28. August 2014

"Da kneift man dann schon mal die Arschbacken zusammen"

Interview geführt von

Über fehlenden Nachschub können sich Fans des schwäbischen Songwriters Tiemo Hauer definitiv nicht beschweren. Unter dem Titel "Camille" präsentiert der Mittzwanziger mit dem rauchigen Organ bereits sein drittes Studioalbum seit seinem Eintritt in den nationalen Singer/Songwriter-Olymp im Jahr 2011.

Songs schreiben, ins Studio gehen, am Promo-Zeiger drehen und auf Tour gehen: Im Leben von Tiemo Hauer dreht sich seit knapp vier Jahren alles um die Musik – seine Musik. Der junge Stuttgarter behält nämlich trotz nicht enden wollender Arbeit gerne die komplette Kontrolle. Ein Major-Label mit eigener Vermarktungsabteilung kommt für Tiemo Hauer nicht in Frage. Das hat der Sänger alles bereits hinter sich, und es hat nicht funktioniert. Tiemo Hauer ist lieber sein eigener Chef. Für sein neues Album "Camille" setzte sich der smarte Blondschopf sogar erstmals auf den Produzentensessel. Wir verabredeten uns mit dem DIY-Verfechter und plauderten über kalte Duschen, nervende Vergleiche und Bodenständigkeit.

Hi Tiemo, seit kurzem kann man auch dich dabei bewundern, wie du dir einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf kippst. Wie war's?

Tiemo: Kälter als erwartet (lacht). Es war wirklich saukalt. Aber es war für einen guten Zweck. Da kneift man dann schon mal die Arschbacken zusammen.

Nach einem wochenlangen Hype um die sogenannte Ice Bucket Challenge kippt die Stimmung momentan ein bisschen. Viele erzürnen sich daran, dass sich Millionen Nachahmer einen Eimer mit Wasser über den Kopf kippen, ohne überhaupt zu wissen, worum es bei der Aktion eigentlich gehen sollte – nämlich darum, auf eine schwere Nervenkrankheit namens ALS aufmerksam zu machen, und nicht darum, sich vor aller Welt im "Pannenshow"-Stil zum Löffel zu machen. Wie siehst du die Entwicklung?

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich vorher von der Krankheit so gut wie gar nichts wusste. Als ich mich dann aber informiert hatte, war für mich klar, dass ich – wenn ich nominiert werde – natürlich auch mitmache, keine Frage. Ich habe im Anschluss auch gleich eine Zahlung in die Wege geleitet. Darum geht es ja eigentlich. Es geht darum, Geld zu sammeln. Ich finde es auch toll, dass sich mittlerweile so dermaßen viele Promis an der Aktion beteiligt und ebenfalls gespendet haben. Das ist ganz großes Kino.

Leider ist dem einen oder anderen aber die Selbstdarstellung etwas wichtiger gewesen als der Hinweis auf den Ursprung der Aktion. Das ist natürlich echt schade. Mir war es beispielsweise wichtig, dass der Clip kurz ausfällt und somit der Belustigungsmoment nicht im Vordergrund steht. Dass eine derartige Aktion in Zeiten von Youtube, Facebook und Co weltweit ausgeschlachtet wird, war aber abzusehen. Ich bin auch kein Fan von all diesen Möchtegern-Clips, bei denen es nur um die Selbstinszenierung geht. Aber so ist es nun mal.

Apropos Challenge: Was war denn in deinem Leben bisher die größte Herausforderung?

Das ist eine schwere Frage. Mir ist es wichtig, dass ich mir treu bleibe. Ich meine, es gab schon viele Momente in meinem Leben, in denen ich es mir einfacher hätte machen können. Dann hätte ich jetzt zwar mehr Kohle auf dem Konto, aber ich wäre nicht mehr der Tiemo Hauer, der ich nun mal bin. Mag sein, dass nicht alle Leute meinen eingeschlagenen Weg nachvollziehen können; aber das ist mir egal. Am Ende des Tages bin ich schließlich derjenige, der in den Spiegel schaut und klarkommen muss. Diesen Weg zu gehen, ist die größte Herausforderung für mich. Ich will offen sein und mich inspirieren lassen. Ich will mich entwickeln und nicht in irgendeiner Schublade feststecken, aus der ich nicht mehr rauskomme.

