laut.de-Kritik

Als Reggae noch Relevanz besaß.

Review von

In ihrem Exil wies Miriam Makeba immer wieder auf die Ungerechtigkeit des Systems in ihrer Heimat Südafrika hin. Doch nicht nur sie, eine beeindruckende Zahl an Artists befasste sich vor allem in den 1980er Jahren mit der Problematik der "Homelands", der Ausweisung von Menschen in ethnisch zersplitterte, getrennte Bezirke. Die von der Regierung verordnete Trennung entlang von Hautfarben und Sprachen provozierte die Wut und das Engagement von Musikern in England, den USA oder auch Jamaika.

Gerade im Reggae hatte das Thema eine Zeitlang hohe Priorität. Die Compilation "Reggae Mandela" bietet davon einen Ausschnitt. Zu fairem Preis bündelt das Label VP hier ausschließlich Songs, die den inhaftierten Nelson Mandela, seine Frau Winnie, Mandelas Gegenspieler Botha und das Unterdrückungs-Regime Südafrikas der 1950er bis '80er Jahre in Songtitel und Text thematisieren - aber auch die Freilassung Mandelas und seine Rolle als Präsident in den '90ern feiern.

Musikalisch bringt die Selection etliche Raritäten hervor, vergessene Interpreten der Rasta Music, einige damals recht neue Artists wie Hopeton Lindo, Shabba Ranks und Bounty Killer, die den Esprit der Dancehall-Welt in den frühen 90ern spiegeln. Der Auslöser der internationalen Kritik am Regime war die blutige Niederschlagung des so genannten Soweto-Aufstands 1976, für die afrikanische Geschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts in etwa so symbolisch wie der Prager Frühling für die europäische. Dem Thema Soweto widmet sich der älteste Song des Samplers, "Harold Butler & The Four Corners - Crying In Soweto".

Überwiegend treffen hier Songs zusammen, die über dem Durchschnitt des Reggae-Genres liegen, oft sogar weit darüber, wie bei "Junior Murvin - Apartheid" und "Johnny Osbourne - Wipe Out Apartheid". (Junior Murvin war mit Lee Perry der Autor von "Police & Thieves", später ein Hit für The Clash.) Murvin wie auch Johnny Osbourne fallen mit ihren jeweils hohen Stimmen und ihrem exakten Gesang auf. Eines der Highlights, "Sugar Minott - A Letter To Nelson Mandela", lässt tiefe persönliche Betroffenheit durchscheinen, stellt sich einen Brief an Mandela vor, den er ins Gefängnis absendet, und unterstreicht seinen klugen wie berührenden Text mit Echo-Soundeffekten und Keyboard-Spielereien.

Um zu verstehen, was einem der Sampler sagen soll, drehen wir die Uhr zurück und schauen auf den Teil der Geschichte, der nicht direkt mit Reggae zu tun hat und auf diesem Sampler auch nicht enthalten ist. Südafrika und Musik, da denkt man meist an Paul Simon. Bereits vor ihm, 1983, begann eine neue Zeitrechnung. Der in Südafrika geborene und aufgewachsene Keyboarder Manfred Mann, der zum Studium nach London auswanderte, macht '83 eine scharfe und einschneidende Konzeptplatte unter dem Titel "Somewhere In Afrika" – die Cover-Abbildung zeigt die bizarre Einteilung des Staates in die 'Homeland'-Zonen.

Manfred Mann nutzte einheimische Sprachen wie Zulu, die Sprache mit den Klicklauten, und er covert Bob Marleys "Redemption Song" in einer herzzerreißenden Weise als 10-minütiges Rock-Opus mit den Stimmen der Unterdrückten. Zeitgleich veröffentlicht Wahl-Zulu Johnny Clegg sein erfolgreiches Album "Scatterlings" mit Jive-Rhythmen. Ab dann ging's Schlag auf Schlag, vor allem in den Rasta-Genres. The Specials ("Free Nelson Mandela"), Eddy Grant ("Gimme Hope Jo’anna" = Give Me Hope, Johannesburg), Inner Circle ("One Way" = Einbahnstraße), Steel Pulse ("State Of Emergency" = Notstand), Janet Kay ("No Easy Walk (To Freedom))", Paul Simon ("Graceland"), Simple Minds/Peter Gabriel ("Biko"), Simple Minds ("Mandela Day"), The Kinks ("UK Jive") - die Liste der Engagierten aus Pop, Rock, Reggae und Ska ist jenseits dieses Tributes hier schon lang.

