9. Oktober 2018

"Bei den Amigos kommt das Schlimmste zusammen"

Interview geführt von

Blauer Himmel, die Sonne scheint, das Auto ist blitzblank poliert und Tom Gaebel strahlt im feinen Anzug in die Ferne – alles ist perfekt auf "Perfect Day", dem achten Album des Sängers. Warum seine Musik dennoch mehr Kanten aufweist als manch andere, erklärt er uns im Interview.

Wir treffen Tom Gaebel an einem Ort, der erst einmal so gar nicht zum natürlich auch heute Anzug tragenden "deutschen Sinatra" passen möchte: in der Zweigstelle einer großen Pizzakette im Berliner Hauptbahnhof. Der Musiker ist auf Durchreise – in zwei Tagen erscheint sein neues Album "Perfect Day", es stehen noch einige Pressetermine an und der frisch verheiratete Gaebel kommt gerade aus den Flitterwochen.

Viel los also im Leben von 'Dr. Swing'. Bis er seinen verspäteten Zug erwischen muss, bleibt aber zum Glück noch reichlich Zeit, um sich über seine Leidenschaft für Klang und Studiotechnik der 60er-Jahre, missratene Versuche als Punkrocker und den Stellenwert von Musik in der heutigen Zeit zu unterhalten. Dabei teilt Gaebel bisweilen ganz schön aus – gerade, wenn die Sprache auf Schlagermusik kommt ...

Wie lebt es sich so als frisch Verheirateter?

Tom Gaebel: Bisher sehr gut. In der einen Woche, die nun vergangen ist, hat sich die Ehe als stabil erwiesen. Wir waren gerade in den Flitterwochen, oder besser gesagt: Flittertagen, denn ich hatte leider nur eine Woche Zeit. Ich bin jetzt 43, habe also recht lange gewartet mit dem Heiraten, und ich hoffe, das wars jetzt auch. (lacht) Es macht sehr viel Spaß.

Es gibt Schöneres, als dann gleich wieder mit Arbeit unterwegs zu sein ...

Das ist natürlich das Elend an meinem Beruf. Aber das hält die Liebe jung. Für meine Frau und mich ist es ja nichts Neues, dass ich zwischendurch immer ein paar Tage weg bin. Dafür haben wir in anderen Momenten deutlich mehr Zeit miteinander. Wenn bei anderen Paaren beide arbeiten, treffen sie sich teilweise auch nur für zehn Minuten am Tag. Verglichen damit haben wir schon das Privileg, uns deutlich mehr zu sehen.

Parallel Hochzeit und dein neues Album vorzubereiten, war vermutlich nicht ohne oder?

Ja, das war schon ganz schön stressig. Wir hatten zum Glück eine Hochzeitsplanerin, die die ganzen lästigen Aufgaben für uns übernommen hat. Beim Album war ich selbst der Hochzeitsplaner. Ich habe das Ding auch selbst produziert, gemeinsam mit Vincent Sorg, der ja mehr aus deiner Ecke, dem Rock-Bereich kommt. Die Albumvorbereitung war zumindest für mich deutlich stressiger als die Ehevorbereitung.

Laut Pressetext ist "Perfect Day" dein bisher persönlichstes Album. Inwiefern?

Ach, was in Pressetexten immer drinsteht ... Alle meine Alben fühlen sich persönlich für mich an. Ich habe sehr viel Zeit mit dem Album verbracht, mit Songschreiber und Produzieren und wahrscheinlich im Endeffekt ein bisschen mehr an den Stücken gemacht als bei den letzten Alben. Es steckt schon viel Tom Gaebel drin. Aber beim Durchlesen der Texte wird man nicht wirklich Rückschlüsse auf mein Liebesleben oder meine Gemütszustände ziehen können. Denn so schreibe ich nicht Musik. Ich schreibe über allgemeine Themen, die mich interessieren. Oder manchmal ist es nur eine Melodie oder ein Textfragment, das mir gefällt, woraus ich dann einen Song machen möchte. In autobiographischem Sinne ist "Perfect Day" nicht persönlicher als meine anderen Alben.

