27. Oktober 2008

"Touren ist ein ständiger Kampf"

Interview geführt von

Bloc Party mausern sich in den letzten Jahren immer mehr von Indie- zu Experimentalrockern. Ihre aktuelle Platte "Intimacy" veröffentlichten die Briten vorab im Internet, weshalb laut.de-Autor Volker Rueß beim Interview mit Drummer Matt Tong eingehend über den Musikmarkt diskutiert. Überraschende Einblicke ins Seelenleben inklusive.Berlin, Prenzlauer Berg. Bloc Party befinden sich gerade noch zwecks Fotoshooting in einem nahegelegenen Park. Einige Minuten später treffe ich in einem Mietapartment Drummer Matt Tong. Der schlaksige Engländer mit chinesischen Vorfahren antwortet auf Fragen stets sehr nachdenklich, während er genüsslich an seinem Tee schlürft.

Viele Fans haben euer Album schon vor der CD-Veröffentlichung in Mp3-Form gehört. Seid ihr da noch aufgeregt vor dem physischen Release?

Ich müsste lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass wir interessiert beobachten, wie sich die CD in England schlagen wird. Gleichzeitig erwarten wir, dass "Intimacy" durch den Download-Release nicht so hoch in die Charts steigen wird wie unsere bisherigen Alben. Aber die generelle Aufregung, wie sich das Album in physischer Form schlagen wird, ist schon da.

Habt ihr im Vergleich zum Download an der Tracklist oder am Sound etwas verändert?

Wir haben ein paar Lieder addiert. Eines heißt "Talons", das wird wahrscheinlich unsere nächste Single in Europa sein. Und dann gibt es noch das Stück "Letter To My Son". Die zwei haben wir dazu genommen.

Aber ihr habt nicht mehr an den Liedern selbst gebastelt?

Nein. Wir haben, glaube ich, im Juni die Aufnahmen abgeschlossen und seither nichts mehr daran gemacht. Wir haben ein paar B-Sides aufgenommen.

Würdest du ein Album zweimal kaufen?

Als wir die Download-Version auf unserer Webseite angeboten haben, gab es dort auch die Möglichkeit, sich sowohl den Download als auch die CD zu kaufen. Der Preis entsprach dem der CD-Ausgabe, während die Mp3-only-Version zum halben Preis erhältlich war. Wir haben also vermieden, dass die Leute sich entscheiden müssen, eventuell zweimal für die Musik zu zahlen. Wenn du die CD geholt hast, hast du genauso viel gezahlt wie sonst auch, hattest aber den Vorteil, es sehr früh zu bekommen.

Hat sich "Intimacy" bisher gut verkauft?

Ich hab keine Ahnung, wie die Zahlen sind. Ich glaube, es lief ganz gut. Wir hatten noch keine Möglichkeit, uns damit zu befassen, weil wir so beschäftigt sind. Seit das Album draußen ist, sind wir auf Tour, und wenn nicht, dann machen wir Promotion. Wir hatten aber auch keine bestimmten Ziele, wie viele Einheiten wir verkaufen wollen. Wir sind da ganz unromantisch.

War diese spezielle Veröffentlichungsform eure eigene Idee oder kam das vom Managment, vom Label?

Es entwickelte sich aus unserem Vorhaben, das Album noch dieses Jahr zu veröffentlichen. Als wir uns nach der Winterpause trafen, war uns klar, dass wir definitiv ein Album veröffentlichen möchten. In offenen Diskussionen, wie wir das realisieren könnten, kamen wir zum Ergebnis, dass es das Beste wäre, es zunächst im Internet zu veröffentlichen. Und dann passierten ein paar Sachen. Radiohead und andere Bands entschieden sich, genau diesen Weg zu gehen. Das gab uns den letzten Anstoß, es ebenso zu tun, bevor jeder andere es auch macht.