Politische Funktion übernehmen das Roots- und Dancehall-Genre in den späten 80ern in vorbildhafter Weise. Eine Art Plot durch die Themen, darunter so spezielle wie der Panafrikanismus (die Idee der Afrikanischen Union), lenkt den Hörer durch den Sampler. Auch die Musikdramaturgie funktioniert aber gut, und die Songs bauen angenehm aufeinander auf. Mandela-Motive zieren das schöne, bunte Digipak-Booklet. "Reggae Mandela" vereint fordernde Lyrics. Manche der kantigen, scharfen Tracks richten sich an und gegen die damalige britische Verwaltung. Die Person P.W. Botha steht beispielhaft für das Unrecht, und gegen den Hardliner engagieren sich "Cocoa Tea - President Botha", "The Mighty Diamonds - Mr Botha", "The Mighty Diamonds - Real Enemy" und "Jimmy Cliff & Josey Wayles - Pressure On Botha".

Für Zivilcourage stehen auch die "Mystic Revealers - Mash Down Apartheid": "Ich reiße das System ein, wenn sich sonst keiner drum kümmert.", heißt es im Text. Der hymnische Tune, der zunächst recht verhalten anläuft, erweist sich als kraftvolle, dynamische Aufnahme mit sehr präsentem Gesang, wie bei dieser Band üblich. Die Mystic Revealers schaffen es 1995 sogar einmal aufs deutsche Summerjam-Festival, wechseln aber später ins Cannabis-Geschäft (als die jamaikanische Regierung den Anbau offiziell erlaubt). History-Sampler sorgen ja auch für Nostalgie, und mit solchen Fundstücken ganz sicher, denn die Revealers erweisen sich als klarer Verlust für die Szene. "Mash Down Apartheid" steht für das gesamte Konzept des Samplers - politische Songs erschöpfen sich nicht im An- und Beklagen oder bloßen Dokumentieren. Sondern hier hört man Aktivismus mit attraktivem Antlitz! "Mash Down Apartheid" - das mag auch heute in segregierten nord- und lateinamerikanischen Mega-Cities gelten, in denen sich zwischen Hautfarbe und Wohngegend enge Korrelationen messen lassen; zu denken wäre hier an Chicago oder Salvador da Bahia.

Einige Tracks fände man anderenfalls gar nicht mehr, so den Schlusstitel. Viele müsste man sich mühsam zusammenklauben und würde dann für einen Track auf einer raren Vinyl-45 so viel wie für alle 36 Tracks investieren. Diese Musik erhöhte den Druck auf die von England ferngesteuerte Administration durch erhöhte Präsenz in den europäischen Massenmedien. Letztlich liegt darin ein Kern aller Reggae-Musik, die nach dem Tod Bob Marleys 1981 bis heute nach einer neuen Leitfigur sucht: Marleys Erbe besteht darin, sich mittels der Songtexte einzumischen und Spaltungen der Gesellschaft entgegenzuwirken. Und nie zu vergessen, dass Afrika auch noch da ist.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Mighty Travellers - South Africa
  2. 2. Frankie Jones - Free South Africa
  3. 3. Half Pint - Freedom Fighters
  4. 4. Johnny Osbourne - Wipe Out Apartheid
  5. 5. Sugar Minott - Nah Go To South Africa
  6. 6. Mystic Revealers - Mash Down Apartheid
  7. 7. Yami Bolo - Free Mandela
  8. 8. Snowman - Black Heroes
  9. 9. Junior Murvin - Apartheid
  10. 10. Carlene Davis - Winnie Mandela
  11. 11. The Mighty Diamonds - Mr Botha
  12. 12. Charlie Chaplin - Free Africa
  13. 13. Sugar Minott - A Letter To Nelson Mandela
  14. 14. Harold Butler & The Four Corners - Crying In Soweto
  15. 15. Alpha Blondy - Apartheid Is Nazism
  16. 16. Aswad - Set Them Free
  17. 17. UB 40 - Sing Our Own Song
  18. 18. Jimmy Cliff & Josey Wales - Pressure On Botha

CD 2

  1. 1. Junior Delgado - Hanging Tree
  2. 2. The Mighty Diamonds - Real Enemy
  3. 3. Cultural Roots - Get Up Stand Up
  4. 4. Cocoa Tea - President Botha
  5. 5. Admiral Bailey - Bawling For Mandela
  6. 6. Danny Dread - Gun Shot Fi Botha
  7. 7. Flourgon - Africa Don't Worry
  8. 8. Shabba Ranks - Mandela Free
  9. 9. Barrington Levy - Mandela You're Free
  10. 10. Tony Rebel - Mandela Story
  11. 11. Dennis Brown & Cocoa Tea - Shepherd Be Careful
  12. 12. Hopeton Lindo - The Word
  13. 13. Brian & Tony Gold - Can You
  14. 14. Bounty Killer - Prophecy Fulfil
  15. 15. Carlene Davis - Rise Up President Mandela
  16. 16. Beenie Man - Steve Biko
  17. 17. Clive Hylton - Mr Mandela African Hero
  18. 18. Carlene Davis - Thank You Mr Mandela

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