Die Texte sind alle sehr auf Gute Laune gebürstet, selbst der Blues-Track "Wake Up" hat keinen traurigen Text.

Ja, das ist aber eher Zufall. Das liegt natürlich auch an der Musik. Metal zum Beispiel neigt ja eher zu schlecht gelaunten Songs. Das liegt wahrscheinlich an den wachgerufenen Emotionen. Bei verzerrten Gitarren und wenn man diesen Sound mag, ist es wahrscheinlich schwer, damit positives Lalala zu verbinden. Meine Musik ist dagegen eher locker-leicht und swingend. Deswegen sind auch die Themen dazu leicht, oder sagen wir: positiv. Der letzte Song "Taking Back My Crown" ist bombastisch angelegt und hat einen eher negativen Text, von einem etwas psychopathischen Typen geschrieben.

Stimmt, das Stück ist eher dramatisch.

Genau, dramatisch. Aber die anderen Texte sind so wie ich auch versuche durchs Leben zu gehen. Guck dir das Cover zu "Perfect Day" an: Auto, Sonnenschein – ey, was will man mehr? (lacht) Das passt schon alles für mich zusammen.

Ist es nicht manchmal schwer, die Gute Laune immer so rüberzubringen – vor allem live?

Nee, ich bin gerade live auch immer recht ironisch damit und nehme das nicht so ernst. Ich verkaufe ja kein Heile-Welt-Schlagerimage. Ich empfinde das eher als witzigen, ironischen Blick auf das Leben. Auch meine Vorbilder auf der Bühne – Dean Martin, Frank Sinatra und Co – sind immer mit einem gewissen Augenzwinkern zu sehen. Ich mag, wenn man sich nicht so ernst nimmt. Ich finde immer schwierig, wenn zum Beispiel Rapper – egal wie reich und ob angekommen im Wohlstand oder nicht – immer mit der Goldkette ankommen und meinen, die Hood rüberbringen zu müssen. Genauso im Metal: Privat tragen einige von denen vielleicht auch lieber mal Anzug und für die Bühne wird wieder das alte Ding rausgeholt. Das ist immer schwierig. Wir machen natürlich auch alle Unterhaltungsmusik. Da fühle ich mich in dem, was ich mache, eigentlich immer noch ganz wohl, weil es immer mit einem Augenzwinkern zu sehen ist.

Wie lief denn dein Arbeitsprozess für "Perfect Day" ab? Du hast diesmal gemeinsam mit Vincent Sorg an den Songs geschrieben.

Genau. Er hat schon die letzten Platten mit mir produziert, aber zusammen Songs geschrieben haben wir für jetzt dieses Album zum ersten Mal. Fünf, sechs Songs hatte ich vorab schon für mich allein skizziert, eigentlich wie immer. Wenn ich durch den Park laufe und mir kommt eine Melodie in den Sinn, pfeife oder summe ich die ins Telefon, arbeite das danach am Klavier aus und mache ein kleines Demo. Mit diesen Demos ging ich zu Vincent. Er hat sich das angehört und gesagt, ob er sich das vorstellen kann oder eher nicht. Wir haben schon einen verschiedenen Geschmack. Unser gemeinsamer Nenner ist, dass wir beide große Queen-Fans sind. So haben wir uns quasi kennengelernt. Er ging dann mehr in die Rockschiene, auch beruflich...

Wie lange kennt ihr euch schon?

Aus Jugendzeiten. Ich war glaube ich 15, 16, er ein Jahr älter. Aber erst jetzt haben wir zusammen geschrieben und das hat echt Spaß gemacht.

Die anderen Musiker kamen dann wahrscheinlich erst zu den Aufnahmen im Studio dazu?

Ja. Im Frühjahr und Sommer letztes Jahr haben wir die Songs geschrieben. Dann ging es ans Arrangieren. Wir haben zum Beispiel schon ein paar Streichermelodien per Synthesizer bzw. Computer vorgefertigt. Das ganze Zeug ging dann weiter an meinen Haus- und Hof-Arrangeur, der die großen Partituren erstellt hat für Bläser, Streicher und so weiter. Ich möchte ja immer mit echten Instrumenten arbeiten. Die erste lange Aufnahmesession fand dann im November statt, bevor ich nochmal auf Weihnachtstour musste. Im Januar fingen wir mit dem Schneiden an. Weil ich aber nochmal einiges anders machen wollte, kamen im Februar nochmal fünf, sechs Tage für Overdubs hinzu, plötzlich habe ich noch einen neuen Song geschrieben und dann endlich habe ich angefangen zu singen. Anfang Juni war es glaube ich fertig.

