18. April 2008

"Verrückt, was heute alles Gothic heißt"

Interview geführt von

Warrel Dane ist ein vielbeschäftigter Mann. Mit Sanctuary hat er nach nur zwei Scheiben einen wahren Legendenstatus aufgebaut, und mit Nevermore veröffentlicht er schon seit Jahren ein bärenstarkes Album nach dem anderen.Dennoch fühlt sich der Sänger mit der Band allein nicht ausgelastet und legt dieser Tage mit "Praises To The Warmachine" sein erstes Soloalbum vor. Damit ist er aber nicht allein in seiner Truppe, hat Drummer Van Williams doch schon seit Jahren sein Nebenprojekt Pure Sweet Hell, und auch Gitarrist Jeff Loomis legt in nächster Zeit seine Soloscheibe vor.

Den ersten Termin für das Interview hat Warrel schlicht und ergreifend verschwitzt. Sein Terminkalender ist voll mit Interviews, und da der Mann einfach nicht der Typ ist, nach 20 Minuten ein Gespräch nur aus terminlichen Gründen zu unterbrechen, bleibt halt auch mal einer auf der Strecke. Blöd nur, dass ich das war, aber egal, denn Warrel meldet sich wenige Tage nach dem ersten Termin einfach aus Berlin, wo er gerade bei Roax Films Station macht, um die Arbeiten an der anstehenden Veröffentlichung der Nevermore-DVD zu begutachten. Allerdings hat sich der Mann in den letzten Tagen wohl eine Erkältung eingefangen und hustet mehrere Male recht feucht in den Hörer:

Warrel: Sorry, aber mit geht's gesundheitlich grad nicht so prickelnd. Habe eine Scheißerkältung und freue mich echt drauf, wenn ich wieder daheim bin und mich aufs Sofa knallen kann.

Kann ich mir vorstellen, lass uns aber trotzdem ein wenig über dein Soloalbum sprechen. In einem Newsletter wurdest du dahingehend zitiert, dass du auf der Scheibe endlich mal mehr Wert auf den Song an sich legen konntest und dass nicht alles immer so technisch ausfällt. Stört dich das bei Nevermore denn hin und wieder?

Nein, überhaupt nicht. Nevermore sind einfach Nevermore, da funktioniert alles genau so, wie wir uns das vorstellen. Nevermore haben wir vor Jahren mit dem Vorsatz ins Leben gerufen, keine musikalischen Kompromisse einzugehen. Das ist aber ein demokratischer Ablauf, und bei meinen Solosachen kann ich eben selber entscheiden, worauf ich mehr Wert lege. Jeff ist gerade an seiner Soloscheibe, die noch deutlich verrückter und technischer ausfallen wird, als alles, was er bei Nevermore spielt. Dafür sind Soloalben da, dass man die Sachen ausleben kann, die sonst ein wenig auf der Strecke bleiben.

Ich nehme mal an, dass du eine ganze Anzahl an guten Musikern und Songwritern kennst, warum hast du ausgerechnet Peter Wichers gefragt, ob er mit dir die Songs schreibt?

Als wir mit "Dead Heart In A Dead World" auf Tour waren, hatten wir Soilwork mit dabei. Peter hat damals noch bei ihnen gespielt, und wir freundeten uns sehr schnell an. Vor allem Peter und ich verstanden uns wirklich gut und wir haben uns damals schon darüber unterhalten, dass wir mal zusammen Musik machen sollten. Als ich dann tatsächlich daran ging, meine Ideen auszuarbeiten, war Peter der erste, der mir als Gitarrist und Songwriter in den Sinn kam. Als wir dann mit den Aufnahmen zu "This Godless Endeavor" fertig waren, rief ich ihn an und meinte: Ok, lass uns loslegen und sehen, was dabei herauskommt. Seitdem haben wir uns ständig irgendwelche mp3-Files hin und her geschickt, und selbst als wir mit Nevermore auf Tour waren, hatte ich an meinem Laptop die Möglichkeit, ständig an den Songs zu arbeiten. Das hat sich eigentlich über die letzten Jahre beständig dahin gezogen, und als wir schließlich mit allem fertig waren, sind wir ins Studio gegangen und haben die Sachen aufgenommen.

Wie hast du denn deine Ideen verwirklicht oder an Peter weitergegeben? Spielst du Gitarre?

