem bestimmten Symbol besser funktioniert.

Ja, es gibt sicher auch einige Menschen, die uns ursprünglich einmal sehr intensiv verfolgt und dann etwas aus den Augen verloren haben. Für sie dient das Symbol wiederum als Aufruf, die Flamme neu zu entzünden. Die Metapher dahinter ist sehr stark.

Spielt das alles auch in die Lyrics zur neuen Platte mit rein?

Auf jeden Fall! Der Song "Black Flame" ist textlich einzig unseren Fans gewidmet. Es geht um die Verbundenheit zu ihnen und eine Art Gemeinschaftsgefühl. Es ist nicht wirklich ein dauerhaftes Thema in den Lyrics, sondern vielmehr eine Botschaft, die sich durch das ganze Album zieht. Egal, ob es um Politik, Umwelt oder das tägliche Leben geht, die Gemeinschaft zwischen uns und den Fans schwebt über allem.

"Wir sind hier, um zu wachsen"

In einer Metalcore-Band gibt es häufig einen Typen wie Cameron, der die Clean-Vocals übernimmt, und dann dich als shoutenden Frontman. Wer ist bei euch für die Texte zuständig?

Ich bin meistens derjenige, der das Thema vorgibt, kümmere mich also um das Grundgerüst. Wir arbeiten außergewöhnlich gut zusammen, verrückterweise manchmal schon wie ein und dieselbe Person. Er weiß ganz genau, welche Parts ich übernehme und umgekehrt. So füttern wir den Song nach und nach mit Inhalt. Am Ende wollen wir beide gleichermaßen hinter den Zeilen stehen.

Was zeichnet die neue Platte aus im Vergleich zu älterem Material?

Ich denke, es ist ein Schritt nach vorne. Wir haben uns noch einmal gesteigert, sowohl musikalisch, als auch textlich, als auch beim Songwriting und in der Produktion. Dabei haben wir viel Neues ausprobiert. Das alleine macht schon den Reiz aus. Es wäre naiv zu glauben, dass wir perfekt sind, aber wir wollen uns weiter in diese Richtung entwickeln. Nicht nur in Punkto Härte oder Melodie. Es ging darum, an allen Stellschrauben zu drehen.

Gerade was die Härte betrifft, ist es sowieso ein Irrglaube, dass man sie durch eine bessere Produktion ins Unermessliche steigern kann.

Ja, genau das meine ich. Ebenso wenig wollen wir uns nur technisch verbessern, sondern auch in der Art und Weise wie wir Songs schreiben. Härte erzeugst du nicht, indem du schneller wirst oder ein fieseres Riffing auffährst. Schau dir eine Band wie Parkway Drive an: Auf IRE sind sie noch geradliniger und noch härter geworden, aber nicht automatisch komplexer. Es war einfach ein cleveres Songwriting.

Inwiefern begünstigt euer Label-Wechsel diese Weiterentwicklung?

Ich denke, dieses Album spiegelt unseren Anspruch wieder, größer und besser zu werden. Ich würde lügen, wenn ich sage, ich will keine großen Hallen spielen oder mal Headliner bei einem namhaften Festival sein. Wir sind hier, um zu wachsen, aber auf eine gute Weise, im Sinne des Metals. Nuclear Blast hat viel für uns getan, doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem du frischen Wind brauchst.

Sony hat ein unfassbar großes Netzwerk und noch ganz andere Möglichkeiten, viele Menschen zu erreichen. Sie kamen auf uns zu und waren begeistert von dem, was wir bisher abgeliefert haben. Es ist verdammt hart zu widerstehen, wenn ein so renommiertes Label dir versichert: "Hey, wir bringen euch auf ein höheres Level, ohne euch reinzureden. Ihr macht einfach euer Ding!" Es wäre dämlich gewesen, diese Gelegenheit nicht zu ergreifen.

Bury Tomorrow steht ja seit den Anfängen für Metalcore im klassischen Sinne, also eine ausgewogene Mischung aus Härte und Melodie. Ist es eine bewusste Entscheidung, das auch so beizubehalten?

Das sollte es immer sein. Ich denke unser Grundbedürfnis ist es, heavy zu bleiben. Wir lieben den Metal-Einfluss. Nur deshalb bin ich überhaupt in der Band. Wenn sich Bury Tomorrow in eine rein melodische Richtung entwickelt hätte, wäre ich überflüssig (lacht). Nein im Ernst, wir würden viele Anhänger verlieren, wenn wir unsere Wurzeln verlassen und du brauchst einen bestimmten Wiedererkennungswert als Basis. Sich von ihm ausgehend zu verbessern, zu verändern, ist das Beste, was passieren kann.

Am Rande habt ihr diesmal auch mit elektronischen Klängen experimentiert. Lässt sich das in Zukunft noch ausbauen?

