laut.de-Kritik

Neue Egomanie-Wegmarke im Pop-Mainstream 2016.

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Und zack, da ist sie, die neue Beyoncé-Platte "Lemonade". Über Nacht erschienen im digitalen Tidal-Äther. Unangekündigt. Ohne Promo-Phase. Von wegen: Denn die Veröffentlichung selbst ist die ultimative Werbeaktion, die den Popstar ins strahlende Rampenlicht rückt. Ganz neu ist die Idee im Übrigen nicht.

Beyoncé selbst hatte bereits ihr letztes Album 2013 ohne Ankündigung auf iTunes gepumpt. Drake, Kendrick Lamar, Rihanna und Kanye West zogen mit ihren aktuellen Veröffentlichungen nach (die beiden letztgenannten auch exklusiv auf Jay-Zs Streamingdienst Tidal) und erzielten allesamt durchschlagende Erfolgsergebnisse.

Beyoncé beschreibt "Lemonade" als "Visual-Album". Die Musik ist in einen einstündigen, die Grenzen des Video-Genres aufspaltenden Film eingewoben. Ein mehrschichtiges Pop-Epos, das seine eigene Rolle im Hyper-Mainstream aktiv überschreibt und neu ordnet. Die Sängerin ist längst selbst losgelöstes Kunstwerk und Kunstobjekt, deren Gravitas mit Madonna zu vergleichen ist. Ihr Ehemann Jay-Z verkommt dabei immer mehr zu einem Sidekick.

Die Ehe zum Tidal-Mogul ist ein entscheidender Faktor auf dem Album. "Lemonade" fährt auf inhaltlicher Ebene zweigleisig: Da ist einerseits die Autobiografie der Mrs. Knowles-Carter, dieser fleischgewordene amerikanische Traum. Und das Thema des Betrogenwordenseins, das immer wieder an die Oberfläche dringt. So kommt man schnell zu dem bekannten Glückskeks-Kalenderspruch: "Wenn das Leben dir Zitronen gibt, dann mach gefälligst Limonade draus."

Das Album beginnt mit merkwürdig vor sich hin gesäuselten Wortfetzen, die dann recht hurtig in eine klassische, mehrstimmige Beyoncé-Pianoballade münden. Ein denkbar angenehmer Einstieg. "Pray You Catch Me" funktioniert wie ein souveräner Hollywood-Trailer, der nicht zu viel verrät, aber dennoch Lust auf mehr macht.

Passend also, dass "Lemonade" in einem großen HBO-Special dem amerikanischen TV-Publikum präsentiert wurde. Parallel dazu bietet die Filmebene schwarz-weiße Sequenzen, kryptische Lyrik und junge Frauen, die starr in die Kamera blicken. Das alles erscheint auf den ersten Blick grandios überladen. Der folgende Song "Hold Up" ist ein entspannter Bongo-Sommerbeat, den Beyoncé ultrasouverän bearbeitet. Gegen Ende bricht der Song um in einen kurzen, Trap-Rap-Part samt gejodelter Kopfstimme. Beyoncé singt: "Hold up, they don't love you like I love you (...) Can't you see there's no other man above you?" Das liest sich unterwürfig und verblendet, ja kitschig.

Glücklicherweise folgt die Ansage auf dem Fuß: "What a wicked way to treat the girl that loves you." Dazu marschiert die Sängerin im wallenden, zitronengelben Kleid durch eine belebte Straße, schnappt sich sich unter den Anfeuerungsrufen ihres durchgehend weiblichen Publikums einen Baseballschläger und schickt eine Autoscheibe nach der nächsten über den Jordan. Das Signal ist klar: Wir, die afroamerikanischen Frauen, lassen uns nicht mehr verarschen. Finito. Jetzt wird zurück geschlagen, gegen all den Sexismus, Chauvinismus und Rassismus im Kleinen wie im Großen.

So nimmt es nicht Wunder, dass sich Beyoncé im Laufe des Albums eine ganze Armada von männlichen und vor allem übertalentierten Featuregästen untertan macht. Zwar kapitulieren Kendrick Lamar, James Blake, Jack White und The Weeknd nicht komplett vor der Pop-Präsenz der Diva wie etwa Coldplay Anfang des Jahres während der Super Bowl-Halbzeitshow. Trotzdem ist immer klar, wer die Hosen an hat.

Jack White bringt zwar seinen typisch verkratzten Sound in das dadurch soulig-harte "Don't Hurt Yourself" ein, doch eine außer Rand und Band geratene Beyoncé sprengt die Nummer: "Who the fuck do you think I am? / You ain't married to no average bitch boy / You can watch my fat ass twist boy / As I bounce to the next dick boy / And keep your money, I got my own." Alter Schwede! So wütend und energiegeladen hat man die Sängerin noch nie gehört.

Das vielleicht stärkste, weil gleichermaßen sperrige und doch eingängige Stück ist "Freedom" mit Kendrick Lamar und lässt private Spitzen außen vor. Die Hymne, die auf eine sphärische James-Blake-Zwischensequenz ("Forward") folgt, basiert auf einem mächtigen Beat mit 70er-Jahre-Energie, inklusive Chören, die Produzent Just Blaze orchestral zusammenfügt. Ein uneingeschränkter Hit.

"Lemonade" ist dennoch kein Meisterwerk geworden, dazu ist die Platte über weite Strecken abseits der aufregenden Features musikalisch zu harmlos. Beyoncé selbst liefert zwar gesangstechnisch absolut ab und zeigt alle denkbaren Varianten ihrer Klang- und Stimmfärbungen, einzig die Kompositionen sind oft recht überraschungsarm. Erst in Kombination mit dem Film entwickelt "Lemonade" seine eindrucksvolle Wirkung und bietet mit Kanyes "Life Of Pablo" eine neue Diskussionsgrundlage für Egomanie im Pop-Mainstream des Jahres 2016.

Trackliste

  1. 1. Pray You Catch Me
  2. 2. Hold Up
  3. 3. Don't Hurt Yourself
  4. 4. Sorry
  5. 5. 6 Inch
  6. 6. Daddy Lessons
  7. 7. Love Drought
  8. 8. Sandcastles
  9. 9. Forward
  10. 10. Freedom
  11. 11. All Night
  12. 12. Formation

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