11. Mai 2017

"Jim war nicht bereit"

Interview geführt von

Die Rock-Welt ist außer sich vor Begeisterung. Der Grund: Nach 16 Jahren Sendepause melden sich die Jungs von At The Drive-In mit einem neuen Studioalbum zurück.

Eines der vielleicht überraschendsten Comebacks der letzten Jahre lässt derzeit Fans aus dem Punkrock-Lager auf der ganzen Welt vor Freude im Dreieck springen. Ja, es ist wahr! At The Drive-In sind tatsächlich wieder am Start. Und das nicht nur mit weiteren Konzerten, sondern auch - 17 Jahre nach "Relationship Of Command" - mit dem neuen Studioalbum namens "in•ter a•li•a". Wir trafen uns mit Schlagzeuger Tony Hajjar zum Gespräch und plauderten über klare Ziele, nervende Schubladen und grenzenlose Dankbarkeit.

Tony, erinnerst du dich noch an den 18. September 1997?

Tony Hajjar: Puh, lass mich kurz überlegen ... Nein, nicht wirklich. Obwohl ... War das der Tag, an dem "El Gran Orgo" veröffentlicht wurde?

Exakt.

(lacht) Jetzt klingelt's natürlich wieder. Ein toller Tag. Ich kann mich zwar nicht mehr an Einzelheiten erinnern. Aber ich weiß noch, dass es sich wie ein künstlerischer Befreiungsschlag angefühlt hat. Ich war damals, glaube ich, der vierte Drummer, der es mit den Jungs versucht hat. Und ich war echt aufgeregt.

Knapp zwanzig Jahre später ...

(unterbricht)

... gehen mir ähnliche Gedanken durch den Kopf. Ich weiß, es klingt vielleicht verrückt. Aber ich spüre wirklich viele Parallelen. Dabei geht es weniger um die Musik, sondern eher um das große Ganze, die Stimmung und das Gefühl im Bauch. Es ist wieder diese Anspannung da. Aber eine total positive. Keine Angst, nur Vorfreude. Ach, keine Ahnung. Ich bin einfach nur glücklich. Ich kann es gar nicht fassen, dass wir wieder so präsent sind.

Wann hat sich dieses Gefühl zum ersten Mal angedeutet?

Die ersten Comeback-Shows waren natürlich großartig. Wir waren alle wieder gemeinsam unterwegs und hatten nur die Band im Kopf. Das eigentliche Fundament für die Zukunft hatten wir aber bereits vor der Tour gelegt. Noch bevor wir die erste Show gespielt haben, haben wir die Köpfe zusammengesteckt und unsere Ziele festgelegt. Das war DER Moment. An diesem Tag haben wir Nägel mit Köpfen gemacht.

Demnach habt ihr schon vor der Tour beschlossen, dass ihr ein neues Album einspielen werdet?

Genau. Wir haben uns hingesetzt und sind alles Punkt für Punkt durchgegangen: die Tour, die Platte, einfach alles. Das komplette Paket. Wir haben uns dafür entschieden die komplette Tour zu nutzen. Und so haben wir gespielt, geschrieben, gespielt und geschrieben. Im Sommer haben wir dann ungefähr 80 Prozent des ganzen Albummaterials gebündelt festgehalten. Den Rest haben wir dann später finalisiert.

"Ich kann mit diesen ganzen Post-Bezeichnungen nichts anfangen"

Zielgerichtet.

Absolut. Genauso sind wir auch ganz am Anfang zu Werke gegangen. Das ist irgendwie unser Ding. Wenn wir klar sind und uns ein gemeinsames Ziel stecken, dann kann uns keiner aufhalten. Wir haben dann nur dieses eine Ziel vor Augen. Und das wollen wir dann auch erreichen.

Hat gut geklappt, oder?

Auf jeden Fall. Ich kenne viele Bands, die sich nicht so einen Kopf machen. Die lassen die Dinge eher laufen, biegen noch mal hier und da ab und kommen erst über Umwege ins Ziel. Das funktioniert scheinbar auch. Für uns kommt das aber nicht in Frage. Wir brauchen Klarheit. Nur dann können wir alles ausschöpfen, was in uns steckt.

Und das ist immer noch eine ganze Menge. Das neue Album wird in erlauchten Kreisen schon vorab ordentlich abgefeiert.

Wir haben auch schon einige Reaktionen eingefangen, und sind natürlich überglücklich, dass die Leute die neuen Songs mögen. Das bestätigt uns in unserem Gefühl, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

Was ihr allerdings nicht mögt, ist die Schublade, in die euch die meisten stecken.

