laut.de-Kritik

Das Mutterland groovt wie Sau.

Review von

Für das Ausgraben, Aufpolieren und Wieder-Zugänglich-Machen verloren geglaubter Schätze hätte man bei Strut längst mehr als einen Orden verdient. Für die Neuauflage von "Afro Rock Vol. 1" verdient das Londoner Label ebenfalls Dank. Die ganzen Lorbeeren gebühren in diesem Fall aber einem anderen Engländer: Duncan Brooker.

Er veröffentlichte die vorliegende Compilation bereits Anfang 2001 auf seinem eigenen Label Kona Records: eine Sammlung gediegener Afro-Funk-Perlen, die niemals zu europäischen Ohren durchgedrungen wäre, hätte Brooker sie nicht vor Staub, Hitze und Misshandlung bewahrt.

Die Geschichte dieses Trüffelschweins liest sich wie ein Abenteuerroman: "Als ich 16 Jahre alt war, stieß ich auf ein Album des nigerianischen Musikers Fela Kuti", erinnert sich Brooker gegenüber dem Guardian an die Anfänge seiner Besessenheit.

"Es erschien mir tiefsinniger, spiritueller und musikalisch umfassender als alles, was ich je zuvor gehört hatte. Ich wusste, es muss noch mehr davon geben. Ein derart wundervolles Album nimmt man nicht in der Isolation auf."

Mitte der 90er verschlägt es Brooker der Arbeit wegen nach Kenia. Anschließend bleibt er mehrere Monate, um seiner Sammelleidenschaft zu frönen, und rettet rares Vinyl aus den 60er und 70er Jahren nach Europa hinüber. "Ich habe nicht wirklich realisiert, was ich da besaß, bis ich im Haus meiner Eltern meine Mitbringsel sortiert habe."

"Wenn ich schon immer geglaubt hatte, Afrika hat eine Menge mehr Musik hervorgebracht als Fela Kuti - nun hatte ich den Beweis: Hunderte von Alben und Singles mit Material, das in der westlichen Welt noch niemand zu Ohren bekommen hat."

Die Qualen bei der Auswahl der Tracks für "Afro Rock Vol. 1" möchte ich mir noch nicht mal vorstellen. Brooker pickte aus den Massen elf Nummern. Bei Strut fügte man der Original-Complilation noch ein unbetiteltes, ungeheuer hypnotisches Stück von Jingo hinzu.

Stimmungsvoll klammern so nun zwei Jingo-Tracks den vielseitigen akustischen Querschnitt durch die 60er und 70er Jahre in Kenia, Zaire und Nigeria ein: "Heavy Heavy Heavy" darf getrost zum Schlachtruf erkoren werden, obwohl Geraldo Pinos soulige Stimme im üppigen Instrumentengewimmel eher Nebensache bleibt.

Schiebende, unwiderstehliche Grooves regieren das Geschehen. Treibende Percussion und verführerische Basslinien bilden das Herzstück, aus dem sich hier eine Flöte, da eine Gitarre, eine Orgel oder die spacigen Klänge einer Ätherwellengeige erheben. Die musikalische Ausgestaltung fällt derart reichhaltig aus: Es fällt erst im Nachhinein auf, dass mehr als eine Nummer die Zehn-Minuten-Marke knackt.

K. Frimpongs tragischer, klagender Gesang in "Kyenkyen Bi Adi M'Awu" macht deutlich: In Herzensangelegenheiten existieren zwischen den Kontinenten keine Unterschiede - "Because of money somebody taken my baby from my heart." Schweinewelt, weltweit.

Die bewegten Geschichten der geschundenen Schallplatten, die Brooker vorlagen, erklären die Schwankungen in der Soundqualität. "Heavy Heavy Heavy" oder "Okuza" weisen zum Beispiel unüberhörbare Gebrauchsspuren auf.

Dem Zauber und der Begeisterung, die aus "Afro Rock Vol. 1" nur so sprühen, tun diese keinen Abbruch. Schon kurz nach der Veröffentlichung war der Sampler vergriffen. Strut Records bieten eine neue Chance, eine Tür zu einer ganz anderen Art von Weltmusik aufzustoßen und zu erkennen: Das Mutterland groovt wie Sau.

Trackliste

  1. 1. Jingo - Fever
  2. 2. Geraldo Pino & The Heartbreakers - Heavy Heavy Heavy
  3. 3. Steele Beauttah - Africa
  4. 4. Mercury Dance Band - Envy No Good
  5. 5. Dackin Dackino - Yuda
  6. 6. K. Frimpong & His Cubano Fiestas - Kyenkyen Bi Adi M'Awu
  7. 7. Orchestra Lissanga - Okuzua
  8. 8. Super Mambo 69 - Sweeper Soul
  9. 9. Yahoos - Mabala
  10. 10. Bokoor Band - Onukpa Shawarpo
  11. 11. Nkansah And Yaanom - Pem Dwe
  12. 12. Jingo - Untiteled

Noch keine Kommentare