"Heute spült es Leute nach oben, die wirklich gar kein Talent mehr haben"

Du orientierst dich ja sehr am Sound der 60er-Jahre. Ganz allgemein gefragt: Was fasziniert dich an dieser Musik so sehr?

Musikalisch mag ich speziell die Bigband-Klänge – aber auch die großen Popsongs aus dieser Zeit. Ich bin großer Beatles-Fan. Ich mag eigentlich alles aus der Zeit, bis in die 70er-Jahre. Ich liebe vor allem, wie diese Musik klingt. Ich bin ja längst nicht der einzige, der vom Klang der alten Aufnahmen schwärmt, wieder dahin zurück will und sich fragt: "Warum klingen diese alten Sachen so geil, warum klingen unsere neuen Sachen so langweilig und leer?" Wir alle haben die gleichen Probleme, was natürlich teilweise an der Aufnahmetechnik liegt. Früher wussten sie ja auch nicht immer, was genau sie jetzt richtig gemacht haben. Nur wurde eben einiges richtig gemacht.

Eine Sache war zum Beispiel, dass sie nicht so viele Mikrofone benutzt haben. Wenn du zehn Mikrofone ans Schlagzeug hängst und jede einzelne Tom abnimmst, bekommt plötzlich der Mischer mehr Verantwortung über den Klang des Schlagzeugs als der Schlagzeuger selbst. Der Schlagzeuger spielt zwar noch, aber wie laut jetzt wirklich die Snare und die Bass-Drum sind, spielt eigentlich keine Rolle mehr. Bei schlechten Schlagzeugern hilft das, weil der Mischer noch einiges verbessern kann. Aber bei einem guten Schlagzeuger mit geilem Sound kann das nicht zum Guten verhelfen. Damals hatten sie diese Möglichkeiten gar nicht, aber sie hatten große Studios und dort sind wahnsinnig tolle Sounds entstanden, meiner Meinung nach. Wenn ich mir Kopfhörer aufsetze und das Orchester höre, nicht alles synthetisch nachgebaut – das finde ich so faszinierend an dieser Musik. Und das versuche ich natürlich auch seit Jahren auch selbst herzustellen. Es ist schwierig.

Du orientierst dich also an den alten Aufnahmetechniken?

Ja auch daran. Aber wir kriegen das natürlich alles nicht so hin, allein schon deswegen, weil wir nicht so ein großes Studio haben. Künstlich den Eindruck zu erwecken, du wärst in einem großen Studio, wo in der einen Ecke die Posaunen sitzen, in der anderen die Gitarre zehn Meter weg vom Mikrofon, das ist schon sehr schwierig. Da doktern viele dran rum. Aber ich komme eigentlich immer zu ganz guten Ergebnissen, zumindest so, dass ich Spaß beim hören habe.

Spielst du eigentlich noch selbst Instrumente im Studio?

Ich spiele nur manchmal ein paar Kleinigkeiten noch ein.

Du kommst ja ursprünglich aus der Instrumentalisten-Branche.

Genau, ich bin eigentlich Schlagzeuger und Posaunist. Erst Mitte 20 wurde ich zum Sänger, mehr oder weniger durch Zufall. Eigentlich wollte ich Rockschlagzeuger werden, das war mein Jugendtraum. Mit 14 habe ich angefangen Schlagzeug zu lernen.

Stimmt es, dass du mal in einer Punkband gespielt hast?

