18. August 2020

"Wir haben vor 60.000 Terrornormies gespielt"

Interview geführt von

Nach zwei Jahren Pause resümieren die beiden Wahlberliner über "10 Jahre Abfuck", liebäugeln mit der Frührente und teilen ihre YouTube-Guilty Pleasures.

Die letzten zehn Jahre sind auch an Grim104 und Testo nicht spurlos vorüber gegangen. Nach dem Erfolg von "Alles Brennt" meldeten sie sich mit "Exit" zurück und nährten bei einigen Fans die Sorge, ihr nächstes Album könnte gleichzeitig ihr letztes sein. Im Telefon-Interview erfragen wir, ob "10 Jahre Abfuck" wirklich das Ende von Zugezogen Maskulin bedeutet, wie die Arbeit mit Ahzumjot lief und was die beiden nachts klammheimlich auf YouTube schauen.

Wie gehts euch?

Grim104: Es ist Tag drei der "Fünf Tage Abfuck"-Tour, oder Tag vier, und ich sag mal so langsam "Nomen est Omen", aber sonst ganz okay.

Wie ist es denn für euch, diese Konzerte zu spielen, die ja doch anders sind, als man es eigentlich gewohnt ist?

Testo: Spannend, also dadurch, dass das jetzt so "Off-Locations" sind, wo wir sonst nicht spielen würden. In Hamburg war das zum Beispiel so 'ne Art Biergarten, in Berlin haben wir im Kino International gespielt. War schon 'ne interessante Erfahrung, aber ich würde auch lieber richtige Konzerte spielen. Das merk' ich dann schon, wenn Leute nicht aufstehen dürfen wegen der Hygiene-Konzepte oder wenn man wegen Anwohnern nur eine bestimmte Lautstärke fahren darf. Heute ist auch das Ordnungsamt da und man darf nicht ins Publikum rein, weil dann vielleicht das Konzert abgebrochen wird und so 'ne Scheiße. Also, es ist schon ein schwaches Substitut, aber ganz okay.

Die Promo-Phase ist ja bestimmt ein bisschen anders für euch dieses Jahr, entspannter vielleicht?

Grim104: Also Promo-Phase, dieses pure Gerenne zu Radios oder Magazinen, finde ich viel entspannter durch Corona. Früher ist man halt für jedes Interview mit der Hallensischen Allgemeinen Zeitung dann auch dahin gefahren. Also, ist jetzt ein bisschen übertrieben und ein bisschen wehleidig, aber ich finds eigentlich schon ganz geil, wenn man erkennt: Man muss auch nicht nach Hamburg fahren, es ist auch okay, mal 'nen Phoner zu machen. Das finde ich ganz angenehm.

Inwiefern hat denn die Pandemie den Schaffensprozess an "10 Jahre Abfuck" beeinflusst?

Testo: Eigentlich gar nicht, weil wir vorher fertig waren. Wir waren im Studio, dann gings los mit: Hier, das Land macht die Grenzen dicht. War verstörend, und dann war es auch so: Lass mal schnell fertig machen, bevor der Lockdown kommt. Und tatsächlich sind wir in der Woche vor dem Lockdown fertig geworden, konnten alles aufnehmen und dann wurde es abgemischt. Da hatten wir ja dann nix mehr mit zu tun. Entsprechend hat das den Schaffensprozess nicht so beeinflusst. Wir hatten tatsächlich dann die Befürchtung: Alter, wenn das jetzt hier diese riesige Pandemie wird, wie wird das Ausmaß? Es gibt nur dieses eine Thema, und wir kommen jetzt mit so 'nem Album, wo das alles, bis auf eine Zeile, die man vielleicht so deuten könnte, überhaupt nicht stattfindet. Das juckt nachher gar keinen. Glücklicherweise haben dann aber unsere Kollegen so viel Corona-Content rausgeballert, bis alle von Corona die Schnauze voll hatten, und so haben sie den Acker gut gedüngt für unser Release.

Ihr arbeitet die letzten zehn Jahre auf dem Album ab, und da ist ja doch einiges passiert. Wie habt ihr euch die 13 Themen für das Album rausgepickt?

Grim104: Das ist ja leider immer unromantisch. Man fängt an zu arbeiten und dann ist es "work in progess". Die ersten Songs haben noch gar nicht so sehr darauf hingedeutet. Also "Dunkle Grafen" war relativ früh fertig, "Der Erfolg" auch. In meiner Wahrnehmung kriegte das gerade mit "Exit" so'n Twist, wo das hingehen kann.

