3. Januar 2012

"Ich bin ein richtiger Psychopath"

Interview geführt von

Vor dem Real Motherfucking Xmas Festival 2011, einem der letzten Events in der Stuttgarter Röhre, trafen wir uns mit Tua zum Gespräch über seine neue EP "Raus". Außerdem erzählte der gebürtige Reutlinger von der Arbeit am neuen Orsons-Album, von gelegentlichen Zweifeln an der eigenen Position sowie von seinen gemischten Gefühlen gegenüber dem Cro-Hype.Veröffentlicht man sein Debüt bei Royal Bunker und seinen Solozweitling bei Deluxe Records, fällt es natürlich schwer, sich von der Wahrnehmung als Rapper loszulösen. Im Gespräch erklärt Tua dagegen vehement, dass er mit seiner Dubstep-EP "Raus" endlich mehr sein will als nur ein Hip-Hopper. Direkt aus dem Studio hetzt er zum Interviewtermin, was einmal mehr zeigt, wie hart das Orsons-Mitglied und Chimperator-Signing an seiner Musik arbeitet.

Warum bringst du wie schon Kollege Maeckes eine EP raus und nicht gleich ein ganzes Album?

Es war eigentlich so, dass ich die Essenz von dem, was ich die letzten zweieinhalb Jahre gemacht habe, veröffentlichen wollte. Da stand immer die Frage im Raum, wann denn mein Elektroprojekt kommt. Dann habe ich irgendwann gesagt, dass ich es nicht mehr schaffe, bevor das Orsons-Projekt anläuft, wollte aber auch nicht nichts rausbringen. Die Sachen, die besonders für das deutsche Publikum relevant sind, habe ich dann zu einer EP gemacht. Aber auch abgesehen davon habe ich an vielen Dingen, wie z.B. meinem "Late Night Mix" gearbeitet. Da hört man dann auch, dass ich mir alles noch viel größer vorgestellt hatte. Eigentlich wollte ich mal drei EPs rausbringen, jetzt habe ich es aber auf einen Nenner gebracht.

Was hat dich zu der Entscheidung bewogen, nur noch zu singen? Gerade Maeckes hatte nach der Arbeit mit den Orsons ja das dringende Bedürfnis auf seiner Solo-EP "Manx" wieder richtig zu rappen.

Bei meinen Solosachen singe ich eigentlich schon seit zwei, drei Jahren nur noch und habe kaum Bock zu rappen. Das ist den Leuten nur noch nicht bewusst, weil noch nichts derartiges rauskam. Ende 2010 kam ja "Evigila", bei dem ich mich eher wieder zurückgenommen und gerappt habe, weil Vasee dabei war. Dass ich jetzt nur noch singe, ist eigentlich die logische Konsequenz. Das heißt jetzt nicht, dass ich nie mehr rappen will. Aber es hat sich halt angeboten.

War es eine Überwindung, sich komplett aufs Singen zu beschränken? Das hat ja sicherlich auch mit Selbstbewusstsein zu tun.

Aus der Perspektive eines Rappers bestimmt. Aber es ist mein großes Manko, dass die Leute mich einfach nur als Rapper wahrnehmen. Das möchte ich eigentlich gar nicht sein bzw. das wird mir nicht wirklich gerecht.

Was wärst du denn gerne? Ein Singer/Songwriter?

Nee, ich möchte so ein bisschen als eigene Marke dastehen. Und ich denke, wenn man die EP hört, wird das auch klar. Eigentlich müsste das schon durch meine älteren Sachen klar sein, aber es ist offensichtlich noch nicht deutlich genug. Im Zuge dessen ist es vielleicht das Richtige, dass ich aus dem Rap-Kosmos diesmal ein bisschen draußen bleibe. Denn es gibt viele Medien, die meine Musik generell nicht besprechen, nur weil darauf gerappt wird. Das ist eine Sache, die mich unfassbar ankotzt und seit Jahren ärgert.

