laut.de-Kritik

Abseits der Bling Bling-Fassade: Ein Streifzug durch die Profi-Studios und Produzenten-Wohnzimmer von L.A.

Review von

"Wir sind es uns schuldig, gute Platten zu machen. Musik ist der Soundtrack des Lebens." Wahre Worte beschließen den Dokumentarfilm, mit dem die beiden französischen Filmemacher Maxime Giffard und Felix Tissier zu einer - für Fans - überaus spannenden Reise hinter die Kulissen des kalifornischen Hip Hop-Geschehens einladen.

Nicht die oft gezeigte glitzernde Fassade stützt ihre "West Coast Theory". Ein Streifzug durch die Produzenten-Wohnzimmer und Profi-Studios von Los Angeles zeigt vielmehr Vorgeschichte, Hintergründe, Strippenzieher und - insbesondere - fleißige Handwerker. Nicht das fertige Produkt interessiert, sondern, wie der Untertitel verspricht, der Weg "Vom Beat zum Hip Hop".

Klar wirbt das Cover mit großen Namen. Ohne die Relevanz der Snoop Doggs, Will.I.Ams und Xzibits dieses Universums schmälern zu wollen: Um Welten packender gestaltet sich trotzdem, was diejenigen zu erzählen haben, die nicht jeden Tag ein Mikrofon unter die Nase gehalten bekommen.

Roger Linn zum Beispiel erfand die erste Drum Machine, die Hip Hop ganz neue Soundwelten eröffnete. Fredwreck, der euphorisch seine Instrumentensammlung präsentiert ("Wie viele Keyboards hast du?" - "A lot. In der Garage sind auch noch welche."), produzierte unter anderem Tracks für Snoop, 50 Cent, Ice Cube, aber auch - Berührungsängste sind für Anfänger, Fredwrecks G-Funk absolut für Profis - für Britney Spears.

Richard 'Segal' Hurieda, wohl der angesehenste Tontechniker im Geschäft, führt durch seinen Kosmos der Equalizer, Kompressoren und endlosen Regler-Landschaften in den Encore Studios. Sean Tallman, Sound Engeneer in Will Smiths Boom Boom Room und verantwortlich für den sauberen Klang von Nummern von Usher, Outkast, T.I., Trina "und all dieser Typen aus dem Süden", erzählt aus der Praxis. Darüber hinaus kommen Studio- und Live-Musiker zu Wort.

Es macht einfach Spaß, Menschen über ihren Job berichten zu hören, deren Profession zugleich Berufung darstellt. Erst recht begeistert es, Bastlern wie Evidence, DJ Babu, Muggs, Khalil oder Jelly Roll buchstäblich über die Schulter zu schauen, während unter ihren Händen und zwischen durchs Bild tollenden Kindern und Hunden Beats wachsen, die ihren Urhebern sichtlichen Produzentenstolz ins Gesicht treiben.

Nebenbei erschließt sich nahezu automatisch, was den Sound der Westcoast ausmacht, wie Landschaft, Klima und Mentalität der Menschen, aber auch technische Entwicklungen das Klangbild beeinflussen. "West Coast Theory" braucht keine überkandidelte Show, keine Effekte. Die Doku setzt auf stimmungsvolle Bilder, ansprechende grafische Aufbereitung im Monthy Python-Style und zeigt eine gerade im Hip Hop-Kontext selten zur Schau getragene angenehme Bodenständigkeit.

Der Streifen lebt in erster Linie von der Erfahrung, dem Wissen, dem Respekt, der Liebe seiner Protagonisten. Knowledge is king, weiß nicht nur Fredwreck: "Rapmusik ist Funk, Soul, Orchestermusik, Klassik - alles, auch Blues. Wenn du Rap verstehen willst, musst du Led Zeppelin kennen, James Brown, Queen ..." - und ohne Funk geht an der Westküste in etwa so viel, wie ohne cars, streets und lifestyle.

Das Publikum, das "West Coast Theory" anspricht, dürfte zahlenmäßig übersichtlich sein. Diejenigen, die nicht nur konsumieren, sondern vielleicht sogar selbst Hand anlegen möchten, erhalten aber eine aufschlussreiche Lehrstunde.

Angesichts der speziellen und spezialisierten Zielgruppe hat man es mit der penetranten Untertitelung vielleicht ein wenig zu gut gemeint. "Snare drum" hätte ich beispielsweise schon auch verstanden, ohne dass man es - festhalten! - in "Schnarrtrommel" übersetzt.

Die Erklärungen geraten zuweilen ein wenig Sendung-mit-der-Maus-mäßig. Auch entführt der eine oder andere Studiotrip unbestritten in Nerdwelten. Doch gerade dieser Blick auf unglamouröses, durchaus versponnenes Handwerk eröffnet sich einem nicht alle Tage.

"Ich will, dass meine Musik weiter schallt. Nicht die Lautstärke, sondern wie man sich dabei fühlt", erklärt Snoop Dogg zu Beginn. Wie das geht, demonstrieren die Jungs in "West Coast Theory".

Trackliste

  1. 1. 100% West Coast
  2. 2. Der Sound
  3. 3. Der Beat
  4. 4. Der Funk
  5. 5. Drumcomputer
  6. 6. Musiker
  7. 7. Computer & Software
  8. 8. Die Krise
  9. 9. Computeraufnahmen
  10. 10. Studios / Heimstudios
  11. 11. Mastering
  12. 12. Zusatzmaterial

2 Kommentare