Testo: Ja, das war tatsächlich so. Wir waren bemüht, bestimmte Themen zu beackern. "Dunkle Grafen" nach der "Alle Gegen Alle"-Promophase, die uns so in den Knochen steckte, und den Themen, die wir da hatten. "ZM auf dem Normiefest" war auch relativ früh fertig, und irgendwie hat sich das dann so ergeben. So: Moment mal, uns gibts jetzt auch schon zehn Jahre. Wir haben thematisch ja auch Sachen, die damit verflochten sind, was Rückerzählungen angeht. Und da hat sich dann so ein roter Faden gebildet. Dann hat unser Tourmanager auch noch den Albumtitel so als Joke gesagt. Meinte so: "Ja, das klingt ja wie zehn Jahre Abfuck." Und dann wars so: Ey, krass, das ist der Albumname und daran kann man ja eigentlich voll viel drauf aufbauen.

Ihr habt begleitend zum Album noch einen Podcast an den Start gebracht, wo ihr die letzten zehn Jahre nochmal Revue passieren lasst. Sind euch beim Aufnehmen noch ein paar Themen eingefallen, bei denen ihr gedacht habt: Da hätten wir gerne einen Song zu geschrieben?

Grim104: Neee, also, es ist ja auch nicht als das große Album angesetzt, wo man jedes Jahr nochmal Revue passieren lässt. Es fällt aber auf, wie nah und fern manche Jahre einem gleichzeitig sind. 2015 hab' ich das Gefühl, als wäre das gestern gewesen, und an 2017 habe ich kaum noch 'ne Erinnerung. Und dass das alles ein Jahrzehnt ist, Kinder, wie die Zeit vergeht. Es ist aber kein Konzeptalbum, wo man nur über die Themen in diesem Rahmen sprechen kann.

Ich finde, das Album klingt, gerade auf dem Intro und "Rap.de", deutlich aggressiver und roher als euer alter Output. Ist das der Thematik geschuldet?

Grim104: Das irritiert mich immer. Ich finde, es klingt gar nicht so "raw" und "roh".

"Roh" ist vielleicht das falsche Wort

Grim104: Nene, alles gut, du bist nicht der erste, der das sagt.

Testo: (zu Grim) Das sind ja auch die beiden Songs, wo in der Hook ordentlich geschrien wird von dir.

Grim104: Ja, okay, weiß ich nicht. Ich hab' heute aus Trash-Gründen einfach nochmal "Alle Gegen Alle" angemacht (lacht) und da dachte ich mir, das klingt jetzt irgendwie viel mehr nach "das soll jetzt richtig doll klingen". Ich finds eigentlich ein warmes Sommeralbum, um ehrlich zu sein. Also, kein Witz, ich empfinde es als cooles, zeitgeistiges, modern klingendes Sommeralbum. Ja, ich weiß schon, dass auch ein paar Songs irgendwie "darkish" sind, aber ich finde das auch blöd, wenn man ein düsteres Thema macht, muss das nicht zwangsläufig auch düster klingen. Da kommt man ganz schnell in diesen Geigen-und-Klavier-Irrweg.

Also hat "Das Grauen, Das Grauen" keinen Einfluss auf den Sound gehabt?

Grim104: Ne, da wollt ich auch gerne von weg. Auf "Dunkle Grafen" hört man ja noch so ein bisschen meinen Vampirkrams raus, und das war dann auch so: Das bitte nicht. Also "Das Grauen, Das Grauen" ist 'ne super Platte, aber ich finde es immer interessant, unterschiedliche Sounds auf unterschiedlichen Tonträgern zu haben.

Ahzumjot ist der Executive Producer und auch das fast das einzige Feature auf dem Album. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Testo: Boah, gute Frage. Ich glaube, wir haben verschiedene Überschneidungen in unseren Bekanntenkreisen, die jeweils gesagt haben: "Hey, trefft euch doch mal und probiert das mal aus, das könnte mega interessant werden." Und das haben wir dann im Vorfeld gemacht. Wir haben uns gut verstanden, haben die ersten Skizzen zusammen aufgenommen und gedacht: Das ist es. Hier kommen gerade zwei Welten zusammen, die sich gegenseitig befruchten. Hier entsteht was Ganzes, was nochmal größer ist als die Summer seiner Teile. Und wir fanden das einfach mega spannend, ich denke, er auch, und darum haben wir uns dazu entschlossen, das Album zusammen zu machen.

