laut.de-Kritik

Das perfekte Ende einer (fast) unendlichen Geschichte.

Review von

"Hours are like diamonds / Don't let them waste", so sangen die Rolling Stones in "Time Waits For No One" ("It's Only Rock 'n Roll"), einem Song, fast schon zu groß für eine der größten Bands dieses Planeten. Dennoch ließen sie seit "A Bigger Bang", ihrem letzten Album mit selbst geschriebenen Nummern, ganze achtzehn Jahre leichtfertig verstreichen.

Das gelungene Blues-Werk "Blue & Lonesome" von 2016 blieb in dieser Zeit der einzige Release, enthielt jedoch ausschließlich Cover-Versionen. Während dessen Promophase versprachen die Stones mehrfach lautstark einen neuen Longplayer mit eigenen Songs innerhalb des nächsten Jahres. Es sollten nahezu sieben werden.

Zwar setzten sie sich kurz darauf mit dem "Blue & Lonesome"-Produzenten Don Was zusammen, doch so wirklich ins Laufen kamen die Arbeiten an "Hackney Diamonds" nicht. Die Songs waren zu schlecht, Mick Jagger unmotiviert. Seine Arthritis zwang Richards, seinen Spielstil zu ändern, eine Pandemie brachte unser aller Leben zum Stilstand. Seit Brian Jones' Tod erschienen die Stones unvergänglich, bis sie merkten, dass sie doch nicht so unsterblich sind wie das Internet ihnen weismachen wollte: Letztendlich musste erst am 24. August 2021 mit Charlie Watts ihr Herz aufhören zu schlagen, bevor sie wieder leben konnten. Sein Tod gab laut Richards den Anstoß, ernsthaft mit den Arbeiten zu beginnen.

Paul McCartney schlug ihnen 2022 den Produzenten Andrew Watt vor, einen Mann, der sich mit Iggy Pop, Eddie Vedder und Miley Cyrus fleißig durch die Generationen arbeitet und so 2021 den Grammy Award für den Produzenten des Jahres einheimste. Mit ihm kamen die Arbeiten zügig ins Rollen. So sehr, dass er sich am Songwriting der ersten drei Stücke des Albums, "Angry", "Get Close" und "Depending On You", beteiligte.

Verbindet man das Veröffentlichungstempo der Band mit dem mittlerweile tatsächlich hohen Alter der Mitglieder, lässt zumindest nicht ausschließen, dass es sich bei "Hackney Diamonds" um ihren letzten Release handelt. Jagger zählt jetzt 80 Lenze, Richards folgt ihm im Dezember. Nur ihr neuer Gitarrist Ronnie Wood geht mit 76 noch als Jungspund durch. Wer Menschen in diesem Alter im familiären Umfeld hat, weiß, wie stark schon wenige Monate den Gesundheitszustand verändern können, wie schnell Gevatter Tod anklopfen kann.

Vieles hier deutet darauf hin, das dies auch den Rolling Stones sehr bewusst ist. So laden sie für eine möglicherweise letzte Sause alte Weggefährt:innen und weiteren Besuch ein, darunter Paul McCartney, Elton John, Stevie Wonder, Bill Wyman und Lady Gaga. Als hätten sie sich das Stück bewusst für diesen Moment aufgehoben, enden sie das Album mit Muddy Waters' "Rolling Stone Blues".

Aufgrund der langen Pause und der möglichen Tragweite fällt es schwer, diesem Album keinen besonderen Stellenwert zuzuschreiben. Leicht setzt ein Effekt zwischen Idolisierung, Nostalgie und Abschied ein, der sich bereits jetzt in den Bewertungen spiegelt. Sollte sich die schlimmste Vermutung bewahrheiten, dürfte sich dieser über die Jahre nur noch steigern. Wie bei vielen seit Jahrzehnten tätigen Acts, die irgendwann unterwegs zeitweise ihren Zaubertrank verloren hatten (Gruß geht raus an "Dirty Work"), stellt jedes neue Werk laut der Presse das beste Album seit dem letzten guten, auf das man sich geeinigt hatte, dar. Bei Bowie war dies zum Beispiel "Scary Monsters (And Super Creeps)", bei den Rolling Stones das aus Resten zusammengeflickte "Tattoo You".