Ja, ich habe alles mögliche gemacht. In einer Witzrockband war ich auch mal. Aber irgendwie war ich dann doch immer zu behütet oder nicht cool und hart genug für so eine Band und hatte auch nicht die richtigen Leute dafür. Ich orientierte mich dann relativ schnell in eine andere Richtung. Meine Leidenschaft gefunden habe ich in meiner ersten Sinatra-CD vom Wühltisch. Ich hatte zwei große musikalische Erweckungserlebnisse. Das erste war, als ich Queen entdeckt habe und dachte: "Wow, was ist das für eine geile Welt?" Mit "Bohemian Rhapsody" und so weiter. Es ist wahnsinnig wie oft ich diese Musik in meiner Jugend gehört habe. Immer und immer wieder. Und das zweite war mit ungefähr 19, als ich Sinatra entdeckt und gemerkt habe, was für geile Musik es schon zwanzig Jahre vorher gab. Bei Sinatra bin ich dann geblieben.

Man könnte sagen, Musik aus den 60ern ist "alte Musik". Behält sie durch das angesprochene Sehnen nach ihrem Klang auch heute noch Relevanz? Oder wenn nicht dadurch, wodurch dann?

Mh, das ist eine dieser musiktheoretischen Fragen, für deren Antwort ich eigentlich zu sehr Musiker bin. Solche Fragen stelle ich mir eigentlich nicht. Ich würde nicht von Relevanz, sondern schlicht von guter Musik sprechen. Moderne Popmusik, gerade die sehr leichte Unterhaltungsmusik, krankt meiner Meinung nach zum Beispiel daran, dass heutzutage durch die Möglichkeiten von Computern wirklich jeder Musik machen kann. Deswegen spült es jetzt auch Leute nach oben, die wirklich so gar kein Talent mehr haben, Musik zu machen. Früher war es sogar bei Schlagern so, dass jemand den Schlager schreiben und jemand ihn texten musste, es brauchte einen professionellen Arrangeur, der die kitschigen Streicher arrangiert hat, die dann auch von echten Streichern gespielt werden mussten, und dann brauchte es noch jemanden, der das Lied in ein oder zwei Takes einsingen konnte. Alle Beteiligten am deutschen Schlager der 60er hatten ein gewisses Niveau und haben etwas geschaffen, was vielleicht besser war als das einzelne Teil.

Und heute hast du solche Leute wie die Amigos ... Das fing schon an in den 80ern. Wie hießen die drei Trottel in den roten Hemden? Flippers! Aber bei den Amigos kommt wirklich das Schlimmste von allem, was ich mir vorstellen kann, zusammen. Das ist lieblos von irgendwelchen Leuten, die keine Ahnung haben zusammengepfuscht. Sowas ist nur heutzutage möglich. In den 60ern hätte das nicht funktioniert, das hätte niemand gewollt. Weil man heute so tolle Effekte mit dem Computer machen kann, geht oft so ein bisschen die Musik an sich verloren.

Versteh mich nicht falsch: Ich steh ja auch drauf, was man mit Computern alles machen kann, und finde tolle Klänge und hippe Sounds cool. Aber ich mag schöne Melodien und Harmoniefolgen noch lieber. Es gibt ja nicht ohne Grund so viele Videos gibt à la "150 Songs mit den gleichen vier Akkorden". Ich sehe es auch immer bei Vincent, wenn er mir zeigt, was er sonst mit manchen Bands macht. Es gibt Bands, die gucken in ein Gitarrenlehrbuch, lernen die ersten drei wichtigen Akkordfolgen und hören dann auf. Die hören dann auch auf, Gitarre zu üben, weil sie denken das reicht. Es gibt schließlich noch den Computer. Man darf gar nicht erzählen, was da teilweise alles gemacht wird. Natürlich gibt es trotzdem noch wahnsinnig gute Musiker! Die Musiker grundsätzlich werden deswegen ja nicht schlechter. Aber es kommt eben viel mehr Müll nach oben. Ich mag eben die alten Zeiten und die alte Art Songs.

Du sagst, solche Musik hätte in den 60ern nicht funktioniert. Warum funktioniert es deiner Meinung nach heute?

