laut.de-Kritik

Wolle zieht seine Lebensbilanz.

Review von

Wer als Wiesn-Fan dieses Jahr das Schwitzen im Bierzelt vermisst, bekommt von Wolfgang Petry jetzt einige Songs als Soundtrack fürs zünftige Trinken zuhause. Zum Beispiel "Kämpfer" mit hohem Mitsing-Faktor ab einem gewissen Grad Luftfeuchtigkeit. "Auf Das Leben" besteht aber aus mehr als nur künftigen Karaoke-Hooks, sondern ist ein richtig vielseitiges Album.

Bevorzugt zeigt es Wolles Vorliebe für Spät-80er-Classic-Synth-Rock- und Poser-Reminiszenzen. Etwa im Stomper "Von Vorne" und in der knackigen Nummer "Eine Sekunde": Die brilliert dank steiler Dramenkurve als allerfeinstes Bewerbungslied für ein potenzielles Musical im Stile der "Rocky Horror Picture Show".

Als Format für den autobiographisch inspirierten Rückblick wäre Petrys Ansatz reizvoll, wenn denn alle Tracks so schmissig wären. Die üppige Vielfalt und Quantität des Albums geht manchmal zu Lasten der Filigranität der Musik. Etwa dann, wenn es in "Ich Heiß Freiheit" Holzhammer-artig knattert. Auch die armselige Drum-Machine in "Sinn Des Lebens" müsste nicht sein, sie zielt wohl auf Schlager-Publikum und niedrige Ansprüche.

Im Kontrast dazu kommt "Rattenscharf" samt wirklich gutem Saxophon- und bluesy-poppigem Piano-Solo sehr authentisch rüber, wenn er am Kamener Kreuz im Stau steht (der Klassiker des NRW-Verkehrsfunks) und sich seiner Liebe zu Country und Rock'n'Roll besinnt. Im Bonus-Track lebt der 70-Jährige den Steve Winwood-Sound neun Minuten lang aus. "Rattenscharf - Das Längste Rauchersolo Der Welt" lässt auch Trompete, Klarinette und Gitarre längere Auftritte, während das Klavier in Hillbilly-Manier klimpert. "Ist das geil", grunzt Wolle mittendrin. Dieses Bekenntnis zu Mucke, die aus der Mode ist, finde ich richtig cool, spitze durchgespielt, mit einem Text, der einen klaren roten Faden verfolgt. Augenzwinkernd meint Petry, er habe lange Soli gern, weil er dann rauchen gehen könne.

Für die Stimme ist das natürlich nicht das Allerbeste; der Songwriter hat das Rauchen 2007 aufgegeben. Bei manchem hat die verrauchte Stimme was Kultiges, etwa bei Marla Glen oder Paolo Conte. Aber hier auf dem Album hakt's gesanglich. In "Liebe Ist Geil" zeigt sich: Wenn die Elastizität der Stimmbänder nicht genug trainiert ist, dann kann setzt Petry auch den Rhythmus des Boogie-Reggae-Pop nicht gut um. Der Vielseitigkeit dient so ein Beitrag trotzdem.

Wiederholt arbeitet der Künstler (der oft selbst textet) mit visuellen Eindrücken und Blickwinkeln. Er kreist in der Luft und ums Wasser, schaut nach oben (in "Adler": "ich schaue hoch hinauf (...) ich hebe ab und greife nach der Welt), geradeaus und nach unten (in "Sturzflug": "Durch ein altes, blindes Fenster / mit Blick hinaus aufs Meer / wo die Wellen niemals aufhören / schau ich hin, wie das Blut in meinen Adern niemals ruht (...) stehe hoch auf einer Klippe / (...) ich fliege jetzt mit dir zum Horizont / die Sonne berühr'n / wir fallen schweigend in die Tiefe"). Somit saugt er den Hörer zielstrebig in seine Lebensweisheiten und Fantasien hinein.

"Auch die schlechten Zeiten haben gute Seiten", meint er in "Ich Heiß Freiheit", versetzt sich hier in die Zeit, als er Anfang 20 war, über Serien eigener Fehler stolperte und sich mit mancher Person zerstritt. So wie in diesem Setting werfen alle Stücke jeweils den Blick auf einen Aspekt, der irgendwann in der Biographie mal bedeutsam war. Schwäche des Konzepts ist, dass dabei viele Binsenweisheiten durchrutschen. Den "Sinn Des Lebens" finde man in sich selbst, urteilt der Herr im hochgekrempelten Jeans-Hemd. Das Nette an Petrys Platte zeichnet sich derweil durch Bodenhaftung und Augenhöhe aus. Er ist nicht der Typus Schlager-Entertainer, der irgendwas besser wüsste oder das aalglatte perfekte Leben drauf hätte. Und er beweist hier in mancher Anspielung, dass er auch nicht nur-Spaß-Performer ist.

Etwa wenn es ihn schmerzt, dass es das Schulgebäude, an das er sich gerne zurück erinnert, samt der dort unvollendet gebliebenen Teenie-Romanze, heute nicht mehr gebe. Dort stehe heute ein Supermarkt (in "Auf Der Suche" und "Sinn Des Lebens"). In solchen Momenten verkörpert der Künstler einen von uns, während andere in seinem Metier vor allem den Eindruck erwecken, dass sie ihren Merch verticken wollen.

Damit 'Wechselhörerschaft' schon mal den ersten Schritt macht und hier überhaupt kurz reinhört, wird's wohl schwierig, das Image ganz abzustreifen. Substanz bringt der Musiker im Rentenalter dennoch ein: Den Acapella-Cut "Bestimmung", der den Longplayer in der Mitte auflockert, dann die verträumte und teils recht poetische Ballade "Wenn Die Liebe Nicht Mehr Weiterweiß" sowie das Paket an Schwofen-in-Lederjacken-Liedern ("Magisch", "Von Vorne", "Auf Dein Leben").

Tatsächlich sollte man die CD unter dem Aspekt 'Deutschrock'-Essentials mal testen. Dabei wird man ab und zu unrunden Reimen begegnen, musikalisch flache Phrasenbildung vernehmen und bei lyrischen Allgemeinplätzen zusammenzucken: "hingefallen, was gelernt", "manchmal weißt du nicht wohin / doch gib dich niemals auf" - für ihn sogar eine Kernaussage, extrahiert aus seiner gesammelten Lebenserfahrungen. Unterm Strich bleiben dennoch viele gute, prägnante Songs.

Trackliste

  1. 1. Kämpfer
  2. 2. Rattenscharf
  3. 3. Sinn Des Lebens
  4. 4. Ich Heiß Freiheit
  5. 5. Adler
  6. 6. Auf Dein Leben
  7. 7. Eine Sekunde
  8. 8. Liebe Ist Geil
  9. 9. Sturzflug
  10. 10. Von Vorne
  11. 11. Geboren Für Den Augenblick
  12. 12. Bestimmung
  13. 13. Wenn Die Liebe Nicht Mehr Weiterweiß
  14. 14. Magisch
  15. 15. Auf Der Suche
  16. 16. Rattenscharf - Das Längste Rauchersolo Der Welt

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