28. Januar 2013

"Alles was man über die Foo Fighters liest, ist wahr"

Interview geführt von

Diese Schotten. Nach 18 Jahren haben die drei Jungs von Biffy Clyro endlich zum Dudelsack gegriffen. Auf ihrem sechsten Album "Opposites" schießen sie Ende Jänner 2013 noch aus ganz anderen Rohren.Nach stetem Fanzuwachs, Arenatourneen und Supportslots für Foo Fighters oder Muse genehmigt sich die Rockband dreieinhalb Jahre nach der Vorgängerplatte "Only Revolutions" ein massives Doppelalbum. Wir sprachen mit Bassist James Johnston.

Sprechen wir gleich übers neue Album. Wie sah der Songwriting-Prozess für "Opposites" aus?

Wir schreiben nicht wirklich neue Songs auf Tour. Bis zum Ende des Sommers 2011 waren wir on the road, danach haben wir uns im Winter im Proberaum eingesperrt und rund 45 Songs angehäuft. Simon hatte da wirklich einen Lauf, und wir somit mehr als genug Songs zur Auswahl. Als wir uns langsam über das Album Gedanken machten, war es einfach zu schwierig, die Songs für die Platte auszuwählen.

Dann kam die Idee, ein Doppelalbum daraus zu machen. Auch die Thematik der Lyrics ließ den Schluss zu, dass es funktionieren würde. Dann gings ab nach Santa Monica, Kalifornien, wo wir von März bis September aufgenommen haben. Sechs Tage die Woche, sehr konzentriert. Da steckt viel harte Arbeit dahinter, aber auch viel Spaß.

Wie kommt den generell ein Song in der Welt von Biffy Clyro zustande? Kommt Simon mit der Idee, und du und Ben steuern dann einfach die Parts bei?

Das klingt bei dir so einfach. (lacht). Ich wünschte es wäre immer so simpel, aber im Großen und Ganzen läuft es schon so ab. Simon sitzt abends allein zuhause, spielt auf seiner Gitarre und sammelt Ideen. Manchmal funktioniert das schon bei der ersten Probe wunderbar, manchmal müssen wir noch einiges ändern, spielen mit den Schlagzeug-Rhythmen oder Arrangements, solche Dinge. Und hin und wieder ist es für einen Song am besten, wenn man ihn in Ruhe lässt, ganz reduziert. Und manchmal hauen wir richtig rein. Ist von Song zu Song unterschiedlich.

Ich durfte in das neue Album schon früh reinhören und muss sagen, ihr habt echt nicht übertrieben, als ihr sagtet, das Album geht noch einen Schritt weiter im Sound. Riesengroße Refrains und Hooks. War das eine bewusste Entscheidung?

In unserer Band scheint alles in Dreier-Zyklen abzulaufen. Unsere ersten drei Alben veröffentlichten wir auf Beggars Banquet, einem kleinen Independent-Label im UK, und wir arbeiteten mit dem Produzenten Chris Sheldon. Mit den letzten drei Alben waren wir auf Warner Brothers und unser Produzent war Garth Richardson. Und mit ihm versuchen wir einfach, überlebensgroße Rockmusik zu machen. Das wollten wir mit dem neuen Album so weit treiben wie nur irgend möglich. Das hat uns das Doppelalbum natürlich ermöglicht.

Wenn wir eine Idee haben, probieren wir die auch aus. Wir haben jetzt eine Mariachi-Band auf dem Album, genauso wie Dudelsäcke. Natürlich haben wir uns schon manchmal gefragt, ob wir zu weit gehen oder etwas bekloppt klingt. Aber alles, was wir ausprobiert haben, klappte mehr oder weniger wunderbar. Für uns ist es sehr interessant, solche Dinge auszuprobieren. Wir sind nur eine Drei-Mann-Band, also wollen wir zumindest versuchen, so fett wie möglich zu klingen.

Hatten da vielleicht auch die immer größer werdenden Shows einen Einfluss? Die Musik schielt schon auf große Bühnen und großes Publikum.