Naja, die Leute wollen immer irgendwelche Musik hören. Und einige Leute hören lieber einfache als komplizierte Sachen, das ist klar. Nicht jeder interessiert sich gleichermaßen für Musik oder hat das gleiche Verständnis dafür. Wer früher zufällig, nur weil er in der Zeit aufgewachsen ist, Beatles-Fan war, ist zufällig mit meiner Meinung nach besserer Musik groß geworden. Der kann sich das aber nicht wirklich auf die Fahne schreiben. Heutzutage würde er halt irgendwas anderes hören was gerade groß ist.

Ed Sheeran.

Zum Beispiel. Wobei ...

Naja, Es Sheeran ist zweifellos ein guter Musiker.

Ja eben. Das ist eigentlich schon okay. Neulich bin ich bei YouTube auch wieder auf Musik, die ich ganz horrormäßig finde, gestoßen. Diesen 90er-Jahre-Kram, Eurodisco oder wie sich das nennt. Ich weiß nicht mehr, was genau es war – Haddaway, Snap, DJ Bobo oder so. Und dann schrieb da jemand: "Was für geile Musik, was für eine geile Zeit. Mir tun die jungen Leute leid, die sich jetzt so Scheiße wie Lady Gaga anhören müssen. Hatten wir ein Glück, dass wir so geile Musik erleben durften." Ich dachte nur: "Naja, seriöserweise finde ich Lady Gaga besser als diesen Scheiß..."

Jeder glaubt ja immer, das Zeug mit dem er groß geworden ist, sei das Geilste. Deswegen nehme ich Leute immer ernster, die nicht das hören, was ihnen im Radio gerade vorgesetzt wird, sondern zum Beispiel sagen: "Ich stehe auf 50er-Rock'n'Roll“. Wenn sich jemand speziell eine Nische sucht, hat das mehr Wert als wenn man sich hinstellt und sagt: "Öh ja, 2016 bin ich Ed Sheeran-Fan. Und im nächsten Jahr...“ Das finde ich immer so nichtssagend.

"Ich würde niemals deutschen Schlager singen"

Schöner Rundumschlag. Zurück zu dir. Du führst momentan vier verschiedene Live-Programme im Vorverkauf.

Ja, es ist gerade ziemlich konfus. Aber mehr oder weniger ist das auch einfach Zufall. Das liegt daran, dass die Programme lange im Voraus verkauft werden. Eins davon ist Weihnachtstour, die ich ja jedes Jahr mache. Ich habe zwei Weihnachtsalben mit amerikanischen, englischen Klassikern, von denen wir dann Songs spielen. Aber natürlich kommen dabei auch meine eigenen Sachen zum Zug und wir erfüllen auch ein paar Musikwünsche. Die Weihnachtstour ist jedes Jahr extra. Dann gibt es noch das James Bond-Programm "Licence To Swing". Das ist eigentlich schon zuende, ein paar Konzerte kommen aber noch. Im nächsten Jahr kommen dann die ganzen Konzerten zum neuen Album. Teilweise spiele ich dann noch mit anderen Bands und Orchestern. Das spiegelt wider, dass ich breit gefächert bin in dem, was mir Spaß macht. Es fällt mir schwer, mich einzuengen. Würde mir jemand sagen, dass ich jetzt erstmal nur zwei Jahre das Programm zum Album spielen darf ... puh! Ich muss zwischendurch auch mal was anderes machen. Aber ja, im Moment wirkt vielleicht alles etwas durcheinander.

Ich finde das interessant, denn die übliche Vorgehensweise ist ja, einen Run nach dem anderen anzukündigen und nicht gleich alle auf einmal.

Stimmt – "Die Tour zum Album". Das haben wir versucht, hat aber nicht so richtig geklappt. Im nächsten Jahr wird das mehr passieren.

Im Booklet deines Albums gibt es ein Bild, das mir in seiner Aussage etwas aufstößt: Dort sitzt du in einem hübsch aufgeräumten Hotelzimmer und am Bildrand sieht man eine Frau – in Rückansicht, Kopf abgeschnitten –, inszeniert wie ein Dekorationsobjekt. Findest du das nicht problematisch?