Wischt man all dies zur Seite, steckt hinter "Hackney Diamonds" ein solider Rolling Stones-Longplayer. Der Fokus liegt auf Rock-Songs, wie man sie von ihnen spätestens seit "Steel Wheels" kennt. Im Endeffekt macht es nur wenig Unterschied, auf welchem Album sich diese befinden. Nach dem ersten positiven Eindruck verfliegen diese Stücke mit der Zeit, und nur wenige bleiben bestehen. Zu viel wirkt austauschbar. Auch hier können sich die Lieder nicht wirklich mit den Glanztaten aus den 1960ern und 1970ern messen. Diese Zeit liegt nun einmal weit zurück.

Der katastrophal abgemischte Opener "Angry" mit dem Wuchtschlagzeug des nun an den Drums sitzenden Steve Jordan orientiert sich zu sehr an "Start Me Up", ohne dessen Klasse zu erreichen: ein eher uninspirierter Start. Erst mit dem Rock-Shuffle "Get Close" kommt "Hackney Diamonds" langsam in Fahrt. Die Energie der Strophen verliert sich aber leider aufgrund des eher ideenarmen Refrains.

Es braucht ausgerechnet die Ballade "Depending On You" mit ihrer Country-geprägten Leadgitarre, um den Longplayer in Gang zu setzen. Ein klassischer Stones-Song im besten Sinne, der aber wie so vieles hier eher unglückliche Lyrics birgt: "Now I'm too young for dying and too old to lose." Bei allem Respekt vor dem Alter: Nein.

"You took my keys and then you nicked my phone / Seduced my landlord, broke in my home", singt Jagger im ulkigerweise viel zu aufgeräumten "Mess It Up", und man fragt sich, wann dieser Mann wohl zuletzt eine:n Vermieter:in hatte. Nur eine Stelle aus einem anbiedernden Text, in dem Jagger unbeholfen versucht, mit einer Welt anzubandeln, in der er seit Jahrzehnten keine Sekunde mehr verbracht hat. "You shared my photos with all your friends / Yеah, you put them out there, well, it don't make no sense."

Immerhin schenkt uns das Stück zusammen mit dem weitaus dreckigeren "Live By The Sword" die letzten Aufnahmen von Charlie Watts. Hier blüht Elton John zudem weitaus mehr auf als noch in "Get Close". Dass Bill Wyman hier noch einmal zum Bass greift, erscheint aus der Sicht der Band verständlich, hat aber aufgrund seiner Vergangenheit einen gewissen Beigeschmack.

Der Rocker "Bite My Head Off" explodiert kurzzeitig wegen McCartneys herrlich herben Basssolos, bietet ansonsten aber nur Standard. Sein Auftritt schließt eine Klammer, die die von Lennon–McCartney geschriebene zweite Rolling Stones-Single "I Wanna Be Your Man" öffnete.

"Whole Wide World" verfügt über den wohl besten Refrain auf "Hackney Diamonds" und ein kraftvolles Gitarrensolo. Die Country-Rock-Ballade "Dreamy Skies" lässt Erinerrnungen an "Sticky Fingers" aufkommen und hält diesen auch stand. Das brave "Driving Me Too Hard" dient als mögliche kommende Stadion-Hymne im "Beast Of Burden"-Stil und verdeutlicht noch einmal, dass Jordan letztendlich nur als Watts-Imitator dient. Beide hätten mehr Respekt verdient.

"Sweet Sounds Of Heaven" hat eigentlich fast alles, das diesen Song zu einem wirklichen Stones-Klassiker formen könnte, zu einem Übersong. Musikalisch ist der sich stark am Gospel orientierende Track wohl das beste auf "Hackney Diamonds". Das beste, das die Stones seit einer ganzen Weile aufgenommen haben. Der mit Stevie Wonder am Piano und den Keyboards brillant besetze Siebenminüter wartet mit einer unglaublichen Dynamik auf.

Die sonst großartige Lady Gaga wirkt hingegen übermotiviert und in der Rolle als Backgroundsängerin fehlbesetzt. Letztlich fällt sie nur damit auf, dass sie sehr laut singen kann, und wird so zum Ärgernis. Dem Song fehlt tatsächlich der eine bleibende Gedanke, der einst so viele Stones-Lieder ausmachte, das Bleibende, die eine Hook, die immerwährende Idee. So verliert sich das Stück trotz seiner in ihm steckenden Klasse ein wenig im Nirgendwo, setzt aber dennoch ein klares Highlight.