Ja, aber wirklich mies (lacht), ich überlasse das lieber den Leuten, die das besser können als ich. Wenn ich meine Texte schreibe, entstehen dabei manchmal schon die ersten Melodielinien, aber das ist eher die Ausnahme. Ich habe Peter einige Ideen die ich hatte zugeschickt, aber er war hauptsächlich derjenige, der die Musik geliefert hat. Wir haben dann gemeinsam entschieden, was wir weiterverfolgen und was nicht.

Peter hat ja auch die Musik für den Nuclear Blast-Sampler "Out Of The Dark" geschrieben. Hast du den auch schon gehört?

Ja, ein paar Sachen, aber nicht alle. Was ich allerdings kenne, finde ich wirklich klasse. Der Mann ist einfach ein verdammt guter Songwriter und kann sich vor allem auch auf seine Sänger einstellen.

Das kann man wohl sagen. Überraschend ist dabei nur die Wahl eines Sisters Of Mercy-Covers. Warum ausgerechnet "Lucretia" und warum überhaupt die Sisters?

Because they deserved to be metalized (lacht). Ich stehe einfach schon seit meiner Kindheit auf Sisters Of Mercy und den Sound, den sie damals gemacht haben. Zu der Zeit habe ich genau so viel Gothic wie Metal gehört. Heutzutage kann man ja kaum glauben, was inzwischen alles als Gothic bezeichnet wird. Das kann man sich meist gar nicht mehr anhören. Damals war Gothic einfach noch ein richtig geiler Sound, von daher ist es für mich selbst jetzt nichts wirklich besonderes, dass ich mich für ein Sisters-Cover entschieden habe. Ich hab mir einach meinen Lieblingssong von der Scheibe gekrallt, auch weil ich schon immer das Gefühl hatte, dass die Nummer nach einer härteren Version verlangt. Mich würde wirklich interessieren, was die Jungs von unserer Version halten. Aber ich vermute mal, dass sie die nicht sonderlich mögen würden (lacht).

Was man so von den Herren hört, dürftest du mit deiner Einschätzung richtig liegen. Eldritch und Co. haben nur selten ein gutes Haar an anderen gelassen.

Stimmt, aber ich habe den Song ein paar Leuten vorgespielt, die wirkliche Die-Hard-Fans der Sisters sind, und sie mochten unsere Version. Das war für mich der wirkliche Test, und von daher bin ich sehr mit dem Song zufrieden.

Ihr habt den Song aber nicht dermaßen entfremdet, wie ihr es mit Nevermore und "Sound Of Silence" von der "Dead Heart In A Dead World"-Scheibe gemacht habt.

In dem Moment hustet sich der Mann gerade den linke Lungenflügel raus Sorry, ok, ich bin fertig mit dem Verrecken. Wie war die Frage? Ach so. Nein, das wollten wir auch auf keinen Fall. Matt Wicklung (Himsa), der zweite Gitarrist mit dem ich gearbeitet habe, hat sich der Metallisierung des Songs angenommen. Von ihm stammen insgesamt vier Songs und ich kenne ihn schon eine ganze Zeit lang, da er ja auch aus Seattle stammt, und es ist verdammt leicht, mit ihm zu arbeiten. Aber um deine Frage zu beantworten, "Sound Of Silence" war eine echt verrückte Nummer, und ich glaube, so was macht man nur einmal im Leben. Aber das war für "Lucretia" auch gar nicht das Ziel, wir wollten das Teil nur heavier machen.

"Nur ein Idiot würde versuchen, seiner Vergangenheit zu entkommen"

Ich denke mal, dass eine Menge Leute gehofft haben, dass du wie auf den alten Sanctuary-Scheiben wieder verstärkt auf deinen hohen Gesangsstil zurückgreifst.

Jahaha, das denke ich auch, aber hier gibt es nun das genaue Gegenteil (lacht). Ich finde es deutlich unterhaltsamer und für mich vor allem abwechslungsreicher, wenn man Leute noch überraschen kann.

Ein anderer Song, der für mich sehr schnell herausstach, ist "Brother". Das ist wohl einer der persönlichsten Texte, die ich je von dir gehört habe oder er könnte es zumindest sein. Ist er denn autobiografisch?

