7. August 2014

"Es gibt schon genug gestellten Scheiß da draußen"

Interview geführt von

Der britische Soul-Shootingstar Alex Clare schwebt momentan von einer Glückswolke zur nächsten. Neben den immer noch präsenten Debüt-Lobgesängen, erfreut sich der Sänger mittlerweile auch am Vatersein. Da zu einer rundum glücklichen Familie immer mindestens drei Personen gehören, heißt sein neues Album passenderweise "Three Hearts".

Zwei Tage nach der pompösen Rückkehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft aus Brasilien auf einen Engländer zu treffen, kann mitunter durchaus in die Hose gehen. Ich rechne also mit allem, als ich im Berliner Universal-Office in den Aufzug steige, der mich im Handumdrehen in den sechsten Stock befördert. Dort wartet bereits ein schelmisch grinsender Alex Clare auf mich. Meine Sorge erweist sich zum Glück als völlig unbegründet.

Hi Alex, wie geht's dir?

Alex: Bestens. Endlich mal einer, der mit der klassischen "Wie geht's dir"-Frage eröffnet. Das zeugt von Anstand und Höflichkeit (lacht).

Um ehrlich zu sein, falle ich normalerweise auch mit der Tür ins Haus.

Warum heute nicht?

Naja, du bist Engländer, Deutschland wurde vor ein paar Tagen Weltmeister und draußen rennen immer noch massenhaft johlende Fans durch die Straßen.

Ah, verstehe (lacht). Das macht mir gar nichts aus. Ganz im Gegenteil. Ich freue mich immer, wenn ich Menschen sehe, die sich freuen und aus sich herausgehen. Außerdem hattet ihr das mit Abstand beste Team am Start. Insofern haben die Menschen hier allen Grund zum Feiern. Ich bin dahingehend sehr unbritisch. Mit Fußball habe ich aber auch relativ wenig am Hut. Diese Rivalität zwischen Engländern und Deutschen geht daher völlig an mir vorbei.

Das ist wirklich sehr unbritisch, aber sehr sympathisch.

Ich habe nichts gegen sportlich fair ausgetragene Rivalitäten. Hier und da ein bisschen schubsen, pieksen und sticheln, alles kein Problem. In England schießt man leider oft übers Ziel hinaus - besonders wenn es um Fußball aus Deutschland geht. Da werden dann Panzer, Uniformen und verschimmelte Kartoffeln ausgegraben. Das ist ziemlich uncool. Ich denke, da steckt einfach auch viel Neid dahinter. Wie weit ist England bei dieser WM gekommen?

Nach der Vorrunde war Schluss.

Eben. Da standen elf Einzelspieler auf dem Platz, aber kein Team. Mannschaften wie Deutschland oder die USA haben sich hingegen als Einheit präsentiert. Nur so funktioniert Mannschaftssport.

Für jemanden, der behauptet, dass er keine Ahnung von der Materie hat, bist du aber ziemlich gut im Bilde.

Ich bin ein sehr aufmerksamer Mensch (lacht).

Schon immer gewesen?

Eigentlich schon.

"Hätte ich denn etwas verändern sollen?"

Wurden diese "Gaben" in den vergangenen Monaten noch weiter verfeinert?

Alex: Absolut. Die Tatsache, dass ich geheiratet habe und Vater geworden bin, hat mein ganzes Bewusstsein auf ein neues Level gehoben. Ich bin nicht mehr allein, verstehst du? Ich trage nicht mehr nur Verantwortung für mich selbst. Ich habe jetzt eine Frau und eine knapp einjährige Tochter, die unheimlich viel in meinem Leben verändert haben. Ich höre jetzt gezwungenermaßen noch besser zu, und bin noch aufmerksamer als zuvor (lacht).

Und auch glücklicher – zumindest beschleicht mich das Gefühl, wenn ich mir dein neues Album anhöre. Es steckt unheimlich viel positive Energie drin.

Ja, das empfinde ich auch so. Ich hoffe nur, dass mich die Leute da draußen jetzt nicht als Weichei abstempeln, nur weil ein Großteil des Albums sich um die Liebe und die Lust am Leben dreht (lacht).

Es wird immer Leute geben, die mit einer bestimmten Entwicklung nicht konform gehen. Musikalisch hat sich ja aber nicht soooo viel verändert. Oder siehst du das anders?

Nun, es gibt schon einiges Neues zu entdecken. Das Fundament hat sich aber nicht verändert, da gebe ich dir recht. Hätte ich denn etwas verändern sollen? Was denkst du?

Nein, ich find es richtig cool. Und das sage ich jetzt nicht nur, weil du mir gegenüber sitzt. Du bist glücklich. Daran sollen deine Fans teilhaben. Das ist legitim und vor allem ehrlich.