Am Ende eines soliden Rolling Stones-Albums mit Höhen und Tiefen steht das eine Lied, dem die Band ihren Namen verdankt. "Rolling Stone Blues" führt sie noch einmal zu dem zurück, in dem sie immer am besten waren: zum Blues. Jagger bekommt Platz für seine schmutzige Mundharmonika. Sollte dies tatsächlich ihr letzter Track bleiben, es wäre das perfekte Ende einer Geschichte, die man sich über Jahrzehnte und Generationen hinweg erzählte. Bloß haben alle Geschichten, selbst die spannendsten, eben gemeinsam, dass sie nicht nur irgendwann beginnen, sondern auch irgendwann enden müssen.

"Well, my mother told my father /
Just before I, I was born /
She said, 'Got a boy child comin', it's gon' be /
Gonna be a rolling stone /
It's gonna be a rolling stone /
It's gonna be a rolling, oh well.
"

Trackliste

  1. 1. Angry
  2. 2. Get Close
  3. 3. Depending On You
  4. 4. Bite My Head Off
  5. 5. Whole Wide World
  6. 6. Dreamy Skies
  7. 7. Mess It Up
  8. 8. Live By The Sword
  9. 9. Driving Me Too Hard
  10. 10. Tell Me Straight
  11. 11. Sweet Sounds Of Heaven
  12. 12. Rolling Stone Blues

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13 Kommentare mit 39 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Gute Songs, aber das Mastering ist unter aller Kajüte. Komprimiert wie in besten Loudness War-Zeiten.

    • Vor 6 Monaten

      Genau so ist es. Es wäre ein wirklich gutes Album, aber dieser Komprimierungswahn macht alles kaputt.
      Von der Übersteuerung ganz zu schweigen. Da durfte wohl ein Kumpel des Praktikanten ran.

    • Vor 6 Monaten

      Vllt ist der Engineer ja ähnlich alt wie die Stones und schon seit Jahr(zehnt)en schwerhörig?

    • Vor 6 Monaten

      Ich weiß, was Ihr meint. Will aber trotzdem mal klugscheißen: "Früher", zu Analogzeiten, wurde meistens noch härter komprimiert als heute. Teils absichtlich, teils wurden die Tapes durch mehrfaches Überspielen "gesättigt", was den Dynamikumfang der Aufnahmen immer einschränkte. Es ist schlcht ein Irrtum, anzunehmen, früher wurde weniger komprimiert.

      Loudness War, wiederum, ist ein richtiger Faktor. Der entsteht hier z.B. vor allem durch aggressive Mischverhältnisse und Mastering auf Anschlag. Wie in der Rezi steht: Es wurde vor allem scheiße gemischt.

    • Vor 6 Monaten

      @Ragism
      Mir ist aber keine vergleichbare (also nicht völlig andere Musik) Aufnahme aus der Analogzeit bekannt, die einen durchschnittlichen Dynamikumfang von gerade mal 5 Dezibel hat.

    • Vor 6 Monaten

      Ragi in mehreren Belangen ungenau bis falsch:

      Aufnahmen auf Band haben technisch bedingt einen relativ geringen Dynamikumfang, viel geringer als der von professionellen Mikrofonen. Abhängig von der Eingangslautstärke findet bei Aufnahme auf Band immer Kompression statt, mit den (damals unerwünschten) Nebeneffekten, dass zusätzliche (hauptsächlich ungerade) harmonische Frquenzen entstehen und das Signal verzerrt wird.

      Zusätzlich wurde auch "absichtlich" komprimiert, allerdings hatte auch diese Art der analogen Kompression Nebeneffekte, Distortion und Saturation verfälschen das Signal, auch wenn es gut klingt.

      Das große Aber hier ist, dass diese analogen Kompressionsmethoden nicht wirklich in der Lage waren so stark zu komprimieren, um den Dynamikumfang zeitgenössischer Musik so stark zu reduzieren ohne die musikalischen Informationen nahezu vollständig zu zerstören. Das war erst mit digitalen Methoden möglich, und das ist mit ein Grund, dass mensch sehr geringen Dynamikumfang eigentlich ausschließlich bei modernen, digital erstellten Stücken findet.

    • Vor 6 Monaten

      Wäre eine Vinylplatte so komprimiert wie viele heutige CDs, wäre sie wohl kaum abspielbar: Die Nadel würde nicht in der Rille bleiben.