Ja, das ist er. Ich habe eine sehr seltsame Beziehung zu meinem Bruder, oder wenn wir ehrlich sind, dann ist es eigentlich überhaupt keine Beziehung. Ich habe das alles viele Jahre mit mir herumgetragen und nun musste ich mir das mal von der Seele schreiben. Als ich den Anfang der Nummer zum ersten Mal gehört hab, wusste ich sofort, um was es sich in dem Song handelt müsste, und die Worte flossen nur so aus mir heraus. Man hört das ja immer wieder von Musikern, dass das für viele so was wie eine Therapie ist, aber es fällt mir echt nichts anderes ein, um diesen Vorgang besser zu beschreiben. Es war wirklich, als wäre mir eine Last von den Schultern gefallen.

Sind alle deine Texte autobiografisch oder versetzt du dich auch immer wieder in die Lage von anderen Personen hinein, um dich zu artikulieren.

Beides, ich denke, dass jeder Sänger auch ein kleiner Schauspieler sein muss. Und wir alle versuchen ja auch immer wieder, irgendwo mal eine Filmrolle zu ergattern (lacht). In vielen der Texte auf meiner Scheibe finden sich autobiografische Elemente aber auch einige Dinge, die nur meiner Fantasie entspringen oder zu denen mit äußere Einflüsse inspiriert haben. Das ist ein ganz guter Mix aus beidem.

Mit "Equilibrium" habt ihr auch einen Song dabei, der meiner Meinung nach recht nah am typischen Nevermore-Sound liegt.

Ja, da gebe ich dir in gewisser Weise recht. Ich fand "Equilibrium" als Schlussnummer ganz gut, um auch ein wenig darauf einzustimmen, was als nächstes kommen wird. (Er meint wohl die nächste Nevermore-Scheibe, d.Verf.).

Siehst du Sanctuary eigentlich hin und wieder als Stachel im Arsch an? Du wirst doch bestimmt ständig nach denen gefragt.

Das werde ich auf jeden Fall, aber ein Stachel im Arsch ist die Band deswegen noch lange nicht. Sanctuary sind ein Teil meiner Vergangenheit und ich bin verdammt stolz darauf. Ich denke eher, dass vielleicht das eine oder andere ehemalige Bandmitglied die Band als Stachel im Arsch ansieht, aber die leben nun ein sogenanntes gutbürgerliches Leben. Ich habe auch auf meiner MySpace-Page einen Link zu einer Fanpage von Sanctuary. Ich habe die Zeit mit der Band sehr genossen und ich verstehe auch, warum so viele Fans sich die CDs nach wie vor anhören und auch nach den Songs fragen. Nur ein Idiot würde versuchen, seiner Vergangenheit zu entkommen oder sie zu verleugnen. Ich habe großen Respekt vor ihr.

Hast du dir vielleicht überlegt, eine Art Coverversion eines Sanctuary-Songs auf die Soloscheibe zu packen oder eine der Nummern neu einzuspielen?

Nein, das kam mir nie in den Sinn. Es könnte höchstens mal sein, dass wir irgendwann vielleicht mal einen Song live spielen, aber eine Neuaufnahmen oder ähnliches kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Wie ich ebenfalls auf deiner MySpace-Seite gesehen habe, wird Jim (Sheppard, Nevermore-Basser) Teil deiner Liveband sein. Du hast also vor, mit der Scheibe auch auf Tour zu gehen?

Eigentlich schon. Das wird natürlich nichts Exzessives mit Hunderten von Dates, aber ich bin momentan dabei, für den Herbst ein paar Shows zu planen. Wenn ich nächste Woche wieder in Seattle bin, werden wir auch mal Nägel mit Köpfen machen, was die Proben angeht.

"Headbanging kann sehr ärgerlich sein"

Um noch mal auf deine MySpace-Page zu kommen. Da hat man schnell den Eindruck, dass du eine gewisse Faszination für Masken hast.

Jahaha, auf jeden Fall. Ich sammle die Dinger

Wie viele hast du denn schon?

Oh, viel zu viele. Jedes Mal, wenn wir auf Tour sind, schleppe ich mindestens eine neue an. Als Kind hatte ich ganz schön Angst vor den Dingern. Vor allem diese Narrenmasken haben mir eine Heidenangst eingejagt. Keine Ahnung warum, aber ich habe mich tierisch vor den Dingern gefürchtet. Heute ist das anders, und ich bin nun mal der Meinung, dass jeder eine Maske vor sich her trägt, schon allein um sich zu schützen. Es macht mir einfach Spaß, diese Masken zu sammeln, und ich habe auch schon eine recht ansehnliche Sammlung von teilweise sehr kuriosen Sachen. Die wird aber außer mir nie jemand sehen (lacht).