Fortan werden wir Platten wohl mit weniger Sorgen vorab veröffentlichen, aber das jetzige Überraschungselement wird Releases in ein paar Jahren nicht mehr begleiten. Ich denke, es gibt jetzt keinen Grund mehr ein Album zu beenden, und anschließend vier bis fünf Monate darauf sitzenzubleiben, während wir Tourpläne und Promotion machen. Für einige Bands funktioniert das, weil sie nicht so produktiv sind wie wir. Der Internetweg funktioniert recht gut für uns.

Wider den Bono-Effekt

Was denkst du generell über die momentane Lage auf dem Musikmarkt?

Es ist definitiv ziemlich schwierig, deine Stimme hörbar zu machen, weil so viele Leute Musik machen. Das ist eine gute Sache. Internet und MySpace sind sehr demokratische Dinge. Leider sind die meisten Leute in der Musikindustrie nicht sehr clever und stecken in ihren Strukturen fest. In dem Zustand ist die Musikindustrie gerade. Wir sind da in einer privilegierten Position. Die Leute interessieren sich dafür, was wir machen. Viele Bands aus unserer Generation müssen sich wirklich abmühen, ihre Arbeit zu veröffentlichen.

CDs zu verkaufen ist nicht mehr so wichtig für uns. Wir machen unser Geld durch Touren, durch Live-Auftritte. Erst wenn das irgendwann aufhören sollte, müssten wir uns Sorgen machen. Eine Menge Bands touren heutzutage gleichzeitig, während viele Fans gar nicht mehr so viel Geld in der Tasche haben wie vor zwei Jahren. Die können nicht mehr als vielleicht viermal im Jahr zu Konzerten gehen. Die Bankenkrise wird glaube ich sehr hart einschlagen.

Das verändert auch die Art der Musik. Wenn man sein Geld live verdient, muss man auch Musik produzieren, die auf die Bühne passt.

Ein interessanter Punkt. Aber wir waren schon immer sehr erpicht, unsere Musik vor Publikum darzubieten. Wir haben nie versucht, irgendeine Aufnahme zu replizieren. Bei der Übersetzung von CD zu Live muss man seine Fantasie einsetzen. Wir haben uns einen guten Live-Ruf erspielt; vielleicht nicht als die technisch beste Band der Welt, aber wir sind leidenschaftlich und binden das Publikum ein. Wir versuchen das zu bewahren.

Euer Album scheint mir noch experimenteller geraten als "A Weekend In The City". Lässt sich absehen, welche Richtung ihr als nächstes einschlagt?

Keine Ahnung. Das ist ziemlich unvorhersehbar. Wir könnten noch weiter gehen, extremer werden. Oder wir machen ein klassisches Heavyrock-Album. Naja, das wohl eher nicht. Jedes Album war ein Lernprozess für uns. Ich schätze, wir werden erneut ein paar Sachen ausprobieren und schauen, was wir bisher noch nicht gemacht haben. Aber ich kann dir noch nicht sagen, wie es dann aussehen wird.

Wie hat die Öffentlichkeit bisher auf das Album reagiert?

Ich habe noch nicht viele Reviews gelesen. Es gab überwiegend positive Reaktionen, ich glaube die Leute mögen es mehr als unser letztes Album. Ich war auch ein bisschen in unserem Forum unterwegs, und die Hardcore-Fans fahren offensichtlich drauf ab. Aber es ist wichtig, dass du nicht versuchst, bestimmte Reaktionen bei den Leuten zu erreichen. Ich mag es zu hören, was die Leute sagen, aber das hat keinen Einfluss auf das was wir als Band machen.

Habt ihr Angst, zu experimentell zu klingen?

Wir haben so viele Einflüsse. Das Spannende in unserer Musik rührt genau von diesen Einflüssen. Weil sie alle darum kämpfen, gehört zu werden. Wir haben das inzwischen akzeptiert. Was wir tun, ist nicht immer auf Wohlklang ausgerichtet, nicht immer schön ausbalanciert für die Masse. Manche Bands schreiben Konzeptalben, vermitteln durchweg ein ganz bestimmtes Gefühl. Aber das war nie unsere Sache. Vielleicht machen wir das in Zukunft, wer weiß.

Was für Einflüsse waren das bei eurer dritten Platte?