    • Vor 6 Monaten

      Capslock mal wieder Sachen am Widersprechen, die ich nie gesagt habe, teils mit genau den Sachen, die ich tatsächlich gesagt habe :)

    • Vor 6 Monaten

      Übrigens halt ungenau bis falsch. Es ist nicht so, als wäre es mit einem alten 1176 nicht möglich gewesen, so hart zu komprimieren wie heute. Es konnte hart komprimiert werden, und es wurde getan. Ernsthaft, die sind selten zimperlich mit ihren Kompressoren umgegangen. ZUSÄTZLICH zu dem von mir beschriebenen Tape-Sättigungseffekt.

      Was Ihr meint, ist, wie Richman schon schrieb, auch eine Sache der technischen Limitierung von Vinyl einerseits, und Hörgewohnheiten andererseits. Man hätte auch damals auf -9LUFS mastern können (Medium außen vor), und hätte es in vielen Fällen vielleicht auch gerne gemacht.

      Wie gemastert wird, ist eine Sache der Mischverhältnisse und ihrer Entscheidungen. Extreme Loudness ließe sich im Prinzip auch völlig ohne Kompression/Limiting erzeugen.

    • Vor 6 Monaten

      Thema nicht verstanden? Integrierte Lautstärke ist nicht gleiche wie Dynamikumfang. Beide Größen korellieren zwar, aber du kannst einen Track mit -9 dB LUFS und 0 DB Dynamikumfang haben und einen Track mit -9 dB LUFS und 15 dB Dynamikumfang.

    • Vor 6 Monaten

      Ne, richtig. Das ist nicht dasselbe. Ist aber auch gar nicht das, worum es in diesem einen Punkt geht. Einer der Punkte war, daß es aufgrund der Hörgewohnheiten als auch der Tonträger nur begrenzt Spielraum für sehr laute Passagen gab. Durch diese Schläuche blieb die Wahl zwischen "extremst leise" und "stellenweise sehr laut". Was aber nicht so eindeutig etwas mit Komprimierung zu tun hat, sondern mit Arrangement und Mischung.

      Ein völlig anderer Punkt ist der, daß heute vermutlich sogar weniger Komprimierung zu hören war als "früher", entgegen der landläufigen Meinungen. Die alten Produzentenlegenden gingen nicht zimperlich ihren Kompressoren um, zusätzlich zur zwangsläufigen Reduziering der Dynamik durch Tapes. Sagte ja schon, es ist etwas klugscheißerisch. Aber das Problem ist NICHT Komprimierung an sich, sondern die Entscheidungen der Mischer und Masterer, die ohne die Limitierungen der Technik in den 90ern bis 2010ern oft weit übers ziel hinaus geschossen sind.

    • Vor 6 Monaten

      Okay, als jemand der wenig Ahnung von der genauen Technik im Aufnahme- und Produktionsbereich hat, kann ich mich nur auf das Beschränken was ich zum einen höre und was sich auch relativ leicht "messen" lässt, also hier den Dynamikumfang.
      Da macht es eben einen Unterschied, ob so ein Album a la Rolling Stones einen durchschnittlichen Dynamikumfang von 13dB (Sticky Fingers), 9dB (Voodoo Lounge) oder halt nur noch 5dB wie die Hackney Diamonds hat und da finden sich halt früher (sprich vor Ende der 90er) weder bei den Stones noch bei vom Musikstil vergleichbaren Bands durchschnittliche Dynamikumfänge von 5dB.

      Korrigiert mich, wenn ich dabei falsch liege.

      Meiner Meinung bzw. meinem Hörgeschmack nach, nimmt so ein geringer Dynamikumfang der Musik einfach sehr viel ihrer Möglichkeiten. Das Gehörte wirkt schnell langweilig, es bleibt eher wenig im Gedächtnis hängen, die Musik ist einfach nicht spannend, oder wie auch immer man es dann technisch ausdrücken würde.

    • Vor 6 Monaten

      Ein paar neuzeitliche Reissues von Albenklassikern hab ich durch die älteren CD-Versionen ersetzt. Schlimm fand ich die remasterte "Painkiller" von Judas Priest. Da bekam ich Kopfschmerzen von, so gepresst klang das. Die alte CD-Version (ich pfeif auf die Bonustracks des remasterten Reissues) klingt viel luftiger und angenehmer. Und die Drums knallen auch mehr rein.

    • Vor 6 Monaten

      BTW, da es hier um Stones geht: Mein Remaster von "Beggar's Banquet" klingt sehr gut. Eine angenehme Ausnahme. Schön luftig. Sie klingt für meine Begriffe sogar etwas ZU gut. So in etwa, als hätte der HNO einem gerade frisch die Gehörgänge gereinigt.

