laut.de-Kritik

Einschlafen unmöglich!

Review von

Ein Silvester-Auftritt mit Sleater-Kinney und Wilco im New Yorker Madison Square Garden, ein neuer Song für den Spongebob-Soundtrack, eine aus 400 Stunden Material runter editierte, garantiert tolldreiste Doppel-DVD-Produktion ("The Fearless Freaks") und im Herbst ein Auftritt auf einem Dampfer, der unter dem Motto "Groove cruise of the pacific" drei Tage lang von Los Angeles nach Ensenada/Mexiko schippert; die Flaming Lips kommen einfach nicht zur Ruhe.

Was sich der Oklahoma-Dreier aber reinpfeift, wenn er eben doch mal alle Fünfe grade sein lässt, war - zumindest in audiophiler Hinsicht - bislang unbekannt. Nach Kollegen wie Jamiroquai und Nightmares On Wax öffnen nun auch die Flaming Lips für die Reihe "Late Night Tales" ihren Plattenschrank und bestücken einen Sampler mit mehr oder minder bekannten Schätzen, die einen zumindest nicht im Geringsten ans Einschlafen denken lassen.

Sind solche Sampler oftmals nicht mehr als halbwegs interessante Verweise auf die Vorlieben der eigenen Lieblingsbands, man erinnere sich an New Orders "Back To Mine"-Auswahl, wandelt das Lips-Set trotz mutiger Brüche durchgehend sicher auf dem schmalen Grat zwischen Atmosphäre, Extravaganz und Stringenz. Ganz klar: Hier wurde in der Vorbereitung nächtelang zusammen gesessen, mit Lieblingsranglisten um einzelne Songs gekämpft, und die 19 endgültigen Nummern in eine herrlich somnambule Reihenfolge gebracht.

Nachdem Geysir-Gazelle Björk mit "Unravel" das Bett zart vorwärmt, lassen die US-Weirdos wie von Zauberhand die einzigartig weiche Jazz-Trompete von Miles Davis in die Federn gleiten. Der schwer assoziative Song "My Ship" stammt vom '57er Werk "Miles Ahead", der ersten Zusammenarbeit zwischen Davis mit Gil Evans, und eigentlich will man schon hier nichts anderes als Jazz mehr hören. Nach einer kleinen Akustikgitarren-Ruhepause mit Chris Bells "Speed Of Sound" kommen mit Faust erste Störgeräusche auf, obwohl der Wümme-Track "It's A Bit Of A Pain" für die Krautrock-Oldies glatt als Popsong durchgeht.

Von Roxy Musics Humphrey Bogart-Hommage "2HB" aus den 70ern über die 90er-Indierocker Alfie landet man urplötzlich in den Händen des grimmigen Elektro-Wizards Aphex Twin; so wagemutig, so stimmig. Bevor die Lips ihre recht laute Acid-Version des White Stripes-Klassikers "Seven Nation Army" auf den Hörer loslassen, sorgt der Chameleons-Song "Up The Down Escalator" vom Hammeralbum "Script Of The Bridge" (1983) für Partyfeeling.

Als Überleitung zur finalen Gitarrenrunde zwirbeln die Chemical Brothers Beats aus alten "Exit Planet Dust"-Zeiten, danach gibts herrlich Akustisch-Psychedelisches von Love & Rockets (Gothics wissen: der Bauhaus-Nachfolger), den Psychedelic Furs, Sebadoh (super!), Nick Drake, und, nach diesem Mind-Trip irgendwie obligatorisch, Radioheads "Pyramid Song". Dass man schließlich bei 10 CCs nicht gerade taufrischem Heuler "I'm Not In Love" ebenso gebannt bei der Sache bleibt, obwohl man diese Nummer im Formatradio seit eh und je sofort wegdrückt, stellt die Flaming Lips'schen Fertigkeiten abschließend auf einen annähernd gottgeichen Sockel. Wann kommt die Doppel-DVD? Wo ist Los Angeles? Ich will hier weg!

Trackliste

  1. 1. Björk - Unravel
  2. 2. Miles Davis - My Ship
  3. 3. Chris Bell - Speed Of Sound
  4. 4. Faust - It's A Bit Of A Pain
  5. 5. Roxy Music - 2HB
  6. 6. Alfie - People
  7. 7. Aphex Twin - Flim
  8. 8. Mice Parade - Galileo
  9. 9. The Chameleons - Up The Down Escalator
  10. 10. The Flaming Lips - Seven Nation Army (exclusive)
  11. 11. The Chemical Brothers - Playground For A Wedgeless Firm
  12. 12. Love & Rockets - Saudade
  13. 13. Lush - Monochrome
  14. 14. Psychedelic Furs - Sleep Comes Down
  15. 15. Nick Drake - River Man
  16. 16. Sebadoh - On Fire
  17. 17. Radiohead - Pyramid Song
  18. 18. 10cc - I'm Not In Love
  19. 19. Brian Eno - Another Green World
  20. 20. David Shrigley - The Jist (exclusive spoken word)

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