laut.de-Kritik

Drei 'neue' Bowie-Songs als Bonustracks des Musicals.

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Jeder, der in irgendeiner Form an David Bowies letzten Projekten beteiligt war, hat aus naheliegenden Gründen eine zu Herzen gehende Geschichte zu erzählen. 2014 begann der Sänger noch vor seiner Krebs-Erkrankung die Arbeit am Musical "Lazarus" mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh. Erst später berief er seine neue Jazz-Band zusammen, um das Album "Blackstar" aufzunehmen, auf dem ebenfalls ein Song namens "Lazarus" vertreten ist.

Dass diese Projekte ansonsten wenig miteinander zu tun hatten, untermauert auch die Anekdote von "Blackstar"-Saxofonist Donny McCaslin: "Er arbeitete meistens von 11 bis 16 Uhr mit uns am Album und lief dann eine knappe Meile weiter zu den Theaterproben. Er erzählte uns kein Wort davon, erst gegen Ende der Aufnahmen. Ironischerweise ist Henry Hey ein Freund von mir. Wir haben also gleichzeitig mit Bowie an einem Projekt gearbeitet und keiner wusste vom anderen."

Produzent und Pianist Henry Hey, der Bowie schon auf "The Next Day" im Vorjahr unterstützte, fand nach eigenen Worten schnell Gefallen am Drehbuch, das als Sequel lose an Bowies 1976er Film "The Man Who Fell To Earth" anknüpft. Wahrscheinlich hatte Hey zum damaligen Zeitpunkt aber auch keinen blassen Schimmer, dass Bowie Interesse an einem neuen Studioalbum haben könnte, denn nach eigenen Angaben hätte er "bei allem mitgemacht, was David vor hatte".

Und David wollte nun mal ein Musical mit vielen Hits, aber auch einigen Insider-Tracks, für deren Bühnenausgestaltung er Hey beauftragte. Wichtig war ihm, dass am Ende kein fantasieloses Jukebox-Musical à la "Mamma Mia!" von ABBA herauskommt. Am 7. Dezember 2015 feierte das zweistündige Stück "Lazarus" in einem vergleichsweise kleinen Off-Broadway-Theater in New York Premiere. Den Außerirdischen Thomas Jerome Newton verkörperte Schauspieler Michael C. Hall, bekannt aus "Dexter" und "Six Feet Under". Insgesamt ein schwieriges Unterfangen: Halls Stimme muss sich an Bowies messen, Heys Bühnenstücke an den Originalversionen. Was genau Bowie so faszinierend an der Musicalidee fand, bleibt unklar, aber bekanntlich hatte er bis dato einfach noch keines gemacht.

Das Londoner Kings Cross Theater zeigte Interesse am Stück und am 11. Januar 2016 trafen sich Musiker und Musical-Besetzung im Studio, um mit den Aufnahmen für den Soundtrack zu beginnen. Dort erfuhren sie von Bowies Tod am Vorabend. Es ist aus werbetechnischer Sicht nachvollziehbar, wenn die Pressetexte zum Soundtrack nun den "emotionalen Faktor" der hier vorliegenden Aufnahmen hervorheben. Vornehm ist es sicher nicht.

Zwar erreichen die Versionen selten das theatralische Mummenschanz-Level, auf dem Pop- und Rock-Musical-Adaptionen in der Regel operieren. Alles überstrahlen aber die drei bislang unveröffentlichten Bowie-Songs "No Plan", "Killing A Little Time" unud "When I Met You", die wohl nur deshalb nicht auf "Blackstar" gelandet sind, weil Bowie sie eigens für das Musical komponiert hat.

"No Plan" ist der atemberaubendste Song und wäre locker in den Top 3-Songs von "Blackstar". Allein Bowies Textzeilen jagen einem Schauer über den Rücken: "Here, there's no music here / I'm lost in streams of sound / Here, am I nowhere now? / No plan", dazu der kriechend-wabernde Jazz im Stile des Songs "Blackstar" - Töne, Harmonien, diese einmalige Stimme, das Wissen um Bowies damalige Kenntnis seines Gesundheitszustands, das alles drückt in diesem knapp vierminütigen Melancholie-Schauer mit Wucht gegen die Tränendrüsen. Das gerade im direkten Kontrast grobschlächtig wirkende "Killing A Little Time" weckt aufgrund der Gitarrenwände ein wenig alte 80er Rock-Assoziationen, hält aber einige wundersam schiefe Akkordwechsel bereit und unterstreicht Bowies späte Experimentierfreude am Wandeln im strukturlosen Raum.

Dagegen wirkt "When I Met You" geradezu altmodisch, Strophe, Bridge, Refrain, Strophe, Bridge, Refrain, alles wie man es kennt. Der Song hätte auch auf "The Next Day" gepasst. Der Musical-Score richtet sich derweil an all jene, die entweder das Stück schon gesehen haben, an Coverversionen große Lebensfreude empfinden oder einfach nur wissen wollen, ob dieser Hall singen kann. Kann er fraglos. Man höre nur seinen Vortrag im irrlichternd abgedrehten "It's No Game" vom "Scary Monsters"-Album (inklusive Robert Fripp-Gitarre), das hier voluminös geerdet klingt. Doch bei allem Respekt: Auch wenn Michael C. Halls Range, wie man bei The Voice Of Germany sagen würde, wirklich beeindruckt, fällt doch auf, wie sehr Bowies großen Songs Bowies große Stimme fehlt.

Wenn er nicht so weit hoch muss, klingt Hall weitaus besser, etwa in "Lazarus", in dessen Refrain der weibliche Backgroundchor ein schönes neues Element darstellt. Sophia Anne Caruso hat als Frau da schon eine größere Distanz zum Originalinterpreten und verwandelt "This Is Not America" in eine träumerische Ballade. Dass hier wie in "Life On Mars?" eine 15-Jährige singt, ist schon recht phänomenal.

"The Man Who Sold The World" wird analog zur 1995er Version in eine Art Ambient-Remix wattiert, das ohnehin zum Weinen traurige "No Plan" erwacht in den Händen der Band und Sophia Anne Carusos Stimme zu einem spannenden neuen Leben, während sich die 31-jährige Cristin Milioti so angenehm wie unnötig durch "Changes" oder "Always Crashing In The Same Car" heathernovat. Bei aller dem Genre 'Musical-Soundtrack' geschuldeten Redundanz rettet in erster Linie die perfekte Band des "Blackstar"-Albums diese Vorstellung und legt damit nahe, weshalb sich David Bowie am Ende seines Lebens dieser oft angefeindeten und generell auf Broadwayproduktionen ausgerichteten Kunstform noch widmen wollte.

Trackliste

CD1

  1. 1. Hello Mary Lou (Goodbye Heart) – Ricky Nelson
  2. 2. Lazarus
  3. 3. It's No Game
  4. 4. This Is Not America
  5. 5. The Man Who Sold The World
  6. 6. No Plan
  7. 7. Love Is Lost
  8. 8. Changes
  9. 9. Where Are We Now?
  10. 10. Absolute Beginners
  11. 11. Dirty Boys
  12. 12. Killing A Little Time
  13. 13. Life On Mars?
  14. 14. All The Young Dudes
  15. 15. Sound And Vision
  16. 16. Always Crashing In The Same Car
  17. 17. Valentine's Day
  18. 18. When I Met You
  19. 19. Heroes

CD2

  1. 1. Lazarus (Blackstar Version)
  2. 2. No Plan
  3. 3. Killing A Little Time
  4. 4. When I Met You

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