    • Vor 6 Monaten

      "Ein völlig anderer Punkt ist der, daß heute vermutlich sogar weniger Komprimierung zu hören war als "früher", entgegen der landläufigen Meinungen. Die alten Produzentenlegenden gingen nicht zimperlich ihren Kompressoren um, zusätzlich zur zwangsläufigen Reduziering der Dynamik durch Tapes. Sagte ja schon, es ist etwas klugscheißerisch. Aber das Problem ist NICHT Komprimierung an sich, sondern die Entscheidungen der Mischer und Masterer, die ohne die Limitierungen der Technik in den 90ern bis 2010ern oft weit übers ziel hinaus geschossen sind."

      Es ist also nicht Komprimierung an sich, sondern die Entscheidungen der Mix und Master Ingenieure, mehr Komprimierung zu nutzen (Und bevor du damit anfängst, Limiter komprimieren). Gut, dass wir das geklärt haben.

    • Vor 6 Monaten

      Mal eine erweiterte Frage an die, die sich mit den Abläufen in der Produktion auskennen. Warum wird der Dynamikumfang bei Alben wie dem hier so extrem reduziert?
      Es ist mir schon klar, dass es etwas mit den mobilen Hörgewohnheiten zu tun hat und in Bus und Bahn, beim Sport etc. die Leute wenig auf einen Dynamikumfang von 15 und mehr dB stehen, aber 5dB über ein ganzes Album, bei den Stones?
      Wo liegt da noch der Sinn?

      Oder ist das hier tatsächlich einfach nur Pfusch?

    • Vor 5 Monaten

      Die Peak Volume, also der Pegel der größten Ausschläge des Signals, darf einen bestimmten Wert nicht überschreiten, damit das Signal/der Song an dieser Stelle nicht übersteuert, also mehr Leistung auf die Hardware gibt, als diese vertragen. Gewöhnlicherweise sagt mensch dazu 0dB, also 0dB unter der Maximallautstärke (bei Streaming sind es aus Gründen -1dB). Wenn du jetzt einen Song mit sehr starken Transienten, also Elementen, die einen kurzen hohen Ausschlag des Pegels auslösen, wie etwa eine Snare, dann muss der kleiner gleich 0dB bleiben. Dadurch sind die leiseren Elemente dann halt viel leiser, zb bei -20dB, wie etwa eine sehr sanft angeschlagene geschlossene hihat und die leisen Töne einer Gitarre.

      Dadurch hat der ganze Song dann eine eher niedrige integrierte Lautstärke (also Fläche unter der Lautstärkekurve, wie etwa die Fläche unter einer Geschwindigkeitskurve die Strecke (=integrierte Geschwindigkeit) ist. Integrierte Lautstärke wird in LUFS angegeben und beschreibt besser als andere Maßeinheiten, wie laut wir etwas finden. Ein Song mit -10 LUFS ist sehr viel lauter als einer mit -20 LUFS. Und lauter finden Menschen unterbewusst automatisch besser. Also wollen Ingenieure möglichst laute (iSv LUFS) mixdowns erstellen. Zumindest viele. Das ist mit moderner Technik wesentlich einfacher als früher und bewährt sich auch hinsichtlich Erfolg.

      Da kommt dann Kompression ins Spiel, Kompressoren (und Limiter, die auch Kompressoren aber mit hoher ratio sind) machen laute stellen automatisch leiser und dann kann die Lautstärke global hochgedreht werden, ohne über das peak-limit zu kommen, aber der unterschied zwischen der leisesten und lautesten Stelle wird kleiner

    • Vor 5 Monaten

      Okay, danke für die technische Erklärung und soweit auch nachvollziehbar.
      Bleiben wir jetzt aber mal grob in der Rockmusik, dann gibt es da doch auch genug Produktionen, die einen halbwegs brauchbaren Mittelweg finden und mit einem durchschnittlichen Dynamikumfang im Bereich von 7 oder 8 bis sagen wir mal 12 dB finden, dabei auch noch laut sind und trotzdem durch lautere und leisere Passagen Spannung erzeugen/die Musik interessanter machen.

      Warum also dieses Extrem mit den gerade mal 5dB?
      Bei irgendwelchem Extremmetal, Deathcore oder sonst was in der Richtung verstehe ich es ja noch, aber bei den Stones?
      Selbst Motörhead hatten nie einen so geringen Dynamikumfang.

