15. Mai 2014

"Ich habe Falten und dünnes Haar"

Interview geführt von

Nach einer fünfjährigen Klassik-Reise kehrt Tori Amos mit ihrem neuen Album "Unrepentant Geraldines" wieder zum klassischen Singer/Songwritertum zurück und beweist, dass sie auch nach mehr als zwanzig Jahren im Business immer noch das Maß aller Dinge ist, wenn es um hochemotionalen Piano-Pop geht.

Fast eine komplette Woche weilte Tori Amos vor kurzem in Berlin um ihr neues Album "Unrepentant Geraldines" zu promoten. Während dieser Zeit empfing Piano-Pop-Ikone aber nicht nur zahlreiche Journalisten in ihrer feudalen Hyatt-Suite, sondern setzte sich an einem Abend sogar auch ans Piano, um Presse und ausgewählten Fans einige ihrer neuen Songs zu präsentieren.

Es wurde ein Abend der großen Emotionen, an dem sowohl die knapp 150 geladenen Gäste als auch die Sängerin selbst das eine oder andere Mal mit den Tränen kämpften. Zwei Tage nach dieser aufwühlenden Dreiviertelstunde treffen wir Tori Amos zum Gespräch und blicken zunächst natürlich erst einmal kurz zurück.

Hi Tori, ich habe dich jetzt schon diverse Male live spielen sehen. Vorgestern hatte ich erneut das Vergnügen und das Gefühl, als habe sich innerhalb dieser 45 Minuten eine ganz besondere Stimmung ausgebreitet. Ging es dir ähnlich?

Tori: Es war ein sehr schöner Abend.

Es war ein sehr schöner Abend? Nicht nur viele der Zuschauer hatten Tränen in den Augen. Ich kann mich an Momente erinnern, in denen auch du geschluckt hast. Oder täusche ich mich da?

Du bist ein guter Beobachter (lacht). Bevor ich auf die Bühne kam, war ich sehr nervös, viel nervöser als sonst. Der Raum war klein, ich konnte jedem Anwesenden in die Augen gucken. So eine Situation habe ich nicht so oft. Außerdem bestand mehr als die Hälfte des Publikums aus Journalisten. Das hat mich schon ziemlich verunsichert. Dass diese Leute dann aber nach dem ersten Song am lautesten klatschen hätte ich nie gedacht. Das war der Moment, in dem ich mich fallen lassen konnte. Der Rest dann war dann ein Spaziergang – ein wunderschöner wohlgemerkt (lacht).

Nach dem dritten Song – ich glaube, es war "Trouble's Lament" – flüsterte mir ein Kollege folgende Worte ins Ohr: "Siehst du, sie ist doch ein Mensch und keine Außerirdische". Dabei wischte er sich eine Träne von der Wange, kein Scherz.

(Lacht) Eine Außerirdische? Wow!

Du wirkst überrascht.

Naja, nicht wirklich. Eigentlich höre ich diesen "Vorwurf" nicht zum ersten Mal.

Das ist kein Vorwurf. Es geht glaube ich eher darum, dass sich viele deiner Fans nicht vorstellen können, dass ein Mensch zu solcher Musik in der Lage ist.

Aber es ist die Wahrheit. Hier, fass an!

(Sie reicht mir ihre Hand)

"Ich hatte irgendwie keinen Mut mehr"

Macht dir eine derartige Vergötterung nicht manchmal auch ein bisschen Angst?

Nein. Das hat aber nichts mit Arroganz oder maßloser Selbstüberzeugung zu tun. Diese Lobpreisungen und emotionalen Ausbrüche beziehen sich ja nur auf meine Musik. Der Mensch Tori Amos steht dabei nicht so sehr im Fokus, was auch gut ist. Die Leute lächeln oder weinen wenn sie Songs wie "Winter" oder "Cloud On My Tongue" hören, aber nicht, wenn sie mir die Hand schütteln. Das finden sie zwar auch schön, aber es löst keine hochgradigen Emotionen in ihnen aus. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Ich meine, guck mich an. Ich bin nicht anders. Ich werde im August 51. Ich habe Falten und dünnes Haar. Das einzige, was mich von anderen Menschen in meinem Alter unterscheidet, ist, dass ich vielleicht ein bisschen besser Klavier spielen kann. That's all.

Es gab Zeiten, in denen du anders aufgetreten bist.

Ja, mag sein. Aber ich habe schnell gemerkt, um was es eigentlich geht. Die Gabe, Leute mit Musik zu berühren und zu erreichen, ist etwas Besonderes. Das sollte man nicht mit Eitelkeiten und arroganten Hirngespinsten aufs Spiel setzen. Was zählt ist die Musik. Ales andere ist unwichtig.

Eine schöne Haltung. Viele deiner derzeit angesagten jüngeren Kolleginnen scheinen das jedoch etwas anders zu sehen. Was hältst du von Miley Cyrus, Rihanna und Co?