Warum habt ihr Nico (K.I.Z.) nicht als Feature gelistet?

Testo: Jetzt plauder' ich mal richtig ausm Nähkästchen. Wir wollten uns noch treffen, um die Hook richtig aufzunehmen. Diese Hook, die man jetzt hört, war ursprünglich nur als Platzhalter-Hook gedacht, dass da überhaupt was ist. Und dann war Lockdown und so weiter, und da hat sich schon abgezeichnet, scheiße, nee, das können wir jetzt nicht mehr machen. Also haben wir uns jetzt so drauf geeinigt und haben das übers Telefon eingetütet. Dann war eben die Idee: Lass uns diese Platzhalter-Hook trotzdem nehmen, lass es uns aber nicht hinschreiben. Weil wenn da dann steht "Zugezogen Maskulin feat. Nico K.I.Z." dann erhoffen sich die Leute sonst was davon. Das ist dann irgendwie wie ein Etikettenschwindel, lass es uns dann lieber so machen, als Überraschung.

"Ich bin Deutschlands größter Billie Eilish-Fan"

Ihr ladet ja generell eher wenig fremde Musiker auf eure Alben ein. Was wären denn eure Traum-Features, wo ihr nicht nein sagen könntet?

Testo: Keine Ahnung. Rammstein würde ich nicht nein sagen. Kendrick Lamar würde ich nicht nein sagen. In Deutschland? Schwierig. (zu Grim) Weißt du was?

Grim104: Also, in Deutschland fällt mir jetzt nichts mehr ein, wo man nicht rein theoretisch mal fragen könnte und zumindest eine eventuelle Chance auf ein Feature besteht. Also, ne, in Deutschland weiß ich jetzt nichts im Sinne von "Traum-Feature", das niemals wahr werden wird. Vielleicht Rammstein.

Testo: Ja, Traum-Feature hab' ich nicht mehr. Aber nicht nein sagen, würde ich, glaub', bei relativ vielen. Oder was heißt relativ viele, es gibt einige, wo ich mir das schon gut vorstellen könnte, mit denen was zu machen.

Grim104: Mir fällt noch was ein. Aeosp Rock und A$AP Rocky. Weil ich bin ja quasi die Quintessenz aus beiden, und das fände ich irgendwie 'ne geile Mischung, wenn ich das alles zusammenbringen würde.

Da gibts ja auch dieses Video, als sich beide das erste Mal treffen.

Grim104: Ja, ich weiß. Der Peter Rosenberg-Moment ist ganz süß. (Lachen)

Ihr habt auf dem Album ziemlich viele obskure YouTube-Samples, hängt ihr privat viel auf der Plattform ab?

Testo: Ich würde jetzt nicht sagen, mehr als andere. Ich guck' halt auf YouTube Sachen, aber ich bin jetzt kein YouTube-Junkie.

Habt ihr Go-To-Videos wenn ihr nicht schlafen könnt?

Testo: Ja, ich schon ... naja ... (Grim lacht). Also Realtalk: Schon so Drachenlord-Discord-Channel-Videos.

Drachenlord hat doch gestern ein "Das Ende"-Video hochgeladen.

Testo: Ja, er will jetzt aufhören ...

Grim104: Wie wir. (lacht)

Testo: ... aber ich glaub' noch nicht so richtig dran.

Grim104: Ich gucke tatsächlich gerne Videos von so rechten Verschwörungstheoretikern. Ist jetzt auch eher so ein Guilty Pleasure. Eine Zeit lang hab ich immer "Der Volkslehrer" angeguckt, diesen Neonazi-Lehrer Nikolai Nerling, der jetzt gebannt worden ist, und habe da schon immer so genau beobachtet: Oh, psychisch ist der im Moment nicht so gut aufgestellt (lacht). Hat wieder sein Auto angezündet. Und dann fängt er immer an zu weinen, wenn er ein deutsches Gedicht vorgelesen kriegt. Bin auch ein großer Fan davon, Dokus nebenbei durchrauschen zu lassen.

Jetzt hast es mir vorhin ein wenig vorweggenommen: Das Album endet ja mit "Exit". Ist "10 Jahre Abfuck" euer letztes Album?