    • Vor 5 Monaten

      Das sind dann meiner Meinung nach schlechte Entscheidungen. Wobei wie von dir schon erwähnt der Dynamikumfang genrebedingt vielleicht sogar von Natur aus (fast) so gering sein kann.

    • Vor 5 Monaten

      Caps, Du machst Dich wirklich immer dann zum Affen, wenn Du krampfhaft versuchst, mir bei Sachen zu widersprechen, die ich nicht geschrieben habe. Sonst sind Deine Beiträge in aller Regel 1A. Bleib vielleicht mal bei wohlwollendem Lesen oder bei Nachfragen, wenn etwas unklar sein sollte. Auch im Interesse der Mitlesenden. Ist garantiert für die ebenso anstrengend wie für uns, aneinander vorbei zu schreiben.

    • Vor 5 Monaten

      Also noch mal: Früher wurde zwangsläufig mehr und stärker komprimiert. Kompressoren wurden oft hart bei -10db angesteuert, da haben die Produzenten überhaupt keine Scham gehabt. Sowas wie "Dynamikumfang" war idR. überhaupt keine Priorität für sie. Zumindest nach allen Interviews der alten Legenden, die ich gelesen und gesehen habe. Außerdem entsprechend aller Tonkollegen, deren Worte ich mangels Dampfplauderei vertraue.

      Komprimierung ist nicht das böse Wort, und ist auch nur sehr indirekt beim Loudness War gemeint. Wie gesagt: Man kann auch völlig ohne Komprimierung auf z.B. -4LUFS mastern. Ich empfehle an der Stelle sehr die Videos des allseits geschätzten Genies Dan Worrall.

    • Vor 5 Monaten

      "Das sind dann meiner Meinung nach schlechte Entscheidungen."
      Schön formuliert.

      "Wobei wie von dir schon erwähnt der Dynamikumfang genrebedingt vielleicht sogar von Natur aus (fast) so gering sein kann."
      Mit starker Betonung auf fast und selbst bei Metal sollten es schon 7dB sein. Alles, was nicht nur Lautstärke, Aggressivität u.ä. transportieren will, darf dann, aus meiner Sicht, auch gerne mehr haben.

      Und nur um Missverständnissen vorzubeugen, ich erwarte von Rockmusik keinen Dynamikumfang wie im Jazz oder gar in der Klassik. Ich würde mir nur wünschen, dass Musik nicht zu sehr durch durchgehend hohe und vor allem gleichbleibende Lautstärke kastriert und so etwas auch öfter in Rezensionen Erwähnung finden würde.

    • Vor 5 Monaten

      Jepp. Das mit der gleichbleibenden Lautstärke funktioniert im Pop, manchem Elektro o.Ä.. Musiker (ggf. auch Produzenten) der meisten andern Genres sollten wirklich mehr auf Dynamik achten. Lautstärke ist tatsächlich nicht soooo sehr das Problem. Hörer drehen halt lauter und leiser, je nach Geschmack. Ein einziger Vorteil der Streamingplattformen ist immerhin, daß niemand mehr einen Vorteil davon hat, besonders penetrante Mixe abgzugeben.

    • Vor 5 Monaten

      "Komprimierung ist nicht das böse Wort, und ist auch nur sehr indirekt beim Loudness War gemeint. Wie gesagt: Man kann auch völlig ohne Komprimierung auf z.B. -4LUFS mastern. Ich empfehle an der Stelle sehr die Videos des allseits geschätzten Genies Dan Worrall."

      Wenn das Stück vorher nur 3-4 db dynamic range hatte ja. Ansonsten nicht, nein. Und ja, Dan Worall ist höchst empfehlenswert. Hoffentlich geht es ihm bald besser.

    • Vor 5 Monaten

      Genau. So kommen wir aufeinander zu :)

      Nur kurz ganz persönlich, warum ich da gerne etwas mehr ins Detail gehe. Zum einen erlebe ich, wie viele moderne Produzenten gerne etwas dezenter vorgehen in Sachen Komprimierung, vor allem einzelner Spuren. Im Gegensatz zu damals (wie gesagt - nach allem, was ich weiß). Insofern finde ich das Geschrei "Uuuuääääh, es wird heute so viel komprimiert!!!" etwas ungenau.
      Aber vor allem (hier das für mich Wichtigere): Es verschiebt die Verantwortung ins Nirgendwo. Wenn Produzenten sagen: "Tja, ich komprimiere doch schon wenig!", und die Masterer sagen: "Die Tracks haben kaum Range, was soll ich denn bitte machen?", ändert sich doch nix.
      Wie in der Rezi schon richtigerweise steht, besteht das Problem vor allem beim Arrangement, beim Mischen, Automatisieren. Vorher natürlich - viel wichtiger - schon beim Songwriting. Wen genau DIESE Probleme kritisiert werden, hat das mMn. mehr Chancen darauf, Gehör zu finden.