Die Hauptmotivation bestand darin, so viele Songs wie möglich im Studio aufzunehmen. Mindestens die Hälfte sind aus sehr spontan entstanden, davor hatten wir ein bisschen Angst. In der Vergangenheit schrieben wir einen Song, nahmen ein Demo auf und dann eine bessere Version im besonders. Diesmal sind wir unseren spontanen Ideen und Gefühlen nachgegangen und haben sie so weit wie möglich entwickelt.

Wir schreibt ihr eure Songs? Werft ihr alle Ideen in den Raum oder ist Kele der Antreiber?

Kele ist der eigenwilligste unter uns. Es gibt diese Tendenz für ihn zu schreiben, wir folgen seinem Stichwort. Wir haben zunächst eine Eingebung, oder wir haben eine Riff, und dann fischen wir darum herum. Wir jammen, bis etwas passt. Kele ist definitiv die Seele der Band, mit den bestimmenden Ideen.

Wie fühlt es denn an, sozusagen als Drummer unter Kele Okereke zu dienen?

Es ist gut, ich kann mich nicht beschweren. Der Großteil meiner Arbeit geschieht auf Tour. Ich verspüre einen anderen Druck als der Rest, einen anderen Druck als Kele, der die Lieder und Texte schreibt. Er ist das Gesicht der Band, er repräsentiert uns alle. Er muss rechtfertigen, was er macht, nicht uns gegenüber, aber vor den Medien. Es ist manchmal hart, eine Perspektive über den Proberaum hinaus zu haben. Dass Kele das kann, schätze ich wirklich. Meine persönliche Last ist es, keine Fehler zu machen. Wenn ich live Fehler mache, hört es jeder. Wenn du mit der Gitarre einen Fehler machst, kann sich das im Geräusch verlieren, aber wenn du etwas an den Drums verkackst, dann ist das wirklich schlecht.

Und magst du es, eher im Hintergrund zu stehen?

Das stört mich nicht sehr. Ich bin kein frustrierter Gitarrist oder so, obwohl ich das früher mal werden wollte. Aber wie es halt so ist in einer Band: Keiner wollte an die Drums. Mir macht es Spaß. Und wenn ein, zwei Leute im Publikum von meinem Spiel etwas mitnehmen, habe ich meine Arbeit getan.

Scheinwelt Popstar

Interessieren dich Texte?

Ich bin definitiv fasziniert von guten Textern. Nicht unbedingt wegen dem, was sie sagen. (überlegt lange) Ich traue Musikern nicht zu, dass sie eine Stimme der Autorität haben, aber ich bin definitiv an der Kunst des Textens interessiert. Etwas zu schreiben, das Sinn macht und dem Hörer ermöglicht darin einzutauchen, ist eindrucksvoll. Die Liedstruktur kann das sehr schwierig machen, deine Möglichkeiten einschränken. Ich bin immer sehr beeindruckt von Keles Texten und wie sie auf die Lieder passen. Ich glaube, er ist sehr gut darin, direkt und gleichzeitig abstrakt zu sein. Wenn man gute Lyrics hat, vergrößert das ein Album.

Was meinst du damit, dass du nicht an die Autorität von Musikern glaubst?

Ich glaube, Musiker zu werden ist ein sehr egoistischer Akt. Ich sage nicht, dass man keinen Musikern trauen kann, aber es gibt Leute da draußen, die wichtigere Sachen machen. Die einen größeren Effekt haben. Wenn du jede Nacht vor Leuten spielst, dann stehen die da, weil sie von etwas entfliehen wollen. Du spielst nicht unbedingt vor Leuten, die sich ganz konkret in der Welt engagieren wollen. Du lebst in dieser Welt, wo du jede Nacht vor Leuten spielst, die Geld zahlen, um dich zu sehen. Jeder freut sich, dass du da bist. Du kannst das nach der Show nicht abstellen, du musst ein paar Drinks nehmen und dich total besaufen. Du bist von deiner Familie weg, von deinen Freunden und von Leuten, die du kanntest, bevor du das gemacht hast.