(Lacht) Nein tatsächlich nicht. Erstmal ist das natürlich auch ein augenzwinkerndes Foto. Und witzigerweise ist das meine Frau, also passt auf was du sagst (lacht). Ich wollte sie gerne mit auf den Albumfotos haben, auch damit ich nicht immer alleine dort zu sehen bin. Auf einem anderen Bild ist sie ebenfalls nur abgeschnitten sichtbar. Das hat den Grund, dass sie nicht in den Vordergrund stellen wollte, dass sie meine Frau bzw. damals noch meine Freundin ist. Sie wollte nicht direkt zu sehen sein. Deshalb ist sie abgeschnitten. Es hätte auch von mir selbst abgelenkt. Was die Szenerie genau bedeuten soll, weiß ich gar nicht. Es gibt das gleiche Foto auch mit mir allein, wo ich rauchend auf dem Bett sitze. Das haben wir nicht genommen, weil jemand meinte: "Ist das Rauchen nicht problematisch?" Es ist immer alles sehr problematisch heute.

Ich will dir hier auch gar nichts unterstellen, es ist nur eben sehr auffällig: Alles schön geordnet und die perfekte Frau steht auch noch in der Ecke.

Ja, ich weiß was du meinst. Alte Musik – altes Frauenbild. Die Verbindung kann man sehen, wenn man möchte. Aber so ist das wirklich nicht gemeint. Der Grund war wie gesagt ein ganz anderer.

Ja, deine Erklärung ist nachvollziehbar. Das andere ist: Durch die Ordnung auf dem Bild wirkt alles sehr glatt – und das spiegelt sich zu gewissem Grad auch in deiner Musik wider. Manche sagen, Kunst braucht Kanten. Warum brauchst du das nicht? Was reizt dich am Glatten?

Ich würde das anders sagen. Sorry, ich bekomme das ja auch nur am Rande mit, aber da du aus dieser Richtung kommst und ich auch mit Vincent öfter darüber Diskussionen habe: Auch dieser ganze Rock- und Metal-Bereich ...

... fährt auch in einer Schiene, klar.

Genau, das ist auch eine Schiene. Und oft trifft halt auch die Beschreibung "Schlager mit verzerrten Gitarren" zu. Wie die Songs produziert werden, was die Versatzstücke sind, wovon die Songs handeln, der harmonische Reichtum, die Kunstfertigkeit der Interpreten, die Art wie die Cover gestaltet werden, der Einsatz von Totenköpfen auf T-Shirts... Das ist ein Genre. Und bei mir ging es auch darum: Ich wollte ein 60er-Jahre-Flair herstellen. Das sollte auch auf dem Foto rauskommen. Altes Hotelzimmer, altes Auto ... auch das Haus auf dem Cover haben wir danach ausgewählt. Ich würde behaupten: Vom musikalischen Anspruch hat die Musik meines Albums mehr Ecken und Kanten als vieles andere, was vordergründig vielleicht mehr Ecken und Kanten hat, weil es rauer klingt. Die Toten Hosen sind sicher nicht dreckiger und rauer und haben mehr Kanten als ich. Das ist auch alles sehr, sehr, sehr, sehr, sehr glatt gebügelt. Ich blicke auf sowas immer von musikalischem Standpunkt. Bei einer verzerrten Gitarre hast du eben einen verzerrten Ton, aber...

Da stimme ich dir zu. Verzerrung macht keine Kanten.

Genau. Mein Blick ist da eher theoretisch. Ich gucke in der Praxis. Deswegen empfinde ich meine Musik auch nicht als glattgebügelt. Da passiert in sich, innerhalb der Musik und der Klänge, deutlich mehr Interessantes und weniger Glattes als woanders – meiner Meinung nach.

Obwohl dein Hörerbereich wahrscheinlich eher woanders liegt, hast du zu "Perfect Day" angefangen, deine Social Media-Kanäle zu pushen. Planst du, das auch künftig zu intensivieren, um vielleicht auch jüngeres Publikum zu erreichen?