    • Vor 5 Monaten

      Beim Mix sollte was rauskommen, was ausreichend Dynamikumfang hat. Wenn bei der Person, die das dann Mastern soll etwas mit sehr wenig Dynamikumfang ankommt wäre es die Aufgabe jener Person bei den Verantwortlichen (Mixer, Produzent, Künstler, A&R, was weiß ich) nachzufragen, ob das so gewollt ist. Falls ja ist da nix mehr zu retten.

      Andere Alternative ist, dass ein Mix beim Mastering ankommt, der in der Hinsich okay ist. Dann kann es sein, dass es eine vorgabe gibt den so laut wie möglich zu machen. Und dann bleibt halt aufgrund dieser Vorgabe kein Raum für mehr Dynamik. Oder es ist das Werk der masternden Person.

      Alles was beim Songwriting, der Komposition und dem Arrangement in der Hinsicht schief läuft, kann beim Mischen gefixt werden.

      Komprimieren von einzelnen Spuren hat nichts mit dem Dynamikumfang des ganzen Songs zu tun. Die Summe kann sehr dynamisch sein selbst wenn die einzelnen Spuren alle sehr hart komprimiert sind. Denn egal wie hart du eine Spur komprimierst (0 ms Attack mit Lookahead, 1:unendlich ratio, -50 db Threshold, 1000 ms Release) solange es kein konstantes Signal ist gibt es Dynamik. Und bei der Summe reicht ein nicht konstantes Signal aus um Dynamik reinzubringen.

      Erst wenn auf der Summe stark komprimiert wird, etwa mit einem Limiter, der das logische Ende jeder Mastering-Chain ist, dann kommt es zu dieser signifikanten Einschränkung des Dynamikumfangs, die aus einem guten Mix ein lauten aber undynamischen Master macht.

    • Vor 5 Monaten

      Leider kann ich nicht behaupten, der technischen Diskussion hier in jeder Hinsicht folgen zu können, aber da diese Diskussion wohl von denen gelesen wird, die mit dem Sound im Hinblick auf den Dynamikumfang unzufrieden sind: die Surround-Mixe (Atmos bzw. 7.1 und 5.1) auf der Blu-Ray, die im Box Set enthalten sind, klingen in dieser Hinsicht viel angenehmer. Giles Martin zeichnet wohl verantwortlich dafür bzw. er hat halt gutes Ausgangsmaterial bekommen und keinen Blödsinn damit gemacht. Kann man auch in stereo abspielen, dann wird hier und da vllt. manches unterbetont, dafür „atmet“ alles definitiv mehr.

    • Vor 5 Monaten

      100%ige Zustimmung, Caps. Das Problem entsteht halt viiiiiel früher, vor dem Mastering, wo dann sozusagen "komprimiert" wird. Ein sehr dynamischer Song lässt sich beim Mastering (nehmen wir mal an, es handelt sich um reines Mastering, ohne Nachmischen) kaum stark komprimieren (ggf. gibts da Tricks wie Threshold-Automation o.Ä., was aber wieder zu anderen Problemen führen kann, und unüblicher ist). Wenn Musiker und Produzenten also dynamische Songs schreiben, arrangieren und mischen, ist das mit der Loudness kaum noch ein Problem.

  • Vor 6 Monaten

    "Wer Menschen in diesem Alter im familiären Umfeld hat, weiß, wie stark schon wenige Monate den Gesundheitszustand verändern können (...)"

    Der Anruf vom Festnetz, Vorwahl Heimatstadt, um 6 Uhr morgens, ich denke viele kennen es.

    Zum Album kann ich nur sagen dass ich bis eben nicht wusste dass Angry ein neuer Song ist. Kann man jetzt als gut oder schlecht interpretieren.