'Ach das war doch der Typ, der mal bei Samy war. Der Typ Rapper XY.' Das geht mir einfach krass auf den Sack, weil ich für einige Magazine meiner Meinung nach genau das mache, was deren Themenbereich absteckt. Und dennoch komme ich da nicht rein, weil mir der Rap-Stempel auf der Stirn klebt. Ich hoffe, dass ich mich mit solchen EPs ein wenig davon befreien kann und so wahrgenommen werde, wie ich als Marke Tua bin. Dann legt man mir den Rap-Hintergrund vielleicht nicht mehr negativ aus.

Drehen wir den Spieß mal um. Zählst oder hoffst du auch für dein sehr Hip Hop-fernes Projekt weiterhin auf die Unterstützung der Hip Hop-Medien?

Natürlich setze ich auch auf diese Medien. Man darf mich auch nicht missverstehen. Ich habe nicht vor, für immer ein Dubstep-Typ zu sein. Das möchte ich hier mal betonen. Mit dem Thema Dubstep habe ich mich auseinandergesetzt und Bock drauf bekommen. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich für immer ein Dubstep-Artist bin. Wie sich mein nächstes Soloalbum anhören wird? Keine Ahnung, Alter. Das muss man mal sehen. Die Vorliebe für Dubstep kam eben in den letzten zwei Jahre, in denen ich Remixe gemacht und mich mit dem Scheiß auseinandergesetzt habe. Aber das ist nichts, womit ich mich die nächsten 40 Jahre herumprügeln will.

Um kurz den Bogen zu spannen: Ich glaube nicht, dass ich die Hip Hop-Medien vergraule. Das sind immer noch Hip Hop-mäßige Texte und derartige Reimstrukturen. Und außerdem glaube ich, dass Hip Hop jetzt gerade die Zeit erlebt, in der man so was machen kann und vielleicht sogar machen sollte, um die Spannung zu halten. Insofern denke ich, dass ich auch weiterhin für die Hip Hop-Medien interessant bin.

Deine melancholischen Texte sind vor allem von der Beobachtung deines Umfelds inspiriert. Woher nimmst du denn die musikalischen Einflüsse?

Ich höre unfassbar viel Musik, ich bin ein richtiger Psychopath. Ich stehe auf und höre erst mal hypem.com, diese Seite gibt mir alles, was es gerade neu gibt. Ich freu mich immer total und durchsuche die ganzen Blogs. Es ist für mich also schwer, drei Künstler zu nennen, auf denen ich komplett hängen geblieben bin. Ich finde immer irgendwas geil, gehe ins Studio und orientiere mich daran. Und am Ende kommt eh irgendwas ganz anderes heraus. Weil ich irgendwann merke, bis wann mir eine Inspirationsquelle gefällt und ab wann ich wieder mein eigenes Ding machen will.

Es geht von Techno bis zu den krassesten Indie-Sachen, ich bin echt für alles offen. Bei mir kommt dann zudem noch dieses Ostblock-Zeug hinzu. Das hört man vielleicht auch auf der EP und in dem "Late Night Mix". Es ist für mich einfach wichtig, das in meiner Musik zu haben und zu wahren.

"Ich bin für mein Dogma schon irgendwie der Hitler."

Dubstep als Genre ist ja mittlerweile durch Künstler wie Skrillex oder Chase & Status zum kommerziellen Phänomen geworden. Wo siehst du den entscheidenden Unterschied zwischen dir als Produzent und jenen Acts?

Die sind erfolgreich und verdienen Geld. (lacht) Nee, klar, das sind logischerweise ganz andere Dimensionen. Ansonsten ist es natürlich sprachlich was anderes. Meine Sachen gehen viel mehr in die Tiefe, was für Dubstep eigentlich völlig unklug ist. Wer will denn bitte so ein Feierding haben, bei dem man auch noch nachdenken muss? Aber das ist halt das alte Tua-Paradoxon. Ich scheiß drauf, ob das die feiernden Kids im Endeffekt geil finden. Ich fühl das, ich mach das und fertig.

