19. Mai 2022

"Rap ist meine Waffe zum Überleben"

Interview geführt von

Welchem Ort würde man zutrauen, neue Rap-Identitäten nicht nur zu beherbergen, sondern auch eine Szene zu bieten? Berlin gibt Raum für interessante MCs wie Alice Dee: Im Gespräch erklärt Alice, wie Sound und Raum gemeinsam entstehen.

Mit dem Release der "Double Check"-EP hat Alice Dee sich im vergangenen Dezember musikalisch auf ein neues Level gehoben: Auf vier Songs entwickelt der Berliner Rapper eine von Live-Erfahrung geprägte Karriere weiter und macht politisch aktive Texte fertig, um auch auf moderner Produktion zwischen Grime, Trap und Drill zu funktionieren. Die Musik entfaltet sich effektiv im Untergrund und gehört inzwischen zu den populäreren Geheimtipps, wenn man sich für etwas unkonventionellere Rapstimmen interessiert.

Aufmerksamkeit entstand dabei durch ganz verschiedene Sachen: Globale Zusammenarbeiten, ein Video aus Sao Paolo, Kollaborationen mit anderen Alternative-Rappern und Rapperinnen aus Berlin und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass Alice als nichtbinärer Rapper eine im deutschen Hip Hop noch sträflich unterrepräsentierte Gruppe abdeckt. Darüber sprach Alice bereits mit dem ZDF und mehreren Szenemagazinen. Aber im Gespräch in der Nähe von einem lebendigen Markt in Friedrichshain wird schnell klar, dass es Alice zwar um Community und sichere Orte für ihre Leute geht, Alice aber vor allem Alice sein will.

Ich find's interessant, weil ich dich ja schon eine ganze Weile auf dem Schirm hatte – aber mit "Double Check" hat sich dann doch nochmal etwas entwickelt, oder? Das klang, als ging's weniger darum, dass es einfach live scheppert, sondern auch online als Gesamtprodukt mehr aufgeht.

Ja nice, auf jeden! Das war der Plan. Da hat mir Covid auch gut in die Hände gespielt, weil ich keine Zeit mehr für live hatte, mein Leben war davor immer so busy, jedes Wochenende einen Gig, lange aufbleiben, immer Anspannung. In dem Sinne hat mir der Lockdown geholfen, ich glaube, der hat mir voll den kreativen Schub gegeben. Es hat so gut getan, das alles um mich still geworden ist und ich mich auf mich selbst konzentrieren konnte.

Was hat sich dadurch für dich verändert?

Hmm, was hat sich da für mich verändert? Na ja, diese Gender-Sache hat sich für mich verändert. Das war so eine Sache, die konnte ich nie so richtig in Worte fassen – und als dann plötzlich alles still wurde, dachte ich mir: Ey yo. Guck da mal hin.

Hat sich das musikalisch für dich ausgewirkt?

Ich glaube, es war dieser Punkt, an dem ich sonst nicht hätte weiter wachsen können, an dem es keinen anderen Weg mehr gegeben hätte. Ich musste da mein ehrliches Selbst sein. Das war ein neues Kapitel, an dem ich gedacht habe: Scheiß drauf. Ich bin jetzt true mit mir selber, und das ist das Wichtigste. Das war eine neue Power, mein Ding zu machen. Vor allem der letzte Track spiegelt das: Da geht es darum, meine Waffe mein Wort, da nutze ich diese Power. Kennst du diesen Film "Ghost Dog"? Das hat ein Soundtrack vom RZA und geht um einen Profikiller, der sein Samurai-Leben lebt auf einem Dach in der Bronx, zurückgezogen seine Skills übt, genau so war der Track auch für mich: Ab jetzt bin ich down mit mir selbst und weiß was ich will.

Wie hast du das zum Beispiel in eine Beatauswahl übersetzt?