  • Vor 6 Monaten

    In der Tat ein gutes Album. Kein Meisterwerk wie manche Kritiker behaupten, aber dennoch stark. Am besten gefallen mir "Bite My Head of", "Live by the Sword" und "Tell me Straight". Als Finale gefällt mir "Sweet Sounds of Heaven" auch sehr gut. Die Produktion gefällt mir nicht so gut, da haben die von Don Was produzierten Alben besser geklungen (weshalb auch "Live by the Sword" ein Highlight ist, da als einziger Song von Don Was produziert). Sollte es das letzte Album sein wäre es ein würdiger Abgang. Und um das Klischee zu bestätigen: Das beste Album seit Steel Wheels für mich ;)

  • Vor 5 Monaten

    Ein gelungenes Alterswerk, mit dem man durchaus seinen Spaß haben kann. Über den Mix kann man streiten (wie bereits von manchen hier geschrieben), das Album klingt sehr glatt und ich hätte mir bei vielen Songs definitiv einen raueren und dynamischeren Klang gewünscht. Was aber Jagger stimmlich und der Rest der Band an den Instrumenten trotz ihres fortgeschrittenen Alters abliefern, ist aller Ehren wert. Die manchmal etwas krampfhaft junggebliebenen Texte stören mich persönlich nicht so sehr, wer will von den Stones ernsthaft Songs über die Beschwerden des Alters, Krankheit und Tod hören? Das haben zwar z.B. Bowie und Leonard Cohen auf ihren letzten Werken auf mitreißende Weise getan, aber es hätte wohl kaum zu dem rockigen Material auf diesem Album gepasst. 3,5/5.

  • Vor 5 Monaten

    Der Bezug zu den letzten wirklichen Stones Alben ist ein langer Zeitraum: 40 Jahre. Genau genommen ist es Undercover, welches das letzte wirkliche Stones Album der 70er Ära war und man als ganz gut bezeichnen kann. Ich würde für dieses 3,5/5 vergeben. Der Sound ist in Ordnung, die Songs gehen klar. (Let it Bleed würde ich als Endpunkt der 60er Ära sehen, mit 5/5).
    Nun kam ein weder Fisch noch Fleisch Album und man weiß nicht wohin damit Album: Dirty Work. Damals mit größerer Enttäuschung audgenommen, ist es jedoch ein grower- zudem in dem Umfeld in der Zwischenzeit nur wenige Studioalben vorbeiziehen konnten. One Hit ist veritabler Kracher als Opener, dazwischen noch der ein oder andere ganz gut anhörbare Song. Es erinnert vom Sound her an Jaggers Debut Soloalbum, was kein Fehler ist. Die letzte Phase beginnend mit Steel Wheels welches auch gleichzeitig das beste dieser Ära ist. 3/5. Insgesamt würde ich neben den beiden Solodebüts, die richtig gut sind J/R - 4/4,5, noch Bridges als eher hörenswert einstufen 2,5/5.

    Zunächst einmal ist es anstrengend dieses Album zu hören; es ist aufdringlich abgemischt und gemastert ohne darin irgendwie originell zu sein. Gleichzeitig glatt wie Bridges.
    Und in der Tat ist Tell me Straight der Song, den man sich am liebsten anhören mag. Einfach weil er ein entspannter Richards gesungener Songist (wenn auch kein wirklich guter, eher oberer Durchschnitt).
    Nachdem man sich durch Minuten der vorigen Songs durchgehangelt hat ist die Schmerzgrenze erreicht. Die Mix ruiniert die Nerven, die belanglosen Songs fordern die Geduld. Der posaunierte Übersong ist Sounds of Heaven nicht, dafür ist das Songwriting zu belanglos- aber in diesem Umfeld sticht er doch raus. Der Blues ist dann der Schlusspunkt, und ob es der Schlusspunkt für alles ist wird sich zeigen, ob Tantiemen doch noch an Priorität gewinnen. 1,5/5. Es teilt sich damit den gut abgelegenen letzten Platz in der Discographie mit Vodoo und Bigger Bang.
    Als Beispiel habe ich mal bei Undercover den schlechtesten Song ausgewählt: Pretty Beat Up. An den kommt kaum ein Song auf Hackney ran. Dabei ist PBU wirklich nicht besonders. Oder too tough, auch ein eher nerviger Song aufgrund des Refrains. Auf HD wäre man froh den zu hören.

  • Vor 5 Monaten

    Das neue Album von The Rolling Stones Hackney Diamonds finde ich gelungen natürlich kommt es nicht an frühere Alben dran.