Wenn wir gerade von Masken sprechen, muss ich daran denken, dass ich neulich erst die "Live After Death"-DVD von Maiden gesehen habe. Auf der Tour ist Bruce Dickinson doch auch mit dieser Federmaske aufgetreten, und als er im History-Teil dazu befragt wird, schämt er sich fast ein bisschen dafür.

Ja stimmt, ich erinnere mich sogar, bei der Show, die sie in Seattle gespielt haben, dabei gewesen zu sein. Diese riesige Federmaske hat er nur bei einem Song getragen, aber ich erinnere mich nicht mehr, bei welchem. Das war ihm echt peinlich? Wenn ich ihn mal treffe, muss ich ihn fragen, was aus der Maske geworden ist. Das wäre natürlich ein geniales Sammlerstück. Aber vielleicht kennt er auch ein paar gute Läden, in denen ich noch nicht war.

Wer weiß. Aber wie das letzte Summer Breeze Festival bestätigt hat, hast du nicht nur eine große Vorliebe für Masken, sondern seit ein paar Jahren auch für Baseball Caps. Das macht den Job als Fotograf nicht gerade leichter.

Das herzhafte Lachen geht wieder in einen Hustenanfall über Hey, das hält mir die Haare aus dem Gesicht, ist also sehr nützlich.

Ja, aber es hält auch sämtliches Licht aus deinem Gesicht, das ist ziemlich scheiße.

Ok, ist ein Argument, aber Headbanging kann sehr ärgerlich sein, wenn man sich die ganze Zeit die Haare aus dem Mund friemeln muss. Und außerdem sehe ich damit endlich mal sportlich aus (lacht).

Na toll ... kann ich dich eigentlich noch ein paar Sachen zu Nevermore fragen?

Klar, schieß los.

Ist Jim so weit wieder hergestellt? Er hatte ja auch gesundheitliche Probleme und war auf dem Summer Breeze Gig nicht mit dabei.

Ja, ihm geht's wieder gut. Er hatte eine Operation, aber jetzt geht's ihm schon wieder besser und er erholt sich gut davon. Wir haben vor kurzen erst ein Festival in Griechenland gespielt und er hatte keine Probleme oder Schmerzen.

Und was ist mit Steve?

Der ist schon eine ganze Weile nicht mehr bei uns. Auf dem Summer Breeze war ja noch Chris Broderick dabei, mit dem wir schon eine ganze Zeit lang auf Tour waren. Der ist aber jetzt bei Megadeth und verdient da ein gutes Stück mehr als bei uns. Die nächste Scheibe werden wir also wieder als Quartett aufnehmen, schließlich schreiben wir unsere Songs auch so. Eigentlich sind es meist nur Jeff und ich, die das Songwriting übernehmen. Sobald es wieder an die ersten Live-Auftritte geht, werden wir wohl über einen neuen Gitarristen nachdenken, aber momentan beschäftigt uns das nicht sonderlich. Wir konzentrieren uns lieber darauf, ein starkes neues Album zu schreiben.

Ihr seid also gerade an den Arbeiten zu einer neuen Scheibe?

Ja, zumindest wenn ich nicht gerade in Berlin bin, um an unserer DVD zu arbeiten. Ich hoffe, dass das Teil bis Ende Sommer fertig ist, kann aber nicht sagen, ob Century Media schon einen geplanten Release-Termin dafür haben. Haltet einfach die Augen und Ohren danach offen und natürlich auch nach meinem Album, dem Soloalbum von Jeff und der neuen Nevermore.

Und was ist mit Vans Pure Sweet Hell?

Oh, keine Ahnung. Ich glaube, er hat ein weiteres Album geplant, aber wie weit er damit ist oder wann das rauskommen soll, kann ich dir leider nicht sagen. Das musst du ihn selbst fragen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Nevermore

Seattle, bis heute Synonym für Grunge-Combos Marke Alice In Chains, Pearl Jam und bestenfalls noch Queensryche, schickt in den 80ern eine Metal-Band …

LAUT.DE-PORTRÄT Blanche

Geschwister, die eine Band gründen, gibt es nicht wenige. Ein Ehepaar, das gemeinsam musiziert, kommt schon seltener vor. Vermutlich weil die meisten …

Noch keine Kommentare