laut.de-Kritik

Musik für Leute, die Musik nicht mögen.

Review von

Deutschpop 2019: Niemand erwartet irgendetwas, niemand glaubt an Besserung und die kleinsten Zuckungen in die richtige Richtung werden als Heilsversprechen aufgenommen. Tim Bendzko 2019: Die Speerspitze der neuen deutschen Unbedrohlichkeit erfuhr von der Existenz von Synthesizern und wuschelhaart sich abermals durch die schmierige Einöde aus Kleinstadt-Slam-Poetry und den Lebensweisheiten eines Mittelstufenschülers.

Es fängt absurd selbstherrlich an, wenn Bendzko seinen Fans mit dem Opener "Jetzt Bin Ich Ja Hier" messianisch "eine ganz neue Welt" verspricht. Es muss in der Tat eine neue Welt sein, wenn man herausfindet, dass Popmusik nicht nur aus Lagerfeuergitarrenmusik und den steifsten Drumbeats der Welt besteht. Deswegen bekommen wir jetzt ein paar ominös wabernde Synths auf den steifsten Drumbeats der Welt und mit der Single "Hoch" zumindest einen Song, der im Altenheim nicht als Schlafmittel verabreicht werden könnte.

Deutschpop-DJs – die um ihr Schicksal zu bedauern sind – freuen sich: Da sind People of Colour im Video! Und Queers! Und es hat sogar einen Puls. Man könnte zurecht sagen, damit ist deutscher Pop erfolgreich im Jahr 2012 angekommen. Der Rest von "Filter" ist der übliche Morast, der keine schwäbische Rentnerin aus dem Mittagsschlaf aufschrecken lässt, selbst wenn man es über eine Arena-Anlage an ihre Hauswand bolzt. Reduktion sei das Thema, eine Reduzierung aufs Wesentliche. Schöne Idee, ein bis zwei Minuten von Vierminütern abzuschneiden. Der Nachteil ist, dass immer noch zwei bis drei Song-Minuten übrig bleiben.

Ein bisschen Spießbürger-Melancholie, ein paar Phrasen: Diese ganze Generation an Deutschpop-Barden scheint so verängstigt von der Idee, pathetisch werden zu können, dass sie sich lieber so kunstlos und banal ausdrückt, wie es nur irgendwie geht. Das führt zu irrwitzigen Weisheiten wie "die frische Luft tut irgendwie gut" und bewegender Liebes-Epik wie "Werden wir uns wiederseh'n? Klar, für mich wär das okay / Nächsten Samstag würde geh'n".

So gut, so langweilig, so Deutschpop. Musik aus der Dose mit der geringsten Menge Widerstand. Doch Tim Bendzko hat noch einen mächtigen Schlag Gesellschaftskritik im Köcher, den er auf "Nicht Genug (feat. Kool Savas)" mit Philosophieveteran und Dingeversteher Kool Savas ausdrückt. Ein zweites "Xavas"-Verschwörungsfest gibt es glücklicherweise nicht, stattdessen beinharte, revolutionäre Erkenntnisse wie: Manchmal ist der Leistungsdruck und die Selbstoptimierung gar nicht einmal so cool. Dazu Statements wie "Smartphone schlecht", um die Gunst der Älteren zu sichern und einer Prise Selbstmitleid.

Man könnte sich fragen, inwiefern diese Leistungskritik mit seiner Marathonläufer-Single "Hoch" zusammenkommt, die klingt, als hätte der Typ von den Känguru-Chroniken eine McFit-Werbung geschrieben. "Du musst immer alles geben" im selben Atemzug mit "Du bist genug, wie du bist". Genau so wie er auf "Für Immer" lamentiert, dass er ja nur einen Schluck Fanta und ein Fahrrad anbieten könnte, während er dann auf "Leise" mit tiefer Wehleidigkeit vorträgt, dass sein viel zu großes Haus und sein viel zu schneller Wagen ihn ja auch nicht glücklich machen.

Deutschpop wie eine einzige Einöde. Aber die Konsumenten sind da. Wer Til Schweiger-Filme mag, mag eben Til Schweiger-Filme. Die Gedanken sind banal, die Erkenntnisse von vorvorgestern und die Musik dudelt in die Endlosigkeit. Man mag ein paar Momente der Wagnis auf "Filter" beobachten, aber abgesehen vom etwas treibenderen "Hoch", das dennoch an der eigenen Banalität krankt, bleibt Tim Bendzko Produzent der süßen, harmlosen "Ich flieg nach meinem Abi nach Australien"-Musik. Telenovela-Musik. Musik für Leute, die Musik nicht mögen, Gefühle für Leute, die über ihre Gefühle nicht nachdenken und Gedanken für die, die nicht gerne denken.

Trackliste

  1. 1. Jetzt Bin Ich Ja Hier
  2. 2. Dieses Herz
  3. 3. Nicht Genug (feat. Kool Savas)
  4. 4. Nur Wegen Dir
  5. 5. Für Immer
  6. 6. Hoch
  7. 7. Laut
  8. 8. Trag Dich
  9. 9. Freier Fall (feat. Milow)
  10. 10. Nie Mehr Zurück
  11. 11. Vielleicht
  12. 12. Leise
  13. 13. An Deiner Seite

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