Und vom Songwriting her ist es etwas ganz anders. Bei Chase & Status und Skrillex beschränkt sich der Songwriting-Teil ja immer auf ein bestimmtes Maß, um die Leute nicht zu sehr zu überfordern. Chase & Status legen noch mehr wert auf Songs, aber auch da ist nach vier Zeilen meistens Schluss. Ich habe da meistens schon etwas mehr, wobei ich mich teilweise auch locker gemacht und das Producer-Ding in den Vordergrund gestellt habe.

Du scheinst gegenüber Skrillex und Chase & Status also nicht gerade positiv eingestellt zu sein.

Mit Skrillex ist es halt so ein Ding. Es ist technisch interessant, ich finde es unfassbar gemacht. Es ist krass, wie laut die Amis ihr Zeug kriegen. Aber was soll ich musikalisch daraus ziehen? Neulich bin ich irgendwo im Norden aufgetreten und bei der Aftershowparty haben irgendwelche Leute Dubstep aufgelegt. Ich stand da so in diesem Club, hab mir das angeguckt und dann kam Skrillex, Alter.

Dieses "First Of The Year"-Ding mit einem Drop, der echt weh tut. Und dann springt eine ganze Reihe von 13-, 14-jähriger Mädels, die auf dem Boden saßen und schon so dicht waren, auf und schreit so "Yeeeaah!". Und ich dachte mir nur, wie verrückt es eigentlich ist, dass der krasseste Baustellenlärm der Welt jetzt die kleinen Mädels fasziniert. Das ist halt der Punkt, es ist im Großen und Ganzen eben Großraumtechno. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist technisch immer gut gemacht, aber künstlerisch ist es halt nix.

Sowohl dein Vodkaflaschen- als auch dein U-Bahn-Beat haben als einmalige und außergewöhnliche Projekte großen Anklang gefunden. Hast du derartige Sounds auch für deine EP verwendet? Und hast du weitere ähnliche Projekte in Planung?

Ich habe schon vor, solche Sachen weiterhin zu machen. Bei dieser ganzen Field Recording-Sache kann ich mir viel vorstellen. Aber auf der EP ist schon eher Musik, die man hören kann. Bei den Dingern sehe ich das immer als Symbiose mit den Videos, das ist dann geil. Aber für mich ist es total langweilig, wenn ich auf CD einen Beat höre, der z.B. aus Tomaten gemacht wurde. Der ist dann zwar aus Tomaten, hört sich aber trotzdem scheiße an. Mit einem Video auf YouTube ist das aber geil. Ich will, dass die Leute verstehen, wer ich bin. Und verstehen, was ich mache und was ich nicht mache. Und dafür ist es ganz zuträglich, wenn ich ihnen die Bandbreite dessen zeige, was ich musikalisch machen möchte und machen kann.

So viel erst mal zu deiner EP ...

Ich hoffe, jetzt gibts nicht noch 26 Fragen über die Orsons, dann stech' ich mich ab. (Tua isst gerade Sushi mit Holzstäbchen) Also mich.

Nee nee, keine Angst.

Ah ok, nur 24.

In einem Interview auf dem Splash-Festival hast du mal erklärt, dass es dir sehr schwer fällt, deine Solosachen vom Orsons-Projekt zu trennen. Bist du denn in Versuchung gekommen, die Dubstep-Sachen bei den Orsons einfließen zu lassen? Oder wie ist das zu verstehen?

Gar nicht. Aber zu dem Zeitpunkt, an dem ich das gesagt habe, waren wir echt uneins darüber, was wir machen sollen. Und das habe ich damit gemeint. Ich bin für mein Dogma eben schon irgendwie der Hitler. Ich hasse es, wenn man irgendwas daran ändern will. Wenn irgendjemand kommt und sagt, ich soll den und den Ton mal anders klingen lassen, könnt ich manchmal schon ausrasten. Bei den Orsons ist es eben eine ganz andere Systematik, Songs zu machen. Allein schon durch die vier Leute. Und die vier Leute werden dann noch mal mit den Leuten der Plattenfirmen multipliziert. Das ist eine Diskussions- und Optimierungssache.