Ich musste ziemlich lange suchen. Grime hat mich immer interessiert, elektronische Musik hat mich immer interessiert, alles mit einem Rhythmus, der mich herausfordert. Dann kam da einfach eine schöne Fusion zusammen, auch zu einer Zeit, in der ich mich für Trap und Drill interessiere, die ja den Nagel der Zeit treffen, ohne dass ich mich darin nicht zuhause fühle. Aber das geht ja auch weiter: Ich habe verdammt lange geübt, man hört, dass ich anders auf die Beats flow als früher, dass sich meine Stimme entwickelt hat.

Wie hat das ganze Rap-Ding für dich eigentlich angefangen? Oder um es mit der alten Savas-Frage zu fragen: Warum rappst du?

Rap ist meine Waffe zum Überleben. Ich rappe für lost kids, weil ich mich selber lost gefühlt habe, und für mich ist das, wie eine Community aufzubauen, für Leute die sich nie irgendwo zugehörig gefühlt haben. Und ich rappe, um Leuten zu zeigen, dass man auch komplizierte Themen mit einem guten Vibe kombinieren kann. Dass sich das nicht widersprechen muss. Aber in erster Linie rappe ich einfach, weil ich muss. Um ein Ventil zu haben.

"Einmal haben wir vier Gigs in einer Nacht gespielt"

Fühlst du dich inzwischen weniger lost?

Ja, safe. Ja. Diese Community trage ich vor allem in mir – und sie gibt es um mich herum. Ich habe mich letztens darüber unterhalten. Ich weiß nicht mehr, wie die Person das genau formuliert hat, aber es ist ein bisschen so, als wäre man ein fliegender Spieler. Ich glaube, ich bin ja auch in verschiedenen Communities zuhause. Ich habe nicht mehr den Anspruch, irgendwo dazuzuhören. Ich habe meine Leute und connecte mit Menschen, ohne darauf angewiesen zu sein, zu einem Ding dazuzugehören. Aber klar: In Kreuzberg gibt es schon eine Community. Alles rund um Oya, diese Bar, das ist so eine queere Bar. Das ist einfach geil da, es gibt immer wieder Diskussionen oder Gigs, da passieren Sachen, man vernetzt sich, tauscht sich aus, trifft sich. Einfach geil da.

Spielt Berlin eine große Rolle für dich? Oder was sind denn so die prägenden Orte, an denen du dich rumgetrieben hast, wo hast du die besten Gigs gespielt?

Also ich bin ja gar nicht in Berlin aufgewachsen, ich bin eigentlich in Hanau geboren und dann oft umgezogen. Die meiste Zeit habe ich in Süddeutschland verbracht, ich habe eine Weile in Freiburg gewohnt, dann aber die längste Zeit meiner Kindheit in Bayern, das war ein bisschen ... nicht so geil. In Nürnberg war das. Aber musikalisch ging das alles in Berlin erst richtig los. Ich erinnere mich an eine Erste-Mai-Demo, da habe ich auf einem Truck gespielt, auf einem Boxentower, das war geil. In "Freitag Nacht" spiel ich auch an auf diese Cypher in der alten Feuerwache in Kreuzberg, da gabs vor Corona immer Cyphers, bei Lauschangriff in der Rigaer Straße, Friedrichshain gab es auch immer Cyphers. Ein krasser Gig war in der Liebig, im Hausprojekt, als es das noch gab. Richtig Abriss, bevor die geräumt wurde. Das war komplett loco, es gab nur Moshpits und alle sind durchgedreht. Ich hab dem danach auch einen Track gewidmet, diesen "Turn It Up"-Song. Einmal haben wir vier Gigs an einem Tag gespielt.

Wie ist das passiert?

Das war in dieser einen kurzen Phase während Corona, als Gigs spielen im Sommer kurz möglich war, am Tag der Clubkultur, da waren wir erst in Hellersdorf, dann im Oya, das war fett, dann sind wir weiter zu einer Releaseparty in Neukölln und danach haben wir nochmal irgendwo gespielt, ich erinnere mich schon nicht einmal mehr so richtig. Auf jeden Fall war's crazy.