Freut mich, wenn du das so siehst. Genau das ist nämlich der entscheidende Punkt. Ich bin keiner, der den Menschen irgendetwas vorgaukeln will. Wenn sich jemand ein Album von mir anhört, dann soll derjenige auch spüren, wie ich mich zum Zeitpunkt der Produktion gefühlt habe. Das ist mir unheimlich wichtig. Als ich mich mit meinem ersten Album beschäftigt habe, fühlte ich mich nicht so, wie ich mich heute fühle. Mein Leben war unaufgeräumt. Es gab viele Hochs, aber auch viele Tiefs. Ich war noch ein bisschen orientierungslos. Das hört man auch.

"Three Hearts" hingegen versprüht einen ganz anderen Vibe. Es geht mir gut. Ich bin glücklich. Wenn ich nach Hause komme, empfangen mich eine wundervolle Frau und ein zuckersüßes Mädchen, das sich am liebsten den ganzen Tag von oben bis unten mit Bolognese-Soße einschmiert. Geht's noch besser?

Das kenne ich irgendwie.

Ich meine, soll ich mich jetzt hinsetzen und mir irgendwelche düsteren oder kryptischen Geschichten aus den Rippen schneiden, nur um das Produkt vermeintlich interessanter zu verpacken? Das wäre doch nicht authentisch, oder? Ich finde, es gibt schon genug gestellten Scheiß da draußen. Wenn es mir schlecht geht, dann sollen es die Leute auch merken und hören. Sie sollen aber auch daran teilhaben, wenn es mir gut geht.

"Das einzige was schrumpft, ist Zeit"

Ich empfinde "Three Hearts" als ein sehr ausgewogenes und abwechslungsreiches Album. Es soll ja Künstler geben, die sich nach der Gründung einer Familie mit Kreativitätsproblemen herumschlagen. Das war bei dir irgendwie so gar nicht der Fall, oder?

Nein, zu keiner Zeit. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass mich insbesondere die Geburt meiner Tochter in puncto Kreativität weiter nach vorne gebracht hat. Für mich war diese Zeit unheimlich inspirierend. Das Wunder des Lebens so hautnah erleben zu dürfen, ist mit Worten eigentlich gar nicht zu beschreiben. Das einzige was schrumpft, ist Zeit. Dafür bekommt man aber dermaßen viel unbeschreiblichen Input, dass man selbst in den wenigen Stunden, die man noch fürs Arbeiten aufwendet, randvoll ist mit Eindrücken, die man unbedingt festhalten und verewigen will.

Wenn du momentan so glücklich und zufrieden bist, wie schwer fällt es dir dann eigentlich, ältere, eher unaufgeräumte Songs auf der Bühne zu präsentieren?

Nun, die offizielle Tour zum neuen Album beginnt ja erst im Oktober. Vielleicht habe ich mich bis dahin ja wieder eingekriegt (lacht). Nein, im Ernst: Ich bin auch nur ein Mensch. Natürlich habe ich Probleme damit, in einer Phase der Glückseligkeit mal eben schnell auf Tristesse zu schalten – umgekehrt natürlich genauso. Wenn man allerdings – so wie ich – jeden einzelnen geschrieben Song mit der eigenen Biografie verbindet, dann funktioniert dieses Auf und Ab von Gefühlen in der Regel ziemlich gut.

Als wir vor zwei Jahre zum ersten Mal aufeinandertrafen, sagtest du mir nach unserem Gespräch, dass du hoffst, in den nächsten Jahren so viel wie nur irgend möglich live spielen zu können. Inzwischen steckst du mittendrin im High-End-Musik-Zirkus. Haben sich all deine Träume erfüllt? Oder geht dir das Gesamtpaket manchmal auch gegen den Strich?

I am happy! Es gibt nichts zu meckern. Ich meine, ich sitze hier in Berlin und rede mit unzähligen Menschen über mein neues Album. Das ist doch toll, oder?

Eigentlich schon…

(unterbricht mich)

Obwohl: Es gibt schon auch Momente, da könnte ich die Wände hochgehen.

So?

Naja, ich bin gelernter Koch und dementsprechend auch ein leidenschaftlicher Esser. Dahingehend musste ich in den letzten drei Jahren schon des Öfteren Abstriche machen (lacht).

Ein erfolgreicher Major-Act, der auf Rundreisen nur mit Wasser und Brot versorgt wird? Das kann ich nicht glauben.

So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Es wird schon sehr gut für mich und meine Band gesorgt wenn wir unterwegs sind. Aber als Koch stellt man natürlich besondere Ansprüche. Da werde ich dann schnell zur Diva (lacht). Mit leerem oder mit nicht so tollen Sachen gefülltem Magen bin ich unerträglich.

Heute hast du aber schon gut gegessen, oder?

Oh ja, alles im grünen Bereich. Das merkt man hoffentlich auch.

Auf jeden Fall.

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