Das haben wir zuvor noch nie gemacht. Dafür sind die Zeiten der Balladen und ruhigeren Songs vorerst vorbei. Jede Metalcore-Band hat das hinter sich (lacht). Ich denke "Earthbound" hat schon ganz gut definiert, wie es in Zukunft aussehen soll. Wir sehen uns als Metal-Band und wollen das auch auf Albumlänge transportieren. Unter den zehn Songs auf "Black Flame" gibt es keine Intros oder Interludes. Die elektronischen Nuancen sind nur kurze Verschnaufpausen von der Härte, die ansonsten durchgehend vorherrscht. Sie sind als Kontrastmittel gedacht. Ob das auch in Zukunft zum Einsatz kommt? Wir werden sehen.

"Reue darf niemals zur Marketing-Strategie werden"

Du hast sie eben schon angesprochen. Wenn es um einen stilistischen Richtungswechsel geht, sind Parkway Drive jüngst die meist diskutierte Band im Metalcore. Sie haben euch speziell in früheren Phasen stark geprägt. Wie hast du ihre Entwicklung verfolgt?

Ich mochte "IRE" wirklich sehr gerne. Es ist großartig. Für sie hat sich einfach die kommerzielle Dimension verändert. Eine Produktion wie die von "Horizons" wäre inzwischen einfach unpassend, denn sie schreiben Songs für Stadien. Jedem, der ihnen diese Entwicklung negativ auslegen möchte, empfehle ich, sie live zu sehen. Da brennt immer noch dasselbe Feuer. Ich verstehe die Enttäuschung, aber die gibt es einfach immer, wenn du etwas Neues ausprobierst.

Sie tun das Richtige, sie werden größer und machen keine Anstalten, damit aufzuhören. Davor habe ich den größten Respekt. Die Jungs sind seit 15 Jahren zusammen und mal ehrlich, das 80er Rock-Element in ihrem Sound, habe ich schon immer raushören können. Jeff hat diese fast schon singenden Riffs in einem Track wie "Idols and Anchors" schon angedeutet. Sie leben also nur aus, was schon immer in ihnen schlummert. Natürlich hätten sie die heutige Fanbase niemals ohne ihre Metalcore-Meilensteine, aber inzwischen stehen sie für die fettesten Produktionen weltweit. Das klingt nicht so schlecht oder?

Ich weiß, dass As I Lay Dying ebenfalls enormen Einfluss auf eure Musik hatten. Da kam gerade die Comeback-Single aus dem Nichts. Fans tun sich schwer mit der moralischen Dimension von Tims Vergehen. Was ist mit euch?

Anm. der Red: Tim Lambesis bekannte sich 2014 vor Gericht dazu, einen Auftragsmörder auf seine Ex-Frau angesetzt zu haben. Das Gericht verurteilte ihn zu 16 Jahren Haft, Ende 2016 kam er auf Bewährung frei. Ende 2017 entschuldigte er sich in einer Facebook-Post für seine "entsetzlichen Taten".

Oh ich wusste, dass du mich das fragen würdest (lacht). Wir diskutieren seit dem Release darüber. Sie haben unsere Band definiert. Der Song für sich ist ein Killer. Er knallt ohne Ende, ist brutal und hat diesen eingängigen Chorus. So hätte ich mir ein Comeback vorgestellt, wenn all das nicht passiert wäre. Moralisch ist es ziemlich aussichtslos. Es wäre viel zu leicht, es einfach unter den Teppich zu kehren. Der Hintergrund ist einfach zu heftig.

Schonungslose Offenheit also?

Ja, und selbst dann werden die Leute noch erzürnt sein. Ich meine, es geht um eine reale Tragödie. Ich verstehe total, warum die Menschen moralisch erschüttert sind. In diesem Moment lasse ich den Song für sich sprechen. Am Songwriting hat Tim ja auch nur geringfügig Anteil. Der Rest der Band besteht aus unglaublich guten Musikern. Lass uns sehen, was passiert. Ich bin gespannt.

Der Song selbst handelt von Reue, hilft das?

Es ist so leicht zu sagen, dass du etwas bereust. Niemand nimmt das zum Anlass zu erwidern "Hey, na dann ist alles cool" (lacht). Genauso gut könnte es eine reine Marketing-Strategie sein, was mich moralisch ziemlich bedenklich stimmen würde. Es würde bedeuten, sie profitieren von einem menschlichen Versagen. Das wäre komplett falsch.

Ich bin sicher, ihr schaut das ein oder andere WM-Spiel in den kommenden Wochen. Was denkst du, wie weit schaffen es eure Three Lions diesmal?

Haha, sie haben Harry Kane. Er ist ein fantastischer Spieler. Andererseits haben wir Engländer ja lange nichts mehr gerissen bei einem großen Turnier. Ich bin zwar kein fanatischer Fußball-Fan, aber die WM schaue ich dann doch ganz gerne. Die besten Gesänge haben definitiv die Isländer.

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