6. April 2010

"Mal sind wir witzig, mal nur bescheuert"

Interview geführt von

Für die Aufnahmen von "Das Island Manöver" zogen sich Turbostaat in die friesische Einöde zurück, um sich ganz auf sich selbst zu besinnen. Was dabei heraus kam und warum Major-Labels eigentlich gar nicht so schlimm sind, erzählten Jan Windmeier (Sänger) und Rotze Santos (Gitarre) im Interview.Berlin, Kreuzberg. Unweit der Interviewlocation wird gerade weitläufig die Gegend evakuiert. Eine bei Bauarbeiten entdeckte, 250 kg schwere Fliegerbombe stoppt S-Bahnen und Nahverkehr, der Straßenverkehr in der Gegend bricht vollkommen zusammen.

Aber davon bekommt man im Warner Music Office Berlin nichts mit. In einem kleinen Räumchen stehen Jan Windmeier (Sänger) und Rotze Santos (Gitarre) fürs Interview bereit. Hinter ihnen hängen Goldene Schallplatten von Madonna, Rolling Stones und Konsorten lieblos an die Wand geklatscht.

Ihr habt euch für euer neues Album in die friesische Einöde nach Fresendelf zurückgezogen. Wie wars denn?

Jan: Beschaulich und genau das Richtige für uns. Es ist nicht so weit von der Homebase entfernt, aber schon so weit in der Einöde Richtung Nordsee, dass man keine Handy und e-Mail Verpflichtungen hat, keinen Postkasten, keine Familie die dazwischen haut. Also das Besinnen auf uns fünf und von morgens bis abends, egal wann man will, Musik machen können. So wars in Fresenhagen ...

Rotze: Fresendelf!

Jan: Fresendelf, Entschuldigung.

Rotze: Fresenhagen, das ist Ton Steine Scherben. Das ist etwa 60 - 70 km entfernt von Fresendelf. Rio Reiser ist da begraben.

Ach echt?

Rotze: Ja, das ist inzwischen ein richtiger Wallfahrtort. Aber Fresendelf hatte wirklich den Vorteil, dass es uns unheimlich entschleunigt hat. Das ist genau das Richtige gewesen, um sich wieder auf das zu konzentrieren, worum es geht. Nämlich, sich neue Musik auszudenken.

Hab ihr das gebraucht, oder war es eher eine spontane Idee?

Jan: Rückblickend würde ich schon sagen, wir haben es gebraucht.

Rotze: Wir haben es gebraucht und das war auch von Anfang an so gedacht. Wir sagten uns, wenn wir die Konzerte Ende 2008 fertig gespielt haben, dann machen wir traditionell Weihnachten, Neujahr und einen halben Monat im Januar Urlaub. Und dann war klar, gen Februar 2009 wollen wir damit anfangen und haben uns das Jahr mehr oder weniger Konzert-frei gehalten, damit wir anfangen konnten, uns neue Lieder auszudenken. Wir haben uns dann vorgenommen, in so ein Probehaus zu fahren. Das hat uns wirklich auch sehr gut getan.

Außerdem habt ihr das Album diesmal geplant, anstatt wie sonst einfach drauf los zu spielen?

Jan: Ja, in der Vergangenheit war man immer auf Tour und hat irgendwann ab und zu ein Lied gemacht und sobald genug zusammen waren, hat man eine Platte gemacht. Wir wussten, dass wir uns ein bisschen neu erfinden müssen. Man kann nicht noch mal die "Vormann Leiss" aufnehmen. Da war in uns allen noch eine Leere, vornehmlich auch im Marten, der ja auch einen großen Anteil an den Songs hat. Und man dachte, wir schreiben nie wieder ein Lied, da kommt irgendwie nichts raus.

Also wir haben uns nicht hingesetzt und einen Masterplan gemacht. So nach dem Motto, wir brauchen jetzt son Stück, so eins und so eins auf der Platte. Aber die Stimmung in Fresendelf hat man halt aufgesaugt und dann wurde es alles ins Laufen gebracht. Die Grundsongstrukturen wurden da jedenfalls ausgedacht.

Rotze: Das ist jedenfalls kein Konzeptalbum, wo man sich sagt, denken wir Musik mal zu Ende. Das ist zu weit gegriffen, aber wir haben uns einfach wieder so auf uns besonnen. Auf uns fünf, worum es ja eigentlich geht in der Band, zusammengeschlossen in einem Haus. Das bedeutet, erst mal knackt man mal aus, steht auf, frühstückt gemeinsam. Die mit seniler Bettflucht haben schon Brötchen geholt mit dem Auto und wenn die Zeitung ausgelesen ist, steht man auf, stellt sich ins Wohnzimmer und fängt an, Musik zu machen.