Wir schreiben keine Songs, nur um sie in großen Hallen spielen zu können. Natürlich merkt man, dass manche Songs in größeren Räumen besser funktionieren als andere. In einer großen Halle gehen halt gewisse Feinheiten in der Musik verloren. Vielleicht sind daher die Songstrukturen ein kleines Bisschen simpler.

Aber wir setzen uns nicht zusammen und überlegen, was möglichst vielen Menschen gefallen könnte, um danach einen Song zu schreiben. Das läuft viel natürlicher ab. Aber wir freuen uns trotzdem darauf, die neuen Songs in größeren Räumen zu spielen. Ein paar davon funktionieren sicher sehr gut.

"Garth ist mittlerweile einer von uns"

Würdest du mir zustimmen, dass das neue Album eher mehr langsamere Midtempo-Songs zu bieten hat als Uptempo-Nummern?

Natürlich gibt es solche Songs, über den Verlauf von 20 Tracks sind es aber sicherlich nicht so viele. Wenn alles schnell und punkig wäre, wäre es vielleicht auch schnell langweilig. Ich finde es wichtig, die Sachen zu mischen und für Abwechslung zu sorgen. Es gibt Songs, die legen ordentlich los und die sorgen auch für Balance. Wichtig ist, das Interesse der Hörer hoch zu halten.

Ein besonderer Track schon beim ersten Durchlauf war "Different People", der Opener auf CD zwei.

Er beginnt mit einer Orgel, mit einer echten. Wir waren in der Pasadena Baptist Church in Kalifornien und nahmen eine riesengroße Orgel auf, eine wirklich außergewöhnliche Erfahrung. Es klingt so zauberhaft, und plötzlich biegt der Song in eine ganz andere Richtung ab. Das Tolle daran ist, dass man überrascht wird und man nicht weiß, wohin der Song noch gehen kann.

Es gibt noch weitere Songs, die solche unvorhergesehenen Haken schlagen. "Spanish Radio" z.B., um den sich sicher einige Fragen drehen werden.

Das hat tatsächlich besser funktioniert, als wir uns eigentlich erhofft hatten. Als wir die Demo aufnahmen, überlegten wir uns einen Part für eine Mariachi-Band, was sicher toll klingen würde. Als dann im Studio die Trompeter auftauchten und sofort begannen, Tequila zu trinken, wusste ich, dass wir auf der richtigen Spur waren. Ich denke, wenn der Song beginnt, muss man fast lachen, aber es ist alles andere als ein Spaßnummer. Es funktioniert bei dieser Art von Musik einfach grandios und hat Riesenspaß gemacht. Ich weiß noch nicht, wie wir das live bewerkstelligen werden. Aber im Studio war es einfach spaßig. So etwas in der Art hätten wir bei einem Album mit zehn Songs wahrscheinlich nicht machen können. Ein Doppelalbum ermöglicht das hingegen schon.

Mit einer waschechten Mariachi-Band im Studio.

Ja, das war auch ein Grund, warum wir nach Los Angeles gingen. Man hat Zugang zu großartigen Instrumenten und Equipment. Beispielsweise sagten wir eines Tages um fünf Uhr abends: 'Wir brauchen einen Stepptänzer', und innerhalb einer Stunde war einer da. L.A. ist in dieser Hinsicht ein außergewöhnlicher Ort. Und es gibt nicht so viele Marichi-Bands in Schottland. Es war nett, weg von Zuhause zu sein und sich nur auf das Album zu konzentrieren.

Und wahrscheinlich war Garth Richardson auch ein Grund für L.A., oder?

Klar, ich meine, wir arbeiteten mit Garth schon an den letzten zwei Platten. Er ist mittlerweile ein Teil der Gang und wir haben ein wunderbares Arbeitsverhältnis. Er weiß, was wir als Band erreichen wollen und hilft uns, dorthin zu kommen. Das war sicher zum Teil ein Grund, da drüben aufzunehmen. Auch das Wetter. Wetter ist schon eine wichtige Sache. Ein großer Unterschied zum schottischen Wetter. Wir werden jetzt deshalb kein Summertime-Alben machen. Aber es hilft dir, morgens aus dem Bett zu kommen, wenn draußen die Sonne scheint. Es gibt dir Vitalität, macht dich lebendig.