Wir wollen geile, intelligente Popmusik machen. Aber das ist eben etwas ganz anderes als mein Soloprojekt. Denn wie ich vorhin schon gesagt habe, ist es Marketing-technisch nicht gerade klug, auf einen Dubstep-Song mit Potenzial zur Hymne einen klugen Text zu packen. Weil die Leute dann einfach zuhören müssen. Und das wollen sie nicht, das sehe ich an der gesamten Musikindustrie.

Hast du es mittlerweile geschafft, die beiden Projekte zu trennen?

Bedingt, ja. Es ist halt schwierig. Ich wollte nicht, dass irgendein anderes Projekt ein Licht auf meinen Ruf wirft, das mir nicht gefällt. Aber jetzt denke ich wieder ganz anders, das läuft eigentlich prima nebeneinander her. Die Leute, die sich für mich interessieren, sind sowieso begrenzt. Also in der Anzahl. (lacht) Und die Leute werden auch weiterhin unterscheiden können, worum es bei Tua und worum es bei den Orsons geht. Das kann schon beides funktionieren.

Wie weit seid ihr denn mit der Produktion?

Wir sind schon relativ weit. Ich kanns nicht in Zahlen fassen, ich weiß es selbst nicht genau. Es ist ein Riesenchaos aus Versionen, wo man hier noch was und da noch was tun muss. Und dann muss man alles noch endproduzieren und was weiß ich.

Aber es kommt 2012?

Joa. Also das will ich schwer hoffen.

Für die ersten beiden Orsons-Alben waren Maeckes und du als Produzenten zuständig. Ihr habt angedeutet, dass diesmal alle vier Mitglieder beteiligt sind, indem sie quasi ihre eigene Orsons-Version mit ins Studio bringen.

Ich wohne ja in Berlin, die anderen wohnen in Stuttgart. Jeder hat seine Solosachen am Laufen und muss irgendwo Gigs spielen. Wir können also nicht, wie man das vielleicht erwartet, die ganze Zeit zusammen abhängen und im Studio chillen. Wir machen das immer etappenweise. Und zu diesen Etappen haben wir uns selbst immer wieder die Aufgabe gestellt, ein paar Songskizzen zu machen. Das funktioniert am besten. Einer entwickelt eine Vision, die so weit ist, dass er die anderen davon überzeugen kann.

Das macht viel mehr Sinn als immer dazusitzen und bei Null anzufangen. Und sich dann schon bei der ersten Kick oder bei der ersten Snare darüber zu streiten, wer wen wie was ... weißte? So ist es entstanden, dass es von jedem immer so kurze EPs gab. Die haben wir dann in einen Topf geworfen, jeweils ein, zwei Songs rausgepickt und an denen weitergearbeitet. Insofern ist es natürlich so, dass alle musikalisch daran beteiligt sind. Es ist aber nicht so, dass alle vier produzieren. Es gibt dann auch noch Beats von anderen. Aber so, wie ich das jetzt sehe, wird das wieder allergrößtenteils von Maeckes und mir kommen.

Dostojewski-Texte fürs Mario Barth-Publikum?

Ihr geht 2012 zuerst mit Kool Savas und anschließend mit Herbert Grönemeyer auf Tour. Was wird nach deiner Erwartung die größere Herausforderung? Das eingefleischte Hip Hop-Publikum bei Savas oder die Massen bei Grönemeyer, von deenen ein Großteil wahrscheinlich ohnehin noch nie eine derart unterhaltsame Musikshow erlebt hat?

Das Publikum von Grönemeyer wird mit ganz großer Sicherheit die größere Herausforderung als die Savas-Tour. Orsons- und Dubstep-Quatsch hin oder her: Wenn jemand dues gepaid hat, dann sind das ja wohl wir, wenn man das mal so sagen darf. Ich sehe lauter Leute, die binnen eines viertel Jahres Hypes leben. Und wir sind halt echt seit 150 Jahren dabei. Wenn uns jemand kommt und sagt, er sei ein eingefleischterer Hip Hopper als wir, dann sag ich: 'Ich bin wahrscheinlich doppelt so lange dabei, wie du Hip-Hop hörst!'. Daher sehe ich bei Savas nicht das Problem.