Irgendwann wird dann Mittag gekocht, danach weitergespielt, und dann Abend gegessen. Und mit der Abendschwere, nach dem Essen, haben einige ihre Wii gedaddelt, die hatten wir dabei, oder Filme geschaut, und dann ist man so um 11 Uhr vielleicht noch mal ins Wohnzimmer gegangen und hat wieder rumgemacht.

Das ist halt anders als im Flensburger Proberaum. Da trifft man sich zu ner bestimmten Zeit, fängt an zu spielen und irgendwann sagt der erste, dass er langsam keine Lust mehr hat, der nächste muss sein Kind vom Kindergarten abholen, der nächste will zum Abendbrot daheim sein. So hat jeder seine täglichen Verpflichtungen, dem wird man in Fresendelf entzogen. Das meinte ich mit entschleunigt. Weil man einfach nicht anders kann, da hängt man halt aufeinander. Praktisch Tour-Van reloaded.

Und dann habt ihr es hier in Berlin live, unter Moses Schneiders Regie, eingespielt. Was ist der Vorteil vom Live-Einspielen?

Jan: Das ist glaube ich unsere große Stärke. Wir sind keine guten Musiker. Vielleicht der eine oder andere aus der Band, aber gerade ich jetzt zum Beispiel nicht.

Rotze: Das ist eben das, was wir schon immer konnten ...

Jan: ... Genau!

Rotze: .Wir konnten nie gut Gitarre oder Schlagzeug. Auf dem normalen Markt wären wir wahrscheinlich verhungert. Aber wir konnten immer gut Konzerte spielen, das hat den Leuten gefallen, das hat man selbst gemerkt, da passierte was. Und unser großer Glücksfall war, dass Moses Schneider schon "Vormann Leiss" mit uns aufnehmen wollte und uns ganz klar da hin gebogen hat. Er sagte, ich will eure Platte machen, aber wir nehmen die live auf.

Das war für uns schon erst mal befremdlich, da hatten wir Angst vor, eben weil wir dachten, wir können nicht gut spielen. Dann ist es doch besser, wenn ich 47 mal versuchen kann, die Gitarre richtig zu spielen. Aber er meinte, das sei viel besser wenn man live einspielt, weil man einfach gemeinsam Musik macht. Dann müssen alle fünf gemeinsam gut spielen. Da sind auch Fehler drin, ein geschultes Ohr hört das. Dass man nicht sauber gespielt hat oder so.

Aber das hat dann so nen Charme. Diese modernen Rockplatten, die da am Computer entstehen, wo alle Gitarren, alle Schlagzeugspuren immer gerade geschnitten werden bis zum Abwinken, das hat nicht mehr viel. So hat die Musik kleine Lebenszeichen, die das Ganze interessant machen.

Jan: Der große Vorteil vom Live-Spielen ist auch, dass man sich bewusst ist, dass man das Lied zu fünft einigermaßen fehlerfrei über die Bühne bringen muss. Das heißt, wir müssen gut vorbereitet sein, bevor es ins Studio geht. Heißt, wir müssen viel proben im Vorfelde. Und da fängt schon die Plattenproduktion an. Dass Moses im Vorfelde schon in den Proberaum kam, wo wir die Lieder geballtert haben und uns Tipps gegeben hat. Da hakts noch, und da kommt ihr immer aus dem Timing, legt da mal das Augenmerk darauf. Deshalb hat man immer geübt, geübt, geübt und dann kann man so ne Platte innerhalb von zehn Tagen aufnehmen, auch live.

"Wir sind manchmal witzig und manchmal nur bescheuert"

Songtexte sind bei euch auch immer ein Thema. Allerdings sind sie ja mehr als Bilder zu verstehen. Zum Beispiel bei "Fraukes Ende" geht es um eine Mutter, die ein uneheliches Kind gebiert und deshalb ins Meer getragen wird ...

Jan: ... alter friesischer Brauch ...

Genau. Und diese Geschichte dient als Ausdruck für ein Gefühl?

Jan: Ja. Dieses Gefühl, wenn man ne Menge gesehen hat und nach Hause kommt und man möchte jetzt gerne diese Heimeligkeit genießen, freut sich auf einen Menschen, der dann ganz erstaunt zuhört, was man alles erlebt hat. Bis in diesem Mensch auch der Wunsch wächst, so etwas zu erleben, und der auch weg will. Und dann stellt man fest, scheiße, ich will doch gerade nach Hause kommen, wieso willst du denn jetzt weg?! Es ist also ein trauriges Liebeslied.

Ihr habt euch ja vorher geeinigt, dass es diesmal düsterer werden soll.