Ist die Cypher-Szene noch lebendig?

Das weiß ich nicht, ehrlich. Ich war schon ewig nicht mehr da. Wir wollen uns da jetzt ja selber etwas aufbauen.

Ou, was ist der Plan?

Wir haben so ein Haus über meiner Arbeit am Görli, da wollen wir jetzt auch eine Cypher starten, einmal die Woche. Wir wollen das eigentlich vollkommen FLINTA-exklusiv machen (kurz für Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, Trans und agender*, Anm. der Red.). Also keine Cis-Dudes. Weil da bist du ja schon immer ein bisschen außen vor, als einzige Frau in der Runde mit so etwas, da könnte man dann mehr an einem Netzwerk basteln, sich gegenseitig supporten und Tracks vorstellen.

"Ich habe nicht die Lösung, ich habe Fragen."

Apropos Tracks vorstellen: Nach all den EPs, hast du schon Pläne für ein Album?

Ich habe ein paar Ideen. Mal gucken, die Ideen sind ein bisschen düster, aber sie stehen im Raum. Auf der einen Seite wollte ich Sachen mit Distortion machen, aber auch vielleicht mehr mit Autotune und Gesang. Die Idee ist, Gegensätze zu vereinen. Ich habe einfach nochmal überlegt, was mich damals eigentlich geprägt hat und da war schon viel alternative Musik dabei. So etwas wie Radiohead oder auch bisschen noisigeres Zeug wie Aphex Twin. Ich dachte mir, vielleicht sollte das Album ein bisschen autobiografischer sein, da wäre es cool, auch diese Einflüsse mehr aufzuzeigen. Es geht ja um Gefühle und so Episoden, da bietet es sich an, sowas einfließen zu lassen. Gerade fehlt mir glaube ich ein bisschen eine Person, die sich hinsetzt und das alles mit mir durcharbeitet. So etwas wie Bazzazian für Haftbefehl.

Was für Produzentinnen und Produzenten hast du denn gerade so am Start?

Mit Spoke von Ostberlin Androgyn arbeite ich immer mal wieder, auch wenn Spoke gerade nicht in der Gegend ist, zusammen mit Finnat haben die beiden das Projekt produziert. Da gibt es jetzt schon ein paar Singles. Mal gucken.

Ich find das eigentlich ganz interessant an dir: Du hast ja auch in der Musik mal gesagt, dass es dir wahnsinnig wichtig ist, DIY zu bleiben. Hast du nicht trotzdem mal überlegt, ein paar Labels abzuklopfen?

Hey, stimmt schon, aber an sich habe ich eigentlich Bock. Aber das Ding ist: Ich brauche Leute, die mir Arbeit abnehmen, nicht Leute, die mir Arbeit machen. Bis jetzt weiß ich nicht. Ich wüsste auch nicht, welches Label für mich in Frage käme. Bis jetzt war es für mich einfach wichtig den Sound zu machen, mit dem ich selbst zufrieden bin, und das kriege ich jetzt langsam. Ich habe eine EP geliefert, jetzt habe ich noch eine gemacht und ich werde zunehmend zufriedener damit. Ich habe zum Beispiel nicht wahnsinnige Lust, in eine Ecke gestellt zu werden, weder bei einem Major, noch in diese Zeckenrap-Richtung.

Warum kein Zeckenrap?

Das ist mir zu ... das Ding ist: Ich mach Mukke vor allem und ich will Leute berühren. Ich mache keine Politik und ich bin kein Politiker. Ich finde wichtig, dass es das als Sparte gibt, aber vielleicht ist es darin weniger möglich, außerhalb der Box zu denken. Und das ist mir auch zu akademisch, um ehrlich zu sein. Ich habe nicht die Lösung, ich habe Fragen. Ich fühle mich da nicht so wohl, glaube ich. Mal gucken, ich sehe gerade einfach nicht, wo mein Kram passen könnte.

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