30. Januar 2002

"Im Proberaum den Verstärker aufgedreht und losgerockt"

Interview geführt von

"Neon Golden" macht dort weiter, wo "Shrink" aufhörte - bei der Verknüpfung von Elektronik und großem Songwriting. LAUT sprach mit Markus Acher von The Notwist über die neue Scheibe, die die Band erstmals auch in die Top Ten der Charts brachte.

Euer neues Album heißt "Neon Golden", beides sind Dinge, die leuchten. Verbindet ihr mit eurer Musik etwas Leuchtendes oder wie kam es zu dem Namen?

Wir haben eine Weile überlegt, ob wir es wirklich "Neon Golden" nennen, weil das doch ein wenig naiv klingt durch dieses Leuchten, wie goldene Schallplatte und ein bisschen protzig. Aber irgendwie hat es am besten zu der Platte gepasst, weil es zwei Begriffe sind, die so zunächst nicht wirklich zusammen passen oder in zwei verschiedene Richtungen weisen. "Neon" als so ein komisches künstliches 80er Disko-Ding, antiquiert, etwas was man sich früher ganz hip vorgestellt hat. "Golden" steht eher für edle, aber fast schon ein bisschen konservative Sachen und in gewisser Weise ist dieses Stück "Neon Golden" ja das extremste auf der Platte - von den Elementen, die zusammen kommen und auch vom Stückaufbau. Ich finde, dass das am meisten oder am extremsten die verschiedenen Aspekte der Platte präsentiert. Irgendwie hatten wir dieses Wort für die Platte auch immer im Kopf. Zuerst hatten wir aber einen anderen Namen.

Welchen? Verratet ihr den?

Wie war der denn? Ich glaube "Propeller Neun", das war so eine Computerplatte, die Mario immer gebraucht hat, um ins Innere der Klänge zu kommen, um irgendwie diese Struktur zu bekommen, um schneiden zu können. Er nannte die immer "Propeller Neun". Das fand ich auch irgendwie gut, aber dann hat "Neon Golden" doch besser gepasst.

Die neue Platte wirkt eingängiger als alles was ihr gemacht habt. Vielleicht sogar poppig, um das böse Wort zu benutzen. Ist das Absicht, um eine breitere Masse anzusprechen, oder ergab sich das beim Aufnehmen von selbst?

Das hat sich jetzt ergeben, es ist auf keinen Fall Absicht. Es ist eher so, dass wir anfangs die Idee hatten, eine ganz krachige, komische oder monotone Platte zu machen. Einfach weil um uns herum alles immer mehr Richtung Pop geht, es fällt 100.000 mal in allen Interviews das Wort Pop und alle Bands gehen in die Charts usw. Deswegen die Idee mit der krachigen Platte. Ich hab mir viel so alte Musik angehört, songorientierte, alte Jamaica-Reggae Sänger, ohne dass die jetzt so extrovertiert sind, aber die singen alle super gut, finde ich. Auf einen ganz natürliche Art und Weise singen die so ganz traurige wunderschöne Stücke. Oder auch viele Songwritersachen, Michael Hurley, Bob Dylan, Neil Young, davon habe ich einen anderen Bezug zum Singen bekommen. Ich hatte diesmal mehr Lust als bei allen anderen Platten davor, mich hinzustellen und eine Melodie zu singen. Ich singe das direkter als zuvor, was man meiner Meinung nach teilweise auch hört. Das macht auch viel von der Stimmung der Platte aus. Grundsätzlich hat sich die Platte so entwickelt und die Stücke waren irgendwie da und es hätte auch wenig Sinn gemacht, die extrem kaputt zu machen mit irgendwas.

Verändert sich eine Platte im Entstehungsprozess grundlegend? Habt ihr so was wie eine klare Linie, dass ihr sagt, so und so wollen wir klingen und wenn ihr dann ein Jahr später fertig seit, merkt ihr, dass es eigentlich ganz was anderes geworden ist?