Rotze: Wir hatten keinen Masterplan, was die Platte angeht. Aber da sind zwei verschiedene Pole in der Band. Ich zum Beispiel, auf der einen Seite, bin so der beinharte Traditionalist. Ich mag das so, wie wir es bisher hatten und mag unsere Musik. Und dann ist der andere Pol, der das Progressive will. Alles neu, alles anders, das musste man dann austarieren, damit ein Gleichgewicht entsteht. Und so war es ziemlich schwer, sich im Vorfeld über ungemachte Lieder zu unterhalten.

Aber das war der Nenner, auf den sich alle einigen konnten. Dass es ein bisschen düsterer werden sollte. Das fanden alle gut und mit diesem Verständnis ist man da rangegangen. Dann ist etwas rausgekommen, was uns allen gefallen hat. Für unsere Verhältnisse gab es ganz viele neue Elemente auf der Platte, die wir so vorher noch nie gemacht haben und uns nie hätten vorstellen können ...

... zum Beispiel die Drum Maschine in "Fünfwürstchengriff".

Rotze: Zum Beispiel, ja. Oder ein Lied, das fünf Minuten dauert und erst nach zwei Minuten setzt der Gesang ein, wie beim "Island Manöver". Aber am Ende haben wir uns so in der Mitte getroffen. Ganz klassische Elemente, aber neu aufbereitet. Mit dem Ergebnis, dass uns allen die Platte gefällt.

Und warum düsterer? Ist die Welt düsterer geworden, oder ihr?

Rotze: Könnte man natürlich sagen, dass die Zeiten düsterer geworden sind, und das würde sich auch unheimlich gut anhören - aber nein. Das ist eher eine persönliche Geschmacksfrage. Die Haltung trägt man auch lieber vor sich her, als die ganze Zeit zu sagen, mir scheint die Sonne aus dem Arsch. Ich mag grundsätzlich mehr Musik, die so ne Schwere hat. Und in dem weiten Spektrum von Deutschpunk Bands gibts ja immer mehr, die immer poppiger werden. Immer mehr Melodien nehmen und doch lieber mal das rührselige Liebeslied machen oder so. Das ist einfach nicht Unseres. Da sind wir immer sofort ausgestiegen. Das schockt auch nicht, das macht keinen Spaß. Das wollten wir anders machen.

Jan: Ich erinnere mich da immer an Martens Spruch: Es macht ja keinen Sinn, ne Platte zweimal aufzunehmen.

Bei den Songtiteln lasst ihr euch auch immer etwas Absurdes einfallen, das mit dem eigentlichen Lied meist nicht mehr all zu viel zu tun hat. Im Grunde ist das ein Spiel, oder?

Rotze: Es ist nicht so gemeint, aber es wird von den Journalisten so aufgenommen, klar. Ist ja auch eine Provokationen, das sehe ich ein. Aber es ist nicht so, dass wir uns dabei was denken. Das hat sich von Anfang an entwickelt. Marten schreibt die Texte und bringt sie halt ohne Titel mit. Aber wir müssen natürlich welche haben und dann entwickeln sich oft irgendwelche Privatwitze zu Liedtiteln. Manchmal sind die witzig und manchmal einfach nur bescheuert, aber so ist es halt. Das sind wir. Wir sind manchmal witzig und manchmal nur bescheuert.

Man könnte sich auch vornehmen, wir machen ne Platte nur mit bedeutungschwangeren Titeln. Dann geben wir den Journalisten mal ne ordentliche Nuss zu knacken. Aber was soll das? Meiner Meinung nach schreibt Marten wirklich unfassbar gute Texte, die ganz, ganz viel transportieren, die ne ganz tolle Bildsprache haben. Aber ich finde es immer unangenehm, wenn Bands sich selber so ernst nehmen. Wenn sie sagen: Ich spiel nicht mehr in ner Punkband, ich bin Künstler. Das ist uns immer übel aufgestoßen.

Dieses Bohème-Wichtigtuer-Kack-Scheißzeug. Damit wollen wir nichts zu tun haben. Und mit den Titeln kann man das einfach brechen. So ein Lied über Entfremdung und Einsamkeit, wie "Pennen bei Glufke", da könnte man einen Liedertitel wie einen Straußenschwanz machen. Aber man kann es auch einfach "Pennen bei Glufke" nennen und dann ist das wieder ein bisschen geerdet. Das liegt uns einfach mehr.

Und bei "Glufke", wo kommt da der Titel genau her?

Jan: Das ist ein Typ in Regensburg. Ein Punker.

Der bei Facebook in eine Studentendiskussion geschrieben hat, "Studenten - Der Rost am Schwert der Revolution."

