3. Januar 2014

"Meine Fans hassen sich bis auf den Tod"

Interview geführt von

2013 wird Alligatoah wohl als "Jahr des großen Durchbruchs" in Erinnerung behalten. Von der Pole-Position in den Alben-Charts über ausverkaufte Touren bis hin zum waschechten Hit jagte ein Höhepunkt den nächsten.

Lukas Strobel hat allen Grund zum Lachen: Rund sieben Jahre nach seinem Startschuss als Künstler ist das Multitalent an seinem vorläufigen Zenit angekommen. Seine neue, komplett in Eigenregie eingespielte Platte "Triebwerke" bescherte ihm Verkaufszahlen in ungeahnten Höhen sowie Platzierungen im vorderen Drittel einer jeden vernünftigen Jahresbestenliste.

Auf seiner "Reise nach Jerusalem" hat Alligatoah freundlicherweise einen Zwischenstopp in Konstanz eingelegt, um mit uns über die neugewonnene Popularität, seine gespaltete Fangemeinde sowie seine Funktion als Vorbild zu sprechen. (Okay. Aufgetreten ist er anschließend auch noch.)

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum großen Erfolg deiner "Triebwerke". Wahrscheinlich durchlebst du momentan eine ziemlich spannende Zeit: eben noch unterwegs mit Trailerpark, jetzt eine fast ausverkaufte Solotour, außerdem die Nominierung bei der 1Live-Krone. Gab es einen Moment, in dem du realisiert hast, in welch kurzer Zeit alles so groß geworden ist?

Nee, man wird sich höchstens stückweise bewusst, was da alles passiert. Dann geht es direkt wieder weiter, man hat ja viel zu tun. Wenn man einmal einen kurzen Moment Ruhe hat, kann man auch mal zurückschauen und ein weiteres Stück Vergangenheit wird taghell. Ein Highlight war aber sicherlich mein Auftritt gestern in Koblenz, wo wir vor 3800 Menschen in einer großen Sporthalle gespielt haben.

Dann ist es bestimmt auch eine Umstellung für dich, hier in Konstanz in einer recht kleinen Location zu spielen.

Ja, heute geht es wieder zurück in alte Muster. Aber das ist überhaupt nicht schlimm, denn ein voller Laden mit 450 Leuten kann genauso geil sein wie 1200 Leute.

Erst vor kurzem saß ich im Zug und hörte deinen Aushänge-Song "Willst Du" aus einem Handylautsprecher dröhnen. Dazu fragte ein Heranwachsender seinen Kumpel, ob er denn den Song "Willst Du Mit Mir Drogen Nehmen?" kennt. Bist du enttäuscht, dass deine Musik mittlerweile auch bei einer Hörerschaft angelangt ist, die sich nicht mit ihr auseinandersetzt und sie somit auch falsch auffassen kann?

Die Gefahr, dass etwas falsch verstanden wird, ist immer da. Wenn das Spektrum der Leute so breit gefächert ist, dass es auch junge Hörer erreicht, dann ist die Gefahr noch mal um so stärker. Ich kann mich damit gar nicht so befassen, da ich meinem künstlerischen Auftrag Folge leisten muss. Ich kann nur hoffen, dass genug Dialog über die Songs stattfindet und dass sich die Leute klarmachen, was dahinter steckt.

Deine Anhängerschaft lässt sich mittlerweile grob in drei Kategorien aufgliedern: die alteingesessenen Die Hard-Fans, die neu dazu gekommenen, zumeist jüngeren Anhänger und dann auch noch die Trailerpark-Jünger. Welche sind dir am liebsten?

Ich habe da überhaupt keine Lieblinge. Aber es ist interessant, dass diese Kategorien existieren und sie sich untereinander bis auf den Tod hassen und sich am liebsten die Köpfe einschlagen würden. Auf den Konzerten stehen sie sich dann gegenüber. Meine Aufgabe ist es, sie alle unter einen Hut zu bringen und ihnen gleichermaßen einen schönen Abend zu bereiten. Vielleicht kann man da ein bisschen Türen öffnen, dass man als alteingesessener Fan einsieht: 'Okay, das sind auch nur Menschen, die auf die Musik gestoßen sind.'

"Ich muss mal wieder auf die Kacke hauen"

Deine "alten" Fans werfen dir jetzt vor, du hättest dich an den Mainstream angebiedert. Wie gehst du damit um? Interessiert dich das überhaupt und beeinflusst es dich auch?

Natürlich kann ich mich nicht über jeden einzelnen Kommentar aufregen und mir die Arme aufritzen, das wäre höchst unproduktiv. Ich kann dazu sagen, dass sich die Musik an sich vielleicht ein wenig verändert haben mag, dass aber der Geist, der seit Tag eins dahinter steht, der gleiche geblieben ist. Wenn man sich wirklich Fan nennt, dann sollte man verstehen, dass der Ursprung mit dem satirischen Hintergedanken nach wie vor vorhanden ist und ich genauso viel Liebe und Herzblut in jeden einzelnen Song stecke.

Du hast schon immer Wert darauf gelegt, von der Musik über die Aufmachung bis hin zum Kontakt mit den Fans alles selber zu machen. Inwiefern ändert der Erfolg deine Arbeitsweise?