"Ich bin nicht der Typ, der mit einem Album zwei Jahre lang auf Tour gehen kann"

Musikalisch scheinst du noch lange nicht angekommen zu sein. Auf deinem neuen Album gibt's mitunter sogar noisige Klänge zu hören. Auf was können sich deine Fans in Zukunft noch alles gefasst machen?

Keine Ahnung (lacht). Ich denke, dass das Grundgerüst schon bleiben wird. Darüber hinaus bin ich aber für alles offen. Ich habe auch schon wieder neue Songs geschrieben, die sich meiner Meinung nach total von den Sachen auf "Camille" unterscheiden. Ergo: Es bleibt auf jeden Fall spannend.

"Camille" ist bereits dein drittes Studioalbum seit 2011. Jetzt sprichst du bereits von neuen Songs. Bist du ein Mensch, der es nicht abwarten kann, seine Gefühle und Gedanken mit der Öffentlichkeit zu teilen?

Das ist schon ein bisschen seltsam, stimmt. Menschlich würde ich mich sicherlich nicht so einschätzen. Ich bin eigentlich eher ein ruhiger Typ. Musikalisch hingegen bin ich ständig auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten. Das hat natürlich auch was mit meinem Leben als Musiker zu tun. Ich meine, ich bin jetzt seit vier oder fünf Jahren ständig auf Achse.

Ich lerne neue Menschen und neue Orte kennen. Da entstehen dann natürlich jede Menge Situationen, die hängenbleiben, und die ich mit den Leuten teilen möchte, die sich für mich und meine Musik interessieren. Und da ich halt kein guter Erzähler bin, verarbeite ich die Dinge halt in meiner Musik. Ich bin auch jemand, der lieber nach vorne schaut und sich nicht so gerne mit Vergangenem beschäftigt. Ich bin nicht der Typ, der mit einem Album zwei Jahre lang auf Tour gehen kann. Ich brauche auch immer einen aktuellen Bezug.

Du hast dich diesmal nicht nur um die Songs, sondern auch um die Arrangements und die Produktion gekümmert. War dir das von vornherein wichtig? Oder hat sich das einfach so entwickelt?

Das hat sich einfach so ergeben. Ich habe ja vorher auch schon mit am Mischpult gesessen und meinem Keyboarder über die Schultern geguckt, wenn es um die Produktion, das Mixen und das Mastern ging. Das war also jetzt kein Neuland für mich. Ich bin halt jemand, der in Bezug auf die Musik einfach so viele Strippen wie möglich ziehen möchte. Je mehr ich lerne und mir aneigne, desto mehr will ich davon auch in die Tat umsetzen.

Live hingegen präsentierst du dich komplett anders. Da stehst du nicht im Vordergrund, während der Rest der Band drei Meter hinter dir im Dunkeln agiert. Wie kommt's?

Gute Frage (lacht). Live ist es irgendwie anders. Da bin ich kein Alleinunterhalter. Für mich gibt es nichts Schöneres, als den Moment, in dem ich mich auf der Bühne zusammen mit meiner Band in eine komplett andere Welt katapultiere. Das würde ich aber nicht hinbekommen, wenn ich vorne im Rampenlicht verharre. Das ist auch gar nicht meine Art. Als ich vor ein paar Jahren noch alleine unterwegs war, saß ich jeden Abend am Klavier, ohne Band. Das fühlte sich irgendwie komisch und falsch an. Ich bin einfach ein Band-Typ, der den musikalischen Austausch auf der Bühne braucht.

"Ich setze mir keine festen Ziele"

Du sprachst gerade von deinen Anfängen. Schon damals hast du dich vehement dagegen gewehrt mit vermeintlich ähnlich gestrickten deutschen Gesangstalenten à la Tim Bendzko und Co in einen Topf geworfen zu werden. Auch heute noch tut sich ein Teil der Presse schwer damit, dich als eigenständigen Künstler wahrzunehmen. Nervt dich das?