Rotze: Hammer, oder? Ist das nicht der Wahnsinn? Wahnsinnsspruch. Irgendwann werde ich ihn auch mal outen, bei Facebook. Dass die ganzen Leute ihn dicht scheißen, mit Freundschaftsanfragen. Das wird super, hab ich mir fest vorgenommen. Muss nur noch einen guten Moment abpassen.

"Wir sind keine Musiker"

Könnt ihr eigentlich leben von eurer Musik?

Rotze: Wenn wir genug live spielen, dann geht das. Aber man muss den Arsch dann auch bewegen.

Also Vollzeitmusiker.

Rotze: Wir sind keine Musiker...

Jan: Aber wir verbringen viel Zeit mit Deutschpunk. (Gelächter)

Punk und Major Label, ist das noch ein Thema bei euch, oder ist das durch?

Rotze: Das ist Realität bei uns. Es geht einfacher als man sich das in den 90igern gedacht hat. Vielleicht hat sich die Industrie auch verändert, das kann ich nicht beurteilen. Als wir früher anfingen auf Punkkonzerte zu gehen und Fanzines zu lesen, da fing das an mit Grunge, und dann hat die Industrie eine Band nach der anderen weggekauft. Und nach dem Erfolg von Green Day und anderen dann auch im Punk und Hardcore Sektor gewildert. Da hat man teilweise erschütternde Sachen gelesen.

Dass mit den Bands schlimm umgegangen wurde, sofern sie keinen Erfolg hatten. Aber da hat die Major Industrie auch gelernt. Wir sind da schon sehr zufrieden bei Warner. Natürlich muss man sich auch mit denen mal auseinandersetzen weil sie manchmal Ideen haben, die einem selbst fremd vorkommen. Aber dann kann man auch jederzeit sagen, dass man auf etwas keinen Bock hat. Das verstehen die auch und finden es Ok.

Wir haben auch einen so genannten Bandübernahmevertrag, das bedeutet, sie geben uns Geld um eine Platte aufzunehmen, wir bestimmen was wir aufnehmen und am Ende bekommen sie eine Master CD, die sie dann rausbringen müssen. So steht es im Vertrag. Das ist nicht so, dass sie Einfluss nehmen könnten, auf irgendetwas. Wenn wir nen nackten Arsch aufs Cover drucken wollten, würden die bestimmt sagen, ist jetzt keine besonders geile Idee. Aber wenn wir das wollten, könnten wir das machen. Man wird da zu nichts gezwungen, worauf man kein Bock hat.

Also den Vorwurf, dass man sich ausverkauft und verbiegen lässt, den gibts nicht mehr?

Rotze: Das war der gerechtfertigte Vorwurf, was für ein subkulturelle Band auch wirklich Abschaum ist. Das ist halt ungeil! Ganz klar. Und das sehe ich auch heute noch so. Der unberechtigte Vorwurf ist dann halt immer der über die zunehmende Größe der Band. Dass Fans dieses Gierige haben. Wenn man jünger ist, dass kenne ich auch von mir selbst, sagt man sich, das ist meine Band. Die Band hab ich entdeckt, da war ich beim Konzert, als nur 20 Leute da waren. Und jetzt kommen auf einmal 200 Leuten zum Konzert, und das gefällt mir nicht, weil ich die alle nicht mag.

Das kann ich zwar nachvollziehen, aber das ist schon sehr elitär. Die Band gehört erstens niemandem außer der Band selbst, die entscheidet ganz alleine, was sie machen will. Zum anderen hat das immer diesen üblen Beigeschmack, dass man sich selbst über andere stellt. Ich weiß es besser, ich bin besser als die Leute, die halt erst mit 16 auf die Konzerte gehen und die man da nicht haben will.

Also man kann sich auch treu bleiben, aber sobald man ein größeres Publikum hat, kommt trotzdem der Ausverkaufvorwurf?

Rotze: Der kommt automatisch, ja. Aber bei uns erstaunlich wenig. Natürlich haben auch welche gesagt, das ist jetzt irgendwie nichts mehr für mich, ich steig aus. Da haben auch ein paar geschimpft, aber viel weniger als wir dachten. Viel weniger.

Jan: Weil man auch selber im Vorfeld schon so Hemmungen hatte. Als es hieß Warner - scheiße Major. Auch wenn einem das keiner glaubt - man hat sich ja damals mit mehreren Labels unterhalten und wir als Turbostaat haben uns einfach für die Möglichkeit entschieden, wo wir am meisten Freiheiten hatten. Für diejenigen, die uns am meisten Freiheiten zugesichert haben. Das war in dem Fall wirklich das Major-Label.

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