Naja, ich kann mit diesen ganzen Post-Bezeichnungen einfach nichts anfangen. Den anderen in der Band geht es genauso. Wir sind einfach eine Rock'n'Roll-Band, die etwas aggressiver auf den Plan tritt als andere. Dafür muss man aber nicht gleich ein neues Sub-Genre erfinden. Ich meine, ich kann die Leute natürlich verstehen, die sofort Vergleiche ziehen, wenn ihnen neue Musik ins Haus flattert. Da ticken wir ja nicht anders. Aber am Ende ist es doch einfach nur Rock'n'Roll, oder? Hier ein bisschen lauter, da ein bisschen leiser. Nicht mehr und nicht weniger.

Für viele Menschen seid ihr weitaus mehr als nur eine Rock'n'Roll-Band, die etwas aggressiver auf den Plan tritt. Seit eurer Gründung in den Neunzigern habt ihr zahllose Bands und Künstler beeinflusst und inspiriert. Wie sieht's bei euch nach 16 Jahren Pause aus? Gibt's da draußen Acts, die dich dieser Tage vom Hocker reißen?

Da gibt es sogar sehr viele. Jon Hopkins beispielsweise ist einer dieser Künstler, die ich mir von morgens bis abends antun kann, ohne dass es mir langweilig wird. Das ist zwar elektronisch und nicht ganz so rockig wie das Zeug, das ich sonst so höre. Aber es berührt mich und löst Emotionen in mir aus. Das ist sowieso das Wichtigste. Man muss als Musiker irgendwo im Inneren der Leute andocken. Dann hat man es geschafft.

"Es ist kein böses Blut geflossen"

Wen hast du denn im Bereich Rock derzeit besonders auf dem Schirm?

Royal Blood. Die gehören neben Queens Of The Stone Age und Mastodon zu meinen Lieblingsbands. Ich kann dir gar nicht genau sagen, warum das so ist. Ich finde einfach, die Jungs haben einen ganz eigenen Sound, der etwas im mir bewirkt. Da ist unheimlich viel Energie am Start. Das gefällt mir.

Inwieweit motiviert euch eigentlich die Tatsache, dass so viele Menschen auf der Welt sehnsüchtig auf den 5. Mai 2017 gewartet haben?

Das freut uns natürlich ungemein. Wir selbst sehen das Ganze aber natürlich etwas entspannter. Sicher, wir sind total happy über die Reaktionen und zutiefst dankbar, dass uns die Leute nicht vergessen haben. Aber wir sind auch nur eine Band. Es gibt Tausende Bands da draußen, die mit derselben Leidenschaft zu Werke gehen. Dessen sind wir uns bewusst. Die meisten haben nur einfach nicht das Glück, das wir hatten. Das braucht man aber, um mehr zu erreichen, als nur in der Nachbarschaft Gehör zu finden. Man muss hart arbeiten, braucht aber auch viel Glück.

Bis zum März 2016 gehörte auch Jim Ward zur "glücklichen" At The Drive-In-Familie. Was ist dann passiert?

Wir hatten zu der Zeit gerade mit den Proben begonnen. Und alles, was ich letztlich dazu sagen kann, ist: Jim war einfach nicht bereit. Das hatte viele Gründe, auf die ich jetzt gar nicht näher eingehen möchte. Es ist auch kein böses Blut geflossen. Es war einfach so. Für uns war es der perfekte Zeitpunkt. Für uns war es der Moment, auf den wir jahrelang gewartet haben. Das fühlte sich für jeden von uns so an. Nur eben nicht für Jim. Das war natürlich zunächst ein Schock. Aber mittlerweile ist alles wieder gut. Wir blicken positiv in die Zukunft. Mit Keeley (Keeley Davis, Gitarre) haben wir den perfekten Mann an Bord und können es kaum abwarten, wieder auf Reisen zu gehen.

Weißt du, ich möchte die Chance nutzen und das noch einmal unterstreichen. Wir alle leben für diese Band. Wir sind so unglaublich dankbar, dass wir nach so langer Zeit zurück in die Spur gefunden haben. Das ist ein Geschenk. Und dieses Geschenk wissen wir zu schätzen. Ich meine, heutzutage ist der Markt so brechend voll. Das digitale Zeitalter hat viele weitere Türen geöffnet. Und trotzdem sind wir, eine Band, die noch so arbeitet wie vor zwanzig Jahren, immer noch willkommen. Das macht uns wirklich sehr, sehr glücklich. Und du kannst dir sicher sein, dass wir allen Fans und Freunden der Band in den kommenden Monaten zeigen werden WIE glücklich und dankbar wir sind.

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