Bei Grönemeyer wird es spannend. Aber ich glaube, wir schaffen das auf eine ähnlichen Art und Weise, wie wir es bei Fettes Brot geschafft haben. Da sind wir im Endeffekt ohne Songs aufgetreten. (lacht) Aber es gab auf der Tour nicht einen Auftritt, bei dem wir das Publikum an Ende nicht hatten. Bei unseren Shows entsteht halt gerne eine Dynamik, die über die normalen Rap-Shows hinaus geht. Ich weiß selbst nicht genau, was da alles mitspielt. Zum Glück.

Im Deutschrap scheint derzeit mit zahlreichen jungen, erfolgreichen Künstlern ein Umschwung stattzufinden. Falk sprach im Interview mit Rockstah, Ahzumjot, Cro, Olson und Co. gar von einer "neue(n) Reimgeneration". Mit den Orsons trefft ihr ja durchaus den Nerv der Zeit, zählst du dich bzw. euch da also trotz der jahrelangen Erfahrung auch noch ein bisschen dazu?

Ja, es ist voll paradox. Wir sind auf der einen Seite dabei, auf der anderen Seite nicht. Ich bin ja in der Unterhaltungsbranche im Bereich Hip Hop und Pop angesiedelt. Aber ich mach Zeug, das irgendwie da hin gehört, aber irgendwie auch nicht. Ich hatte letztens im Gespräch mit Vasee ein interessantes Bild: Bei mir ist es ein bisschen so, als würde ich mich mit Dostojewski-Texten auf die Bühne von Mario Barth stellen.

Wenn da jetzt 20.000 Leute Mario Barth sehen wollen, gibt es bestimmt auch 200 Leute, die sagen: 'Hey, das war jetzt aber schon krass, was der da gemacht hat. Der hat echt die Eier, sich mit solchen Texten da hinzustellen'. Aber der Rest sagt: 'Okay, hat sich intelligent angehört, aber jetzt will ich doch lieber Fotze-Fick-Höhö-Freundin-Blödsinn hören'. Aber so sehe ich meine Position. Manchmal betrauer ich sie ein bisschen. Vor allem wenn ich sehe, wie junge Leute sich ganz locker machen und an mir vorbeiziehen. Dann bin ich ein bisschen traurig, weil ich es mir immer so schwer mache. Auf der andere Seite bin das halt ich. Und darauf bin ich dann auch wieder stolz.

Wie stehst du den generell zur jüngern Entwicklung der Hip Hop-Landschaft?

Ich weiß nicht, Alter. Es ist sicherlich nicht alles mein Geschmack, grade mit diesen ganz engen Hosen. Obwohl auch Leute wie Kaas das ja losgetreten haben, fühl ich das nicht besonders. Aber ich glaube, dass das auch vollkommen egal ist. Es ist einfach total interessant, zu sehen, wie sich das gerade verändert. Hip Hop ist halt Gott sei Dank ein flexibles Mediengebilde. Sonst würde uns früher oder später das gleiche Problem wie Rock'n'Roll oder Jazz drohen. Das sind heutzutage einfach Musikrichtungen, die eine Art Establishment bilden.

Es gibt auch ein Hip Hop-Establishment. Das sind die Leute, die sich immer über neue Sachen aufregen, weil sie schon seit zehn Jahren dabei sind. Eigentlich könnte ich mich da auch dazuzählen aber das ist Blödsinn. Das ist eben die Medienlandschaft, wir machen Popmusik. Wir sind Leute der öffentlichen Wahrnehmung und da muss man mit der Zeit gehen. Da kann man nicht sagen, dass man einmal seine Lorbeeren verdient hat und für immer und ewig heilig sein muss. Das ist eben der Lauf der Dinge. Ich find alles cool, was grade so kommt. Aber ich fänds echt cool, wenn die Jungs es nicht übertreiben würden. Am Ende treten die ganz ohne Hosen auf. (lacht)

Stichwort Cro: Wie fühlt es sich für dich als jahrelang aktiven und fleißigen Künstler an, wenn ein 19-Jähriger aufs Label kommt und plötzlich an allen vorbei zieht?