Testo: Ne, glaub' ich nicht. Also kann sein, ich geh' aber nicht davon aus. Es ist zumindest von uns nicht so geplant. Wir werden wahrscheinlich noch weiter Musik machen. Der Song "Exit" beschreibt eine Momentaufnahme und eine Stimmung von: Ey, das macht mir jetzt hier gerade keinen Spaß mehr und vielleicht hör' ich einfach auf. Es ist für mich auf jeden Fall keine Traumvorstellung, mit siebzig auf der Bühne zu stehen, erfolgreich zu sein und Alben rauszubringen. Es ist eher eine Vorstellung, die sich ins Alptraumhafte verzerrt hat. Zumindest in der Form, wenn ich überlege: Ich MUSS mit siebzig noch auf der Bühne stehen und erfolgreich sein, weil es das einzige in meinem Leben ist, was ich kann.

Ich würde gerne noch auf ein paar andere Songs zu sprechen kommen. Grim, auf "Echte Männer" interpolierst du Billie Eilishs "Bad Guy".

Grim104: Du bist heute der dritte Mensch, der es gepeilt hat. Also, insgesamt der dritte, heute der zweite. Gefällt mir sehr gut.

Als du das Original gehört hast, kam dir da direkt die Idee für den Song oder hat sich das einfach so ergeben?

Grim104: Ich bin Deutschlands größter Billie Eilish-Fan. Nee, kam mir nicht. Testo hatte einen King-Part vorgelegt, ich hatte dann irgendwie die Idee, den nachzumachen, aber in schlecht. Dann dachte ich mir: Das ist Quatsch. Und dann fiel mir, dem kleenen Verrückten, das ein und ich dachte: Ist doch mega. Aber tatsächlich bin ich der erste Mensch, der es auf Deutsch einigermaßen korrekt übersetzt hat.

Auf "Fans" beleuchtet ihr die Doppelmoral, die Rapper in der Beziehung zu ihren Fans pflegen. Habt ihr selbst zwischen Konzerten auf "Normiefesten" und Auftritten bei "Rock am Ring" eine Veränderung an euren Fans bemerkt?

Testo: Nö, ehrlich gesagt nicht. Ich muss mal kurz überlegen. Als wir angefangen haben mit Musikmachen, wurden wir viel von Leuten gehört, die noch zur Schule gegangen sind, Abi gemacht und studiert haben, und das ist jetzt auch bald zehn Jahre her. Ich glaube, dass die einfach älter sind. Unter Umständen Familien haben, normal arbeiten gehen. Es rücken schon noch jüngere Leute nach, aber es sind nicht so viele. Deshalb ist das Publikum eigentlich gleich geblieben, es ist mit uns älter geworden. (zu Grim) Oder? Was sagst du?

Grim104: Naja, wobei ...

Testo: Es gab nicht diesen einen Moment, wo ich dachte, wir haben nur noch so Zahnspangen-Fans.

Grim104: Bei "Alles Brennt" gab's einen kurzen Moment. Vorher waren das gefühlt schon ältere Fans, teilweise sogar älter als wir. Bei "Alles Brennt" wurde es dann auf einmal sehr jung und dann wurde es wieder sehr alt.

Testo: Am Anfang war das auf jeden Fall so ein Auskennerpublikum, die sich viel mit Rap beschäftigen und tief graben, um den neuen heißen Act zu finden. Dann kannten uns ja doch viele Leute, dann haben die sich langsam abgewandt, um sich dem nächsten neuen Hype-Thema zu widmen. Dafür sind halt viel mehr so 0815-"normale Leute" dazugekommen. Am Brandenburger Tor (beim Mauerfall-Benefiz-Konzert 2019, Anm. d. Red.) haben wir vor 60.000 Terrornormies gespielt. Vor den schlimmsten und normalsten Leuten, die es gibt. Und jetzt haben wir endlich unser Publikum erreicht, wo wir immer hingehört haben.

Vermisst ihr denn diese "Normiefeste"?

Testo: Wir haben die ja immer noch ab und zu. Unter anderem bei den Konzerten jetzt: Dieser Biergarten hatte auch schon so ein bisschen "Normiefest"-Vibes. Und nee, ich vermiss' es eigentlich nicht. Wenn ich dort bin, finde ich es immer irgendwie doof und uncool, aber im Nachhinein ist es immer eine gute Geschichte und ich denk' mir so: Irgendwie hat's was, irgendwie ist es sympathisch. Plus, ich komm ja auch aus solchen Zusammenhängen, ich bin nicht als cooles Großstadtkind geboren. Ich war halt auch ein Dorfbauer, und das bin ich auch irgendwie bis heute.

