laut.de-Kritik

Der Wahnsinn bekommt Methode, und er rockt!

Review von

Der Bart ist ab, das Klavier ist weg, doch wie wir alle wissen, zählen allein die inneren Werte. Charakter und so. Den hat Jack White zur Genüge, kehrt er doch nach dem Seitensprung mit den Raconteurs, der in einer offenen Band-Ehe ohnehin erlaubt ist, nun wieder brav zu der Frau zurück, die ihm im normalen Leben den Takt vorgibt. Hereinspaziert, liebe Freunde des urwüchsigen Rock'n'Rolls, willkommen in der Welt der polternden Drums und der schneidigen Gitarrensoli, willkommen zurück in den Klauen des Zeremonienmeisters Jack und seiner stets dienstbeflissenen Komparsin Meg.

Machen wir es kurz: Was uns das selbst nach zehn Bandjahren noch enigmatischste Pärchen des Rockbetriebs mit "Icky Thump" vor die Füße spuckt, ist keineswegs der im Titel suggerierte gallige Brocken. Der in "Icky" abgeänderte, englische Ausruf "Ecky Thump" ("Was zur Hölle?") entfährt dem Muttersprachler von der Insel allenfalls beim gleichnamigen Opener. In nur vier Minuten eifert dieser dem artifiziellen Drang des gesamten Vorgängeralbums nach, herkömmliche Songschemata möglichst schnell und wirkungsvoll außer Kraft zu setzen.

Obendrein wird der Dudelsack als neue abseitige Klangfarbe in den White Stripes-Kosmos eingeführt, wie es zu Zeiten der Satansaustreibung noch die Marimba war. Ab dem zweiten Song ist dann allerdings schon Schluss mit experimentellen Songgerüsten. Scheinbar befreit von jeglichen Zwängen, die der kommerzielle Erfolg von "Seven Nation Army" auf den Kompositionsprozess von "Get Behind Me Satan" zweifellos ausgeübt haben muss, lassen uns Jack und Meg wieder an ihrer unbändigen Spielfreude teilhaben, die ihre Konzerte in der Regel zu Orgien ausarten lassen.

Nicht zuletzt weil das Zentralkomittee der rot-weißen Vereinigung unlängst nach Nashville verlegt wurde, wo dessen Vorsitzender Jack auch einen Platz für seine kleine Familie gefunden hat, schienen Bedenken angebracht, die White Stripes kämen in neuer Studioumgebung auf die Idee, ihren Sound zu glätten oder mit zahmen Country-Einflüssen aufzuweichen.

Das Gegenteil ist der Fall. Zwar hat es mit "Conquest" eine Coverversion der 50er Jahre-Countrysängerin Patty Page auf die Platte geschafft, die gehört dank Tango-Rhythmus, schrägem Trompetensolo und dem zeternden Conquistadoren Jack White allerdings ins stets geöffnete Kuriositätenfach der Gruppe. Den Trompeter entdeckte Jack im Übrigen bei einem abendlichen Besuch in einem mexikanischen Restaurant - support your local musicians, einmal anders!

"Icky Thump" ist das organischste Werk bis dato und vereinigt alle Stärken, die die White Stripes einst berühmt gemacht haben: Unanständige Riffs, teils in kamikaze-ähnlicher Ausprägung, und Melodielinien, die erst mit Verzögerung einschlagen, dann aber um so intensiver. Allerdings weist das neue Material die Naivität der frühen Platten deutlicher denn je in die Schranken. Scheinbar in zwanzig Minuten hingerotzte Nackenbrecher in diskutabler Klangqualität sind Vergangenheit, der Wahnsinn hat nun Methode, aber er rockt noch immer unglaublich.

Etwa der Single-Anwärter "You Don't Know What Love Is (You Just Do As You're Told)" mit einem der mächtigsten Breaks der Bandgeschichte oder die klassische High Speed-Blueskeule "Bone Broke". Im den gälisch anmutenden "Prickly Thorn, But Sweetly Worn" und "St. Andrew", Megs Spoken Word-Auftritt, kommt erneut der Dudelsack zum Einsatz, "300 M.P.H. Torrential Outpour Blues" und "Rag And Bone" verdanken ihre Anziehungskraft vor allem dem Wechselspiel zwischen lauten und leisen Passagen.

Die wahren Perlen befinden sich im hinteren Drittel: "I'm Slowly Turning Into You" beginnt wie das nachfolgende "A Martyr For My Love For You" mit brummender Orgel, ufert dann aber in eines dieser manischen White Stripes-Akkordfolgen aus, während letzterer als eine Art düstere Fortsetzung von "My Doorbell" durchgeht. Danach straft der "Catch Hell Blues" noch einmal all jene Lügen, die behaupten, die Geschichte des Blues sei bereits zigmal erzählt worden. Ebenfalls eindrucksvoll gelingt "Little Cream Soda", ein mit allen Jimmy Page-Errungenschaften veredeltes Hardrock-Monster.

Die alte Detroiter Garage Rock-Clique der White Stripes, deren Missgunst die Band zum Teil nach Nashville vertrieben haben soll, wirds nicht gerne hören: Jack und Meg können ihren Trademark-Sound scheinbar an jedem beliebigen Ort der Welt reproduzieren. Aber warum zur Hölle ist ausgerechnet "Icky Thump" das erste White Stripes-Album mit schwarzweißem Cover, wo doch die rot-weiß gesteiften Ponchos aus Mexiko so trefflich gepasst hätten? Ecky Thump?!

Trackliste

  1. 1. Icky Thump
  2. 2. You Don't Know What Love Is (You Just Do As You're Told)
  3. 3. 300 M.P.H. Torrential Outpour Blues
  4. 4. Conquest
  5. 5. Bone Broke
  6. 6. Prickly Thorn, But Sweetly Worn
  7. 7. St. Andrew (This Battle Is In The Air)
  8. 8. Little Cream Soda
  9. 9. Rag And Bone
  10. 10. I'm Slowly Turning Into You
  11. 11. A Martyr For My Love For You
  12. 12. Catch Hell Blues
  13. 13. Effect And Cause

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48 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    @Kukuruz (« Und wieder mal will mir um den Teufel nicht in den Kopf, wie man auf die absurde Idee kommen kann, diese Band in die "Good-Ol'-Bluesrock"-Ecke zu stellen. »):

    Na, wo hast du das denn aufgeschnappt? Die Streifenhörnchen sind klar Alternative Rock, und das nennt sich so, weil man seinen Opus von überallher zusammenklaut, hoppla... man für alles offen ist! Die Blues-Aura eines Jack White gründet sich auf Kollabos mit Bob Dylan und (musikalischer) Mitwirkung an Cold Mountain. Die Einflüsse sind also da, werden bei The White Stripes aber durch den Garage-Hintergrund der Band weitläufig übertüncht. Eher mal in das Debüt von The Raconteurs reinhören, Anspieltipp: Blue Veins.

  • Vor 15 Jahren

    Zum Album an sich: Für mich die stärkste Stripes-Platte. Unglaublich vielseitig und nur starke Songs (von "The Battle of..." mal abgesehen). Kein Song ist für mich schlechter als 7/10.
    Die Leute sind wohl alle gesättigt von der Band gewesen, anders kann ich mir diese Nicht-Beachtung in der Öffentlichkeit nicht erklären.

  • Vor 12 Jahren

    für mich auch ihre beste platte