Erzähl doch etwas über die Arbeit mit Garth. Inwiefern schaltet er sich ein?

Ich denke, er ist ziemlich ausgeglichen. Wir haben einen tollen Engineer, Ryan Williams, der die Aufgabe hat, die richtigen Sound fürs Album zu bekommen. Er nimmt das Drumkit ab, und sorgt allgemein für tolle Sounds. Seine Herangehensweise ist sehr old school. Wir haben alles noch auf Band aufgenommen. Auf Band aufzunehmen ist natürlich nicht unbedingt die billigste Variante, aber es gibt dir einen warmen, tollen Sound. Wir wollten einfach vermeiden, zu viele Sachen am Computer noch hinzufügen zu müssen.

Garth hört zu, aber er stöpselt nichts ein und greift die Konsole nicht an. Er erlaubt sich selbst, sich davon fernzuhalten, damit seine Ohren noch frisch sind. Er hört noch die Dinge in einer anderen Art und Weise. Weißt du, wenn man zwei Stunden lang einer Bassdrum zuhört, kann man leicht den Verstand verlieren. Garth hat genug Erfahrung, dass er es dem Engineer und der Band überlässt, den Sound zu kreieren, mit dem sie zufrieden sind. Und dann schaltet er sich ein und macht Vorschläge.

Weil du die Instrumente angesprochen hast, spielt jemand von euch den Dudelsack auf "Stingin Belle"?

Nein, Dudelsack spielen zu lernen, dauert Jahre. Trotzdem wollten wir eine neue schottische Nationalhymne erschaffen. Vielleicht wird die Nationalmannschaft einmal zu diesem Song auflaufen (lacht).
Gespielt hat das aber jemand aus Los Angeles.

Eigentlich verrückt, nach L.A. zu gehen und in Amerika einen Dudelsack zu besorgen. Aber glücklicherweise hatte der Musiker den gleichen Nachnamen wie Ben und ich und sein Dudelsack wurde in unserer Heimatstadt hergestellt, also hängt doch alles irgendwie zusammen. Er spielte auch auf dem Braveheart-Soundtrack, er war wirklich ein Profi.

Robbie wollte ein Gitarrensolo

Hattet ihr oder euer Label irgendwelche Zweifel, ein Doppelalbum im Jahr 2013 zu veröffentlichen?

Wir zweifelten niemals daran. Das Label unterstützte uns, damit wir die Platte machen konnten, die wir wollten. Ich glaube, dass aber noch eine 14-Song-Version des Albums veröffentlicht wird, für den nicht so involvierten Fan. Ich bin mir bewusst, dass 20 Songs für manche Leute wirklich viel sind. Auf der anderen Seite gibt es eine ganz andere Herangehensweise an Musik, eine andere Selektion und eine Wegwerfmentalität. Du kaufst dir nicht mehr das ganze Album, du kaufst dir den Song, den du magst. Wir wollten im Grunde ein bisschen dagegen halten.

Gibts persönliche Favoriten unter den Doppelalben der Musikgeschichte?

Alben von Smashing Pumpkins, Rolling Stones. Am meisten hab ich mir wahrscheinlich das "White Album" der Beatles angehört, wirklich ein höchst interessantes Album. Und so legendär die Scheibe auch ist, es enthält einige Songs, auf die man verzichten könnte. "The Continuing Story Of Bungalow Bill" zum Beispiel. Ich sage mit Sicherheit nicht, dass unser Album besser ist als das "White Album", das wäre purer Wahnsinn. Aber wir haben uns sehr angestrengt, um sicherzugehen, dass es auf unserem Album keinen Song gibt, der entbehrlich gewesen wäre. Jeder Song ist genauso wichtig wie der nächste.