Ich sehe diese Musiker aus den 60ern und 70ern, die damals sehr respektiert waren, und die noch immer Musik machen. Ich möchte das mit 40 nicht mehr machen, zumindest nicht auf diesem Level. Und man sieht das in den Augen älterer Musiker, dieser Blick - als flüchten sie ständig. Sie realisieren, dass sie feststecken, aber sie wissen nicht, was sie sonst mit sich anfangen sollen, weil sie so lange in dieser Musikwelt drin waren. Es ist falsch, so lange von normalen Menschen abgetrennt zu leben. Ich glaube, jeder Kreative befindet sich letztlich auf der Flucht. Aber mehr als in jeder anderen Ausdrucksform findest du dich als Musiker bald in einer Welt wieder, die einfach komplett unrealistisch ist.

Wärest du gerne jemand, der etwas verändern kann, der Einfluss hat?

Jeder möchte etwas verändern. Ich habe die Reise bisher sehr genossen, bis zu einem gewissen Punkt. Aber es wäre schön, wieder abspringen zu können; zu lernen, von meinen eigenen Verstand zu leben. Ich hasse es, zu jemandem zu werden, der nur das macht, was die Leute ihm sagen. Und Touren bedeutet genau das. Es ist ein ständiger Kampf um darum, den eigenen Spielraum zu erhalten, etwas für sich selbst zu tun. Zumindest für mich. In Zukunft würde ich meine Zeit lieber Menschen widmen, die diese Zeit auch wirklich brauchen. Ich weiß nicht, welche Form das annehmen wird, aber es wäre schön etwas zu machen, was den Menschen hilft.

Aber du magst es, Musiker zu sein?

Ich mag es, Musiker zu sein und ich werde immer etwas mit Musik machen. Aber ich möchte nicht älter werden, Verantwortung für eine Familie haben und dabei touren. Das ist nicht, was ich sein will.

Aber es gibt noch keine Familienpläne?

Nein, noch nicht. Ich denke, das wäre zur Zeit nicht fair...

23. Oktober 2008, Flughafen Tempelhof, Berlin

Am 23. Oktober feierten Bloc Party mit ihrem dritten Album "Intimacy" ganz intim das letzte Großereignis auf dem Berliner Flughafen Tempelhof. Kurz vor Betriebsschluss gaben Kele Okereke und Co. das offizielle letzte Geleit. Vom verflixten dritten Album kann bei Bloc Party übrigens nicht die Rede sein. Nach "Banquet", "Helicopter" und "The Prayer" legen die Briten mit "Mercury" und "Trojan Horse" mehr als amtlich nach. Dass man sie zudem keinesfalls als Single-Act abstempeln sollte, beweist die Flughafen-Performance.

Zur "Mercury" etwa springt Frontmann Kele mitten ins Publikum und sorgt dort für reichlich Unruhe. Das Mikrokabel hinter sich herziehend, bereitet er dem Kabeljungen einige Unannehmlichkeiten, dafür den Fans aber umso mehr Freude. Und dass, ohne auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde an Stimmgewalt zu verlieren. Dieses und viele weitere Highlights sind von Concert Online in gestochen scharfen Bildern und HQ-Ton eingefangen worden.

Wer sich also selbst überzeugen möchte, kann den Konzertfilm seit letztem Freitag auf deren Webseite käuflich erwerben – oder an unserem Gewinnspiel teilnehmen. Laut.de verlost fünfmal den Code, mit dem sich das komplette Video auf Concert Online herunterladen lässt.

Dafür genügt eine Mail mit Betreff "Tempelhof" an gewinnen@laut.de inklusive der Antwort auf folgende Frage: Wie heißt der Gott des Krieges aus der griechischen Mythologie, auf den ein Songtitel auf "Intimacy" verweist? Viel Glück!

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Bloc Party

Nach Franz Ferdinand und den Killers sind Bloc Party anno 2004/2005 das nächste große Ding, das mitreißende Rock-Songs zum Tanzen schreibt. Die Hits …

Noch keine Kommentare