Grim104: Dorfbauer mit Herz. (lacht)

Ein weiteres persönliches Highlight ist "Jeder Schritt", wo ihr über Incels und feministische Fuckboys rappt. Glaubt ihr, dass Hip Hop die Weltanschauung solcher Menschen bestätigt?

Grim104: Jein. Ich glaube, da muss man auch schon eine gewisse Präferenz haben, die einem vorgelebt wurde, wenn man glaubt, dass sich jetzt jeder Gzuz-Text eins zu eins auf die Klassenkameradin übertragen lässt. Ich glaube nicht, dass das jetzt die alleinige Verantwortung von Rap ist. Aber ich glaube natürlich, wenn man sich nur sowas reinballert und in so einem Konstrukt aufwächst ... Ich kenne das noch aus meiner eigenen Jugend, als man noch viel Bushido gehört hat, da weiß ich schon, dass die Leute so dieses Frauenbild mit diesem einen Engel haben und alles andere sind Schlampen. Wenn man jung ist und Musik so krass identitätsstiftend ist, da kann ich mich auch nicht ganz von frei machen, verfängt man sich da drin, aber ich glaube, du kannst jede Musik hören und ein mieses Arschloch sein.

Testo: Ich finds auch zu einfach, dieses "Ja der Amokläufer hat Marilyn Manson gehört" und darum muss man jetzt Marilyn Manson verbieten. Ich glaube, es gibt Menschen, die das nicht unterscheiden können. Vor allem sind das Kinder, auf die das zutrifft. Aber die interessante Frage ist: Warum ist das bei denen so, was ist denn da für 'ne Grundlage gelegt? Und wie kann man an die Grundlage ran und die irgendwie bearbeiten? Ich finde es ein wichtiges Thema, über das man reflektieren und sich austauschen muss und ich hoffe der Song lädt auch dazu ein.

"Ich hab viel, was Skill und die feine Note am Mic angeht, bei Tony D gelernt"

Ich würde gerne nochmal auf euren Podcast zu sprechen kommen. Ihr seid ja aktuell im Jahr 2016 angekommen. Ich würde euch gerne ein paar Ereignisse und Alben der drei verbleibenden Jahre an den Kopf werfen und eure kurze Meinung dazu hören, wenn ihr cool damit seid?

Testo: Ja.

2017 war das Jahr von Live From Earth, RINs "Eros" kam raus, Yung Hurns "Bianco" auch. Wie habt ihr das erlebt und habt ihr jemals mit dem Gedanken gespielt, den Sound zu adaptieren?

Testo: Yung Hurn war ja schon ein bisschen vorher. Das war ja in einem Abwasch mit dem LGoony-, Money Boy-, Haiyti-Hype. Das war für mich 2017 alles nicht so ein wirkliches Thema. Wir wurden noch mega dafür abgefeiert, endlich Rap mit Inhalten zu liefern und mit Konzepten und blablabla, und plötzlich ist es das Coolste überhaupt, sich gar keine Mühe zu geben. Man geht einfach ans Mikrofon, ballert sich am besten vorher noch zu und lässt es einfach so fließen und fertig ist der Song. Ich hab' schon darüber nachgedacht, wie verhalte ich mich dazu, aber hab' dann auch recht schnell gemerkt, das ist einfach 'ne ganz andere Art des Kunstmachens und es ist nicht meine. Ich nehme mir schon gern Zeit und geb' mir Mühe und mach' das Kunstwerk, bis ich das Gefühl habe, jetzt ist es fertig, und sag' nicht: Hier ist was halbfertiges oder was skizzenartiges, das hau' ich raus und das Publikum ist dazu eingeladen, am Kunstwerk mitzuwirken.

Grim, bei dir?

Grim104: Es ist auch privat jetzt nicht die Musik, die ich hören würde. Ich denk' mir mittlerweile, da hab' ich mich ein bisschen verrannt, das so runterzumachen. Yung Hurn war mir eigentlich immer egal, so ein bisschen zu artsy auf 'ne Art, ist einfach nicht mein Ding gewesen. Bei RIN denk' ich mir, ist wahrscheinlich ein ganz okayer Typ, da war ich einfach neidisch, wahrscheinlich. (lacht) Weil er viel coolere Klamotten kennt als ich. Deshalb ist der Beef beendet.