Ja, total. Wobei ich mittlerweile auch ganz gut zwischen oberflächlichen Berichten und Artikeln, die sich mit der Musik auseinandersetzen ganz gut unterscheiden kann. Nichtsdestotrotz ärgert es mich aber, auch wenn ich weiß, dass derartige Vergleiche in der Regel nur von den Leuten in den Raum geworfen werden, die von Musik eigentlich gar keine Ahnung haben. Mit einem Tim Bendzko verbindet mich musikalisch ja nun wirklich nicht gerade viel, oder?

Nein, eigentlich nicht. Ich kenne zumindest keinen Song von ihm, bei dem ich sagen würde: Wow, den würden sie im Fernsehgarten wohl eher ablehnen.

(Lacht) Eben. Ich singe deutsch, er singt deutsch. Ich habe blonde Locken, er hat blonde Locken. Das war's dann aber auch schon. Vielmehr verbindet uns beide nicht. Aber eben genau diese Eckdaten werden von einigen Autoren gerne als Aufhänger benutzt. Das nervt mich zwar, aber es geht nicht soweit, dass ich mir vor einer Albumproduktion darüber Gedanken mache, was ich punkto Musik noch ändern könnte, um bloß nicht noch mehr Futter für diese Leute zu verteilen. Wer sich die Mühe macht, in meine Alben reinzuhören, der wird schnell feststellen, dass bei mir zuhause wahrscheinlich ganz andere Platten auf Rotation laufen, als bei einem Tim Bendzko. Das soll jetzt gar nicht wertend rüberkommen. Jeder soll das machen, was ihm Spaß macht. Punkt.

Dir bereiten immer noch die Klänge von Bands wie Sigur Ros und Arcade Fire die meiste Freude, oder?

Ja, das stimmt. Ich stehe total auf atmosphärische Sounds, die einen packen und dann nicht mehr loslassen. So versuche ich auch an meine Songs ranzugehen. Ich habe keine Lust darauf, irgendwann mal irgendwo anzukommen, wo es keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr gibt. Ich bin nicht der Typ, der sich feste Ziele setzt; schon gar nicht wenn es um Sounds geht. Ich bin da total offen und lass mich gerne immer wieder aufs Neue inspirieren.

Ein Typ, der es sich mittlerweile leisten könnte, in Berlin oder Hamburg auf dicke Hose zu machen, stattdessen aber lieber weiterhin seine Kreise im beschaulichen Stuttgart zieht und sich wie ein kleines Kind darüber freut, wenn Leute aus seinem Umfeld in einer Nacht- und Nebelaktion 80 kleine Albumplakate an die Häuserwände kleben.

Genau (lacht). Diese Aktion fand ich total cool. Da haben sich Leute echt Mühe gegeben und viel Zeit investiert. Sowas macht mich glücklich und auch ein bisschen stolz. Und dann stell ich mich auch gerne mal vor eine dieser Häuserwände, fotografiere die Plakate und bringe dann über Facebook meine Freude darüber zum Ausdruck. Das mache ich gerne, weil es mich halt berührt.

Klar, mittlerweile könnte ich auch den unnahbaren erfolgreichen Halb-Star raushängen lassen. Aber das bin ich nicht. So ticke ich nun mal nicht. Ich weiß genau wieviel Arbeit hinter der ganzen Sache steckt und dass ich ohne mein Umfeld und meine Fans immer noch ein Niemand wäre. Das ist mir bewusst. Und da bin ich auch froh drüber. Ich kann zwar im Studio manchmal eine kleine Diva sein, wenn mir irgendwas nicht passt, aber da draußen in der normalen Welt bin und bleibe ich einfach nur der Tiemo Hauer, der ich schon immer war.

Da bietet sich zum Abschluss ja Folgendes förmlich an: Danke fürs Gespräch, und bleib so wie du bist.

Ich werd mich bemühen (lacht).

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Tiemo Hauer

Als "aufgehenden Stern" betitelt ihn das Magazin azubi, und Aggi's Musik Bistro schreibt über einen seiner Auftritte: "In diesem Alter solche Lieder …

Noch keine Kommentare