In erster Linie denke ich, dass jede Künstlerin, die oben steht, den Erfolg auch verdient hat. Dass dabei die Musik nicht immer im Vordergrund steht, ist zwar schade, aber noch lange kein Grund, die Mädels in der Luft zu zerreißen. Ich meine, die meisten von denen sind noch nicht einmal 20, wenn sie Teil des Business werden. Sie sind unerfahren und werden in kürzester Zeit marktgerecht geformt. Da nicht völlig aus der Spur zu geraten, verdient alleine schon Respekt.

Naja, von der richtigen Spur kann bei der einen oder anderen "Künstlerin" aber doch nicht mehr die Rede sein, oder?

Tja ... (grinst)

Deine Tochter ist jetzt 13. Welchen Bezug hat sie zum kunterbunten Spaßprogramm besagter "Sängerinnen"?

Eigentlich keinen, soweit ich weiß (lacht). Sie ist eine starke Persönlichkeit, die genau weiß, was sie will und schon sehr bestimmt und reif für ihr Alter ist. Sie steht außerdem mehr auf Soul-Musik. Ich weiß übrigens auch nicht, ob ich ohne meine Tochter heute überhaupt hier sitzen würde.

So?

Tori: In den letzten Jahren hatte ich mich künstlerisch ein wenig verloren. Ich hatte irgendwie keinen Mut mehr. Sie kam dann zu mir und stellte mir den Spiegel vor die Nase, in dem sie mir zu verstehen gab, dass nur ich allein für meine Entwicklung verantwortlich sei. Sie fragte mich, wie lange ich mich noch hinter meiner Vergangenheit verstecken wolle und ob es nicht endlich an der Zeit wäre, wieder nach vorne zu blicken und das zu Tage zu fördern, was lange verschollen war. Das hat mir die Augen geöffnet und Kraft für das neue Album gegeben.

"Texte sollten immer eine Bedeutung haben"

Ein Album im klassischen Tori Amos-Stil?

Genau. Ich musste wieder zurück zu mir selbst. Dabei half mir vor allem die Erinnerung an die Zeit, in der ich mein Debütalbum "Y Kant Tori Read" aufnahm. Damals wurde ich in eine Schublade gepresst. Unheimlich viele Leute versuchten, aus mir und meiner Musik etwas zu machen, was mit mir selbst eigentlich nichts zu tun hatte. Als das Album dann auch noch floppte, war ich am Boden zerstört. Während dieser Phase schwor ich mir, nur noch auf mich selbst zu hören und meinen eigenen Weg zu gehen.

Dieser Tage begleiten dich Themen wie die NSA-Affäre, das Älterwerden und die Liebe auf deinem musikalischen Weg.

Texte sollten eine Bedeutung haben. Das ist mir sehr wichtig. Sie sollten das Innere des Künstlers nach außen kehren und beschreiben, was in einem vorgeht und was einem gerade wichtig erscheint. Ich meine, ich könnte auch über das Leben auf dem roten Teppich oder sonst etwas Belangloses schreiben. Aber das interessiert weder mich, noch meine Hörer. Ich möchte, dass die Leute wissen, was mich beschäftigt und über was ich mir Gedanken mache. Das ist nicht immer einfach. In den letzten Jahren habe ich mich ein bisschen in einer Märchenwelt verloren. Mit diesem Album trete ich wieder ein ins wahre Leben.

Neben den Inhalten orientierst du dich auch musikalisch wieder an Vertrautem. Wie schwer ist dir da die Rückbesinnung gefallen?

Man hat als Künstler ja eine gewisse DNA in sich, die man zwar für einen gewissen Zeitraum blockieren und verstecken, aber nie komplett verbannen kann, selbst wenn man es wollen würde. Es gab Songs, die gingen mir schnell von der Hand und andere, bei denen es Wochen dauerte, ehe das Gerüst stand. Der Weg zum Ziel war aber immer klar. Ich musste also nicht in alte Platten reinhören, um mich daran zu erinnern, wie man poppigere Songs schreibt.

Der Song "Selkie" hat eine besondere Entstehungsgeschichte. Du standst auf der Veranda deines Hauses in Florida und hast auf einen Freund gewartet ...

Exakt. Das war schon verrückt. Dieses Haus liegt am Indian River. Wenn man dort vor der Tür steht, hat man diesen unglaublichen Blick in die Ferne. Da kann man nicht einfach nur so rumstehen. Dieser Ort weitet die Gedanken und sprudelt förmlich über vor kreativen Vibes. Oh je, ich habe den Faden verloren (lacht).

Wir sprachen über die Entstehung des Songs "Selkie".

Ah, stimmt. Verzeih mir.

Kein Problem.

Ich stehe da also und warte. Mein Freund steckt allerdings im Verkehr fest. Statt mich aber auf die Couch zu legen oder ein Buch zu lesen, setze ich mich ans Klavier und fange an zu spielen. Drei Stunden später war der Song fertig.

Du hast drei Stunden warten müssen?

Nein, mir wurden drei Stunden geschenkt, die ich genutzt habe, um einen, meiner Meinung nach, wunderschönen Song zu schreiben. Das ist ein Unterschied. Ich war danach niemandem böse, schon gar nicht besagtem Freund. Manchmal ist Musik ein Kinderspiel.

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