Weil ich jetzt natürlich mehr gefragt bin, kommen neue Herausforderungen dazu, durch die es schwieriger wird, wie bisher in allen Bereichen tätig zu sein. Ich kann mich nicht mehr die ganze Nacht hinsetzen und an Photoshop herumbasteln, um meine eigene Grafik selbst zu gestalten. In diesem Bereich arbeite ich jetzt beispielsweise mit einem Grafiker zusammen, dem ich meine Vorstellungen genau erkläre. Das gilt auch für der Homepageprogrammierung. Der One-Man-Show-Charakter liegt aber nach wie vor auf der Musik.

Unter anderem kümmerst du dich selbst um deine Videos. Dein neuester Clip "Fick Ihn Doch" setzt sich aus Porno-Sequenzen zusammen. Wurden da alle Rechte geklärt?

In der Tat sind die Rechte geklärt. Da wollten wir auf Nummer sicher gehen. Freundlicherweise hat uns die Produktionsfirma die Rechte an einigen Pornostreifen der 80er zugesichert. Da gebührt ihnen auf jeden Fall mein Dank, speziell auch, weil in diesem Fall die Idee sogar von ihnen kam.

Beschäftigt man sich mit so etwas plötzlich mehr, auch speziell aus jugendschutzrechtlichen Gründen?

Klar, man durchdenkt die Sachen mehr. Trotzdem muss man nach seinem Gefühl gehen, wie früher auch. Und wenn das Gefühl sagt: 'Ich muss mal wieder auf die Kacke hauen', was vielleicht auch ein paar Leute schockiert, dann ist das der richtige Weg, auch wenn es vielleicht nicht ganz jugendfrei ist. Zu dem Video wurden jetzt auch Stimmen laut, die meinten, dass sie das so nicht erwartet haben und dass das Video nicht zur Story passt. Ich vergleiche das gerne mit einem Buch: Wenn man schon seine eigenen Vorstellungen dazu hat und es dann verfilmt wird, wird man definitiv enttäuscht. Deswegen wollte ich etwas anderes machen, mit dem man nicht gerechnet hat.

"Lust, über Urin und Kotze zu rappen"

Parallel zu deiner Tour befindest du dich mit der Trailerpark-Clique bereits in der Aufnahmephase zum dritten Teil der Crackstreetboys-Reihe. Ist das für dich ein Stück weit Ausgleich oder fällt es dir schwer, in diesem Rahmen Kompromisse eingehen zu müssen?

Beides ist Ausgleich für mich. Wenn ich die Schnauze von Trailerpark voll habe, sind meine Solo-Sachen der Ausgleich. Umgekehrt ist es genau dasselbe Spiel. Deswegen sind auch beide Projekte sehr wichtige Bestandteile meines musikalischen Lebens.

Wie passen die zwei Welten aus musikalischer und intellektueller Sicht überhaupt zusammen?

Dass es zwei Paar Schuhe sind, hat mittlerweile hoffentlich jeder begriffen. Man kann beide zwar nicht miteinander vergleichen, trotzdem hat jede ihre Daseinsberechtigung. Wenn man ein Album wie "Triebwerke" mit sehr vielen Konzepten und Themen wie Liebe und Romantik gemacht hat, hat man eben auch mal wieder Lust, über Urin und Kotze zu rappen.

Das GQ-Magazin zieht momentan eine Anti-Homophobie-Kampagne auf. Dabei küssen sich heterosexuelle Stars wie Herbert Grönemeyer, Moses Pelham, Thomas D oder Fettes Brot. Zu dem Thema gibt es bei euch dank einem gewissen Tourblog auch eine Vorgeschichte. Hättest du auf Anfrage auch mitgemacht und die Aktion medienwirksam wiederholt?

Ich denke, dass ich mich mit dem Tourblog ausreichend zu dem Thema geäußert habe. Es ist doch Statement genug, wenn mein Bandkollege Timi Hendrix und ich uns in München vor 1600 Leuten einen leidenschaftlichen Zungenkuss geben. Ich will keine Plagiatsvorwürfe erheben, aber wir waren da sicherlich eine Art Vorreiter. Nein, Spaß beiseite. Es freut mich natürlich, wenn man jetzt des Öfteren sieht, dass dieses Thema eigentlich gar nicht so schlimm ist.

Und wie stehst du dazu, dass besagte Künstler ihre Aktion in einem Lifestyle-Magazin wie der GQ an die große Glocke hängen und womöglich mehr PR als Überzeugung dahintersteckt?

Da kann man jetzt natürlich hingehen und wegen ihrer medialen Aufmerksamkeitsgeilheit auf Menschen zeigen. Ich mache so etwas natürlich nicht (grinst). Mir könnte man im Gegenzug auch vorwerfen, dass ich einen Medienskandal provoziert habe, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich prangere niemanden an. Ich bin kein Rezensent.

Inwiefern ist es wichtig, als Person des öffentlichen Lebens Stellung zu brisanten Themen zu beziehen? Inwieweit siehst du dich selbst als Vorbild?

Stellung nehmen muss man ja automatisch, in Interviews oder ähnlichem. Zwangsläufig bleibt einem nichts anderes übrig, als seine Meinung kundzutun. Man muss einfach wissen, inwieweit man diese dann als Aushängeschild in den Medien nutzt. Ich versuche, mich da rauszuhalten und meine Überzeugungen niemandem aufzuzwingen. Ich will nicht zu einem Politikmacher verkommen. Ich bin Geschichtenerzähler und die sind keine Vorbilder. Die Geschichten selbst sind wenn dann das, was einen entweder positiv oder negativ beeinflusst.

Das Interview führten David Maurer und Thomas Haas

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