Ein Jahr später war das Jahr des Capital Bra. Sagt es irgendwas über die deutsche Musiklandschaft aus, dass Capi in zwei Jahren mehr Nummer-eins-Songs rausbringt als die Beatles?

Testo: Ich finde, das sagt gar nichts aus, das ist ja der Punkt. Welcher Mensch liest so 'ne Headline und denkt sich: "Ach ja, krass, Capital Bra scheint ja wirklich bedeutender als die Beatles zu sein." Das ist ja einfach Schwachsinn und führt ja vor, wie hohl und sinnlos diese Zahlenspielereien sind.

Aber glaubt ihr, dass es einfacher geworden ist, eine Nummer-eins zu kriegen?

Testo: Ja. (Grim lacht)

Grim104: Also, das Problem ist, dass es wahrscheinlich nicht auf uns zutrifft, aber ich glaube, als Rapper ist es ist auf jeden Fall einfacher, 'ne Nummer eins zu kriegen. Sieht man ja jede Woche aufs Neue. Und ich sag' mal so: Wenn man über die Möglichkeit verfügt, etwas Geld anzulegen, sagen wir mal, in einen guten Bot oder gewisse andere Sachen, dann ist es einfacher. Nicht easy, aber einfacher. Es gibt da Mittel und Wege. Und klar, das ist dann das nächste Ding: Musik, die algorithmisch berechenbar ist. Oh Gott, ich klinge wie so'n Oldhead.

2019 überspringe ich mal. 2020 gibts eigentlich nur ein Thema: Tony D ist wieder im Studio.

Grim104: Ja, der Wein-Damager. King. Richtig cool, sehr sympathisch.

Als alte Aggro-Fans, freut ihr euch?

Grim104: Testo ist der größere Aggro-Fan.

Testo: Aber ich glaube, Grim ist der größere Tony D-Fan.

Grim104: Ja, find' ich mega. Ich hab viel, was Skill und die feine Note am Mic angeht, bei Tony D gelernt. Deshalb freu' ich mich natürlich.

Dann lasst uns doch noch einen kurzen Blick in die Zukunft wagen. Glaubt ihr, dass in den nächsten zehn Jahren alles, was ihr auf dem Album behandelt und was sonst gerade so passiert, nur noch schlimmer wird, oder glaubt ihr wir kriegen die Kurve?

Testo: Das ist jetzt irgendwie ein Blick in die Glaskugel, keine Ahnung, kann ich nicht vorhersagen. Ich glaube auf jeden Fall, dass es nicht von selbst besser wird oder man die Kurve kriegt. Da sind wir alle eingeladen, uns einzubringen und genau hinzuschauen bei den Problemen, und uns mit deren Lösung zu beschäftigen.

Ihr sagt ja selbst auf dem Album: "Es War Nicht Alles Schlecht". Und daran wird sich wahrscheinlich auch in der Zukunft nichts ändern. Abschließend die Frage: Was sind eure bisherigen musikalischen Highlights des Jahres?

Testo: Der Drachenlord-Song, ich weiß gerade gar nicht, wie der heißt. "Seelen der Drachen, zusammen geschaffen. Opfer und Gier, von den Göttern verlassen". Also, jetzt mal Realtalk: Hab' ich wirklich oft gehört, hat mir richtig gute Laune gemacht. Gibts bei YouTube und auch bei Spotify.

Grim, bei dir?

Grim104: Äh, was war denn Album des Jahres. Ähhh, mir fällt gerade nichts ein.

Testo: Was noch cool ist, so Lucio und Nizi, oder Saftboys. Es gibt schon auch im Rap noch interessante Sachen. Aber es wird nicht mehr, zumindest gerade.

Grim104: Mir fällt leider gerade wirklich nichts ein. Drakes "War", hat er das dieses Jahr rausgebracht? Das fand ich cool.

Ne, kam, glaub' ich, letztes Jahr.

Grim104: Ja scheiße, dann fällt mir gerade nichts ein.

Kein Problem. Vielen Dank für das Interview.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Zugezogen Maskulin

Das Rapgame besteht bekanntlich zu großen Teilen aus Aktion und Reaktion. Rapper haben Beef miteinander, auf einen Disstrack folgt die Retourkutsche, …

3 Kommentare mit 13 Antworten