Das ist im ersten Moment für einen Künstler natürlich ein bisschen schockierend. Da fragt man sich dann, wie viel Prozent das Künstlerische wichtig ist und wie viel Prozent Marketing und Hype ausmachen. Da kommt man so ins Grübeln, ob man das richtig balanciert hat. Ich kann jetzt nur von mir sprechen. Aber das sieht bei anderen aber denk ich ähnlich aus, die immer wieder Neulinge an sich vorbei ziehen sehen.

Es ist auf jeden Fall schwierig, weil man ins Grübeln kommt, ob man nicht alles anders hätte aufziehen sollen. Aber dann komm ich auch zu dem Punkt, an dem ich erkenne, dass einem das auf eine Art und Weise gegeben sein muss. Um das anders zu sagen: Man muss immer das machen, was man fühlt. Und ich könnte keine Cro-Musik machen. Ich könnte auch keine Casper-Musik machen, und ich könnte auch von niemand anderem die Musik machen. Und das meine ich gar nicht böse, sondern das ist einfach so. Ich bin eben nicht der Typ, ich bin so, wie ich bin.

Ich könnte mich jetzt noch mal verbiegen, aber ich würde trotzdem nicht erfolgreicher werden als ich bin. Weil das einfach nicht ich wäre. Ich glaube, wenn man ein bisschen drüber nachdenkt, merkt man das auch. Dann merkt man, dass man schon eine Existenzberechtigung hat, und kann auch stolz darauf sein. Speziell bei mir oder auch bei Maeckes ist es eben folgendermaßen: Wenn man sich am Anfang seiner Karriere dafür entscheidet, sagen wir mal Quitten oder Litschis anzubauen, dann braucht man sich am Ende nicht wundern, dass auf dem normalen Markt Äpfel besser laufen. Auch das meine ich nicht böse, sondern das ist einfach so. Nur denke ich nicht, dass man den Wert eines Künstlers nur nach dessen Erfolg messen kann. Das ist Plattenfirmen-Getue. Fan-Getue sollte es sein, zu prüfen, ob der Künstler einem etwas gibt oder nicht.

Du bist aus dem Grübeln also wieder raus?

Ja schon, ich hab auch nicht wirklich gegrübelt, Alter. Und bei Cro können wir ja auch ein bisschen stolz drauf sein. Mit den Orsons bzw. mit ganz Chimperator, auch wenn ich da ein bisschen später dazugekommen bin. Es geht nicht nur ums Entdecken des Künstlers, wir haben einfach über Jahre diese Infrastruktur aufgebaut. Mit Arschfick-Arbeit, Alter! Wir haben in jedem Jugendhaus gespielt. Und jetzt kann man Newcomer aufnehmen, die gut in die Zeit passen und in Nullkommanix so einen Hype kreieren. Bis zu einem gewissen Grad bin ich da echt stolz drauf. Ich bin da sicher nicht traurig, weißte? Ich bin da nicht traurig.

Habt ihr noch Angst, dass euch mit dem oftmals kritisch beäugten Schritt zum Major-Label künstlerische Freiheiten abhanden kommen?

Wir haben ewig überlegt und auch ewig mit allen verhandelt. Da hatten schon alle Bock, mit uns zusammen zu arbeiten. Es macht ja auch Sinn. Wie du vorhin erwähnt hast, sind wir ja schon auf der Höhe der Zeit. Wie ein Cro, ein Casper oder ein Marteria. Es macht schon Sinn, dass wir jetzt etwas mit einem Major machen. Aber natürlich haben besonders Maeckes und ich berechtigte Ängste gehabt, dass wir alles anders machen müssen als zuvor.

Aber bisher ist das überhaupt nicht der Fall, da wird cool auf uns eingegangen. Und es war auch einfach eine Entscheidungssache, bei Universal Pop zu unterschreiben, weil wir mit den Orsons einfach Bock haben, intelligente Popmusik machen. Wir haben auch Bock, uns mal lockerer zu machen. Und ich hoffe, das wird nächstes Jahr erfolgreich.

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