Ach, man muss es ja einfach machen. Ich habe dafür kein Talent und hasse es wirklich wie die Pest, dauernd Selfies von mir zu machen. Ich wünschte, man müsste es nicht machen. Okay, manchmal ist es auch witzig. Und ich finde es nett, mich so mit Leuten auszutauschen. Meine Fans sind schon alle sehr nette Leute. Ich mag die Leute, die zu meinen Konzerten kommen. Es gibt ja Musiker, die hassen ihr Publikum, weil es nur aus Vollidioten besteht. Aber es gibt halt Leute, die Musik für Vollidioten machen, dann brauchen sie sich nicht wundern. Ich mag mein Publikum zum Glück. Und ich finde auch nett, was die Leute mir schreiben. Ich bin nur einfach sehr faul bei solchen Social Media-Sachen. Ich möchte nicht so viel Zeit damit verbringen. Aber es hilft ja nichts... Als Konsument finde ich das ja selbst auch interessant. Ich gucke schon bei anderen Leuten und kann nachvollziehen, was das Faszinierende daran ist. Manchmal geht dadurch aber auch etwas der Glanz verloren. Wenn du siehst, was die Musiker jeden Tag machen, denkst du dir schnell: "Joa, eigentlich relativ banal. Sitzen beim Essen, sind beim Soundcheck ..."

Darum geht es ja oft. Nahbarkeit.

Klar. Auf der anderen Seite geht aber ein Teil der Faszination verloren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Romy Schneider, Frank Sinatra oder Elvis Presley einfach gesagt hätten: "Hey, hallo, ich sitze hier gerade mit meinem Kumpel auf ein Bier und mache ein kleines Interview." Natürlich war das eine andere Zeit ...

Glaubst du, das hat auch Auswirkungen auf die Musik?

Könnte ich mir vorstellen, ja – sowohl positiv als auch negativ. Es gibt ja aktuell zum Beispiel diese deutsche Musik voller Pathos und à la "Wir sind alle Freunde und alle gut drauf". Sowas passt natürlich gut zu Social Media und diesem Gemeinschaftssinn. Eine andere Sache ist ja auch das Feedback: Im Gegensatz zum verrückten Künstler, der sich ausklinkt und sein eigenes Ding macht, postet man jetzt etwas, bekommt negatives Feedback und macht daraufhin etwas anderes. Früher hast du ein Album gemacht, veröffentlicht und wenn floppte dachtest du dir: "Scheiße". Heute steigen wahrscheinlich erstmal ein paar Testballons: "Hier guckt mal: kleines Demo. Was haltet ihr davon?" Wenn alle sagen: "Mach das bloß nicht", macht man es halt nicht. Wahrscheinlich wäre das bei mir so, wenn ich auf Deutsch singen wollen würde. Das würde man wohl auf Social Media testen, ob es ankommt.

Hättest du Interesse daran?

Habe ich noch drüber nachgedacht. Ich habe nichts dagegen, deutsch zu singen. Ich würde nur niemals deutschen Schlager singen. Aber gegen die deutsche Sprache habe ich nichts. Es erscheint bald ein Album mit unveröffentlichten Liedern und Texten von Heinz Erhardt, an dem ich mitgewirkt habe. Das hat mir großen Spaß gemacht. Aber ich arbeite nicht darauf zu. Mein Herz liegt ja bei den amerikanischen Songs. Zweigleisig deutsch und englisch zu fahren fände ich schwierig. Aber vielleicht würde auch das gehen...

Wie gehst du selbst mit Feedback um? Passt du dich daran an?

Auf der Bühne natürlich. Das ist auch der Grund, warum ich immer versuche, auf der Bühne witzig zu sein. Wenn ich nichts höre, denke ich immer: "Scheiße, die Leute sind eingeschlafen." Auf der Bühne ist mir das Feedback sehr wichtig. Ich freue mich, wenn es den Leuten gefällt und nicht alle scheiße finden, was ich mache. Für das, was ich selbst empfinde, ist das aber nicht unbedingt ausschlaggebend. Meine Mutter fand früher immer alles toll, was wir gemacht haben – ich selbst war eher so: "Ja, nee... Danke Mama, aber war scheiße." Und umgekehrt genauso: Wenn ich für etwas für gut halte, mir aber jemand sagt: "Ey Tom, das ist der schlechteste Song, den du jemals geschrieben hast", dann habe ich trotzdem noch meine eigene Meinung. Aber meistens passt das was ich denke und das was die Leute denken doch immer ganz gut zusammen. Bisher.

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