Eigentlich war das bei den letzten beiden Platten schon so. Es war jetzt irgendwie noch extremer als bei der "Shrink". Denn es kamen immer wieder neue Stücke dazu und die haben die Platte als solche wieder verändert. Da muss man dann teilweise Stücke, die ganz am Anfang entstehen, unter anderen Aspekten vielleicht noch mal abmischen, noch mal irgendwelche anderen Sachen betonen oder wieder weg machen. An der Platte haben wir lange, über ein Jahr gearbeitet, hatten auch verschiedene Vorstellungen, und zwischen rein kamen auch andere Platten, so viele andere Platten, die uns beeinflusst haben zwischendrin, so das sich das teilweise innerhalb eines Stückes schon sehr geändert hat. Z.B. "Off The Rails" hat angefangen mit dieser Skizze, die auch auf dem Crazy Soundtrack drauf ist, dann haben wir so einen komischen Rhythmus dazu gemacht, der war eher so Madonna, Missy Elliot-mäßig. Ich fand das super gut, so ganz reduzierter Rhythmus, dazu fast nur Stimme und ein bisschen Keyboard. Dann war das aber auf Dauer doch irgendwie schrecklich, deshalb hat Micha so ein Streicherarrangement drüber gemacht, Perkussion dazu und Martin hat noch mal neue Elektronik ausprobiert und zum Schluss klang es halt wirklich ganz anders als die Version davor. So hat sich das bei fast jedem Stück geändert. Wie gesagt, aus der eigentlich krachigen Platte wurde dann eher so eine, na ja, so halt wie sie jetzt klingt.

Wir haben vor zwei Wochen Martin Gretschmann interviewt, und der meinte, dass inzwischen eigentlich alle bei Notwist mit diesen elektronischen Sachen zurecht kommen und auch selbst Elektronik in die Songs einbinden können. Geht sein Einfluss auf euch dadurch zurück?

Nein, Martin hat ja die Elektronik bei Notwist definiert. Wir hatten seine Sachen gehört bzw. wir hatten uns mit ihm zusammen für dieselben Platten begeistert, Autechre, Aphex Twin, solche Sachen. Er hat genau so was gemacht und das hat supergut ins Notwistklangbild gepasst. Wenn jetzt Micha Elektronik macht, dann hat er in gewisser Weise eine bestimmte Vorstellung, die sich an diesem Klangbild orientiert. Wir haben ständig Sachen noch mal weiter verarbeitet und so viele Kleinigkeiten und so viele kleine Schritte dazwischen, dass es teilweise auch verschwimmt und nicht mehr wichtig ist, ob dieses Element von dem oder von dem oder von dem kommt. Das ist eine Arbeitsweise, die auch voraussetzt, dass es zum Schluss nicht mehr wichtig ist, ob jetzt überhaupt noch ein Element, dass man selber gemacht hat, dabei ist, sondern dass das Gesamtergebnis einfach passt.

Im Presseinfo steht, dass ihr die Songs erst am Computer entworfen habt und dann später mit Instrumenten ran gegangen seid. Eigentlich die Umkehrung des normalen Vorgangs? Dass man erst den Song auf der Gitarre schreibt und dann mit Elektronik dazu kommt?

Ja, es stimmt nicht so ganz mit "am Computer begonnen". Es gibt drei Vorgehensweisen, sprich der Martin fängt am Computer an und macht seine Stücke, wie er halt Console-Stücke macht und dann gibt er die uns. Ich überlege mir mit der Gitarre und dem Gesang was dazu und Micha überlegt sich an seinem Rechner Arrangements oder Bläser oder noch andere Elemente. Wenn Micha komponiert, dann macht er das am Klavier und am Computer und gibt es dann mir, und wenn ich komponiere, für Notwist zumindest, dann mach ich das eigentlich immer mit der Gitarre. Das sind so drei verschiedene Wege, die vermischen sich aber immer im Lauf des Entstehungsprozesses.

Martin meinte, es gäbe noch zwei Stücke von den Aufnahmen, die nur mit Gitarre wären, also ohne Elektronik. Kommen die noch mal als B-Seite raus oder werden die irgendwann später veröffentlicht?

Oh, ich weiß gar nicht genau, was der meint. Es gibt eigentlich nur noch drei Instrumentalstücke, die wir nicht auf die Platte getan haben, und die wollten wir noch mal als gesonderte Maxi veröffentlichen, da ist auch ein bissel Gitarre dabei. Aber wir haben jetzt schon wieder angefangen, Stücke zu machen und haben drei Stücke, die sind so ein Gitarre, Bass, Schlagzeug - Brett. Das war eine Reaktion auf die Platte, weil es diesmal halt sehr ins Detail ging und Studiogefrickel war. Als wir wieder im Proberaum standen, haben wir sofort die Verstärker aufgedreht und losgerockt.

Steht eine Tour an?

Ab Ende Februar ist eine Tour geplant, da spielen wir dann in Deutschland und anderen Ländern.

Vielen Dank für das Interview!

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