Was sagen die Tourpläne

Wir werden wirklich viel unterwegs sein. Auch Festivals sind wieder dabei. Wir waren fünf Monate in einem Studio eingesperrt, da freut man sich gleich doppelt rauszugehen und die Welt zu sehen.

Auf der Bühne unterstützen euch mittlerweile zwei Musiker, Mike Vennart und Gambler ...

Mit Mike verbindet uns eine langjährige Freundschaft, seit er noch in der Band Oceansize war. Wir waren gemeinsam viel auf Tour. Und als sich unser Sound entwickelt hat und die Hallen größer wurden, brauchten wir jemanden, mit dem wir gewisse Streicherparts und andere Elemente der Studioaufnahmen umsetzen konnten. Und es war einfach ein natürlicher Schritt, Gambler zu fragen, der ja ebenso bei Oceansize spielte. Tolle Band, tolle Freunde, tolle Musiker. Es ist schwierig, sein Leben auf Tour mit Fremden zu verbringen. Da ist es toll, Freunde dabei zu haben, denen man vertraut und die auch noch spielen können.

Wer schreibt bei euch die Setlist?

Meistens Simon. Aber wir alle werfen noch einen Blick drauf. Es ist keine einfache Sache, besonders, da wir jetzt sechs Alben haben. Gestern Nacht spielten wir zum Beispiel fünf neue Songs, ein paar sehr alte Songs, generell einen guten Mix. Aber egal was man für eine Setlist macht, nach dem Gig gibt es immer Leute die sagen: Warum habt ihr nicht das und das gespielt? Das macht es wirklich schwer. Wollen wir doch alle Seiten der Band zeigen, damit die Leute eine gute Zeit haben, bevor sie wieder gehen.

Im Vorjahr habt ihr auch für Metallica und die Foo Fighters Supportshows gespielt. Habt ihr die Jungs getroffen?

Haben wir. Metallica nur ganz kurz. Ein kurzes Hallo, weil sie gerade auf die Bühne gingen. Aber ich muss sagen, sie waren sehr freundlich. Die Show war auch in Indien, also war die ganze Sache etwas Besonderes. Und mit den Foo Fighters waren wir ein paar Wochen auf Tour und haben sie da recht gut kennen gelernt. Und wirklich, alles was man über die Foo Fighters liest, ist wahr. Sie sind wirklich super Typen. Sie liefern jeden Abend eine tolle Show ab. Was sie abziehen, ist sehr unkompliziert. Sie gehen raus and fucking rock out.

Hast du schon gehört, dass Dave Grohl auf dem neuen Queens of the Stone Age-Album spielen wird?

Ja, wirklich eine tolle Nachricht. Das ist wirklich eines der coolsten Line-Ups, das eine Band je haben kann.

Simon wurde ja auch gefragt, ob er am neuen Robbie Williams-Album spielen möchte?

Ja, Simon sollte ein Gitarrensolo spielen. Ich glaube, Simon hat auch für kurze Zeit darüber nachgedacht. Ich meine, es ist schon nett, gefragt zu werden. Hätte uns als Kinder wer gesagt, dass so etwas passieren würde, hätten wir es nie und nimmer geglaubt. Das war auch der Grund, warum Simon wirklich kurz darüber nachgedacht hat. Aber im Endeffekt waren wir selber zu beschäftigt mit unserem eigenen Album. Vielleicht hatten wir auch Vorbehalte, dass das vielleicht mehr Wind in den Medien machen würde als unser eigenes Album.

Wie damals, als Matt Cardle mit eurem Lied "Many Of Horror" die Castingshow X-Factor gewann und ihr deswegen überall in den Medien aufgetaucht seid?

Yeah, aber das liegt schon irgendwie hinter uns, ist ja auch schon etwas her. Aber ich weiß natürlich, was du meinst. Es ist schon irgendwie lustig, wenn man sich in einer Welt wiederfindet, wo man nie geglaubt hat, jemals ein Teil davon zu sein. Es war nett von Robbie, zu fragen. Und wer weiß, vielleicht kann Simon ihm einmal den Gefallen machen. (lacht)

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