laut.de-Kritik

Hoffnung, Orientierungslosigkeit und Schmerz liegen nah beieinander.

Review von

Dass Yaya Bey, eine in Brooklyn aufgewachsene und arbeitende Sängerin und Songwriterin, im Sommer 2022 ein Album wie "Remember Your North Star" veröffentlicht, hat auch mit dem 30. September 2016 zu tun. An jenem Tag nämlich erscheint Solange Knowles bahnbrechendes Album "A Seat At The Table", das weibliche schwarze Identität so nachdrücklich wie selten zuvor in die Mitte der Popkultur der späten Zehnerjahre rücken sollte. Von diesem Referenzpunkt ausgehend, erschienen größere und kleinere Werke, die das übergeordnete intergenerationale Motiv in verschiedenen Gangarten afroamerikanischer Musiktraditionen verhandelten. "Remember Your North Star", so viel lässt sich vorwegnehmen, positioniert sich mit einem auffällig gelassenen Selbstverständnis in dieser illustren Folge.

Yaya Bey ist die Tochter des Rappers Grand Daddy I.U., der im New York der 90er-Jahre Namen wie Big Daddy Kane oder Big L zu seinem näheren Kollegium zählt. Studio-Sessions der väterlichen Juice Crew beeinflussen Beys musikalische Frühsozialisation nachhaltig. Das lässt sich recht eindeutig an einer von ihr kuratierten Playlist für das Document Journal ablesen, die gleichzeitig als Referenzliste für "Remember Your North Star" funktioniert. Darunter: sample-versetzter Conscious-Rap von MF DOOM und Mos Def, süßer (Neo-)Soul von Mary J. Blige oder Roy Ayers, aber auch karibischer Dancehall und Lovers Rock. Eine wohltemperierte und -klingende Kuration, die tief in der afroamerikanischen Musikgeschichte wurzelt.

Vereinfacht gesagt, gilt all das so auch für "Remember Your North Star". Beys gefühltes Debütalbum erscheint erstmals über Big Dada, dem Sublabel der Londoner Independent-Instanz Ninja Tune. Es ist ein zugängliches und warmes, aber auch verletzliches Album mit knapp unter 35 Minuten Spielzeit, das als dickes Ausrufezeichen an die Popwelt verstanden werden darf.

Yaya Bey singt, rappt und spricht mit ihrer im positivsten Sinne leicht schüchternen Soulstimme in mehrheitlich kurzen Liedern über die Liebe und Bestimmung, aber auch den (strukturellen) Schmerz, der schwarzen Frauen widerfährt, über gesellschaftliche und familiäre Traumata, über Misogynie und Vereinzelung. Die Texte sind hyper-persönlich und auch deshalb so interessant, weil sie die kleinen, ach so menschlichen Widersprüche ungeniert offenlegen.

Bereits die Leadsingle "Keisha" setzt den Ton: "First things first / I'm the one and the two and the three / I saw the others, they'll never be me", singt Bey da zunächst noch in unnachahmlicher Wifey Material-Manier, um wenig später der Feststellung zu unterliegen: "Yeah, the pussy is so, so good and you still don't love me." Hoffnung, Orientierungslosigkeit und Schmerz liegen oft nah beieinander, in vielen der Songs nicht einmal eine Strophe voneinander entfernt.

Lyrisch bedient sich Yaya Bey immer wieder schlichter Mittel wie rhetorischer Fragen oder tagebuchartiger Notizen ("My old friends don't kick it like my new friends do / My new friends don't know me like my old ones do") und changiert anlassbezogen zwischen Spoken Word, Lovers Rock und Soul. Ein Gros der Songs funktioniert nach diesen einfachen Prinzipien und hüllt den Hörer nicht zuletzt auch wegen der scheinbar mühelosen Melodien ansatzlos ein.

Gesprochene Interludes verbinden die Großthemen des Albums mit autobiografischen Sprachfetzen, hinzu kommen tolle Standouts wie dem Reverb-Reggae des Anderthalbminüters "Meet Me In Brooklyn", der verzerrten Screwed-Ästhetik von "Don't Fucking Call Me" und natürlich dem tempomachenden Afrobeat von "Pour Up".

Die größte Qualität des Albums liegt aber wohl gerade darin, nicht alle zur Verfügung stehenden Register zu ziehen, sondern vielmehr mit konsequenten Subtraktion nie den eigentlichen Fixpunkt – den North Star, der selbstredend in einem selbst liegt – aus dem Blick zu verlieren. Yaya Bey fügt so der ohnehin vielstimmigen Generation junger schwarzer Künstlerinnen ein weitere aufregende Abbiegung hinzu. Es ist ihr A Seat At The Table, auf dem sie es sich nun aus gutem Grund gemütlich machen darf.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Libation
  3. 3. Big Daddy Ya
  4. 4. Keisha
  5. 5. Nobody Knows
  6. 6. Alright
  7. 7. Meet Me In Brooklyn
  8. 8. It Was Just A Dance
  9. 9. Pour Up
  10. 10. Uh Uh Nxgga
  11. 11. Reprise
  12. 12. Rolling Stoner
  13. 13. Don't Fucking Call Me
  14. 14. I'm Certain She's There
  15. 15. Street Fighter Blues
  16. 16. Mama Loves Her Son
  17. 17. Either Way
  18. 18. Blessings

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